Das Phänomen iRacing: Darum ist die teure Renn-Simulation so erfolgreich!
iRacing ist die erfolgreichste Simracing-Online-Plattform der Welt, und das trotz horrender Kosten für Fans. Warum ist die Rennspiel-Simulation also so ein unfassbar großer Erfolg?
Dies ist ein Artikel unseres Content-Partners «PC Games». Hier findest du den Original-Artikel von Autor Simon Hoffmann und Redakteur Michael Grünwald.
Rennsport ist teuer, verflucht teuer. Wer auch nur im Ansatz davon träumt, sich selbst oder seine Kinder in die Welt des Motorsports zu transportieren, wird recht schnell mit der bitteren Wahrheit konfrontiert. Fünftstellige Summen für Fahrzeuge, Equipment, Lizenzen oder Ersatzteile sind dort absolut normal, vom Formelsport im sechsstelligen Bereich ganz zu schweigen Zweifelsohne ein elitärer Sport. Wieso sollte es im virtuellen Äquivalent also anders sein? iRacing ist die weltgrößte Online-Rennsimulation. 2008 veröffentlicht als Vermächtnis der Papyrus-Simulatorenschmiede und beliebt bei Hobby-Schumis und echten Rennfahrerinnen und Rennfahrern gleichermaßen. Sogar Formel 1 Weltmeister Max Verstappen ist ein populärer iRacing-Nutzer.
Wer sich mit SimRacing, also dem virtuellen Motorsport, auseinandersetzt, der wird an iRacing mittelfristig nicht vorbeikommen, so einflussreich und etabliert ist die Plattform. Keine andere Simulation zählt eine so große User-Base, abgesehen von Gran Turismo und den F1-Spielen. Doch es ist, ähnlich wie der echte Motorsport, obszön teuer.
Fast jedes Auto und jede Strecke kosten im Schnitt 10-15 Dollar, zusätzlich zu einer monatlichen Grundgebühr. Wenn man möchte, kann man bis zu 3000 Dollar in iRacing-Content investieren, um Alles im Spiel zu besitzen. Und trotzdem ist das Spiel ein voller Erfolg.
Aber woran liegt das? Wieso ist dieses Spiel, welches mit Abstand das teuerste und kontroverseste in seinem Genre darstellt, solch ein großer Erfolg?
Realismus als Non plus Ultra
Rennsportfans lieben Realismus. Akkurate Physik, detailgetreue Strecken, eine möglichst nahe Rekreation des realen Pendants. Zwar gelten Spiele wie Gran Turismo, die F1-Reihe von Codemasters oder Forza Motorsport in der Allgemeinheit auch als Rennsimulationen, inklusive eigener E-Sports Meisterschaften, doch sind sie in vielen Simracing-Kreisen verpöhnt für ihre Defizite in puncto Realismus und werden daher eher als Simcade bezeichnet. Defizite, welche auch von F1-Fahrern wie Lando Norris kritisiert werden.
Schadensmodell, Fahrverhalten, Streckentemperatur, Reifen-Physik, Setup-Möglichkeiten, all dies kann in Hardcore-Simulationen wie rFactor 2, Assetto Corsa Competizione oder iRacing extrem detailliert dargestellt werden, Frust über eigenes Versagen mit eingebunden.
Wer sich in einer der geschilderten Simulationen zu einem kompetenten Piloten entwickeln möchte, muss sehr viel Zeit, Geduld und Recherche investieren. Für manche unverständlich, für enthusiastische Motorsport-Fans ein wahrer Traum.
iRacing beruht auf einer langen Geschichte realistischer Rennsimulationen, einst gestartet durch das legendäre Studio Papyrus und Titel wie Grand Prix Legends, die IndyCar-Racing-Spiele oder die NASCAR-Racing-Reihe.
Aus der technischen Basis dieser Spiele wurde 2008 die Online-Rennsimulation iRacing geschaffen und sich selbst völliger Realismus auf die Fahne geschrieben. Mit der Zeit wuchs der Service Stück für Stück mit neuen Autos, Strecken und einer stetig wachsenden User-Base.
Natürlich hat sich die Simulation seit dem Release sowohl grafisch als auch in puncto Physik deutlich weiterentwickelt, auch basierend auf dem Feedback des realen Motorsports. Trotzdem gibt es immer wieder Diskussionen darüber, wie akkurat denn die Simulation nun wirklich ist.
Beispielsweise beklagten sich IndyCar-Fahrer während dem Frühjahr 2020, als die gesamte Motorsport-Welt auf Simracing als Ersatz angewiesen war, über die katastrophale Abbildung von Reifen in der Simulation. Zu wenig Haftung war die Hauptkritik. Mittelfristig hat iRacing diesen Umstand behoben, doch es demonstriert den schmalen Grad, auf welchem man als realistische Rennsimulation wandert.Ein kleiner Fehler hier, eine fragwürdige Mechanik da, und schon steigen einem die Fans aufs Dach. Trotzdem ist die überwiegende Wahrnehmung der iRacing-Physik positiv, insbesondere in Relation zu Titeln wie F1 2021.
Das berühmte Rating-System
Wer in iRacing gegen die Besten der Welt fahren möchte, der muss nicht nur schnell, sondern auch sicher fahren. Hier kommt das Lizenzsystem ins Spiel.
Wer an offiziellen Rennen des iRacing-Service teilnehmen möchte, der muss mit der Zeit seine Lizenz durch sichere Fahrten verbessern, um mehr Service-Rennen freizuschalten. Wenn man beispielsweise stündlich Formel-1-Rennen mit dem aktuellen F1-Boliden von Mercedes fahren möchte? Tja, dann braucht man eine C-Lizenz. Den besseren und hochwertigeren Wettbewerb gibt es erst ab der A-Lizenz.
Es ist also "Grinden" angesagt. Anstatt EP zu sammeln, sammelt man stattdessen ein Safety Rating. Dies führt in den höheren Lizenzklassen tendenziell zu besserem und fairerem virtuellem Rennsport, bei dem Rad-an-Rad-Duelle gerecht und spannend zugleich begeistern können.
Wer seine Rennlizenz hoch genug gepusht hat, der kann auch an den iRacing-Special Events teilnehmen, welche konkret reale Rennsport-Events adaptieren. Die 24 Stunden vom Nürburgring, das Daytona 500, die 12 Stunden von Sebring oder das Indy 500 wären einige Beispiele für diese prestigeträchtigen Events.
Hier begegnet man in den höheren Klassen auch gerne mal realen Rennfahrerinnen und Rennfahrern, wenn Sie ihre Teams im virtuellen Motorsport vertreten. In den niedrigeren Lizenzklassen wiederum ist es nicht ungewöhnlich, mehr oder weniger-talentierte Möchtegern-Schumis zu finden, welche ihren Boliden im Eifer des Gefechts auch gerne mal aus der Kontrolle verlieren. Das Spiel zählt jede Kollision penibel mit.
Je nachdem, wie schwer die Kollision ist, erhaltet ihr Strafpunkte. Bei zu vielen Strafpunkten in einem Rennen werdet ihr disqualifiziert. Diese Strafpunkte werden nach jedem Rennen mit eurem Safety Rating verrechnet. Je weniger Strafpunkte, umso besser euer Safety-Rating. Dabei ist es iRacing egal, ob ihr für eine Kollision mit einem Kontrahenten verantwortlich seid oder nicht. Frustrierend zweifelsohne, da man nur mit wenigen Kollisionen im Rennen sein Safety Rating verbessern kann.
iRacing begründet diese oft kritisierte Mechanik damit, dass neue Pilotinnen und Piloten lernen sollen, anbahnenden Kollisionen auszuweichen. Zynisch könnte man auch davon sprechen, dass iRacing nicht in der Lage ist, ein komplexeres und somit teureres System zur Bewertung von Unfällen zu implementieren.
Im realen Motorsport sitzen für solche Einordnungen schließlich mehrere Personen in der Rennleitung, um gegebenenfalls Strafen auszusprechen. Bei der hohen Frequenz an iRacing-Veranstaltungen gestaltet sich das aber schwierig.
Ein Königreich für einen Streamer...oder Influencer
iRacing bietet der User-Base im halbstündigen Takt nämlich eine Vielzahl an Multiplayer-Rennen an:
Formel 1, Tourenwagen, Le-Mans-Prototypen, NASCAR, Drift-Fahrzeuge – alles vorhanden für den großen Geldbeutel. Perfekt also für Streamer, Influencer und Co., welche relativ simpel viele Rennen in ihrem Broadcast bestreiten wollen.
Somit ist es praktisch immer möglich, einen unterhaltsamen Stream zu gestalten. Keine andere Rennsimulationen bietet diese Möglichkeit in solch einer Bandbreite wie iRacing, sowohl konzeptionell als auch in puncto Player-Base.
Streamer wie Jimmy Broadbent erreichen Quoten von bis zu 10.000 Zuschauerinnen und Zuschauern gleichzeitig pro Stream, mit Abstand die besten Zahlen im Genre. Wer mit SimRacing im Streaming Erfolg haben möchte, wird früher oder später in irgendeiner Form damit arbeiten müssen.
Das Versagen der Konkurrenz
iRacing ist in puncto Realismus kein Einzelgänger. Sowohl rFactor 2 als auch Assetto Corsa Competizione können in dieser Hinsicht mithalten, doch sind aus verschiedenen Gründen nicht ansatzweise so erfolgreich. ACC fokussiert sich ausschließlich auf GT-Rennsport und spricht dementsprechend eine kleinere Zielgruppe an. Für GT-Fans sicherlich eine kostengünstigere Option, für alle anderen Sparten nicht. Trotzdem ist die Simulation aus dem Hause Kunoz keineswegs ein Flop.
rFactor 2 ist dagegen ein bizarrer Fall. Die Physik und das Fahrgefühl werden immer wieder in höchsten Tönen gelobt, doch die Nutzung der Software ist seit dem Release vor nun fast 9 Jahren sehr unintuitiv. Inzwischen werkeln die Entwickler am dritten User Interface! Das UI, die Stabilität der Server und verschiedene weitere technische Probleme haben rFactor 2 in den letzten Jahren keineswegs geholfen.
Zudem gab es bis 2020 nicht ansatzweise ein mit iRacing vergleichbares Online-System, welches regelmäßige Online-Rennen im halbstündigen Rhythmus ermöglichen würde. Diese Anzahl an Problemen ist in iRacing nicht vorhanden. rFactor 2 ist also ein guter Simulator, aber eine sehr fehleranfällige und nutzerunfreundliche Software.
Der Erfolg zusammengefasst
iRacing hat über viele Jahre eine ganz klar definierbare Nische gefüllt und aufgebaut: Regelmäßige Online-Rennen mit maximalem Realismus auf und neben der Rennstrecke. In eben dieser Nische stellt iRacing praktisch ein Monopol dar, was ihre extrem teure Preispolitik kurz zusammenfasst.
Wieso Autos und Strecken günstiger machen, wenn die Kundschaft sich zwar über die Preise beschwert, sie jedoch trotzdem zahlt? Es gibt in der Breite schlichtweg kein vergleichbares Produkt auf den Markt. Und ein vergleichbares Produkt in eben dieser Nische zu etablieren wäre sehr riskant.
Da macht es mehr Sinn, eine eigene Nische zu finden. Sei es Simcade-Racing, GT-Racing oder Rally-Sport. Und somit bleibt das teure Gut der zentrale Knotenpunkt zwischen realem und virtuellem Motorsport, zumindest für die absehbare Zukunft.
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