Ausprobiert! Eine Woche (fast) ohne Smartphone
Eine Woche lang wollte ich auf mein Handy verzichten. Geklappt hat das nicht, war aber trotzdem ein Erfolg. Warum, liest du hier.
Ich bin unterdurchschnittlich – und stolz darauf. Weil es um die Zeit geht, die ich täglich auf meinen Smartphone-Bildschirm starre. Da kann man sich dann schon mal ein bewunderndes «Wow, wie schaffst du das nur?!» abholen, gepaart mit neidischen Blicken. Einbilden kann ich mir darauf allerdings wenig, schließlich ist es einfach die Zeit, die ich eben benötige. Und nüchtern betrachtet ist auch mein unterdurchschnittlicher Wert noch eine ganze Menge Leben, das ich mit diesem Gerät verbringe: 150 bis 180 Minuten sind es bei mir tagein tagaus mit E-Mails, Messengern, Nachrichten-Apps, Spielen, Fotografieren, Youtube, Insta und Co.. Der Durchschnittswert liegt übrigens bei drei Stunden und zwanzig Minuten. 18- bis 24-Jährige übertreffen das noch mit vier Stunden täglicher Bildschirmzeit.
Eine Woche ohne Smartphone – geht das überhaupt?
Anlass genug für eine neue Ausprobiert-Woche, in der ich so gut wie möglich ohne meinen ständigen digitalen Begleiter auskommen will.
Ich genehmige mir ein paar wenige Ausnahmen für Organisatorisches, schließlich läuft praktisch meine ganze Alltagsplanung über das Gerät. Doch davon abgesehen, soll mein Smartphone diese Woche ruhen. Dass das schwerer wird als gedacht, merke ich allerdings bedauerlich schnell.
1. Tag: Der unterschätzte Smartphone-Greif-Reflex
Schon wenige Sekunden nach dem Wachwerden heißt es, den ersten Smartphone-Greif-Reflex zu unterdrücken. Denn auch wenn ich mir das nur ungern eingestehe, der erste Blick am Morgen geht doch immer direkt aufs Display: Was gibt’s Neues?
Statt des Smartphones als Begleiter habe ich heute (und hoffentlich nicht noch die ganze Woche) ein merkwürdig-ungutes Gefühl dabei, als hätte ich etwas vergessen. Klar, ich bin es gewohnt, regelmäßig auf mein Smartphone zu schauen. Als Rückversicherung quasi, dass alles in Ordnung ist. Ich habe den Ton an meinem Handy meistens aus, um nicht ständig gestört zu werden. Nun frage ich mich, ob ich deshalb möglicherweise noch häufiger aufs Display schaue, um nichts zu verpassen.
Was mich fast mehr als die tatsächliche Bildschirmzeit interessiert, ist die Anzahl der Aktivierungen. Wie oft ich also das Handy für einen Kontrollblick in die Hand nehme. Mein Durchschnitt bisher variiert zwischen 58 und 92 Mal – pro Tag wohlgemerkt! So oft reiße ich mich selbst aus dem heraus, was ich gerade mache. Wenn ich es schaffe, das bedeutend einzugrenzen, ist es schon ein Erfolg. Ich genehmige mir also fünf Blicke aufs Display pro Tag. In erster Linie brauche ich die tatsächlich, um meine sozialen Kontakte nicht gänzlich zu verärgern und sie auf die kommende Woche zu vertrösten.
Der erste Tag lehrt mich schnell, dass ich mein Smartphone definitiv weiter von mir weg legen muss, wenn ich nicht ständig danach greifen will. Ich habe den Reflex, immer mal wieder aufs Display gucken zu wollen.
Am frühen Nachmittag gewöhne ich mich ein wenig daran und suche nicht mehr alle paar Minuten nach der gewohnten Ablenkung. Als ich nochmal los muss, lasse ich es gleich zu Hause. Das ist leichter als die permanente Selbstkontrolle.
Herausfordernd wird schließlich der Abend: Für gewöhnlich verbringe ich dann noch einige Zeit am Smartphone. Whatsapp-Nachrichten beantworten, Social Media checken, ein bisschen was gucken, hören, lesen, spielen … und schnell sind ein, zwei Stunden vorbei. Diesen Abend verbringe ich ohne all diesen Zeitvertreib und lese stattdessen ganz oldschool ein Buch. Allerdings muss ich zugeben, dass ich nicht nur einmal überlegt habe, meinen Versuch auf die Arbeitszeiten zu beschränken, um nach Feierabend doch zur gemütlichen Smartphone-Ablenkung übergehen zu dürfen.
Tagesfazit Tag 1: Der Smartphone-Greif-Reflex ist stärker als gedacht, auch wenn es am Nachmittag leichter wurde. Trotzdem noch 18 Minuten Bildschirmzeit und 12 Aktivierungen; mehr als geplant.
2. Tag: Ironisches Prozessieren - oder anders gesagt: Ich denke ständig an mein Smartphone
Ein klein wenig freue ich mich auf Tag zwei mit möglichst wenig Smartphone-Unterbrechungen. Doch zugleich merke ich auch, dass es mir doch schwerer fällt als gedacht.
Ich habe mir wohl ein Wegnersches Paradoxon eingebrockt, auch ironisches Prozessieren genannt: einen Effekt, der erstmals von dem Psychologen Daniel Wegner beschrieben wurde. Er bezeichnet die Tendenz unseres Gehirns, das Gegenteil von dem zu tun, was wir uns vornehmen, wenn wir uns auf die Vermeidung von etwas konzentrieren. Ich will mein Smartphone vermeiden, mein Gehirn denkt «Smartphone, Smartphone, Smartphone». Je mehr wir uns also bemühen, etwas nicht zu denken, desto mehr beschäftigt es uns. Das kann ich auch an Tag zwei nur bestätigen. Ich lege mein Smartphone absichtlich in ein anderes Zimmer und hoffe auf Besserung.
Ich recherchiere ein bisschen und finde folgende Möglichkeiten, es mir leichter zu machen:
- Ablenkung: Ich brauche eine Aufgabe, die Konzentration erfordert, damit meine Gedanken nicht unentwegt abschweifen.
- Reframing: Ich brauche eine neue, positive Perspektive für meine Gedanken. Nicht der Verzicht sollte im Vordergrund stehen, sondern der Gewinn, den ich dadurch erziele.
Damit habe ich jetzt einen Leitfaden, der mir hoffentlich in den nächsten Tagen die andauernden Gedankenspiralen etwas erleichtert.
Tagesfazit Tag 2: Reframing ist die Devise. Ich freue mich über die neu gewonnene Zeit (so gut ich es eben hinbekomme an Tag zwei). 17 Minuten Bildschirmzeit, 9 Aktivierungen – ich mache Fortschritte.
3. Tag: Ich gebe auf … – oder doch nicht?
Ich würde gerne schreiben, dass ich diesen Morgen ohne Handyreflex begonnen habe. Aber das wäre gelogen. Gefühlt hat sich noch nicht so viel verändert. Ich brauche einen gehörigen Sicherheitsabstand, um meinen Dauerbegleiter nicht ständig in die Hand nehmen zu wollen. Zu allem Übel muss ich in der Mittagspause auch noch dringend ein paar organisatorische Dinge für die Schule meines Sohnes erledigen und diese Kommunikation läuft ausschließlich über Whatsapp. Dabei vergesse ich meinen Versuch kurzfristig komplett und ertappe mich schließlich dabei, wie ich meine Katze fotografiere, die sich einfach allzu malerisch auf dem Wohnzimmerregal räkelt.
Mist! Ich habe am frühen Nachmittag meine Handyzeit gänzlich gesprengt und bin schon bei fast einer Stunde Bildschirmzeit und 16 Aktivierungen. Ich suche eine Weile nach Ausreden, überlege diesen «Rückfall» einfach unter den Tisch fallen zu lassen, aber gestehe mir schließlich frustriert ein: Der Versuch ist gescheitert. Ich werde nächste Woche wohl von Neuem beginnen müssen. Obwohl das ja nun auch nicht das Ziel des Versuchs ist, es so lange zu probieren, bis das gewünschte Ergebnis eintritt. Also akzeptiere ich meine Fehlbarkeit, verbanne das teuflische Gerät für den restlichen Tag und die Nacht in den Keller und mache weiter.
Tagesfazit Tag 3: Trotz all der guten Vorsätze schon der erste große «Rückfall»; ich mache trotzdem weiter, es muss doch zu schaffen sein. 53 Minuten Bildschirmzeit, 16 Aktivierungen.
4. Tag: Das Leben ohne Smartphone ist möglich – aber unglaublich umständlich
Noch mit der Erfahrung vom letzten Tag im Hinterkopf bleibt mein Handy heute komplett außer Reichweite. Auch wenn ich mir eigentlich kurze lebenserleichternde Maßnahmen, wie z.B. mal schnell nach dem Weg zu schauen, erlauben wollte, halte ich mich von dem verführerischen Ding heute lieber gänzlich fern.
Was das alles mit sich bringt, stelle ich schneller fest, als mir lieb ist. Ich bin mit einer Freundin in einem Café verabredet, in dem ich noch nie war. Schlechte Idee, wenn man weder mal eben nach dem Weg schauen kann, noch die Möglichkeit hat, Bescheid zu sagen, dass man zu spät kommt. Ganz davon abgesehen, dass ich fast schwarz fahren musste, weil ich nicht wie gewohnt beim Sprung in die Bahn auf dem Smartphone noch schnell ein Ticket lösen konnte.
Das unruhige Gefühl vom ersten Tag ist heute übrigens mit voller Wucht zurück und meine Hand greift unterwegs immer wieder vergeblich in die leere Jackentasche.
Am Ende hat dann doch alles irgendwie geklappt, nur eben umständlicher. Ich habe die Bahn ziehen lassen und mich 10 Minuten mit dem Fahrkartenautomaten rumgeschlagen. Nach einigem sinnlosen Herumsuchen habe ich mich schließlich so lange durchgefragt, bis mir eine nette Passantin den Weg zum Café zeigen konnte. Und meine Freundin hat mehr oder minder geduldig gewartet. Immerhin konnte sie sich die Zeit ja gut am Smartphone vertreiben.
Tagesfazit Tag 4: Es geht auch ohne, macht das Leben aber erheblich umständlicher. War es in den 90ern auch so anstrengend ohne Smartphones? 0 Minuten Bildschirmzeit, 0 Aktivierungen.
5. Tag: Doch noch geschafft!
Mittlerweile ist mein Smartphone seit rund 30 Stunden ganz ausgeschaltet. Lang genug, um mich richtig unruhig zu machen. Was, wenn etwas dringendes ist und mich keiner erreicht? Vielleicht verpasse ich etwas. Unfassbar, wie sehr mich das bestimmt. Ich muss zugeben: Damit hätte ich nicht gerechnet. Dass es nervt ohne Smartphone, klar, aber dass ich so sehr daran hänge, erstaunt mich dann doch.
Ich schalte es wieder ein und setze an diesem Tag nun doch um, was ich ursprünglich gewollt hatte: Das Smartphone liegt die meiste Zeit unbemerkt in der Ecke, meine Greif-Reflex-Unterbrechungen halten sich in Grenzen und ich schaue lediglich zur eigenen Beruhigung am Abend kurz in meine Nachrichten. Und siehe da: Ich habe den ganzen Tag über nichts verpasst, aber einiges an Zeit gewonnen. Allerdings musste ich mich heute weder kurzfristig mit jemandem abstimmen noch einen unbekannten Ort finden.
Tagesfazit Tag 5: Geht doch! Nach einigen Anlaufschwierigkeiten bin ich heute sehr zufrieden mit meinem Smartphone-Konsum. 16 Minuten Bildschirmzeit, 1 Aktivierung.
6. und 7. Tag: Brauche ich jetzt wieder eine Armbanduhr, eine Fotokamera und ein Festnetztelefon?
«Es ist bald geschafft», diesen Gedanken habe ich an diesem Wochenende nicht nur einmal. Zwar bin ich gut beschäftigt über die zwei Tage, sodass die Ablenkungung hilft, das Smartphone sogar stundenlang zu vergessen. Aber die Widrigkeiten, die das mit sich bringt, machen sich doch mehrfach bemerkbar. Ich krame meine alte Armbanduhr wieder raus, damit ich nicht noch weitere Freunde mit Unpünktlichkeit verärgere. Ich überlege, ob es sich lohnen würde, das seit Monaten verwaiste Festnetztelefon mit neuen Batterien auszustatten. Ein wenig trauere ich den nicht entstandenen Schnappschüssen nach und durchforste schließlich den Keller nach meiner alten Digitalkamera.
Sonntagabend lese ich zum Abschluss meiner Ausprobiert-Woche den Roman zu Ende, den ich Anfang der Woche begonnen hatte, um die freie Zeit, die sonst für Social Media und Handy-Games drauf geht, zu füllen.
Tagesfazit Tag 6 und 7: Ein entspanntes Wochenende (fast) ohne digitale Unterbrechungen. 21 Minuten Bildschirmzeit, 6 Aktivierungen.
Gesamtfazit: Es muss gar nicht ganz ohne Smartphone gehen
Erstaunt und zugegebenermaßen auch etwas erschreckt hat mich bei meinem Versuch, wie schwer es mir fiel, nicht regelmäßig einfach mal kurz aufs Smartphone zu schauen. Bedeutend leichter als die Aktivierungen zu reduzieren war es, die Zeit am Display einzugrenzen. Doch der banale Trick, das Handy einfach in einen anderen Raum zu legen, hat geholfen, diesen ständigen Greifreflex in den Griff zu bekommen.
Dass ich schon Mitte der Woche fast ganz aufgegeben hätte, hat deutlich gemacht, wie sehr das Smartphone zum Leben gehört.
Doch am Ende mache ich nun sehr gerne meinen Frieden damit. Denn diese Woche hat mir auch gezeigt, dass es gar nicht darum gehen muss, das Handy gänzlich zu verbannen. Es erleichtert das Leben doch ungemein, erspart Stress und ermöglicht manches, was ohne den kleinen Helfer nicht möglich wäre. Straßenpläne, Festnetztelefon, Armbanduhr, Digitalkamera, Spielekonsole, Zeitung und wahrscheinlich noch so einiges mehr ist nicht nötig, weil für all das mein Smartphone allzeit bereit ist.
Ich weiß nach dieser Woche meinen ständigen Begleiter nun auf eine gewisse Art mehr zu schätzen. Ich achte jedoch darauf, dass ich mich nicht mehr so häufig vom (überflüssigen) Kontroll-Blick aufs Smartphone aus der Ruhe bringen lasse.
Titelfoto:Anna SandnerWissenschaftsredakteurin und Biologin. Ich liebe Tiere und bin fasziniert von Pflanzen, ihren Fähigkeiten und allem, was man daraus und damit machen kann. Deswegen ist mein liebster Ort immer draußen – irgendwo in der Natur, gerne in meinem wilden Garten.