Eineinhalb Jahre ohne Alkohol: befreiend, aber auch einschränkend
Meinung

Eineinhalb Jahre ohne Alkohol: befreiend, aber auch einschränkend

Seit eineinhalb Jahren trinke ich keinen Alkohol mehr. Zurück möchte ich nicht mehr, gewisse Dinge fehlen mir dennoch.

Keine Angst, das wird keine Predigt gegen Alkoholkonsum. Ich möchte meine Erfahrungen teilen, warum ich aufgehört habe, wie es mir dabei ergangen ist und was ich dabei gelernt habe. Wenn dir das mit deinem Alkohol-Umgang hilft, toll. Wenn sich eine angeregte Diskussion mit guten Tipps für alkoholfreie Getränke daraus ergibt, noch besser.

Meine mittlerweile eineinhalb Jahre anhaltende alkoholische Abstinenz hat eher zufällig begonnen. Wir waren auf dem Weg in die Sommerferien nach Dänemark. Schon vor dem Abflug fühlte ich mich nicht ganz frisch. Das änderte sich auch bei der Ankunft in unserem Strandhaus nicht. Also blieb meine Frau die alleinige Geniesserin der bunten Auswahl lokaler Biere, die wir bereits gekauft hatten. Auch am nächsten Tag war ich nicht 100 Prozent fit und entschied mich erneut gegen Alkohol. Da kam mir spontan in den Sinn, dass ich ganz aufhören könnte. Zumindest so lange, wie ich Lust habe, respektive bis ich wieder Lust auf Alkohol bekomme.

Alkohol als Gewohnheit

Auch wenn ich es nicht geplant hatte, dem Alkohol abzuschwören, schwirrte die Idee schon länger in meinem Kopf herum. Meist nachdem mal wieder ein Youtuber oder Promi von den positiven Seiten schwärmte. Während die ihren eigenen Schilderungen zufolge – und auch meiner Auffassung nach – definitiv zu viel tranken, hielt sich mein Alkoholkonsum schon lange in Grenzen. Von den üblichen Eskapaden zu Jugend- und Studienzeiten mal abgesehen, trank ich seit Ewigkeiten fast ausnahmslos nur noch am Wochenende. Und auch dann meist nur zwei, drei Bier. Das ist laut offizieller Definition meilenweit von einer problematischen Menge entfernt. Gestört hat mich mein Konsumverhalten dennoch.

Eine Party ohne zu trinken? Für mich früher praktisch undenkbar.
Eine Party ohne zu trinken? Für mich früher praktisch undenkbar.
Quelle: Philipp Rüegg

Trinken war für mich längst zur Gewohnheit geworden. Ich stellte mir nie die Frage «Soll ich am Freitagabend ein Bier trinken?». Die Frage war «Wann öffne ich die erste Flasche?». Regelmässig ertappte ich mich dabei, dass ich lieber etwas anderes getrunken hätte, aber trotzdem zum Bier griff. Es ist Wochenende, da gehört Alkohol einfach dazu. Selten blieb es bei einem Getränk. Wie ein Freund von mir zu sagen pflegt: «Von einem Bier wird der Magen hässig und will noch mehr». Darum folgte auf das erste Bier fast immer ein zweites und ein drittes.

Auch wenn ich ins Kino ging, ins Stadion oder ich mich mit Freunden traf, gehörte ein Bier zu 90 Prozent dazu. Wenn ich zurückdenke, kann ich mich nicht erinnern, auch nur eine Woche keinen Alkohol getrunken zu haben – ausser ich war krank. Dieses Zwanghafte stiess mir schon lange sauer auf. Die Dänemarkferien waren schliesslich der Stein, der die Abstinenz ins Rollen brachte.

Die Menge an Bechern ist klarer Indikator, dass für viele Fussball und Bier zusammengehört.
Die Menge an Bechern ist klarer Indikator, dass für viele Fussball und Bier zusammengehört.
Quelle: Philipp Rüegg

Einfacher gedacht, aber nicht ohne Härteproben

In Versuchung, wieder zur Flasche zu greifen, geriet ich nie wirklich. Obwohl der Kühlschrank prall gefüllt war mit dänischen Bieren, blieb ich bei den alkoholfreien Varianten. Davon gab es glücklicherweise zu Hauf. Es hätte mich mehr Überwindung gekostet, Alkohol zu trinken und damit mein Vorhaben aufzugeben, also trocken zu bleiben. Und so wurden aus Tagen Wochen und aus Wochen Monate.

Einige Härtetests gab es. Die Heimspiele des FC Winterthur zum Beispiel. Zum einen, weil der Club oft verliert und dann der Griff zum Bier besonders verlockend ist. Aber auch, weil es ein geselliger Anlass ist, an dem ich gerne mit Freunden anstosse. Stellt sich heraus, das geht auch wunderbar mit alkoholfreiem Bier. Weniger laut schreie ich deshalb nicht – was ich mal vorsichtig als positiven Nebeneffekt verbuche.

An unserer jährlichen LAN-Party wird zwar nicht mehr so viel getrunken wie auch schon, aber das Zielwasser gehört für die meisten immer noch dazu.
An unserer jährlichen LAN-Party wird zwar nicht mehr so viel getrunken wie auch schon, aber das Zielwasser gehört für die meisten immer noch dazu.
Quelle: Philipp Rüegg

Besorgter war ich für unsere jährliche LAN-Party. Wenn 15 Personen zwei Tage lang dem Gerstensaft huldigen, könnte das für mich etwas langweilig werden. Aber auch hier waren die Sorgen unnötig. Ich füllte das Gemüsefach im Kühlschrank bis oben mit einer bunten Auswahl alkoholfreier Biere und stiess damit fast so euphorisch an wie der Rest der Gamer-Bande. Auch hier konnte ich meinen Dezibel-Pegel aufrechterhalten, um lieb gemeinte Beleidigungen auszuteilen, wenn ich mal wieder ein Game völlig zu Unrecht verlor.

Anstossen sorgt für ein Gemeinschaftsgefühl

Am ehesten negativ zu spüren bekam ich den Alkoholverzicht an der Badenfahrt, dem Stadtfest von Baden. Für viele bestehen solche Fester aus Wanderbesuchen verschiedener Bars. Die waren an der Jubiläumsausgabe 2023 besonders aussergewöhnlich designt. Während sich meine Kumpels an jeder Bar ein frisches Bier bestellten, suchte ich fast eine Stunde lang vergeblich nach einer alkoholfreien Alternative. Auf Süssgetränke hatte ich keine Lust.

Einmal mehr fiel mir auf, wie alkoholisiert unsere Gesellschaft ist. Alkoholische Getränke gab es an jeder Ecke in allen Variationen. Ganz nach dem Motto: Es ist ein Fest, also trinkt man.

Alkohol hat auch etwas Gesellschaftliches.
Alkohol hat auch etwas Gesellschaftliches.
Quelle: Elevate @elevatebeer/Unsplash

Für mich brachte schliesslich die geschätzt zehnte Bar Erlösung. Dafür so richtig. Es gab gleich mehrere alkoholfreie Biere inklusive verschiedener Mocktails. Mit einem kühlen Bier in der Hand ging es mir gleich viel besser, auch weil ich damit endlich auch anstossen konnte. Davor fühlte ich mich etwas ausgeschlossen. Mitanstossen, egal ob mit Alkohol oder nicht, ist etwas Gemeinschaftliches.

Die Schattenseiten der Abstinenz

Keinen Alkohol mehr zu trinken, ist befreiend. Vorbei sind die Entscheidungen, ob es noch ein Bier verträgt oder nicht. Kater kenne ich nur noch zum Streicheln. Ich fühle mich insgesamt wohler. Gesundheitliche Benefits wiederum sind eher Randerscheinungen. Ich habe etwas mehr Energie und bin tagsüber noch seltener müde. Gewicht wiederum habe ich keins verloren, obwohl man das oft liest.

Werde ich nun nie mehr Alkohol trinken? Wohl nicht. Eine handvoll Ausnahmen habe ich mir bereits gegönnt. Ich bin schliesslich nicht heiliger als der Papst und der frönt regelmässig dem Rotwein. In den vergangenen Italienferien, umgeben von Weingebieten, gab ich der Lust auf ein gutes Glas Rotwein nach. Und Zuhause habe ich mir auch schon ein-, zweimal ein Schlückchen Rum gegönnt. Alkohol ist für mich zu dem geworden, was es eigentlich schon immer war: ein Genussmittel. Erstmals in Massen statt Massen 🍻.

Mit dem Verzicht auf Alkohol gehen auch andere Sachen verloren.
Mit dem Verzicht auf Alkohol gehen auch andere Sachen verloren.
Quelle: Michael Starkie @starkie_pics/Unsplash

Das führt mich aber gleich zur Krux der Abstinenz. Habe ich doch mal Lust auf Alkohol, frage ich mich: Ist jetzt der Moment für eine Ausnahme? Was hebt diese Situation von anderen ab? Erschwerend kommt hinzu, dass mir der Alkohol nicht mehr wirklich zusagt.

In einer idealen Welt könnte ich so viel trinken, wie ich möchte, ohne je einen Kater oder gesundheitliche Folgen zu haben. Dass ich nicht mehr einfach ein frisch gezapftes Bier bestellen kann, vermisse ich gelegentlich. Degustieren verschiedener Getränke war schon immer eine Passion von mir. Die schier endlose Auswahl an Bieren, Gins, Weinen etc. wird auch die wachsende Menge hochwertiger, alkoholfreier Alternativen nie ganz wettmachen. Sie trinken sich einfach nicht gleich befriedigend. Zum Glück sind die dunklen Zeiten, als alkoholfrei Appenzeller Sonnwendlig und Clausthaler bedeutete, vorbei.

Auch wenn das Angebot alkoholfreier Alternativen wächst, wird es wohl immer kleiner sein als das mit Alkohol. Hier ein Blick auf meinen noch nicht ausgeräumten Schnapsschrank.
Auch wenn das Angebot alkoholfreier Alternativen wächst, wird es wohl immer kleiner sein als das mit Alkohol. Hier ein Blick auf meinen noch nicht ausgeräumten Schnapsschrank.
Quelle: Philipp Rüegg

Etwas stört mich dann doch: Je nach Alkoholpegel der Umgebung fühle ich mich manchmal mehr als Beobachter denn als Teilhaber. Ich und die Trinkenden sind dann nicht mehr auf der gleichen mentalen Ebene. Die Gemütlichkeit kippt ins Repetitive, der Rausch nimmt Überhand. Da mein Umfeld den Alkoholkonsum aber auch drastisch reduziert hat, und ich selten als einziger mit alkoholfreien Alternativen anstosse, fühle ich mich selten ausgeschlossen.

Wirklich traurig darüber, dass ich nicht den Foifer und das Weggli haben kann, bin ich deshalb nicht. Für mich hat sich die Entscheidung, mit dem Trinken aufzuhören, gelohnt, auch wenn ich ab und zu auf etwas verzichten muss. Für angehende Abstinenzlerinnen oder alle, die einfach zwischendurch gerne ein alkoholfreies Bier geniessen, gebe ich zum Schluss noch meine aktuellen Favoriten mit auf den Weg.

Teaserbild: Amy Parkes/Unsplash

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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 


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