
Kritik
«Andor» – Der Krieg der Sterne wird erwachsen
von Luca Fontana
Was kostet eine Rebellion wirklich? Das erzählt uns «Andor» Staffel 2. Ohne Fanservice. Ohne Heldenreise. Nur mit einer Bewegung am Rand der Auslöschung – und dem mutigsten Kapitel, das «Star Wars» je geschrieben hat.
Keine Sorge: Die folgende Serienkritik enthält keine Spoiler. Ich verrate dir nicht mehr, als ohnehin schon bekannt und in den Trailern zu sehen ist. Die Serie startet am 23. April auf Disney+ und bringt wöchentlich drei neue Folgen.
Niemand hatte 2016, als «Rogue One – A Star Wars Story» ins Kino kam, nach einer Serie über Cassian Andor (Diego Luna) gefragt. Und doch liefert Tony Gilroy, der Mann hinter der Serie, mit «Andor» ohne Zweifel das Beste, Reifste und Relevanteste ab, was «Star Wars» je hervorgebracht hat.
Schon wieder.
Schon Staffel 1 fegte wie ein Sandsturm auf Tatooine durch das gewohnte «Star Wars»-Vokabular und verzichtete auf Jedi, Fan-Service-Showdowns und Märchenlogik. Staffel 2 macht genau dort weiter. Kompromissloser sogar, strukturierter und politischer. Ein Spionagethriller, der sich zunehmend als Kriegsdrama entpuppt. Trocken. Dicht. Bitter. Denn was nützt ein gerechtes Ziel, wenn es nur mit ungerechten Mitteln erreicht werden kann?
«Andor» stellt diese Frage nicht mit Pathos, sondern mit Präzision: kein Satz zu viel, kein Bild zu platt. Alles dient der Frage, was Menschen zu Mittätern macht – und was passiert, wenn man sich dem Feind annähert, um ihn zu besiegen.
Bevor man über «Andor» spricht, muss man über Tony Gilroy sprechen. Über den Mann, der «Star Wars» nicht als Mythos behandelt – sondern als Mahnmal.
Gilroy kam 2016 erst spät zu «Rogue One», als Lucasfilm mit Regisseur Gareth Edwards und seinem dritten Akt unzufrieden war. Gilroy übernahm das Projekt in der entscheidenden Endphase, überarbeitete das Skript, begleitete die Reshoots und soll auch für die berühmte Hallway-Szene mit Darth Vader verantwortlich gewesen sein. Also jene Szene, in der sich der Dunkle Lord durch bemitleidenswerte Rebellen metzelt.
Brutal und unaufhaltsam.
Das passte anfangs nicht allen Fans. Zu «erwachsen» sei «Star Wars» unter seiner Federführung. Zu ernst. Zu politisch. Gilroy hingegen hatte längst verstanden, dass «Star Wars» schon immer politisch war.
Die Original-Trilogie etwa zeigte das Imperium als faschistisches Regime, angelehnt an Nazideutschland. Die Prequels waren nicht nur eine düstere Studie über den Zerfall demokratischer Institutionen, sondern vor allem darüber, wie Diktaturen in «donnerndem Applaus» geschmiedet werden – mit Szenen, die das heutige weltpolitische Gebaren akkurater wiedergeben, als uns lieb sein kann.
Gilroy knüpfte mit «Andor» genau daran an und zog die Schrauben nochmals fester – ohne Jedi, ohne Schablonen, ohne Rücksicht auf Erwartungen. Dafür mit dem Mut, eine Geschichte zu erzählen, in der sich nicht nur die Bösen kompromittieren, sondern auch die Guten.
Gerade die Guten.
Anders als in George Lucas «Star Wars» ist das Imperium in «Andor» nämlich keineswegs eine Karikatur seiner selbst, sondern eine gut geölte Maschine der Kontrolle. Bürokratisch organisiert, rhetorisch geschult, ideologisch eiskalt.
Die Rebellion antwortet darauf mit Kollateralschaden, Zynismus und mit Figuren wie Luthen Rael (Stellan Skarsgård) oder Saw Gerrera (Forest Whitaker), die längst bereit sind, ihre eigene Rechtschaffenheit auf dem Altar der Freiheit zu opfern. Was einst als Kampf Gut gegen Böse galt, wird in «Andor» zur Frage, wie weit man selbst bereit ist zu gehen – und ob man am Ende noch erkennt, wofür man eigentlich kämpft.
Nein, «Andor» ist kein Märchen. Weder die erste noch die zweite Staffel. Es ist als politisches Drama gedacht, das «Star Wars» aus dem Reich der Helden zurück in den Schatten der Realität holt – und uns ständig dazu zwingt, in den Spiegel zu schauen.
Zwölf finale Episoden bekommen wir also zu sehen – eine dritte Staffel wird es nicht geben. Erzählt wird Staffel 2 in vier Mini-Trilogien, wöchentlich veröffentlicht. Jede davon spielt ein Jahr von der vorherigen entfernt. So schliesst «Andor» die vierjährige Lücke zwischen Staffel 1 und «Rogue One», der eigentlichen Geburtsstunde der Rebellion.
Das macht «Andor» nicht nur inhaltlich so besonders. Sondern auch strukturell. «Andor» ist kein Schnellkochtopf-Plot. Die Serie lässt Dinge lieber zuerst brodeln. Sie beobachtet, wie Druck entsteht, wie Figuren schwanken, schweigen, brechen. Sie zeigt eine Galaxis, die taumelt. Eine Bewegung, die noch keine ist. Und Figuren, die nicht wissen, ob sie noch Menschen oder längst schon Werkzeuge sind.
Und immer, wenn sich eine Mini-Trilogie ihrem Ende neigt, wird die Spannung kaum aushaltbar. Als ob sich der Druck im Kochtopf nicht mehr vom Deckel darauf zurückhalten liesse. Und wenn die Explosion schliesslich kommt, wirkt sie nicht wie Action – sondern wie die unausweichliche emotionale Kettenreaktion, in der Menschen zerbrechen. Oder verschwinden.
Nächste Mini-Trilogie. Das Brodeln beginnt von vorne.
Eines der besten Beispiele dafür ist in der ersten Mini-Trilogie – neben Andor – Mon Mothma (Genevieve O’Reilly). In den klassischen Filmen war sie eine moralische Lichtgestalt. Hier erleben wir sie als Frau, die beginnt, ihre eigenen Grenzen zu verschieben. Nicht laut, nicht dramatisch. Sondern durch eine stille Bewegung, die alles verändert – innerlich detonierend, äusserlich kaum sichtbar. Es geht nicht um Strategie. Nicht um einen Schlag gegen das Imperium. Sondern um Loyalität. Vielleicht sogar um Schuld. Aber vor allem um den Moment, in dem sie etwas zulässt, das sie früher verhindert hätte.
Es sind genau solche Geschichten, die im ansonsten kindgerechten «Star Wars»-Universum keinen Platz haben, die «Andor» als Serie aber umso wertvoller machen. Mon Mothmas Tragik liegt nämlich darin, dass sie nicht nur eine Entscheidung trifft, sondern dass sie sie allein trifft. Um sie herum: Männer, die taktieren. Informelle Netzwerke. Rebellische Pragmatiker. Und Luthen Rael, der längst auf einem Pfad wandelt, der mit Moral nichts mehr zu tun hat.
Mothma hingegen kämpft nicht nur gegen das Imperium, sondern gegen ein System, das keine Idealistinnen mehr kennt – und gegen ihre eigene Fassade. Sie bleibt Teil des politischen Apparats, muss weiterhin Hände schütteln, lächeln, taktisch denken. Doch innerlich beginnt sie zu bröckeln. Und je weiter sie geht, desto mehr stellt sich die Frage: Wer rettet eigentlich die, die ihre eigene Integrität opfern, um andere zu retten?
Das ist es, was ich meine, wenn ich mit Freunden über «Andor»’s nunmehr bestens etablierte Brillanz rede: Es sind nicht die grossen Schlachten, die mich am meisten erschüttern. Es sind Komplizenschaften, die nicht befohlen, sondern geflüstert werden. Und wenn ich ehrlich bin, dann ist die tödlichste Waffe in dieser Serie wohl gar nicht der Blaster oder das Lichtschwert – sondern das Gewissen.
Und wie leicht es sich opfern lässt.
Kein Wunder. Das Imperium erleben wir in «Andor» als kalte Bürokratie der Auslöschung, die ebenso technokratisch, präzise wie entmenschlicht funktioniert. Und wer diesem System etwas entgegensetzen will, muss lernen, ebenso kompromisslos zu denken.
Doch was «Andor» noch aussergewöhnlicher macht, als das Was, ist das Wie. Also die Art, wie diese Serie erzählt, inszeniert und komponiert ist. Das alles sprengt den Rahmen dessen, was man von einer Streamingserie erwartet. Jede Mini-Trilogie wirkt wie ein eigenständiger Film. Erzählerisch, visuell und emotional. Und ja: produktionstechnisch sowieso. Wäre Staffel 2 von «Andor» eine vierteilige Kinoreihe – niemand würde über mangelnden Produktionswert klagen.
Dass Disney das zugelassen hat, ist fast schon ein Wunder. Denn «Andor» war 2022 kein garantierter Erfolg. Staffel 1 wurde zwar gefeiert. Aber sie war kein klassischer Quotenhit. Während die Zuschauerzahlen zunächst verhalten waren, gelang der Serie dafür etwas anderes, das umso bemerkenswerter ist: Die Zahlen sanken nicht, wie’s üblich ist – sie stiegen. Von Woche zu Woche. Am Ende war das Staffelfinale gar die meistgesehene Episode.
Vielleicht war das der Grund, warum man Tony Gilroy trotz aller frühen internen Zweifel letztlich machen liess. Warum man ihm vertraute. Warum man nicht in Panik verfallen ist – sondern ihm Zeit, Mittel und künstlerische Freiheit gegeben hat, um Staffel 2 genau so zu erzählen, wie sie erzählt werden muss.
«Ironic», würde Imperator Palpatine heute dazu sagen. Denn «Andor» ist nicht nur ein Ausnahmefall im «Star Wars»-Kosmos. Es ist eine Rebellion – gegen die eigene Marke, gegen formelhaftes Erzählen und gegen den Gedanken, dass «Star Wars» immer gleich klingen muss.
«Andor» ist kein Produkt. Es ist Haltung. Handschrift. Konsequenz. Und vielleicht gerade deshalb die beste Entscheidung, die Disney in seiner Ära «Star Wars» getroffen hat.
Die Serie stellt kaum einfache Fragen – und gibt noch weniger einfache Antworten. Sie zeigt, wie nahe sich Feind und Widerstand kommen können, wenn der Zweck jedes Mittel heiligt. Denn das Imperium kalkuliert zwar mit Leichen – aber die Rebellion auch. Und was «Rogue One» noch andeutete, macht «Andor» endgültig zur bitteren Realität: Auch das Gute hat Blut an den Händen.
Was Tony Gilroy hier geschaffen hat, ist nicht einfach gutes Fernsehen. Es ist Kunst im Korsett einer Marke, die längst zur Maschine geworden ist. Und genau deshalb ist «Andor» ein Glücksfall. Ein Thriller und Drama im Sternenstaub. Kurz: Das Beste, was «Star Wars» je passiert ist, seit George Lucas aufgehört hat, es als Mythos zu träumen.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»