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Badi? Nein, nein, neeeeeein!
Wenn du mich je in einem Freibad sichten solltest, versichere ich dir: Freiwillig bin ich bestimmt nicht dort. Ein 4285 Zeichen langes Manifest.
«Gömmer hüt id Badi?», eine Frage, die mir selbst bei diesen unerbittlichen Temperaturen einen kalten Schauer über den Rücken jagt. Lautet meine Antwort «nein», so lösen diese vier Buchstaben immer wieder dieselbe Reaktion bei meinem Gegenüber aus: ein verstohlenes Blinzeln, sich stutzig einander nähernde Augenbrauen, gekrönt von einem unvermeidbaren «Wieso?».
Nun, ich könnte einfach sagen, dass ich keinen Bock habe. Doch diese Erörterung wird dem komplexen Abwehrreflex, der sich in meinem Inneren abspielt, nicht annähernd gerecht – und von meinem Gegenüber auch nie ohne Widerworte als akzeptable Antwort gewürdigt. Tatsächlich bin ich zur Überzeugung gekommen, dass es einer schriftlichen Abhandlung bedarf. Ihr zugrunde liegt meine Annahme, dass – zumindest für mich als Faulpelz im Körper einer Frau – beim Konzept des «Bädele» Aufwand und Ertrag in keinem ausgeglichenen Verhältnis zueinander stehen. Dazu aber später mehr.
Die vier Grundpfeiler
Betrachten wir zunächst mal die vier Grundpfeiler, von denen mein «Nein» getragen wird: meine Unsicherheiten. Denn die Frage nach dem «spontanen» Abstecher ins Freibad ist wohl die einzige, die all meinen Komplexen gleichzeitig mit einem hochgehaltenen Stinkefinger frech ins Gesicht grinst.
Nummer 1: Mein Zuhause verlassen und mich in eine Menschenmenge begeben. Als jemand, der seine Umwelt penibel genau wahrnimmt, wird mir das Getümmel schnell zu viel. Zudem fühle ich mich obendrein verpflichtet, unbeaufsichtigte Kinder in Beckennähe im Auge zu behalten. Genauso wie den Fussball, der immer irgendwo in meiner Nähe wie ein quälend langes Vorspiel hin und her gekickt wird, bevor er früher oder später sowieso in meiner Fresse landet. Ich bin kein Profi, aber Entspannung sollte sich anders anfühlen, oder?
Nummer 2: Etwas spontan unternehmen. Wer mit mir ins Freibad möchte, muss sein Anliegen mindestens zwei Wochen vorher bei mir anmelden. Alles andere überfordert mein System. Da der Abstecher ins Freibad stark wetterabhängig ist, lässt sich die Spontanität nur schwer von ihm trennen. Schade, da lässt sich leider nichts machen.
Nummer 3: Die Abwesenheit jeglicher Schwimmskills. Meine Schwimmabzeichen mag ich mir einst verdient haben. Heute würde man sie mir wieder aberkennen. Ein paar Krauler und ich greife hektisch und nach Luft schnappend nach dem Beckenrand. Kaum zu glauben, dass ich als Kind sogar mal an einem Schwimmwettbewerb teilgenommen habe. Mein Team hiess «Die ABC-Piraten». Tja, das Schiff ist gesunken.
Nummer 4: Haut zeigen. Ich bewundere jeden Menschen, der sich in seiner Haut so wohlfühlt, dass das Fehlen von Stoff keinerlei Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein hat. In meinem Fall verpassen Bikinis und Badeanzüge dem bisschen Selbstvertrauen, das ich habe, einen Roundhouse-Kick in die Magengrube. Ich arbeite dran.
Aufwand und Ertrag – die Wippe kippt nach links
Schieben wir meine grundlegenden Unzulänglichkeiten beiseite, wäre da noch die Sache mit dem Aufwand, der dem mutmasslichen Spass im Nass vorausgeht. Mentaler Ballast, der sich aus einem inneren Monolog heraus zu einer schier endlosen To-do-Liste formt. Das hört sich in meinem Kopf dann in etwa so an:
«Besitze ich überhaupt noch einen Bikini, der mir passt? Hmmm. Vielleicht der hier? Gut, ‹passen› ist etwas zu optimistisch formuliert, sollte aber gehen, ich hüll mich einfach ins Strandtuch. Das muss natürlich ebenfalls mit. Bloss, in welche Tasche? Sonnenbrille und Hut müssen auch noch irgendwo sein. Shit, die Sonnencreme. Eincremen zuhause oder vor Ort? Lieber zuhause. Sonst fass ich mein Buch noch mit klebrigen Fingern an. Oh, Buch! Sonst noch was, womit ich krampfhaft versuchen kann, nicht gelangweilt auszusehen? Musik? Spiele? Podcast? Magazin? Ziehe ich meinen Bikini unter den Klamotten an oder ziehe ich mich mühsam vor Ort um? Kommt wohl drauf an, ob ich vorher noch unterwegs bin und mein Outfit Bikini-kompatibel ist. Was, wenn ich dort aufs Klo muss? Badi-WCs sind unter den öffentlichen Toiletten das grösste Übel. Alles ist nass und du weisst nicht, ob es vom pisseverseuchten Chlorwasser kommt oder einfach nur Pisse ist. Wann habe ich mich eigentlich zuletzt rasiert? Ach egal. Gut habe ich nicht auch noch meine Tage, das wäre nämlich ein anderes Fass. Ersatzunterwäsche einpacken oder liege ich so lange in der Sonne, bis mein Bikini wieder trocken und die Abkühlung umsonst war? Abends muss ich dann meine Haare ordentlich waschen …»
Ich fasse also zusammen: Auf der Ertragsseite steht etwas Freude am Nass und kurzfristige Abkühlung. Auf der Aufwandseite – kurz gehalten – meine mentale Unversehrtheit. Meine Antwort lautet also: Nein, ich will nicht in die Badi. Der Fairness halber möchte ich meinen Beitrag aber mit einem Eingeständnis beenden. Es gibt nämlich etwas, das ich am Freibad liebe und das sich ein Plätzchen auf der Ertragsseite verdient hat: die Snacks. Egal, ob vor Ort gekauft oder mitgebracht, sie machen einen Badi-Aufenthalt erst ertragbar. Und wenn wir schon davon sprechen: Die Fressalien hätte ich fast vergessen, ab auf die To-do-Liste.
Titelfoto: Santiago Manuel De la Colina via Pexels389 Personen gefällt dieser Artikel
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Als Disney-Fan trage ich nonstop die rosarote Brille, verehre Serien aus den 90ern und zähle Meerjungfrauen zu meiner Religion. Wenn ich mal nicht gerade im Glitzerregen tanze, findet man mich auf Pyjama-Partys oder an meinem Schminktisch. PS: Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse, sondern auch mich.