Beziehungspflege: Wie man eine Freundschaft kittet
Hintergrund

Beziehungspflege: Wie man eine Freundschaft kittet

Es tut weh, verdammt weh: Ungeklärte Konflikte und Enttäuschungen führen dazu, dass auch die besten Freundschaften zerbrechen können. Du willst, dass ihr befreundet bleibt? Dann stell dir diese eine wichtige Frage.

Mit Streit im Freundeskreis habe ich reichlich Erfahrung, ebenso mit tiefgehenden Brüchen und Konflikten. Einer brachte mich sogar an den Rand des Nervenzusammenbruchs, wörtlich. Für mich sind Freundschaften identitätsstiftend, meine Freundinnen und Freunde sind meine Familie, sie halten mich gesund und mental stabil.

Und wenn es aus ist? Sitzt man vor dem Scherbenhaufen seiner Emotionen. Es tut weh, verdammt weh. Warum das so ist, lässt sich mit der Bindungstheorie erklären, einst vom Kinderpsychiater und Psychoanalytiker John Bowlby entwickelt. Diese besagt: Freundschaften können ähnliche Bindungsmuster und -dynamiken wie romantische Beziehungen aufweisen. Und somit kann das Ende einer Freundschaft auch dieselben Gefühle des Verlusts, der Trauer und der Unsicherheit hervorrufen wie das Ende einer Partnerschaft.

Neurologische Studien haben außerdem gezeigt: Werden Beziehungen beendet, kann das zur Aktivierung der gleichen Gehirnregionen führen, die auch bei körperlichem Schmerz beteiligt sind. Deswegen ist es nur verständlich, wenn man das Bedürfnis hat, nach Auseinandersetzungen mit der/dem BFF in seine bisherige Wohlfühlzone zurückzukehren – oder zumindest versuchen will, eine neue gemeinsame Wohlfühlzone zu etablieren.

Expertin erklärt wie Freundschaft gelingt

Einer guten Freundin und mir selbst ist das gerade gelungen. Wir saßen eines Tages zusammen und stellten fest: Der Groll war weg. Wir hatten losgelassen. Die gegenseitigen Verletzungen der Vergangenheit waren nur noch Erinnerungen. Bloss wie wir es geschafft haben, an diesen Punkt zu kommen, konnten wir uns beide nicht erklären.

Seitdem lässt mich das Thema nicht mehr los. Warum reden manche meiner Freundinnen seit Jahren immer noch kein Sterbenswörtchen mehr miteinander? Warum hat diese eine Freundschaft trotz tiefer Krisen und menschlichen Enttäuschungen überlebt? Antworten fand ich bei Christine Mark, Systemische Organisationsberaterin und Coachin mit Schwerpunkt Design Thinking, Co-Creation sowie individuelle und organisatorische Veränderungsprozesse. Die Antworten haben mich verblüfft – vielleicht helfen sie dir auch.

Eine Freundschaft zerbricht, ein Freundeskreis trennt sich – das tut sehr weh. Warum?

Christine Mark: Hier kommen mehrere Ebenen ins Spiel. Unsere Urangst ist, aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden. Nicht geliebt zu werden. Nicht dazu zu gehören. Und genau das passiert hier, egal ob es sich um eine einzelne Person handelt oder um einen ganzen Freundeskreis – wir gehören ab sofort nicht mehr dazu. Das versetzt unser ganzes System in Panik.

Dazu kommt eine weitere Ebene: Trennungen sind meist schlicht der letzte Ausweg aus einem länger andauernden Prozess. Davor ist schon viel an Kränkung, Nicht-Verstanden-werden, Schuld und Schuldzuweisungen passiert. Die Trennung ist sozusagen der «krönende Abschluss» – und wenn all das, was vorher passiert ist, nicht aufgearbeitet wurde, dann wird dieses ganze Schmerz-Paket mitgenommen.

Sehr oft empfinden wir eine Trennung als Scheitern. Scheitern wird noch immer als negativ empfunden – wir haben gelernt, dass Fehler nicht passieren sollten. Und für alles, was nicht passieren sollte, wird ein Schuldiger gesucht – wir selbst sind es natürlich nicht ... Und so werfen wir der anderen Person vor, dass sie uns dazu gebracht hat, zu scheitern.

Welche Vorsichtsmaßnahmen kann ich treffen, damit es gar nicht zu einem echten Bruch kommt? Was kann ich von meinem Freundeskreis diesbezüglich fordern?

Ich sollte von meinen Freunden gar nichts fordern. Worum es viel mehr geht, ist, dass ich gut mit mir selbst verbunden bin – und meine Freundinnen nicht für meine Gefühle und mein Glück verantwortlich mache. Denn das ist das Hauptproblem in allen Beziehungen: Sobald ich vom anderen brauche, dass er oder sie sich auf eine gewisse Art und Weise verhält, damit es mir gut geht, gebe ich Verantwortung ab. Und halse der anderen Person auf, dass sie für mein Wohlergehen zuständig ist. Aber mein Wohlergehen ist meine alleinige Verantwortung. Genauso wie ich nicht für die Gefühle der anderen zuständig bin, sind andere nicht für meine Gefühle zuständig.

Diese radikale Selbstverantwortung ist nichts, was uns vertraut ist, aber wir können es lernen und darin liegt die wahre Freiheit und auch die bedingungslose Liebe. Das hebt Freundschaften auf ein komplett neues Level – weg vom Brauchen hin zu gegenseitigem Respekt und Ehrlichkeit.

Warum haben wir solche Angst davor, selbst in intimen Freundschaften Unangenehmes ehrlich auszusprechen oder gar zu streiten?

Weil wir gelernt haben: Feedback sagt etwas über uns selbst aus. Wir haben spätestens in der Schule – die meisten schon viel früher – gelernt, dass unser Wert von anderen bestimmt wird. Wir wurden von unseren Eltern oder unseren Lehrerinnen jeden Tag als «richtig» oder «falsch» bewertet. Und davon sind wir nun abhängig – eben, weil wir glauben, dass unser Wert von außen bestimmt wird. Wir haben also ständig Angst davor, was andere über uns sagen oder denken. Und weil wir selbst Angst davor haben, wollen wir andere, die uns nahe sind, davor schützen. Was uns in der Folge dann dazu bringt, unsere Meinung nicht ehrlich auszusprechen.

Wenn wir Feedback, egal ob es Lob oder Kritik ist, als das erkennen, was es tatsächlich ist, nämlich eine Aussage über die Bedürfnisse und Wünsche der anderen Person, dann können wir auch gut mit den Meinungen anderer umgehen. Weil wir dadurch einfach nur mehr über die andere Person erfahren, es aber keine Bewertung von uns selbst ist.

Denn das ist es, was uns so schwerfällt, wenn Freundinnen und Freunde anderer Meinung sind: Wir glauben, dass sie uns (unsere Gedanken) als falsch bewerten. Sobald wir uns davon lösen, können wir neugierig zuhören und uns darüber freuen, die andere Person besser kennenzulernen. Und dadurch können wir auch gegensätzliche Meinungen zulassen – und diese im Gegenzug auch selbst formulieren. Weil es nicht mehr darum geht, dass sich jemand schützen oder verteidigen muss.

Der erste Schritt nach einem Bruch in der Freundschaft – wie kann er passieren?

Der erste Schritt ist, davon auszugehen, dass die andere Person immer für sich handelt und nie gegen mich. Und wir sollten ihr im Zweifelsfall immer das Beste unterstellen. Das allein ändert schon sehr viel. Auch von Schuldzuweisungen besser Abstand nehmen. Wer Schuld hat, ist letztlich völlig egal und abgesehen davon lässt es sich ohnehin nicht feststellen. Eine andere hilfreiche Perspektive ist es, Vertrauen zu haben, dass alles für uns passiert und nicht gegen uns. Dass es manchmal eine Trennung braucht, damit etwas Neues entstehen kann – einfach, weil das jetzt ansteht in unserer Entwicklungsphase. Aber ohne Streit ist es uns manchmal nicht möglich, Trennungen zuzulassen, weil wir zu sehr festhalten am Vertrauten. Aber tatsächlich könnte es einfach nur an der Zeit sein, dass etwas zu Ende geht, weil es Raum für Neues braucht.

Wie kommuniziere ich, dass wir eine Art Waffenstillstand etablieren, wenn nicht sogar eine Versöhnung anstreben?

Der erste Schritt ist Vergebung. Mir selbst und der anderen Person. Vergebung ändert einfach alles. Manchmal wehren wir uns dagegen, weil wir festhalten am Recht-haben-Wollen. Deshalb mag ich diese Frage so gerne: Willst du recht haben – oder glücklich sein? Richtig streiten funktioniert dann gut, wenn wir vom anderen nichts brauchen. Wenn wir unsere Gefühle und unsere Gedanken teilen, ohne die andere Person manipulieren zu wollen. Das gelingt uns dann, wenn wir Verantwortung für unsere Gefühle übernehmen, statt das Verhalten einer anderen Person für unsere Gefühle verantwortlich zu machen. Dieses Konzept an sich ist schon ziemlich verrückt und es führt zu nichts. Aber wir haben das so gelernt. Wir verhalten uns so, als ob die andere Person Gefühle in uns «hineingeben» könnte. Tatsächlich löst das Verhalten des anderen bloß ein Gefühl in uns aus, das bereits vorhanden ist. Das erklärt auch, warum uns manche Bemerkungen triggern und uns andere völlig kalt lassen. Nicht die Bemerkung ist das Problem, sondern das Gefühl, das dadurch ausgelöst wird. Wenn wir das anerkennen, dann reden und streiten wir auf einer komplett anderen Ebene. Nicht im verletzten Kind-Modus, sondern im mit sich selbst verbundenen Erwachsenen-Modus.

Wann hat die Freundschaft nach einem tiefen Bruch wieder Sinn?

Freundschaft macht dann wieder Sinn, wenn ich die andere Person sein lasse, wie sie ist und sie annehme mit all ihren Facetten. Wenn ich mich darüber freue oder es zumindest akzeptieren kann, dass die andere Person immer wieder Trigger bei mir treffen wird und ich die komplette Verantwortung dafür übernehme, was das bei mir auslöst. Ich kann diese Trigger sogar als Gelegenheiten nutzen, um alte Verletzungen zu heilen. Einfach, indem ich dankbar für die Erkenntnis bin – denn offenbar gibt es da ein Thema in mir, das nach Heilung verlangt.

Und wann ist es sinnlos, eine Freundschaft wieder kitten zu wollen?

Eine Versöhnung macht immer Sinn, weil es dabei um Vergebung geht und darum, etwas im Guten abzuschließen. Aber: Versöhnung muss nicht bedeuten, dass eine Freundschaft bestehen bleibt. Denn manchmal ist es an der Zeit, eine Freundschaft zu beenden, einfach weil sich beide Menschen in verschiedene Richtungen entwickeln und andere Themen im Leben priorisieren. Wir haben so romantische Vorstellungen von Freundschaften – und hängen der Idee an, je länger eine Freundschaft «hält», desto besser. Aber ich glaube, manchmal können Freundschaften auch sehr hinderlich sein für die individuellen Weiterentwicklungen. Eine bewusste Trennung in Dankbarkeit und Wertschätzung für die gemeinsame Zeit kann sehr stärkend sein und die Freundschaft weiterhin in Ehren halten.

Titelfoto: shutterstock

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Janina Lebiszczak
Autorin von customize mediahouse

Lebe lieber ungewöhnlich: Ob Gesundheit, Sexualität, Sport oder Nachhaltigkeit, jedes Thema will entspannt, aber aufmerksam entdeckt werden. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie und niemals ohne Augenzwinkern.


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