Idun Technologies: Die Kopfhörer, die Hirnströme messen
Hintergrund

Idun Technologies: Die Kopfhörer, die Hirnströme messen

Livia Gamper
16/6/2023

Ein Zürcher Start Up hat sich der Messung von Gehirnströmen verschrieben. Diese soll in Zukunft mit True-Wireless-Kopfhörern möglich sein. Ich habe darüber mit den Co-Founder von Idun Technologies gesprochen.

In einem halbleeren Bürogebäude in Opfikon treffe ich Simon Bachmann. Der CEO und Co-Founder von Idun Technologies arbeitet hier mit seinem 19-köpfigen Team an Kopfhörern und Software, die unser Gehirn ausmessen können. Was wie aus einem Science-Fiction-Film made in Zürich klingt, zeigt mir Simon vor Ort. Gehirnströme werden schon seit Jahrzehnten für diagnostische und wissenschaftliche Anwendungen gemessen. Das Zürcher Start Up möchte dies nun auch dem Konsumentenmarkt zugänglich machen.

Simon Bachmann mit den selbst entwickelten Kopfhörern in den Ohren.
Simon Bachmann mit den selbst entwickelten Kopfhörern in den Ohren.
Quelle: Christian Walker

Normalerweise wäre auch Simons Co-Founderin Séverine Gisin in diesem Büro anzutreffen – sie ist aber gerade im Mutterschaftsurlaub. Gründerin und Gründer haben sich im Masterstudium Health Sciences and Technology an der ETH kennengelernt. 2017 haben sie Idun Technologies als Spin-off der ETH gegründet. «Für uns war die präventive Gesundheit schon immer spannend. Wir sahen dabei die Entwicklung von Bio-Sensoren als wichtigstes Element», erklärt Simon mir. Zuerst entwickelte das Team ein Sensor-T-Shirt, dann entstand die Idee des Kopfhörers, die bis heute geblieben ist.

Kopfhörer sind genauer als Smartwatches

Ich möchte von Simon wissen, was diese futuristischen Kopfhörer, die hinten mit einem Kopfband verbunden sind, genau können. «Mit unserem Idun 'Guardian'-Kopfhörer und dessen Biosensoren können wir menschliche Gehirnströme im Gehörkanal messen», erklärt er mir. Das ist zum Beispiel bei Schlafdaten spannend und funktioniert so: Durch die Platzierung von Elektroden auf der Haut wird die neuronale Aktivität gemessen. In der Fachsprache nennt sich dies ein Electroencephalogram, kurz EEG. Normalerweise wird dies mit Elektroden am Kopf gemessen, Idun kann das mit den Guardian-Kopfhörern, die das Zürcher Start Up kürzlich auf den Markt gebracht hat, im Gehörkanal.

Simon erklärt, wie eine solche Messung überhaupt funktioniert: «Die Kopfhörer führen eine sogenannte Biopotentialmessung durch. Sobald die Elektroden die Haut berühren, kann die Messung beginnen. Die Elektroden messen die elektrischen Potentiale des Gehirns, die bei neuronaler Aktivität entstehen. Die Signale können dann interpretiert werden (z.B. Frequenzbänder oder Amplitudenstärke) was Aufschluss gibt über die Schlafqualität oder kognitive Leistung. So weit, so verständlich – und futuristisch.

Der Idun Guardian von nahem.
Der Idun Guardian von nahem.
Quelle: Christian Walker

Smartwatches wie etwa die Apple Watch messen mittels EKG (Elektrokardiogramm) unsere Herzströme und leiten davon Daten ab – die EEG-Messung der Idun-Kopfhörer ist aber um ein Vielfaches genauer und böte Informationen, die eine Smartwatch nicht liefern könne, so Simon. Die Smartwatch misst physiologische Daten des Körpers, nicht aber des zentralen Nervensystems. Dies ist aber unsere «Schaltzentrale».

Dank neurowissenschaftlicher Daten kann so quasi das Gehirn mit Software verbunden werden. Und wozu brauchen oder wollen wir das? «Mit den Frequenzbildern ist die Messung der Schlafqualität, der Hirnanstrengung, des Fokus oder der Augenbewegungen von Trägerin oder Träger möglich», erklärt mir Simon. So kann zum Beispiel evaluiert werden, wann jemand besonders konzentriert ist, eine Pause machen soll oder sogar besser ein Power Nap. Aber auch Verbindungen mit Smart-Home-Anwendungen etwa für Lichteinstellungen – also gedämpftes Licht, wenn man müde ist – sollen in einer idealen Version dank der Hirnstrommessung möglich sein.

Idun ist dabei nicht das einzige Unternehmen, das sich auf «Neurotech» fokussiert. Viele grosse Konzerne forschen schon lange an solchen Technologien. Das wohl bekannteste dabei: Elon Musk’s Neuralink. Aber auch LG mit den Breeze Buds plant, mit einem ähnlichen Produkt auf den Markt zu kommen.

«Im Alltag trägt niemand eine Badekappe»

Normalerweise werden diese Messungen mit Netzen oder Hauben am Kopf gemacht. Das Anbringen solcher sogenannten Hirnmessungs-Hauben ist sehr aufwändig. Dazu braucht es ein Gel, welches nach der Messung wieder umständlich aus den Haaren gewaschen werden muss. «Im Alltag würde niemand eine solche Badekappe tragen, geschweige denn das Gel auftragen», führt Simon aus.

So sahen die EEG-Netze zuvor aus.
So sahen die EEG-Netze zuvor aus.
Quelle: Christian Walker

Idun macht nach eigenen Angaben dieselben Messungen mit Kopfhörern, und dies mit vergleichbarer Signalqualität. Simon erklärt dazu: «Wir suchten nach einer Form, die nicht invasiv, aber dennoch zuverlässig ist. Mit unseren Sensoren für die Ohren gelingt das.» Zudem: Weil die Kopfhörerform im Alltag getragen wird, sind umfassendere Messungen möglich – durch die häufigere Tragezeit können viel mehr Daten generiert werden.

Damit könnte zum Beispiel der kognitive Workload eines Bürojobs errechnet werden. Simon blickt in die Zukunft: «Diese Resultate könnten dann mit dem Outlook-Kalender verbunden und der Tag so effektiver geplant werden.» Zum Beispiel: Wer morgens müde ist, bekommt dann weniger Termine eingetragen – das klingt soweit praktisch. Dazu passt, dass viele Menschen bei der Büroarbeit sowieso Kopfhörer tragen. Aber das erste Problem dabei: Aus dem Idun Guardian, dem neuesten EEG-Kopfhörer von Idun, kommt leider noch keine Musik. «Daran arbeiten wir noch», so Simon.

Der Idun Guardian lässt sich einfach mit einer Handy-App verbinden.
Der Idun Guardian lässt sich einfach mit einer Handy-App verbinden.
Quelle: Christian Walker

Dass die Messungen des kognitiven Workloads einige Gefahren mit sich bringen, liegt auf Hand. Wer im Büro öfter mal mit einem «tiefen kognitiven Workload» den Faulpelz raushängen lässt, fliegt schneller auf, als er oder sie denken kann. Das Idun-Team sei sich dieser Gefahr bewusst: «Wir setzen hier auf die Kontrolle durch die Endanwenderinnen und -anwender», so Simon.

Noch nicht für Konsumenten – aber für grosse Investoren

Eine kleine Entwarnung: Die Hirnstrommessung im Alltag gibt’s noch nicht. Idun verkauft die Produkte bislang lediglich an die Geschäftskundschaft – oder an Investoren. Simon zählt auf: «Sony und Takeda, ein grosses japanisches Pharmaunternehmen, haben bereits in unsere Technologien investiert». Die genaue Zusammenarbeit mit den Unternehmen möchte mir Simon aber nicht verraten – Firmengeheimnis. Genauso geheim wie die Investoren-Zusammenarbeit ist auch die dahinterstehende Technologie. Wie die Elektroden von Idun funktionieren und wie das verwendete Material zusammengesetzt ist, gibt Simon nicht preis.

Er zeigt mir aber das kleine Labor, in welchem das Team die Sensoren bis vor Kurzem selbst produziert hatte. Im Labor gibt’s viele Kästen, spezielle Öfen und Prototypen-Material zu sehen. Die Sensoren lässt das Team aber mittlerweile extern produzieren. Die Material-Technikerin des Teams, Katja Junker, sei mit der Produktion nicht mehr hinterher gekommen. Zudem sei diese Arbeit langsam auch fast langweilig geworden, erklären sie mir lachend. Sie arbeitet schon wieder am nächsten Projekt.

Ein Blick ins Labor von Idun.
Ein Blick ins Labor von Idun.
Quelle: Christian Walker

Eine Simulation der Zukunft

Auriel Valtancoli, im Team als Sales und Business Developer tätig, zeigt in einer Simulation, was die Kopfhörer schon heute können. Der Versuchsaufbau: Zwei Kartonfiguren von Severine und Simon, in Lebensgrösse. «Zuerst hatten wir Donald Trump und die Queen – das kam aber nicht immer gut an», erzählt mir Simon lachend.

Die Simulation funktioniert so: Auriel trägt die Mess-Sensoren – hier von einem Vorgänger des aktuellen Guardian-Modells – und steht in der Mitte der beiden Figuren seiner Chefs. Dann geht die Messung los. Ohne dass Auriel den Kopf dreht, wissen die Sensoren dank der Gehirnmessung, in welche Richtung Auriel schaut. So leuchtet je nach Augenbewegung von Auriel die eine oder andere Figur auf – ja, das sieht genau so futuristisch aus, wie es klingt.

Und der Nutzen im Alltag? «Hörgeräte und Kopfhörer können so erkennen, auf welche Geräuschquelle sich Träger oder Trägerin fokussieren und diese akustisch verstärken, wohingegen alle anderen Geräuschquellen unterdrückt werden», so Simon. Er beschreibt das sogenannte Cocktail-Party-Problem, bei dem es darum geht, einem Gespräch folgen zu können, obwohl es rundherum laut ist – besonders für Menschen mit Hörhilfen ist dies schwierig.

Je nachdem, wohin Auriel blickt, leuchtet eine der Figuren auf.
Je nachdem, wohin Auriel blickt, leuchtet eine der Figuren auf.
Quelle: Christian Walker

Auch wenn Auriel seine Augen schliesst, merken dies die Sensoren und zeichnen dies entsprechend auf – das ist auch Meditation-Tracking genannt. Das Gerät misst die Stärke der sogenannten Alpha-Wellen des Gehirns, welche aufzeigen, wie entspannt jemand ist. Anhand dessen und mit sogenannten Theta-Wellen kann auch eruiert werden, ob jemand gerade so relaxed ist, dass die Person gleich einschläft: Dann sind im Gehirn andere Frequenzen aktiv als sonst. Hohe Beta-Wellen hingegen zeigen auf, dass jemand sich konzentriert.

Das alles kann das Idun-Team mit den Kopfhörern auslesen – nur Gedanken lesen können Simon und Co. noch nicht. Mich lässt aber der Gedanke nicht los, dass sie auch das gerne können würden. Simon entwarnt: «EEG-Messungen können Einblicke in die Gehirnaktivität gewähren, von Gedanken lesen sind wir aber weit entfernt. Die Messungen zeigen hauptsächlich oberflächliche, sogenannte ‘kortikale’ Regionen und haben eine limitierte räumliche Auflösung.»

Die Ethik: ein wichtiges Thema

Gerade beim oben beschrieben Szenario und auch sonst sammelt Idun sehr heikle Daten. «Wir haben uns verpflichtet, bei ethischen Themen Pionierarbeit zu leisten», erklärt mir Simon. Das Unternehmen arbeitet mit mehreren Firmen zusammen, um Standards und Richtlinien für die Verwendung von Neurotechnologie im Massenmarkt zu definieren. Denn Neurotechnologie und AI könnten im Allgemeinen möglicherweise starke Auswirkungen in diesen Bereichen haben, so Simon.

Der Kopfhörer kann viele Informationen aus dem Gehirn auslesen.
Der Kopfhörer kann viele Informationen aus dem Gehirn auslesen.
Quelle: Christian Walker

Zusätzlich hat sich das Start Up ein Neuroethik-Advisory Board zusammengestellt, in dem – aus der Neuro-Szene – prominente Namen sitzen, wie Marcello Ienca, Professor für Ethik und künstliche Intelligenz der Technischen Universität München. Zusammen hat das Team eine Neuroethik-Charter entworfen. Simon erklärt mir weiter, dass je nach Anwendungsgebiet die Daten der Benutzerinnen und Benutzer lediglich lokal auf den jeweiligen Geräten gespeichert werden – und nur nach strengen Richtlinien weitergegeben und ausgewertet werden dürfen. Doch: die Auswertung ebensolcher Gehirnströme hat enormes Potential. Für die Industrie und auch für Anwenderinnen und Anwender – wenn man das denn will.

Simon will die Sensoren bald in so kleine In-Ears verbauen.
Simon will die Sensoren bald in so kleine In-Ears verbauen.
Quelle: Christian Walker

Ich verabschiede mich von Simon und trete hinaus in die Nachmittagssonne am Rande Zürichs. Kopfhörer, die Gehirnwellen messen – was es nicht alles gibt. Irgendwann möchte Simon die Sensoren in kleine True-Wireless-Kopfhörer verbauen können, die nicht mehr von jenen Modellen zu unterscheiden wären, die wir tagtäglich tragen. Ich finde das so spannend wie beängstigend. Spannend, weil es ein Fortschritt im Gesundheitswesen und neuen Anwendungsbereichen ist. Die zuvor umständlichen Messungen sind viel schneller und einfacher möglich. Beängstigend, weil wohl noch niemand genau weiss, was mit diesen Daten alles angestellt werden könnte.

Titelfoto: Christian Walker

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Experimentieren und Neues entdecken gehört zu meinen Leidenschaften. Manchmal läuft dabei etwas nicht wie es soll und im schlimmsten Fall geht etwas kaputt. Ansonsten bin ich seriensüchtig und kann deshalb nicht mehr auf Netflix verzichten. Im Sommer findet man mich aber draussen an der Sonne – am See oder an einem Musikfestival. 


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