Kritik
Filmkritik: Lasst es Oscars regnen! Denn «Ford v Ferrari» ist brillant
von Luca Fontana
Das letzte grosse Hurra der ikonischen Filmfigur? Während Harrison Ford als Indiana Jones immer noch unschlagbar gut ist, leidet der Rest des Films – und bricht am Ende komplett zusammen.
Eines vorweg: In diesem Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.
Abschlüsse sind schwierig. Sind sie immer. Schliesslich hinterlassen sie den letzten bleibenden Eindruck. Den Nachgeschmack auf der Zunge. Besonders bei Filmreihen. Soll man da auf Nummer sicher gehen und die gleiche altbekannte Formel der Vorgänger wiederholen? Oder doch den ultimativen Flop riskieren, aber dafür etwas Neues wagen?
James Mangold dürfte sich auf der Suche nach der Antwort den Kopf zermartert haben. Er hat nämlich nicht nur Steven Spielbergs Regieposten übernommen. Er hat auch das Drehbuch mitgeschrieben, und damit die Story. Tatsächlich ist Mangold für diese Art von Job gar keine so verwegene Wahl. Einerseits zeigte er bereits in Marvels «Logan», dass ihm alternde Helden liegen. Andererseits bewies er sein handwerkliches Können im Western-Drama «3:10 to Yuma» und im Rennfilm «Ford vs. Ferrari». Der perfekte Nachfolger für eine Regielegende wie Spielberg. Eigentlich.
Mangold leistet sich aber bloss ein Mittelding, weil sein Film die meiste Zeit nie so recht weiss, ob er sich hinter dem Schatten seiner Vorgänger verstecken oder aus ihnen heraustreten will. Bis er’s am Schluss dann doch tut – und floppt.
Nicht die Vergangenheit treibt die Menschheit im Jahr 1969 um. Sondern die Zukunft. Die vielen neuen Möglichkeiten. Der Mensch hat gerade erst den Mond betreten. Die Astronauten, die dort waren, werden wie Kriegshelden gefeiert. Was kommt da wohl als Nächstes? Der Mars? Das Sonnensystem? Das ganze Universum?
Indiana Jones (Harrison Ford) könnte es nicht weniger kümmern. Die Geschichte hat ihn längst überholt und wie ein zu Staub gewordener Knochenhaufen inmitten einer archäologischen Ausgrabung zurückgelassen. Vorbei die Zeiten, in denen er auf halsbrecherischen Abenteuern Nazis bekämpfte und wertvolle Stücke rettete – für Museen, wo sie hingehören. Stattdessen besäuft sich der kurz vor dem Ruhestand stehende Archäologieprofessor in seiner tristen New-Yorker-Wohnung und gibt Vorlesungen, die seine Studentinnen und Studenten fast zu Tode langweilen.
Bis eines Tages seine Patentochter Helena (Phoebe Waller-Bridge) auftaucht. Helena sucht nach etwas, das ihr leiblicher Vater einst Indy anvertraute: das Rad des Schicksals. Eine von Archimedes gebaute Apparatur, die dem grossen Mathematiker, Wissenschaftler und Erfinder bereits vor 2000 Jahren Risse in der Zeit vorausgesagt haben soll. Selbstredend, dass nicht nur Helena hinter dem Rad her ist, sondern auch böse Mächte, die den Lauf der Geschichte ändern wollen. Zeit für Indy, Hut, Peitsche und Lederjacke aus der Mottenkiste zu holen. Das Schicksal ruft. Ein letztes Mal.
Es sind die ersten zwanzig Minuten, in denen sich Mangolds «Indy» von seiner besten Seite zeigt. Ausgerechnet. Der Prolog gab im Vorfeld ja am meisten zu reden. Er beginnt im Frankreich des Jahres 1944, in einer von Nazis besetzten Burg, verschiebt sich aber rasch auf eine rasante Zugfahrt mitten durch englische Bombardements. Im Zentrum: Indiana Jones, gespielt von Ford, als ob er seit «The Last Crusade» um keinen Tag gealtert wäre. Digital de-aging heisst die Technologie, mit der Ford am Computer nachträglich verjüngt wurde. In der Vergangenheit hat sie in Filmen wie Netflix' «The Irishman» oder Disneys «Tron» eher für Kopfschütteln gesorgt. Zu künstlich die Gesichter. Zu offensichtlich die digitale Fälschung des gealterten Originals. Sowas riss schon oft aus dem Film.
Hier aber, im nunmehr fünften «Indiana Jones»-Abenteuer, sieht die digitale Verjüngung Fords überraschend gut aus. Mangold, handwerklich zweifellos einer der begnadetsten Regisseure Hollywoods, sorgt nämlich dafür, dass Fords Gesicht in den meisten Szenen nur vage beleuchtet und darum selten gut genug zu sehen ist, um den Trick zu durchschauen. Und Ford im Jahr 2023 nochmals als top fitten Indiana Jones sehen zu dürfen, ist den Eintrittspreis alleine schon fast Wert. Glaub mir.
Denn wenn Indiana Jones mit Nazis um religiöse Artefakte kämpft, könnte manch einer wirklich meinen, die Zeit sei zurückgedreht worden. Indy ist in diesen ersten 20 Minuten noch ganz der Alte: Schlagfertig, mit Faust und Mundwerk, scheut keine noch so irrwitzige Aktion und schaut immer noch entsetzt-beleidigt aus der Wäsche, wenn ein Nazi-Hühne den Schlag besser einsteckt als geplant. Dicht an seiner Seite: Schauspieler Toby Jones
als unerfahrener Abenteurer Basil Shaw, der wie einst Marcus Brody in «The Last Crusade» eher schlecht als recht hinter Indy hertrottelt. Dazu John Williams’ treibende Filmmusik, die nur vier Noten braucht, um ekstatische Glücksgefühle auszulösen. Ein Traum von einem «Indiana Jones»-Film.
Aber dann … dann ist das Beste auch schon vorbei.
Vielleicht ist es die Entmystifizierung eines Über-Charakters wie Indiana Jones, die mich mit jeder verstrichenen Minute mehr und mehr vom Film entfremdet hat. Indy, der als unkaputtbarer Held meine Kindheit wie kaum ein Zweiter prägte, beschwert sich jetzt in Boxershorts und Unterhemd über die laute Musik der Nachbarn. Aber es passt thematisch. Bereits 1989, in «The Last Crusade», dem dritten Teil der Reihe, wurde im Vorfeld gelästert, dass Harrison Ford zu alt für die Rolle sei. Das fand gar Einzug in den Film. Augenzwinkernd. «That belongs in a museum», sagt Indiana Jones zum Bösewicht. Sagt er in jedem Film zum Bösewicht. «So do you», antwortet dieser.
Heute, 34 Jahre später, ist Fords Indy tatsächlich reif fürs Museum. Das wissen wir Zuschauende. Das weiss er selbst. Und gerade dann, als er sich zum ersten Mal ernsthaft mit seiner eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen beginnt, wird er in ein letztes Abenteuer gezogen. Unfreiwillig. Und doch nicht gänzlich zu seinem Missfallen – auch wenn Indy im Film gegenüber John Rhys-Davies’ Sallah nichts von einem «Abenteuer» wissen will. Es steht ja nichts Geringeres als das Schicksal der Welt auf dem Spiel.
Zugegeben, wenn «Dial of Destiny» in seiner Action mal Fahrt aufnimmt, dann kommt das alte, wohlige «Indiana Jones»-Gefühl auf. Das liegt an Mangolds handwerklichem Talent. Der 59-jährige Amerikaner greift nie auf langweilige Einstellungen zurück. Hat seine Kamera auch während den absurdesten Actionszenen im Griff und sprudelt geradezu vor kreativen Ideen, die nicht in jedem x-beliebigen Actionfilm zu sehen sind. Dazu die stets einwandfreie Beleuchtung und Bildkomposition. Kein Zweifel: Mangold weiss, wie er seine Geschichten visuell ansprechend präsentiert. Wusste er immer schon. Das macht ihn zu einem meiner Lieblingsregisseure. Hast du «Ford vs. Ferrari» gesehen, weisst du sofort, was ich meine.
Was «Dial of Destiny» aber fehlt, ist das halsbrecherische Tempo, das unter Spielberg stets ein Markenzeichen seiner Indiana-Jones-Filme war. Dagegen ist Mangolds Vision mit seinen 2 Stunden und 34 Minuten nicht nur der längste «Indy»-Film der Reihe, sondern auch mindestens eine halbe Stunde zu lang. Vor allem, weil sich «Dial of Destiny» zwischen den Actionpassagen immer wieder lange Pausen nimmt, die mehr zur Trägheit des alternden Indiana Jones beitragen, als mir lieb ist.
Dabei ist Mangold bekannt dafür, den Spannungsbogen seiner Geschichten konsequent hochhalten zu können. Die Narrative so zu strukturieren, dass sie das Publikum bis ans Ende des Films fesselt. So gesehen im Drama «Walk the Line» oder im Thriller «Identity». Warum es dem Regisseur ausgerechnet hier, in seinem bislang prestigeträchtigsten Werk, nicht gelingen will, kann ich mir nicht erklären. Auch wenn Mangold nicht der bekannteste Regisseur Hollywoods ist: Ein Neuling ist er nicht.
Würde Mangold die Pausen wenigstens dazu nutzen, Indiana Jones’ Charakter Tiefe zu geben oder Facetten zu beleuchten, die uns Zuschauenden bis dahin verborgen blieben, wären die Pausen noch verzeihbar. Berechtigt, sogar. Stattdessen versucht Mangold, irgendeine nie richtig zünden wollende Chemie zwischen Fords Indy und Waller-Bridges Helena zu entfachen. Nicht im romantischen Sinne natürlich. Mehr ein Vater-Tochter-Ding, bei dem sich beide den ganzen Film lang zanken, obwohl sie sich ja doch irgendwie gern haben. Das funktionierte schon in den anderen Filmen gut. Man denke da nur an Marion Ravenwood. Willie Scott. Oder Dr. Elsa Schneider.
Hier aber… nehm ich’s dem Film nicht ab. Helena kommt mir zu keiner Sekunde sympathisch rüber. Nicht, weil sie keine hehren Motive hat und Schätzen nur hinterherjagt, um sie anschliessend an den Höchstbietenden zu verkaufen. Das finde ich sogar gut. Es gibt zumindest auf dem Papier einen guten Gegenpol zum Das-gehört-in-ein-Museum-Indy. Aber im Film will der Funke trotzdem nicht überspringen. Und Helenas Sidekick, ein Junge namens Teddy, eine schlechte Short-Round-Kopie aus «Temple of Doom», nervt einfach nur, weil er selbst ständig genervt ist. Er hätte genauso gut aus der Story gestrichen werden können. Zur Geschichte trägt er eh nichts bei. Ausser, mich zu nerven. Diese Nervensäge. Alle anderen Nebencharaktete werden beinahe wieder so schnell entsorgt wie eingeführt. Und vom total verbrauchten Boyd Holbrook als böser Scherge Klaber – Holdbrook spielte bereits in «Logan» unter Mangolds Regie – will ich gar nicht erst anfangen. Sonst rege ich mich nur unnötig auf.
Zum Glück gibt’s noch einen, der die Riege der Nebencharaktere aufwertet: Mads Mikkelsen. Er spielt Dr. Völler, einen Nazi, der das Rad des Schicksals will, um eine Weltordnung zu erschaffen, in der Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat. Mikkelsen spielt dabei so gut wie eh und je. Als ob man sich in den Casting-Abteilungen Hollywoods gesagt hätte:
«Wir brauchen einen Bösewicht, der eigentlich nichts anderes tut, als stoisch seine Texte aufzusagen, und der dabei trotzdem jede einzelne Sekunde in jeder einzelnen seiner Szenen beherrscht. Unmöglich, so einen zu finden, oder?» – «Wie wär’s mit Mads Mikkelsen?» – «Oh, stimmt, gebucht.»
Der Däne ist perfekt für diese Art von Rollen. Schon in der TV-Serie «Hannibal» liess er mir mit seinem zurückhaltenden Schauspiel, das gleichzeitig tief in die schwarze Seele seiner Rolle blicken liess, das Blut in den Adern gefrieren. Und im von der Kritik mehrheitlich verrissenen dritten «Fantastic Beasts»-Film wurde er als faschistischer Gellert Grindelwald stets als eine der wenigen positiven Noten genannt. Auch von mir.
Mikkelsen ist auch in «Indiana Jones and the Dial of Destiny» der perfekte Antagonist, an dem die Niederlage Nazi-Deutschlands auch 25 Jahre nach Ende des Kriegs noch nagt. «Nicht ihr habt den Krieg gewonnen», sagt er einmal zu einem Amerikaner, «sondern Hitler hat ihn verloren.» Ich könnte dem Mann beim Bösesein ewig zuschauen.
Dass «Indy 5» die meiste Zeit in seiner Mittelmässigkeit rumdümpelt, ist aber nicht das grösste Problem, das ich mit dem Film habe. Es ist der letzte Akt. Keine Sorge, ich werde nichts spoilern. Aber sei mir nicht böse, wenn meine Erklärungen an dieser Stelle genau deswegen etwas gar vage bleiben.
Die Sache ist die: Zwei Stunden lang versucht Mangold, die Spielberg’sche Indy-Formel zu erzwingen – mehr oder weniger erfolgreich. Inklusive gruseliger Krabbelviecher. Und Schlangen. Die sind obligatorisch. Sonst wäre es kein Indiana-Jones-Film. Aber dann kommt der letzte Akt, der plötzlich doch nicht der letzte ist, sondern der Start eines zusätzlichen letzten Aktes. Als ob das den Film nicht unnötig in die Länge ziehen würde. Und dann passieren da noch Dinge, die so gar nicht zu «Indiana Jones» passen. Dass die zuvor bemüht handgemachte Action plötzlich durch offensichtliche, weil schlecht gemachte Greenscreen-Arbeit verwässert wird, hilft nicht.
Erinnerst du dich noch ans Ende von «Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull»? Mit den Aliens aus einer anderen Dimension? Nun, wenn jenes Ende schon damals, 2008, das Publikum spaltete, dann wird dieses Ende erst recht für Polemik sorgen. Ich bin jedenfalls gespannt, wie die Reaktion des Publikums ausfallen wird. Mir hat’s gar nicht gefallen.
In «The Last Crusade» wäre Indiana Jones beinahe Dr. Elsa Schneiders Besessenheit nach dem Heiligen Gral und unsterblichem Ruhm gefolgt – und damit in den Tod. Es war sein Vater, Sean Connerys Henry Jones, der ihn ermahnte, «es sein zu lassen».
Das war 1989. Heute, fast 35 Jahre später, wünschte ich, man wäre bei Henry Jones’ Rat geblieben. 2008 wirkte «Kingdom of the Crystal Skull» wenigstens noch wie der Anhang eines guten Romans, den man lesen kann, aber bei dem man absolut nichts verpasst, wenn man’s nicht tut. «Dial of Destiny» hingegen kommt daher wie eine von Chat GPT verfasste Zusammenfassung der ursprünglichen Trilogie, bei der man noch etwas Fanfiction an den Schluss gehängt hat.
Klingt böse? Vielleicht. Aber wirklich gut – herausragend sogar – ist Mangolds Indy-Abenteuer nur in seinem Prolog. Dann nämlich, wenn Indy, einst der unbesiegbare Held meiner Kindheit, kein in Selbstmitleid siechender alter Mann ist. Vielleicht bin ich es ja, der noch nicht bereit für Indiana Jones’ letzten Ruf des Schicksals ist. Wer weiss, ob ich eines Tages nicht ganz anders über den Film urteilen werde?
Bis dahin – in meinem Kopf-Kanon zumindest – bleibt das Letzte, was ich vom Archäologieprofessor mit Fedora-Hut und Peitsche in Erinnerung behalten will, sein heroischer Ritt in den Sonnenuntergang. Der Film hiess damals schon aus gutem Grund «Indiana Jones und der letzte Kreuzzug».
«Indiana Jones and the Dial of Destiny» läuft ab dem 29. Juni 2023 im Kino. Laufzeit: 154 Minuten. Freigegeben ab 12 Jahren.
Titelfoto: Disney / LucasfilmAbenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»