Fünf fragende Gesichter und ein nuschelnder Velohelm: Der Livall «BH51M Neo» im Telefon-Test
Dieser Cityhelm hat nicht nur Blinklicht und andere Sicherheitsfeatures, er ist gleichzeitig eine Art Medienzentrale mit Freisprechfunktion. Trotzdem kann ich dir nicht empfehlen, dich mit dem Livall «BH51M Neo» in einen Teams-Call einzuwählen.
Ich bin absolut dafür, dass ein Helm mehr können sollte, als nur den Kopf zu schützen. Das ist die Pflicht. Doch immer mehr Modelle beherrschen auch die Kür. Sie glänzen durch Beleuchtung, eingebaute Blinker oder Sturzerkennung. So eine lange Liste an Features wie beim Livall «BH51M Neo» hatte ich allerdings noch nie: Rücklicht, Blinker, Freisprechfunktion, Stereo-Sound mit zweimal 0,5 Watt, Navigation, SOS-Alarm, Walkie-Talkie, Verlustwarnung, Bremslicht und Fernbedienung. Mein Auto kann weniger. Zumindest auf dem Papier.
Doch als ich mich mit dem Helm optimistisch und ohne Vorankündigung in unsere tägliche Teambesprechung einwähle, werde ich enttäuscht. Das berauschende Resultat siehst und hörst du oben im Video. Noch nicht abgeschreckt, weil du wie ich auf dem Velo eigentlich gar nicht telefonieren willst? Dann folgt hier die ganze Geschichte zum Livall BH51M Neo, der durchaus auch gute Eigenschaften und smarte Funktionen hat. Packen wir’s an. Oder aus. Denn am Anfang ist Ruhe im Karton und der Redaktor noch hoffnungsfroh.
Auspacken und eine Achterbahn der Gefühle
Aus einer stylishen und mit vielen Awards dekorierten Verpackung kommt ein mattschwarzer Helm, der mich zunächst mit seiner Rückseite beeindruckt. Der nach links und rechts zu Pfeilen auslaufende LED-Balken des Blinkers macht etwas her und muss sich im Verkehr zwischen Teslas, Audis und BMWs nicht verstecken.
Von der Front bin ich längst nicht so angetan: Ein Hartplastik-Kurzvisier, darüber ein vergitterter Lufteinlass und schliesslich die quer verlaufenden Lüftungsschlitze, die dem Helm die Eleganz eines fünfmal eingeschnittenen Brotes verleihen. Viel Licht ist vorne nicht – die beiden «Positionsleuchten» verstecken sich hinter dem Lüftungsgitter.
Dafür scheint mir die Fernbedienung wieder ein Highlight zu sein. Kompakt und mit vielen gut zu ertastenden Knöpfen passt sie zum multimedialen Funktionsfeuerwerk, das der Helm verspricht. Dazu komme ich später, zunächst geht es um klassische Helmfragen.
Ein Helm, mehr nicht
Die ganze Technik steckt in einem ziemlich normalen Helm, der 490 Gramm wiegt. Er hat die übliche Aussenschale aus Hartplastik, die mit der üblichen dämpfenden EPS-Schale darunter verklebt ist. In meinem Fall an der rechten Helmseite nicht sehr gut, da klafft ein Spalt zwischen den beiden Schichten.
Dafür macht die Polsterung im Inneren einen guten Eindruck und der Livall BH51M Neo lässt sich über den gängigen Drehmechanismus angenehm fixieren. Weitere Verstellmöglichkeiten gibt es nicht. Der Helm erfüllt natürlich die vorgeschriebene Norm EN 1078. Die entsprechende Prüfung beinhaltet einen Aufschlag mit 19,5 km/h in der Ebene und mit 16,5 km/h auf ein sogenanntes «dachförmiges Ziel», also eine Kante. Bei Stürzen im echten Leben treten aber häufig auch starke Rotationskräfte auf, denen viele Hersteller mit Systemen wie MIPS oder WaveCel begegnen. Dieses für mich wichtige Feature bietet mein Testhelm von Livall nicht.
Aufladen und mit der App koppeln
Fancy wird’s wieder beim Ladekabel, dass sich wie am MacBook magnetisch andocken lässt. Einerseits ist das nett, andererseits bist du auf dieses eine Ladekabel angewiesen. Verlierst du es, musst du ein neues bestellen. Ich bin froh, dass mein Lumos Ultra, an dem sich der Helm von Livall messen lassen muss, ein stinknormales USB-C Kabel hat. Das ist nicht ganz so schick, aber mir ist die latente Bruchgefahr lieber als ein Kabel, dass ich keinesfalls verlegen darf.
Vor der ersten Fahrt muss der Livall Strom tanken. Leicht agressiv macht mich der «kindly reminder» unter der Ladebuchse. Ein Aufkleber, der ans Laden und Koppeln erinnert und sich leider nicht unfallfrei ablösen lässt. Oben das magnetische Dock und die schön eingearbeiteten Lichter, unten ein weisser Schandfleck. Grrrrr.
Ist der Helm voll, soll die Akkulaufzeit etwa fünf Stunden betragen. Ich schreibe bewusst «soll», denn je nach Temperatur und Nutzungsverhalten kann das natürlich schwanken. Einige Nutzer:innen zeigen sich in den Produktbewertungen von der Akkulaufzeit enttäuscht. In der Livall-App lässt sich der Helm problemlos koppeln und konfigurieren, ausserdem ist hier der Akkustand ersichtlich. Ich habe ebenfalls festgestellt, dass er sich schnell ändern kann: Jedes Blinkmanöver sorgt dafür, dass der Ladebalken vorübergehend einen Strich verliert, der danach wieder auftaucht. Diese Hauptfunktion saugt scheinbar ordentlich am Strom. Positiv ist, dass die App die Energiereserve fast in Echtzeit kalkuliert.
Auch die per Knopfzelle gepowerte Fernbedienung ist schnell integriert und funkt ihre Daten durch. Die App ist okay, aber die Einstellungsmöglichkeiten sind begrenzt. Dauerlicht gibt es bei Livall nicht, das würde die Akkulaufzeit wohl deutlich reduzieren. Ich habe die Wahl zwischen Blinken, das eher ein Aufblitzen ist, «Standard-Licht», das normales Blinken ist, und «fliessendem» Blinken. Dann breitet sich das Licht von der Mitte weg nach beiden Seiten aus. Das Intervall lässt sich nicht einstellen, geblitzblinkt wird ungefähr alle drei Sekunden. Da hätte ich gerne mehr Mitspracherecht. Im Gegenzug würde ich auf Gruppen, Community-Feed und Strecken-Tracking verzichten.
Der Livall BH51M Neo macht einiges sehr gut: Das rote Bremslicht leuchtet zuverlässig auf. Der Helm kann die Umgebungshelligkeit erfassen und bei schwachem Licht blinken. Er kann sich nach einigen Minuten Stillstand automatisch ausschalten und eine Warnung von sich geben, wenn ich mich vom Helm entferne oder mein (gekoppeltes) Smartphone verliere. Generell hat er ein hohes Mitteilungsbedürfnis.
Stürzen wir uns in den Verkehr
«Power on!», lässt der Helm die Welt jedes Mal aufs Neue wissen, um gleich darauf zu verkünden, dass er die Fernbedienung gefunden hat: «connected!» Das sind Momente, in denen er mir auf die Nerven geht. Da er beim Verbinden gleichzeitig auch aufblinkt, würde mir Licht als Information zu seinem aktuellen Beziehungsstatus mit der Fernbedienung und meinem Handy genügen. In Ordnung sind dagegen die Stereo-Lautsprecher und der Blinker-Ton, den ich dezent auf dem Ohr meiner Richtungswahl höre. Musik hören macht aufgrund der Soundqualität wenig Spass, aber das will ich im Verkehr ohnehin nicht. Eher würde ich mich navigieren lassen oder telefonieren, was nicht an den Lautsprechern, sondern am Mikrofon scheitert. Es endet in der oben dokumentierten Rauschorgie. Auch wenn das Mikrofon dem Wind nicht ausgesetzt ist, bleibt die Sprachqualität dumpf. Für mich als Fahrer ist positiv, dass die Ohren frei bleiben und nichts die Verkehrsgeräusche dämpft. Auf meiner Seite sind alle Gespräche klar und deutlich zu verstehen, auf der anderen leider nur im Stand.
Die Fernbedienung: Mehr als ein Blinker
Fährst du in einer Gruppe mit anderen Livall-Träger:innen, kannst du über eine Funktaste an der Fernbedienung mit ihnen sprechen. Das konnte ich nicht ausprobieren, wird sich aber ähnlich wie beim Telefonieren anhören. Auch wenn ich darauf und auf die Foto-Funktion locker verzichten könnte, finde ich die Fernbedienung sehr gelungen. Sie ist kompakt genug, um jeden Knopf mit dem Daumen zu erreichen. Die Tasten sind so gut voneinander abgegrenzt, dass sie sich ohne hinzuschauen bedienen lassen und ich problemlos die Lautstärke anpassen oder Musiktitel wählen kann. Leider lassen sich die Tasten nicht individuell belegen, auch hier könnte die App mehr Möglichkeiten bieten.
Fazit: Smartes Licht, schlechtes Mikro
Obwohl er bequem ist und einige smarte Funktionen besitzt, überzeugt mich der Livall BH51M Neo nur punktuell. Dabei ärgere ich mich gar nicht so sehr über die schlechte Telefonqualität. Ich hätte gerne eine Version mit MIPS und volle Entscheidungsgewalt über die Fernbedienung und die Lichteinstellungen. Mein Lumos Ultra bietet mir in diesem Punkt mehr Freiheiten, ohne dass sofort der Akku schlapp macht. Auch was die Verarbeitungsqualität angeht, hat er die Nase vorne. Eigentlich schade, denn Rück- und Bremslicht des Livall finde ich top. Er scheint nur leider noch nicht ganz zu Ende gedacht zu sein.
Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.