Hört eigentlich niemand mehr zu?!
Es gibt einen Grund, warum wir zwei Ohren, aber nur einen Mund haben. Wir sollten mehr und besser zuhören. Hier sind sieben Fallen, in die bestimmt auch du tappst.
Wie gut kannst du zuhören? Nicht nur hören. Sondern hinhören. Nachfragen. Nachvollziehen. Das ist heutzutage leider eine Seltenheit. Zu schnell kommen unser Ego oder Smartphone in die Quere. Wetten, du bist auch schon den folgenden Typen und Typinnen begegnet – oder erkennst dich in ihnen wieder:
Der Shifter
Gerade schwärmst du davon, wie schön deine Winterferien waren. Als du auf ein Highlight eingehen möchtest, zieht der Shifter den Fokus unbemerkt auf sich. «Oh, da war ich letztes Jahr auch, als Cordula und ich im Après-Ski diesen Typen …» Das war’s dann mit deinen Ferien.
Die Übertrumpferin
Verwandt mit dem Shifter ist die Übertrumpferin. Sie kommt zum Zug, wenn du von einem Problem erzählst. Zum Beispiel von deinem Kind, das schlecht durchschläft. «Was, drei Stunden? Das ist ja gar nichts! Meines hat nur eine Stunde am Stück geschlafen.» Ganz egal, was du erlebt hast: Die Übertrumpferin erlebte es mindestens drei Mal heftiger.
Der Zwangshelfer
Ebenfalls bei Problemen schaltet sich der Zwangshelfer ein. Statt dass er deinen Gedanken und Gefühlen Raum gibt, hat er bereits eine Liste mit 15 Ratschlägen parat – nach der du nie gefragt hast. Alternativ zwingt er dir Unterstützung auf. «Komm, ich begleite dich ans Single-Treffen!» – «Hm … ich weiss nicht.» – «Ach was, das mach ich doch gerne.»
Die Bekehrerin
Nach der Meinung der Bekehrerin musst du gar nicht erst fragen, sie zwingt sie dir ganz von alleine auf. Oft folgen auf deine Äusserungen ein Stirnrunzeln, ein kritischer Blick und eine Antwort wie: «Echt jetzt?! Du weisst aber schon, dass …» Was folgt, sind eine ganze Reihe Argumente, die ihre Anschauung untermauern. Ruhe geben wird die Bekehrerin erst, wenn ihr euch einig seid du ihr zustimmst.
Der Abgelenkte
Dem Abgelenkten sitzt du nie direkt gegenüber. Zwischen euch liegt entweder ein Smartphone, ein Laptop oder ein Gedanke, dem er nachhängt. Während du etwas erzählst, huscht sein Blick immer wieder nach unten, ins Leere oder auf einen Punkt hinter dir. Es könnte ja überall etwas Spannenderes warten.
Die Lückenfüllerin
Zu lange Luft holen solltest du im Gespräch mit einer Lückenfüllerin nicht. Denn was sie nicht ausstehen kann, sind Denkpausen. Sobald es ein paar Sekunden still ist, wird sie Folgefragen stellen, über die sie bereits nachgedacht hat, als du noch am Sprechen warst. Und schon hast du wieder vergessen, worauf du eigentlich hinaus wolltest.
Der Schein-Interessierte
Der Schein-Interessierte wirkt auf ersten Blick interessiert: «Wie geht’s deiner Frau?» Nachdem du auf seine Frage geantwortet hast, ist der Dialog jedoch zu Ende. Eine Nach- oder Anschlussfrage? Nix da. Es herrscht betretene Stille zwischen euch. Und der Schein-Interessierte geht natürlich davon aus, dass du das Gespräch in Gang bringst. Wieso sollte auch er zu 50 Prozent dafür verantwortlich sein?!
Gute Vorsätze
Haben wir also verlernt, richtig zuzuhören? Jein. Wir haben es nie richtig gelernt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen darin nicht nur den Hauptgrund für viele gescheiterte Beziehungen und missglückte berufliche Verhandlungen, sondern auch für politische Auseinandersetzungen, ja gar für Kriege. Jetzt, Anfang Jahr, wäre doch der perfekte Zeitpunkt für dich und mich, den Vorsatz zu fassen, besser zuzuhören. Grossartige Tipps gibt dir das Sachbuch «The lost art of listening». Hier die für mich wichtigsten Punkte:
- Dich zurücknehmen: Erzählt dir jemand von etwas, das du auch schon erlebt hast, solltest du nicht «reingrätschen», sondern den anderen erzählen lassen. Oder: Dein Erlebnis kurz anschneiden, dann aber wieder zum Gegenüber zurückkommen à la: «Erzähl mir, wie du es erlebt hast.»
- Keine ungebetenen Ratschläge: Schildert dir jemand ein Problem, solltest du nicht gleich mit einem Konvoi an Tipps anrücken. Besser ist, dein Gegenüber erzählen zu lassen und interessierte Fragen zu stellen. So führst du die andere Person womöglich selbst an die für sie passende Lösung heran. Bist du dir unsicher, was sie braucht, frag nach: «Möchtest du einen Ratschlag? Oder soll ich dir einfach zuhören?»
- Gefühle anerkennen: Schildert dir jemand ein Problem, solltest du keinen Wettstreit darüber entfachen, wer etwas intensiver erlebt hat. Das ist ohnehin sinnlos. Schliesslich nimmt niemand eine Situation gleich wahr.
- Meinungen anhören: Auch wenn du eine Meinung nicht teilst, solltest du sie dir künftig genauer anhören und nachfragen: «Wie meinst du das genau?» oder «Kannst du mir das erklären?» Einen Kompromiss oder eine Einigung musst du nicht anstreben. Es reicht schon, die Sicht des anderen nachzuvollziehen. Du wirst bestimmt etwas dabei lernen.
- Stille aushalten: Du solltest deinem Gegenüber genug Zeit zum Nachdenken geben. Stille bedeutet nicht, dass das Gespräch schlecht läuft. Im Gegenteil: Wenn sich nicht jeder schon eine Folgefrage im Kopf zurechtlegt, sondern spontan auf das Gegenüber eingeht, kann ein Gespräch an Tiefe gewinnen. ABER: Es sind auch beide dafür verantwortlich, Gespräche am Laufen zu halten.
- Aufrichtiges Interesse: Einfach fragen, damit gefragt ist, ist Mumpitz. Wenn du ein Thema ansprichst, dann solltest du auch Folgefragen stellen und wirklich etwas über den anderen herausfinden wollen. Sonst lasse es besser ganz bleiben.
- Da sein: Während eines Gesprächs solltest du weder aufs Smartphone äugen noch in Gedanken bereits deine Todos durchgehen. Wenn du physisch da bist, solltest du auch geistig da sein.
Geheimrezept: Fragen stellen
Na, hörst du noch zu? Nur noch kurz: Du wirst in Gesprächen, wie auch ich, zwangsläufig in die obigen Fallen tappen. Dich zu verurteilen, bringt nichts. Am wichtigsten ist es, dass du dir dessen bewusst bist und an deinen Zuhör-Skills arbeitest. Was dich dabei unterstützt, sind Fragen. So gut wie immer einsetzen kannst du:
- «Wie meinst du das genau?»
- «Wie ist das für dich?»
- «Wie fühlst du dich dabei?»
- «Kannst du mir das erklären?»
- «Willst du mir mehr davon erzählen?»
So wirst du viel bessere Gespräche erleben, denn deine Gesprächspartner werden sich dir gegenüber auch wirklich öffnen. Weshalb? Weil du sie nicht nur hörst, sondern auch siehst. Und darum geht es beim Zuhören wirklich.
Kannst du selbst gut zuhören? Worin willst du dich noch verbessern? Und welche Tipps hast du? Erzähle es der Community und mir in einem Kommentar.
Ich mag alles, was vier Beine oder Wurzeln hat. Zwischen Buchseiten blicke ich in menschliche Abgründe – und an Berge äusserst ungern: Die verdecken nur die Aussicht aufs Meer. Frische Luft gibt's auch auf Leuchttürmen.