«Anger Foot» im Test: Verteile Arschtritte zu Hardcore Techno
11/7/2024
Deine wichtigste Waffe in «Anger Foot» ist dein mächtiger Fuss. Damit kickst du im Vollsprint Kriminelle durch die Gegend. Zusammen mit dem wummernden Techno-Soundtrack ergibt das ein fantastisches und schweisstreibendes Actionspektakel.
In Shit City ist das Verbrechen Gesetz. Alle Bewohner gehören entweder zu einer Gang oder zur Polizei und auch die hat Dreck am Stecken. Nur einer widersetzt sich dem kriminellen Abschaum: Anger Foot. Zur Strafe werden dem Sneaker Head seine vier heiss geliebten Paar Schuhe geklaut. Das kann der maskierte Antiheld nicht auf sich sitzen lassen. Zeit, Arschtritte zu verteilen.
Die Story von «Anger Foot» ist genauso sinnbefreit wie die Welt, in der sie spielt. Die verschiedenen Gangs hauchen dem ganzen aber durchaus Leben und Persönlichkeit ein. Da gibt es die Pollution Gang, die aus Müll-Fetischisten besteht. Die Debauchery Gang ist Heimat für alle Hedonisten. Auf dem Thron sitzt der «Crime Minister», der alle Fäden in der Hand hält. Daneben stolpere ich immer wieder über merkwürdige Experimente, die darauf schliessen lassen, dass die Bevölkerung aus Reagenzgläsern stammt. Aber vielleicht sind in Shit City anthropomorphe Tierwesen auch ganz normal und Messer wetzende Tentakel gehören zur Tagesordnung. Zum Nachdenken habe ich sowieso keine Zeit. Die Story ist Beigemüse eines rasanten Action-Games, das kaum Pausen einlegt.
Das PC-Spiel stammt von Free Lives. Das südafrikanische Studio hat mit dem Öko-Aufbauspiel «Terra Nil», dem Partyspiel «Genital Jousting» oder dem 80er-Jahre-Pixelfeuerwerk «Broforce» schon äusserst unterschiedliche Hits kreiert. Zu Letzterem hat «Anger Foot» hat am meisten Parallelen. Da verwundert es nicht, dass im Spiel auch ein Easter Egg dazu zu finden ist.
Sprinten, kicken, schiessen
«Anger Foot» besteht aus fünf Kapiteln, in denen ich mich durch verschiedene Levels spiele. Am Ende wartet der Obermotz der jeweiligen Gang auf mich. Jeder Level dauert in der Regel nicht länger als eine Minute. Sofern ich es im ersten Anlauf bis ans Ende schaffe – was nie vorkommt. Denn so hart Anger Foot auch austeilt, so wenig steckt er ein. Schon nach ein, zwei Treffern ist Ende Gelände und der Level beginnt von vorne.
Der Spielaufbau erinnert stark an «Hotline Miami». Nur, dass «Anger Foot» nicht aus der Vogel-, sondern aus der Egoperspektive gespielt wird. Und statt Pixelgrafik erwartet dich ein bunter Comic-Look. Meist sprinte ich von Raum zu Raum, von Dach zu Dach oder von Kanalisation zu Kanalisation – wo auch immer mich meine Mission hinführt. Dabei trete ich alles zur Seite, was sich mir in den Weg stellt. Die verschiedenen Gangmitglieder segnet meist nach einem einzigen Arschtritt das Zeitliche. Egal, ob es Polizeitauben mit Schutzschildern, Hundemenschen mit Uzis oder solche mit Bombenköpfen sind.
Ich kann auch Türen aufkicken und sie idealerweise gleich einem Gegner auf die Nase knallen. Explosive Fässer gibt es ebenfalls, genauso wie verschiedene Waffen. Die reichen von einer gewöhnlichen Pistole über eine Minigun bis zum WC-Pömpel. Mit letzterem kann ich Gegner wie mit einem Enterhaken zu mir heranzuziehen. Nachladen gibt es nicht. Stattdessen schleudere ich die Waffe idealerweise jemandem aufs Maul und sammle eine neue auf.
Um Level erfolgreich zu beenden, muss ich blitzschnell entscheiden und reagieren. Zack, Türe aufkicken, zwei Gangster fliegen durch die Luft. Eine Granate retourniere ich geistesgegenwärtig zum Absender zurück. Einem weiteren verpasse ich die letzte Kugel in den Kopf. Einen vierten betäube ich mit einem gezielten Wurf meiner leeren Waffe. Bevor er sich erholt, katapultiere ich ihn mit meinem riesigen grünen Fuss in ein rotes Fass, das die restlichen Gegner erledigt. In solchen Momenten fühle ich mich wie John Wick.
Wesentlich öfter verfehle ich bereits mit der Türe die Gegner und meine Knarre schiesst ins Leere. Der kleinste Fehler wird sofort mit dem Tod bestraft. Einen Augenblick nicht aufgepasst und schon zieht mir ein Gangster mit Krokodilfratze seinen mit Stacheldraht besetzten Baseballschläger über den Schädel. Dann wippe nicht mehr ich mit dem Kopf zum Techno-Soundtrack, sondern die verbleibenden Gegner tanzen, als gäbe es kein Morgen. Das ist so herrlich bescheuert, dass ich gleich wieder lachen muss. Und das ist auch gut so, denn «Anger Foot» kostet trotz aller Absurdität viel Nerven. Wenn ich einen Level zum 30. Mal versuche, nur um im dümmsten Moment eine verirrte Kugel abzubekommen, dann bekommt mein Tisch auch schon mal meine Anger Fist zu spüren. Zum Glück dauert es nur einen Mausklick, bis ich wieder mit dem Fuss voran losrennen kann. Und die Missionen sind kurz und abwechslungsreich genug, damit sie sich selten repetitiv anfühlen.
Welcher Schuh passt zu dir?
Wenn ich es schliesslich lebendig zum Ende eines Levels geschafft habe, pocht mein Herz im Takt des Techno-Beats. Verschnaufen kann ich bei der Missionsauswahl, wenn die Musik vorübergehend von 200 BPM auf 70 runterfährt und mir entspannte Hip-Hop-Beats serviert. Am Schluss jeder Mission sehe ich, wie ich mich geschlagen habe. Neben der benötigten Zeit wird angezeigt, wie viele Gegner ich erledigt und welche Herausforderungen ich gemeistert habe. Neben einem Stern für das erfolgreiche Beenden einer Mission kann ich zwei weitere verdienen. Ein optionales Ziel kann sein, keine Schusswaffen zu verwenden, eine vordefinierte Zeit zu unterschreiten oder ein bestimmtes Schuhwerk zu verwenden. Dieses schalte ich mit den Sternen frei.
Über 20 Schuhe, vom Sneaker über Sandaletten bis zum Stiletto, stehen zur Auswahl. Sie fungieren als Power-up. Mit den «Scavengers» erhalte ich Munition, wenn ich Gegner erledige. Mit den «Slide Kickers» kann ich – wie könnte es anders sein – sliden und kicken. Und die «Holy Sandals» spendieren mir ein zweites Leben. Meine Favoriten sind aber die «Detonators». Damit explodieren Türen beim Aufprall. Grossartig. Auch wenn ich mich damit regelmässig selber in die Luft jage.
Die vielfältige Fussbekleidung sorgt nicht nur für Abwechslung. Ohne das richtige Schuhwerk habe ich meist keine Chance, die Bestzeiten in den Levels zu knacken. Oft reicht es selbst damit nicht. Die Level erfordern Taktik. Erst beim wiederholten Spielen finde ich die richtige Vorgehensweise, wann ich am besten welchen Gegner angreife, welche Türe ich eintrete und wo ein Fass besser nicht rumgekickt wird.
Halt die Füsse still und hör zu
Die Missionen sind meist fair aufgebaut, nur hier und da ist nicht ganz ersichtlich, was mich genau getroffen hat. Mein Mördermarathon wird gelegentlich durch Abschnitte unterbrochen, in denen ich ausnahmsweise niemanden umbringen muss. Diese Zwischenareale bringen mir Shit City etwas näher. Ich kann auch direkt zum Start des nächsten Levels rennen. Es lohnt sich allerdings, mit den Bewohnerinnen einen Schwatz zu halten.
So erhalte ich über kurze Textboxen Einblicke in ihre Träume oder was sonst mit ihnen abgeht. So wünscht sich ein Mitglied der Pollution Gang eine Welt, die nur aus Abfall besteht. Der Hausmeister der Business Gang wiederum freut sich, den am wenigsten schmutzigen Job der Firma zu haben. Natürlich erteile ich auch hier anschliessend jedem und jeder mit meinen treuen Treterchen gratis Flugstunden – ohne dass auch nur jemand vorher blinzeln könnte. Shit City eben.
Am Ende jedes Kapitels machen die Gangsterbosse Bekanntschaft mit meinen Schuhen. Hier sprinte ich für einmal nicht geradeaus, sondern muss in einer typischen, geschlossenen Boss-Arena mein Können unter Beweis stellen. Besonders originell sind diese Kämpfe nicht, aber sie sind eine willkommene Abwechslung. Und ein neues Paar Schuhe bringen sie auch mit sich.
Während meiner Testzeit bin ich auf keinerlei Bugs gestossen, dafür hat mir die Performance etwas zu schaffen gemacht. Visuell ist «Anger Foot» eigentlich kein sonderlich anspruchsvolles Spiel. Trotzdem schwankt meine Bildrate regelmässig zwischen 100 und 30 FPS. Bei einem Spiel, das schnelle Reflexe erfordert, ist das verheerend. Ich habe mit maximalen Details gespielt, aber mit einer RTX 4090 sollte das kein Hindernis sein. Bleibt zu hoffen, dass das bis zum Launch noch gepatched wird.
«Anger Foot» ist verfügbar für PC und wurde mir von Devolver zur Verfügung gestellt.
Fazit
«Kicks Ass» im wahrsten Sinne des Wortes
«Anger Foot» ist eine clevere Weiterentwicklung eines bestehenden Spielprinzips. Anders als im zweidimensionalen «Hotline Miami» habe ich hier dank Egoperspektive mehr Freiheiten, wie ich mich durch die Levels kämpfe. Die verkommen fast immer zu frenetischen Speedruns, an deren Ende mein Herz bis zum Hals schlägt.
Das simple Spielprinzip erfordert wenige Tastengriffe und ist schnell verstanden. Die freischaltbaren Power-Ups in Form von Schuhen sind vielseitig und gleichzeitig genauso schräg wie die Welt, in der «Anger Foot» spielt. Sie ist voll mit anarchistischen Gangs, die nur Gewalt kennen und doch auch sensible Seiten haben. Was mich natürlich nicht daran hindert, sie zu hunderten durch die Gegend zu kicken. Das kann sich mit der Zeit etwas repetitiv anfühlen, aber meist nur, wenn ich es zu lange am Stück spiele oder zu oft über die gleiche Mission stolpere. Aber dann lockern die vielen kleinen Gags an allen Ecken das Spielgefühl auf.
Und sonst reicht ein kurzer Klick und schon hämmert der Techno-Soundtrack weiter und ich bin wieder voll im Flow. Mit rund acht Stunden hat das Fuss-Action-Game zudem die passende Länge. «Anger Foot» ist kein weltbewegendes Spiel. Es bietet keine komplexe Story. Das Gameplay ist äusserst gradlinig, aber mit dem passenden Schuh kickt es richtig rein.
Pro
- Rasantes, packendes Gameplay
- Kreative Welt
- Viele Waffen, Schuhe und Gegner
- Perfekter Soundtrack
Contra
- Kann etwas repetitiv werden
- Performance nicht immer stabil
Philipp Rüegg
Senior Editor
Philipp.Rueegg@digitecgalaxus.chAls Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.