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Meinung

Kaum jemand spielt Games fertig – wieso sind sie dann so lang?

Ich habe untersucht, wie oft Games tatsächlich durchgespielt werden. Die Erkenntnisse aus meiner Analyse schockieren mich.

Wenn ich mich nostalgisch fühle, scrolle ich manchmal durch meine Spielbibliothek auf der PS5 und schwelge in Erinnerungen. Dabei schaue ich mir auch meine freigeschalteten Trophäen an. Beim letzten Ausflug in die Vergangenheit fällt mir etwas Schockierendes bei einem meiner meistgespielten Games auf:

Die Trophäe für das Beenden von «Red Dead Redemption 2» haben nur 25,1 Prozent aller Spieler freigeschaltet, die das Game besitzen.

Das macht mich neugierig. Ich scrolle weiter durch die Liste meiner am längsten gespielten Titel und schaue mir die Prozentzahlen der Trophäen genauer an. Jede neue Entdeckung erstaunt mich noch mehr als die vorherige.

«Horizon Forbidden West» haben nur 29,7 Prozent durchgespielt. Das Ende von «Fallout 4» haben nur 20,1 Prozent gesehen. Und die End-Trophäe für «GTA V» haben gerade mal 16,8 Prozent erhalten.

Der Stein des Anstosses für meine Analyse: Die Trophäe «Endless Summer» in «Red Dead Redemption 2».
Der Stein des Anstosses für meine Analyse: Die Trophäe «Endless Summer» in «Red Dead Redemption 2».
Quelle: Domagoj Belancic

Das kann doch nicht wahr sein – spielt wirklich kaum jemand Games komplett durch? Ich will es genau wissen und begebe mich in einer Untersuchung auf eine spannende Reise voller Statistiken, Achievements und Trophäen. Dabei interessieren mich vor allem zwei Punkte:

  • Abgesehen von den oben aufgeführten Beispielen: Wie hoch ist die Abschlussquote bei Games im Allgemeinen?
  • Weil meine Beispiele alle ziemlich grosse Games sind: Werden kürzere Games öfter als längere Games durchgespielt?
«Red Dead Redemption 2» ist ein Meisterwerk, das nur wenige in seiner Ganzheit erlebt haben.
«Red Dead Redemption 2» ist ein Meisterwerk, das nur wenige in seiner Ganzheit erlebt haben.
Quelle: Rockstar Games

Das habe ich untersucht

Um mir einen Überblick zu verschaffen, will ich Games untersuchen, die eine gewisse Relevanz und Reichweite haben.

Ich entscheide mich, die 100 bestbewerteten Titel der vergangenen zwei Jahre (2024 und 2023) hinsichtlich ihrer Abschlussquote zu untersuchen. Switch-exklusive Spiele berücksichtige ich nicht, weil sie keine Trophäen, beziehungsweise Achievements bieten.

Bei den Bewertungen stütze ich mich auf die Review-Aggregator-Seite opencritic.com. In meine Liste kommen nur Full Releases – kein DLC, keine Re-Releases auf neuen Plattformen, keine Bundles mit mehreren Games. Auch Sport-, Multiplayer- und Live-Service-Games kommen nicht in die Auswahl, da sie kein «Ende» haben.

Für die durchschnittliche Spieldauer verwende ich Daten von howlongtobeat.com. Auf der Seite können User ihre Spielzeiten für einzelne Games eintragen. Für die Auswertung schaue ich, wie lange die Spielerschaft jeweils für das Beenden der «Main Story» braucht – also: ohne Sidequests und sonstigen Schnickschnack. Um die Validität der Daten zu gewährleisten, nehme ich nur Games mit 100 oder mehr User-Einträgen in die Auswertung auf.

Um herauszufinden, wie viele Spieler ein Game durchgezockt haben, greife ich auf Daten von SteamDB und PSNProfiles zurück. Dort sehe ich, welcher Prozentsatz der Spielerschaft eines Games bestimmte Trophäen erspielt hat. Weil die meisten Games auf der Liste auf PC verfügbar sind, verwende ich primär Steam-Achievements. Ist das Game nicht auf Steam verfügbar oder zuerst auf Playstation erschienen, weiche ich auf Playstation-Trophäen aus. Spiele ohne eindeutige Auszeichnung für das Beenden der Story entferne ich von der Liste.

Das Ergebnis: Erschreckend wenige spielen ihre Games zu Ende

In der folgenden Tabelle siehst du alle Games, die ich untersucht habe. Du kannst die Games nach durchschnittlicher Spieldauer, Abschlussquote und Bewertung sortieren. Du kannst auch nach einem Game suchen, um zu überprüfen, ob es in der Liste ist.

Meine eigenen Erfahrungen aus der Trophäenliste bestätigen sich: Games werden nur sehr selten beendet.

Im Durchschnitt spielen gerade mal 38,8 Prozent der Käufer ihre Games fertig – dies bei einer durchschnittlichen Länge von 17,9 Stunden pro Spiel.

Als Nächstes untersuche ich, ob es einen Zusammenhang zwischen der Länge von Spielen und der Abschlussquote gibt. Die Vermutung liegt nahe, dass kürzere Games öfter durchgespielt werden als lange Games.

Nachfolgend siehst du alle 100 untersuchten Games in einem Streudiagramm. Auf der Y-Achse ist die Abschlussquote in Prozent vermerkt. Auf der X-Achse ist die Spieldauer abgebildet. Die graue Linie zeigt den Trend der abgebildeten Daten. Wenn du auf die Punkte klickst, siehst du, welcher Titel hinter einem Punkt steckt (für Mobile-User: am besten reinzoomen und klicken).

Es besteht eine schwache negative Korrelation (r = -0,24) zwischen der Länge eines Spiels und der Abschlussquote. Mit anderen Worten: je kürzer ein Game ist, desto öfter wird es durchgespielt.

So erreicht beispielsweise das Pyscho-Horror-Drama «Mouthwhashing» eine starke Abschlussquote von 79 Prozent bei einer Spielzeit von 2,5 Stunden. Das Monster-RPG «Baldur's Gate III» wird mit seinen 70,5 Stunden hingegen nur von 22,9 Prozent der Spielerschaft beendet.

«Baldur's Gate III» haben nur wenige durchgespielt.
«Baldur's Gate III» haben nur wenige durchgespielt.
Quelle: Larian Studios

Die Korrelation zwischen Länge und Abschlussquote ist aber nur als schwach einzuordnen. Dementsprechend gibt es viele Titel, die gegen die These «kürzer = höhere Abschlussquote» sprechen. Durch die kompakte Singleplayer-Kampagne von «Call of Duty: Black Ops 6» ballern sich gerade mal 8,5 Prozent der Spielerschaft. Ein Spiel wie «Like a Dragon: Infinite Wealth» kommt trotz 57,5 Stunden Spieldauer auf respektable 50,6 Prozent.

«Like a Dragon: Infinite Wealth» fesselt die meisten Spieler bis zum Ende.
«Like a Dragon: Infinite Wealth» fesselt die meisten Spieler bis zum Ende.
Quelle: RGG Studio

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Abschlussquote bei den untersuchten Games im Schnitt tief ist. Die Länge eines Games wirkt sich tendenziell negativ auf die Abschlussquote aus. Die eher tiefe Korrelation lässt vermuten, dass andere Faktoren ebenfalls einen Einfluss auf die Abschlussquote haben.

Wieso werden Games nur selten durchgespielt?

Auch wenn mich meine Erkenntnisse zunächst schockieren, verstehe ich die tendenziell tiefen Abschlussquoten bis zu einem gewissen Grad. Zeit ist ein wertvolles Gut, das mit zunehmendem Alter immer rarer wird. Und es ist ein Fakt, dass der durchschnittliche Gamer immer älter wird – auch in der Schweiz.

Gemäss einer Studie des LINK-Instituts und der Gaming-Agentur MYI liegt das Durchschnittsalter der Schweizer Gamer bei 39,1 Jahren. Im Schnitt verbringen helvetische Zocker sechs Stunden pro Woche mit ihrem Hobby.

Das wöchentliche Zeitbudget fürs Gamen mag sich zunächst nach viel anhören – setzt man diese Zahl in Relation zu den Spielzeiten der ausgewerteten Spiele, ergibt sich ein anderes Bild. So muss ein Durchschnitts-Gamer rund drei Monate einplanen, um die Story von «Baldur's Gate III» zu beenden. Um wirklich alles vom Game zu sehen, braucht er oder sie rund sieben Monate (!) Zeit.

In diesen sieben Monaten kann viel passieren. Vergangenes Jahr wurden alleine auf Steam fast 19.000 (!) neue Games veröffentlicht – zum Vergleich: vor zehn Jahren waren es noch 2.800 Spiele. Wie soll man bei dieser Flut an Titeln und der begrenzten Zeit zum Zocken konzentriert bleiben? Zudem stehen Games auch in ständiger Konkurrenz zu Serien, Filmen und anderen Entertainment-Produkten, die ständig um unsere Aufmerksamkeit und Zeit buhlen.

Auch ich – als jemand, der Games beruflich spielt – habe viele Titel auf meiner «Pile of Shame», die ich nie beendet habe, weil ich durch etwas Neues abgelenkt wurde.

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    von Domagoj Belancic

Ein grosses «Problem» stellen auch die vielen «Forever-Games» dar. Ältere Live-Service-Titel, die immer wieder mit neuen Inhalten befeuert werden. Mithilfe von Season Passes und ähnlichen FOMO-Mechaniken wird die Spielerschaft über eine lange Zeit an die Titel gebunden. Eine Studie aus dem Jahr 2023 von Newzoo belegt, dass die meisten Spieler – unabhängig von der Plattform – ihre Zock-Zeit vor allem in ältere Forever-Games investieren. Namentlich: «Grand Theft Auto Online», «Counter-Strike», «Fortnite», «Minecraft» und «Call of Duty».

Neue Singleplayer-Spiele machen gemäss Studie nur rund 8 Prozent der gesamten Spielzeit aus. Logisch – wer sein wöchentliches Game-Zeitbudget primär in ewige Multiplayer-Titel investiert, hat nebenbei nur wenig Zeit für das Komplettieren neuer Games.

«GTA Online» ist ein Dauerbrenner.
«GTA Online» ist ein Dauerbrenner.
Quelle: Rockstar Games

Wieso sind Games dann überhaupt so lang?

Was ich hingegen nicht nachvollziehen kann, ist die Perspektive der Publisher und Entwicklerstudios. Die Daten zur Abschlussquote von Games sind öffentlich zugänglich. Vor dem Hintergrund explodierender AAA-Entwicklungskosten erscheint es deplatziert, Abermillionen von Dollar für die Produktion von Inhalten auszugeben, die viele Spieler ohnehin nicht sehen werden.

Wieso also werden immer mehr Games gigantisch? Was bringt es zum Beispiel Ubisoft, wenn ein Monster-Spiel wie «Assassin's Creed: Valhalla» unglaublich viel Content bietet (61 Stunden Spielzeit), aber nur von 4,4 Prozent (!) durchgezockt wird?

Ich vermute, dass wir, die Spielerschaft, primär schuld daran sind. Viele Gamer setzen die Länge eines Titels mit der Qualität und dem Wert des Produktes gleich. Schaue ich mir die Steam-Reviews zu kürzeren Spielen an, entdecke ich immer wieder Kommentare wie diesen zu «Senua's Saga: Hellblade II»: «7,1 Stunden und fertig [...]. Das Game ist sehr kurz für 50 Dollar. Warte auf einen Sale».

Steam Review zu «Senua's Saga: Hellblade II»
Steam Review zu «Senua's Saga: Hellblade II»
Quelle: Steam

Das Ergebnis dieses Mindsets ist ein Anstieg an AAA-Spielen, die mit unnötigem Content künstlich gestreckt werden, damit das gefühlte Preis-Leistungsverhältnis stimmt. Auch Singleplayer-Titel werden mit zeitfressenden Inhalten, Seasons und Microtransactions zu endlosen Lifestyle-Games.

Darunter leiden auch kürzere Games, die sich gegen immer mehr Zeitfresser behaupten müssen. Ob überhaupt jemand Zeit hat, all diese Games durchzuspielen, scheint niemanden zu interessieren.

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Titelbild: Larian Studios

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