Meinung
Frauen erwähnen statt mitmeinen: Ich ändere meine Sprache
von Thomas Meyer
Am Samstag ist Zurich Pride. Nach einem Jahr Corona-Unterbruch findet die Demonstration für eine inklusive Gesellschaft wieder statt. Auch im Jahr 2021 sind die Forderungen der LGBTQIA+-Community wichtig und richtig.
«We are family», «Go for yes!», «All families matter», «Same love – same rights», «Trau dich! Ehe für alle jetzt!», «Fast alles für fast jede*n». Fünf Mottos von Zurich Pride Festivals – und dessen Vorläufer Christopher Street Day – und der Claim von Galaxus. Eine Organisation, die sich für Minderheiten einsetzt, damit sie ihren gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft bekommen und ein Onlinehändler, der vor allem eins will: verkaufen. Wie soll das bitte zusammen passen, fragst du dich?
Nicht ganz unberechtigt, diese Frage. Scheint auf den ersten Blick kein «Match made in heaven». Aber das täuscht. Denn in diesem Claim steht nicht per Zufall «jede*n». Sprache ist mächtig. Die Diskussionen darüber, wie gerecht und zeitgemäss das generische Maskulin der deutschen Sprache noch ist, wurden in den vergangenen Jahren intensiv geführt. Die Debatte zeigt: Sprache muss Wege finden, Menschen ein- statt auszuschliessen. Wie kontrovers diese Entwicklung trotzdem noch ist, zeigt ein Blick in die Kommentare unter die Kolumne des Autors Thomas Meyer vom Februar dieses Jahres:
Wenn du diesen Text liest, hast du in den letzten Wochen, Monaten und Jahren wohl schon einige Artikel hier gelesen. Dann hast du auch bemerkt, dass wir in unseren Artikeln inklusive Sprache verwenden, sogar verschiedene Formen davon. Und wenn dich das dann aufregt und du einer von denen bist, die das in den Kommentaren in mehr oder weniger gesetzten Worten kundtun – tja, dann ist das eben so. Entweder hältst du unseren Umgang mit der Sprache aus, oder nicht. Das ist dann einzig dein Problem. Ja, da steht sehr bewusst «einer, von denen» – ungegendert. Denn es sind (fast) nur Männer, die ein Problem mit einem «*» zu haben scheinen.
Wie gesagt, Sprache ist mächtig. Aber es stimmt schon, mit einem Gender-Sternchen hat sich in der Gesellschaft, im Alltag, für die in der Sprache mit angesprochenen Menschen, noch nichts geändert. Und genau darum ist das Zurich Pride Festival eine wichtige Veranstaltung – so wie der Internationale Weltfrauentag, der Frauenstreik oder der Pride Month und die #metoo-Bewegung.
Die Gesellschaft ist in ständigem Wandel. Veränderung ist der einzige Zustand, der Bestand hat. Dazu gehört auch – es ist allerhöchste Zeit –, dass Menschen egal welcher Geschlechteridentität, welcher sexueller Ausrichtung, welchen religiösen Hintergrunds oder welcher Ethnie in unserer Gesellschaft ohne Einschränkungen und Hindernisse ganz normal an allen Aspekten des Lebens teilhaben können.
«Aber in der Schweiz ist halt Mann und Frau normal; ist weisse Hautfarbe normal; ist das Christentum normal; ist die Hetero-Ehe normal.» Ich kann den Bullshit nicht mehr hören. Das Einzige, was normal ist, ist das Mensch-Sein. Alles andere sind gelernte Konzepte und Vorurteile. Kein Kind kümmert sich darum, welche Hautfarbe seine Freund*innen im Kindergarten haben. Kein Kind kümmert es, ob zu Hause Mama und Papa oder Mama und Mama oder Papa und Papa oder nur Mama oder nur Papa da sind. Hauptsache diese Menschen haben es lieb.
Das Wunderbare an der LGBTQIA+-Bewegung ist doch, dass da ständig neue Buchstaben und Zeichen dazu kommen. Bei der Recherche für diesen Text bin ich zum ersten Mal auf die Erweiterung LGBTQIA2S+ gestossen. Das steht – auf Englisch – für «Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer/Questioning, Intersexual, Asexual, Two-Spirit and all other ways to self-identify». Ich, als cis-Mann darf mich mitgemeint fühlen. Und das tue ich.
Das Wunderbare an unserer Gesellschaft, dem Leben sowie allen Rechten und Pflichten ist, dass das kein Kuchen ist, den es zu verteilen gilt und der irgendwann aufgegessen wäre. Wenn mehr Menschen mehr Rechte haben, wenn sich mehr Menschen als normaler Teil der Gesellschaft fühlen, dann gibt’s nicht weniger Leben für alle. Der Kuchen wird einfach immer ein bisschen grösser.
Leider ist das aber noch längst nicht in allen Köpfen angekommen. Ich zitiere hier aus einem Post, den ich kürzlich auf LinkedIn gelesen habe. Florian Wieser hat einen Selbstversuch gemacht:
«Ich lackier mir die Nägel! (...)
Nun bin ich also als cis-Mann, heteronormiert und wie die meisten aufm Planeten patriarchal geprägt, mit 2 lackierten Daumen unterwegs. (...)
Ich bin im Zug, Niki geht auf die Toilette und gibt mir ihre Handtasche. Ich steh nun also mit Handtasche und 2 lackierten Daumen da und warte.
Ich denk mir zwei Dinge:
1. Wenn ich nun das Pech habe, dass ein, zwei, drei Ho.mo-phobiker vorbeikommen und ihnen das nicht gefällt – wars das mit der Sicherheit.
Aha. So fühlt sich das wohl annähernd an mit dem Händchenhalten unter Schwulen oder Lesben oder wie sich Menschen mit anderer Hautfarbe fühlen müssen, die eventuell im falschen Moment am falschen Ort sind, und von irgendwelchen dahergelaufenen engherzigen Menschen bedroht werden und sich nicht selbstverständlich sicher fühlen können. (...)
2. Zweiter Gedanke vor dem Klo: wäre ich eine Frau, die vor dem Klo alleine wartet, müsste ich mit Blicken und Anmach- oder F.i ck-mich Phantasien rechnen, einfach, weil ich Frau bin und warte.»
Die Pride ist bunt, die Pride ist inklusive, die Pride ist wichtig. Solange weit über die Hälfte unserer Bevölkerung solche Gedanken, wie Flo sie ein kurzes Weilchen lang hatte, tagtäglich mit sich herumtragen, braucht es die Pride.
Erst dann, wenn jede*r sich überall und uneingeschränkt in der Gesellschaft frei entfalten kann, sind wir eine echte Gesellschaft.
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