Ein Besuch in der Game-Two-Zauberfabrik
14/6/2024
Bilder: Domagoj Belancic
Die Videobeiträge von Game Two sind legendär. Woche für Woche informieren sie über die neusten Games mit Fachwissen, Kreativität und vor allem: viel Humor. Wir haben die Kult-Redaktion in Hamburg besucht und auf einem Dreh begleitet.
Ich war garantiert nicht der einzige, der bei Folge 307 von Game One ein Tränchen verdrückte. Spätestens am Schluss als Bob Dylan «The Times They Are a-Changin’» anstimmt, wird das Herz richtig schwer. In der Youtube-Version fehlt der Originalsong leider – ein weiteres Beispiel, das zeigt, dass Viacom Youtube nicht verstanden hat. Viacom ist der Mutterkonzern von MTV, wo Game One acht Jahre lang ausgestrahlt wurde. Ein mehrjähriger Rechtsstreit zwischen den beiden Unternehmen zog auch die Game-Sendung in Mitleidenschaft. Folge 307 markierte den traurigen Schlussstrich.
Zum Glück nur vorübergehend. 2015 lancieren die Ex-Game-One-Stars Daniel Budiman, Etienne Gardé, Nils Bomhoff und Simon Krätschmer zusammen mit Arno Heinsch Rocket Beans TV. Beans setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben der Gründer. Das erste grosse Format des Internetsenders heisst Game Two und wird für «funk» produziert, dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF. Folge 1 erscheint am 19. November 2016 auf Youtube. Mittlerweile sind 337 Folgen erschienen. Seit April 2023 bezahlt ZDFneo die Zeche für die wöchentlichen Drehs. Bei so einem waren Domagoj Belancic und ich Ende Mai dabei.
Viel Lachen und Herumstehen
Die Game-Two-Redaktion befindet sich mitten in einem Hamburger Wohnquartier. Als wir gegen Mittag eintrudeln, wird gerade gedreht. Für den Beitrag des Free-to-Play-Shooters «xDefiant» gibt es einen Einspieler, in dem hip gekleidete «Ubisoft-Entwickler» das Spiel vorstellen. Dabei betonen sie, mit maximal vielen Anglizismen und Jugend-Jargon, wie «fresh» und «slay» das Spiel sei und wie man es dank Emojis und «funny Dialogs during des Spiels» massentauglich mache.
Das Set für den Sketch ist ein umfunktioniertes Sitzungszimmer. Die Einrichtung wurde kurzerhand in die Sofaecke nebenan umgeräumt. Es ist nicht der einzige Ort, der zugestellt ist. Die verwinkelten Redaktionsräumlichkeiten werden bis auf den letzten Zentimeter ausgenutzt. Die Wände sind tapeziert mit Waffenattrappen, Requisiten stapeln sich bis unter die Decke und jede freie Oberfläche ist mit Spielen oder sonstigem Merchandise zugedeckt.
Seit drei Jahren ist Redakteurin Esther Kerkhoff dabei. Sie schneidet diese Woche nicht nur den «The Rogue Prince of Persia»-Beitrag, sondern steht auch als Moderatorin und Schauspielerin vor der Kamera. Angefangen hat sie mitten in der Corona-Zeit, was den Einstieg nicht gerade leicht gestaltete. Der Erfolg von Game Two liege nämlich in der engen Zusammenarbeit: «Teamwork ist enorm wichtig bei uns. Wir harmonieren sehr gut und kommunizieren viel und offen miteinander», sagt die 30-Jährige. Mit Masken- und Homeoffice-Pflicht war das nicht immer einfach. Dennoch hat sie als damalige Praktikantin schon kurz nach der Einstellung ihren ersten Beitrag produziert. Verkleidet als 9-jährige Esther stellte sie in der Rubrik «Ausgegraben» das Rollenspiel «Grandia 2» vor.
Im heutigen Einspieler ist Esther nur Statistin. Carsten Grauel, besser bekannt als Trant hat sich zu «Hellblade 2» einen Sketch ausgedacht. In dem Spiel musst du dich regelmässig durch enge Spalten quetschen – ein völlig überbenutztes Game-Klischee. Veranschaulicht wird das, indem Creative Dirtector Jasper Ihlenfeldt versucht, an einem an der Wand geparktem Bus vorbeizukommen. «Muss ich noch pudern? Kann man mit dem Gesicht überhaupt noch was machen?», fragt er die Maskenbildnerin scherzend. Egal, wie viel es zu tun gibt oder wie stressig es ist, für Spässchen bleibt am Set immer Zeit.
Die Szene mit Jasper wird im Beitrag zwischen 30 und 60 Sekunden lang sein. Der Dreh dafür dauert allerdings über eineinhalb Stunden. Immer wieder werden Einstellungen geprüft, Abläufe neu besprochen oder lustige Sprüche improvisiert. «Das ist bei uns an der Tagesordnung», erklärt mir Esther mit einem Grinsen. Damit meint sie sowohl die Sprüche als auch die Dreharbeiten. Zwar wird für jeden Beitrag ein Drehbuch geschrieben, aber jede Redakteurin mache es ein bisschen anders. So macht die Improvisation einen grossen Teil des Charmes aus. Auch dass der Dreh mehrmals durch Eltern mit Kinderwagen unterbrochen wird, gehört dazu. Im Erdgeschoss des Redaktionsgebäudes befindet sich eine Kita und der Game-Two-Bus versperrt die Einfahrt. Beide Seiten kennen es, man nimmt es gelassen.
Der Schluss der Szene sieht vor, dass es Japser schliesslich schafft, sich am Fahrzeug vorbeizuzwängen. Mittlerweile haben sich allerdings Schaulustige versammelt, die diese einzigartige Leistung begeistert beobachten. Die Gaffer wollen das beeindruckende Vorbeizwängen mit Fotos und Videos festhalten. Auch Domi und ich dürfen uns zu den sensationsgeilen Statisten gesellen. Sobald ich aber mein Handy zücke, um für den Einspieler Fotos zu schiessen, ruft Kamerafrau Ellen Bolz: «Stopp. Das Google-Logo am Handy geht nicht.» Da Game Two Teil des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist, sind Produktlogos und dergleichen verboten. Esther leiht mir kurzerhand ihr Gerät, dessen Marke dank neutraler Hülle nicht zu erkennen ist.
Etwa sechs Takes später ist die Szene im Kasten und für mich geht ein kleiner Traum in Erfüllung. Seit Game One 2008 gestartet ist, habe ich keine Folge verpasst. Und nun bin ich sogar Teil einer Sendung – wenn auch nur für ein paar Sekunden.
Wie eine grosse Familie
Zum Reminiszieren bleibt keine Zeit. Der Drehplan ist voll und der Tag neigt sich langsam dem Ende zu. Beiträge werden in der Regel am Mittwoch gedreht. Erstmals besprochen werden sie am Montag die Woche davor. Am Freitag ist Abgabetermin und wenn alles klappt, auch Drehtag für die kommenden Beiträge. Unvorhergesehene Ereignisse sind allerdings an der Tagesordnung, genauso wie Gags, die nicht witzig sind. So wie bei der ersten Version des Einspielers zum desaströsen «Gollum»-Spiel.
Die Idee dazu hatte Esthers Chef Tim Heinke. Dumm nur, war der in der entscheidenden Woche in den Ferien. «Ich dachte nur, scheisse, jetzt habe ich keinen Ansprechpartner und prompt hat es im Schnitt nicht funktioniert. Wir konnten es unmöglich so senden und es war schon Donnerstag. Zwei Kollegen haben mir dann geholfen und mit ein paar Verbesserungen konnten wir den Beitrag schliesslich retten», erinnert sich Esther.
Dass sie dafür gemeinsam bis elf Uhr Abends im Büro sassen, gehöre halt auch dazu. «Unser Job wird gerne romantisiert. Ich höre oft: Du spielst Videospiele und verdienst Geld damit. Das ist doch toll? Dabei hängt viel mehr dran. Bei grösseren Spielen hockst du gerne 60 Stunden und mehr dran. Dann musst du noch texten, Einspielerideen ausdenken, Drehbuch schreiben, drehen, schneiden und 40 bis 50 Stunden Capture-Material durchgehen.» Das sei mit viel Stress verbunden, aber manchmal auch schönem Stress, wie Esther mit einem Lachen anfügt.
Die spätabendliche Rettungsaktion zeigt auch, wie gross der Zusammenhalt bei Game Two ist. «Wir sind wie eine grosse Familie. Wenn ich mal wieder als letzte Abends das Licht lösche, denke ich manchmal: Das ist meine Arbeit. Voll schön», sagt Esther. Dabei strahlt sie, dass keine Zweifel aufkommen, wie sehr sie ihre Arbeit und ihre Kolleginnen schätzt.
Bekommt man ein «Fleissbienchen» oder isst man es?
Zusammen mit der Game-Two-Crew sind wir mittlerweile zum Studio rüber spaziert. Das liegt gerade mal fünf Gehminuten entfernt. Es beherbergt auch den Rest des Rocket-Beans-Teams. Rund 120 Personen fasst das Unternehmen mittlerweile. Als Erstes fällt mir auf, dass das Studio deutlich kleiner ist, als es in der Sendung aussieht: «Das sagen alle», meint Jasper mit einem Grinsen, während er das Set für die Moderation vorbereitet. Das Gleiche fährt mir noch mal durch den Kopf, als Game-One-Urgestein Simon durch die Tür tritt. Einen Kommentar verkneife ich mir dieses Mal.
Simon nimmt heute zusammen mit Esther die Moderation auf. Davon abgesehen ist er wie die restlichen Gründer Etienne, Budi und Nils nur noch selten in den Game-Two-Schützengräben anzutreffen, um unvergessliche Sketches wie «Call of Mutti» aufzunehmen. Stattdessen machen die Jungs andere Formate wie «Almost Daily», «Bohndesliga» oder Let’s Plays.
«Drehs sind sehr schwer geworden, weil es schwer ist, uns einzuplanen. Jemand hat was mit den Kindern, bei mir sind es Zugausfälle, irgendwas ist immer. Wir sind mehr eine Bodenschwelle als ein Beschleunigungsstreifen», so der mittlerweile 45-jährige Unterhalter. Aber nach 16-Jahren – so lange sind Game One und Game Two zusammen auf Sendung – müsse man auch nicht mehr immer dabei sein. Mittlerweile sind die vier Gründer, die sich schon seit GIGA-Zeiten kennen, nur noch in Jubiläumsfolgen und dergleichen aktiv dabei. Ein bisschen vermissen tut Simon das Verkleiden und Herumalbern aber schon. «Natürlich würde ich lieber in einer geilen Ritterrüstung irgendwo rumstehen und Quatsch machen. Nur das viele Warten beim Drehen hat mir nie Spass gemacht.»
Dazu kommt es bei Moderationen nicht. Dank Teleprompter dauert das ganze meist nicht länger als eine halbe Stunde. Je nachdem wie oft sich die Moderatorinnen und Moderatoren verhaspeln oder wie fest am Text gefeilt wird. Den schreiben die Hosts nämlich nicht selbst, weshalb es zu Fragen kommen kann wie: «Isst man Fleissbienchen nicht?» Esther bezieht sich auf den «xDefiant»-Beitrag, bei dem sich Ubisoft ein ebensolches verdient haben soll. «Nein», meint Jasper, «die verdient man sich in der Schule als Sticker.» Zum Audio Engineer Felix Farkas gewandt ergänzt er augenzwinkernd: «Die hast du natürlich nie verdient.» Egal, ob vor oder hinter der Kamera, gelacht wird viel.
Nach zweimaligem Stolpern ändern sie den Satz trotzdem auf «Fleisssternchen». Obwohl Esther, wie sie selbst sagt, an einer SZ-Schwäche leidet. Zu merken ist das nicht. Bei der Anmoderation zu «The Rogue Prince of Persia» einem Roguelike, bei dem man regelmässig an den Anfang zurückgeworfen wird, improvisiert das Team erneut. Simon schlägt vor, die Moderation ein zweites Mal von vorne anzufangen, in Anlehnung an das Spielprinzip. Eine witzige Idee, die mir aber es etwas zu lang vorkommt. Der oder die Cutterin war offenbar der gleichen Meinung. In der fertigen Sendung fehlt die Wiederholung.
Ein Oscar für Jasper
Nachdem die Moderationen im Kasten sind, wird das Studio direkt für den nächsten Dreh vorbereitet. Dafür zieht Jasper einen Vorhang zur Seite und rollt den dicken grauen Teppich auf. Dahinter kommt ein Greenscreen zum Vorschein. Davor wird Sebastian Tyzak gleich einen Oscar für die Kategorie «Zwängen through a Spalte» überreichen. Und zwar an Jasper, der hier einfach «This Guy» genannt wird, für seine Bus-Performance vom Mittag.
Es gibt nur ein Problem: Sebastian ist alleiniger Preisüberreicher, braucht aber beide Hände, um den Umschlag mit dem Gewinner zu öffnen. Was macht er mit dem Oscar? Jasper schlägt vor, er könnte ihn von einer unsichtbaren Säule hinter seinem Rücken hervorzaubern. Die Idee wird verworfen, genau wie mein Input: Eine Hand kommt von ausserhalb des Bildes, entreisst Sebastian genervt den Umschlag und gibt es ihm geöffnet zurück. Stattdessen wird die einfachste Variante gewählt: Sebastian klemmt sich den Oscar unter den Arm, öffnet den Umschlag und überreicht anschliessend die Trophäe an Jasper. Dank Sebastians übertriebenem Enthusiasmus und Jaspers gespielter Apathie hätte der Einspieler wohl auf alle drei Arten funktioniert.
Einen Oscar für ihre grossartigen Beiträge hätte auch das Team hinter Game Two verdient. Geklappt hat es auch fast einmal, zumindest beim deutschen Pendant für Fernsehsendungen, dem Grimme-Preis. Für den wurde die 300. Folge nominiert, ein Musical, das ganz ohne (sichtbare?) Schnitte auskommt. Die epische Jubiläumsepisode ging leider leer aus. Game One durfte 2011 immerhin einmal den Publikums-Preis mit nach Hause nehmen. Vielleicht klappt es irgendwann auch mal mit dem Hauptpreis.
Die kreativen Ideen gehen den Nerds aus Hamburg so schnell nicht aus. Und das Konzept scheint nach wie vor einzigartig auf der Welt. Wer weiss, vielleicht erhalten wir einmal eine fremdsprachige Version von Game Two. «Wir haben immer damit geliebäugelt, eine englische Version zu machen. Die nennen wir dann ‹Game Three› und remastern dort unsere besten Gags», verrät mir Simon. Ich würde es auf jeden Fall schauen. Bedingung ist, dass es weiterhin die Hamburger Redaktion übernimmt und mit dem schönsten übertriebenen Deutsch-Englisch vertont.
Nun aber Film ab: Aber nicht blinzeln, sonst verpasst du Domis und mein epischer Fernsehauftritt.
Philipp Rüegg
Senior Editor
Philipp.Rueegg@digitecgalaxus.chAls Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.