Lucky Luke 102: Letzte Runde für die Daltons
Deutsch, Klaus Jöken, Jul, Achdé, 2024
In «Letzte Runde für die Daltons» begibt sich Lucky Luke auf ungewohntes Terrain. Der sonst so treffsichere Cowboy muss in diesem Abenteuer einen Bierstreik schlichten. Ob ihm das gelingt, was sonst noch so auf ihn wartet und wie mir die Comicausgabe gefällt, erfährst du in diesem Review.
Stell dir vor, du bist ein Kind der 80er oder 90er. Die Tage, an denen du dich mit einer Tasse Kakao und einem neuen Lucky-Luke-Comic in dein Zimmer verkrochen hast, um in die Welt des Wilden Westens einzutauchen, sind unvergessen. Und jetzt, Jahre später, hältst du wieder einen Band der legendären Comicreihe in den Händen.
«Letzte Runde für die Daltons» heißt das aktuelle und 102. Abenteuer der Lucky-Luke-Reihe des Ehapa Verlags. Als langjähriger Fan, der erst kürzlich die letzten zehn bis 15 Episoden nachgeholt hat, war ich gespannt, ob der Zauber der alten Geschichten auch in den neueren Ausgaben noch wirkt. Und ich muss sagen: Die meisten haben mich positiv überrascht. Die Frage ist nun: Kann mich auch die neueste Ausgabe begeistern oder enttäuscht sie mich?
Achtung: Dieses Review enthält Spoiler.
In die «Letzte Runde für die Daltons» entführt mich das Duo aus Zeichner Achdé und Szenerist Jul in eine ungewöhnliche Kulisse: Der Wilde Westen leidet unter einem Biermangel! In der Wild-West-Stadt Neumünchen trifft Lucky Luke auf die hiesigen Einwohner, die ihm ihr Leid klagen. Der Biermangel sorge dafür, dass die Stimmung nicht mehr so sei wie früher und das der Stadt aus ihrer Sicht schade. Er soll nach Milwaukee reisen und als Schlichter im Bierstreik agieren. Dabei trifft er nicht nur auf neue, interessante Charaktere, wie den mächtigen Bierbaron Frederick Martz, sondern auch auf altbekannte Personen wie die Daltons.
Lucky Luke muss sich also in der neuesten Episode mit einem Streik der Bierbrauer und der modernen Welt des industriellen Amerikas auseinandersetzen. Ich lerne dabei die Welt der deutschen Einwanderer näher kennen, die einen Teil der US-amerikanischen Kultur maßgeblich geprägt haben. Insbesondere dieser «deutsche» Aspekt wird an mehreren Stellen im Heft humorvoll in Szene gesetzt.
Das große Oberthema des 102. Abenteuers von Lucky Luke ist der Bierstreik. Dieser ist zweifellos eine Allegorie für den Klassenkampf, wie er in der marxistischen Theorie beschrieben wird. Die Arbeiter, hier die Bierbrauer, stehen den Besitzern und dem Management gegenüber. Die Autoren nutzen diesen Konflikt, um grundlegende Fragen nach Gerechtigkeit, Ausbeutung und dem Kampf um bessere Arbeitsbedingungen aufzuwerfen.
Davon ausgehend radikalisieren sich manche Streikenden aufgrund ihrer anhaltenden Unzufriedenheit und aussichtslosen Lage. Die Radikalisierung einiger Streikführer ist ein klassisches Element solcher Konflikte. Die Autoren zeigen, wie leicht extreme Ideen in solchen Situationen Fuß fassen können, wenn die legitimen Forderungen der Arbeiter nicht ernst genommen werden.
Das zweite große Thema der Geschichte ist die der deutschen Einwanderer. Sie begann bereits Ende des 17. Jahrhunderts. Das damalige «Deutschland» litt an den Nachwirkungen des Dreißigjährigen Krieges. Viele Bauern lebten in Armut, unter anderem auch bedingt durch Landmangel und Missernten. So brachen diese Menschen damals auf, um ihr Glück in einem neuen Land zu suchen, das ihnen Freiheit und Wohlstand versprach: Amerika.
Die größte Einwanderungswelle begann dann allerdings erst ab 1816 und hielt ungefähr bis zum Ersten Weltkrieg an. Ab 1816 setzte diese aufgrund von Hungersnöten und wirtschaftlicher Not in Deutschland ein. Den Höhepunkt erreichte die deutsche Einwanderung 1882 mit etwa 250 000 Immigranten in einem Jahr. Insgesamt wanderten in diesem Zeitraum über 6 Millionen Deutsche in die USA ein.
Dies sorgte selbstverständlich für einen großen Einfluss der Deutschen auf die amerikanische Kultur. Im Comic selbst werden unter anderem die Ampel, das Bier, der Hamburger und Heinz Ketchup thematisiert. Deutsch war übrigens im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch eine der am häufigsten gesprochenen Sprachen in den USA. Im Comic wird die Mühlenberg-Legende besprochen. Sie besagt, dass Deutsch beinahe zur offiziellen Landessprache der USA geworden wäre.
Dies stimmt nicht so ganz: Am 9. Januar 1794 richteten deutsche Einwanderer aus Virginia eine Petition an das Repräsentantenhaus. Darin forderten sie, eine Sammlung von Gesetzen und Verordnungen in die deutsche Sprache zu übersetzen. Dies sollte es Deutschen ohne Englischkenntnisse erleichtern, die Gesetze ihrer neuen Heimat zu verstehen.
Ein Ausschuss des Repräsentantenhauses unterstützte diesen Antrag zunächst. Letztlich wurde der Antrag allerdings mit 42 zu 41 Stimmen abgelehnt. Der bilinguale deutsche Einwanderer Frederick Mühlenberg verweigerte die Unterstützung. Er nahm an der Abstimmung nicht teil. Seine Begründung: «Je schneller die Deutschen Amerikaner werden, desto besser».
Die Darstellung von Lucky Luke wird in meinen Augen moderner. Er ist nicht mehr nur der klare, schillernde und unverwundbare Held, sondern bekommt weitere Facetten. Seine Verletzlichkeit macht ihn menschlicher. So hat er zu Beginn des Comics mit Rückenschmerzen zu kämpfen, die ihn erst nach Neumünchen führen. Es gibt Momente, in denen selbst ein Lucky Luke mit sich und seinen Entscheidungen hadert.
Bei den Nebencharakteren stechen neben den Daltons vor allem der Bierbaron Frederick Martz, der Gewerkschaftsvorsitzende Günther Wolf und der Apache Doppelköpfiger Adler hervor.
Der Mescalero-Apache wird als alter Freund von Lucky Luke vorgestellt. Ich kann mich allerdings nicht an einen früheren Auftritt der Figur erinnern. Er lebt mit seiner deutschen Frau Gerda Zalgmüller in Milwaukee. Doppelköpfiger Adler hat in der Stadt erst im Hochhausbau und anschließend in einer Brauerei gearbeitet. Seine Figur dient vor allem dazu, die Kultur der deutschen Einwanderer und ihren Einfluss zu erklären und darzustellen. Gleichzeitig bringt sie Luke in Kontakt mit den Streikenden und zeigt ihm die Stadt.
Bei den Streikenden trifft der lonesome Cowboy unter anderem auf einen der Streikführer, Günther Wolf. In meinen Augen die interessanteste Figur der gesamten Story. Und dazu eine Figur, die eine Entwicklung durchmacht. Einen kleinen Kritikpunkt habe ich hier direkt. Diese Entwicklung findet für mich zu schnell statt. Sie passiert eigentlich sogar nur in einer Szene, aber dazu später mehr.
Dessen Gegenspieler beim Streik ist der Bierbaron Frederick Martz. Diese Figur basiert auf dem 1904 verstorbenen deutsch-amerikanischen Unternehmer und Präsidenten der Pabst Brewing Company, Frederick Pabst. Martz wird als selbstbewusster, sturer Kapitalist im Comic charakterisiert.
Die vier Dalton-Brüder treten erst spät so richtig in das Geschehen des Konflikts ein. Als Strafgefangene werden sie auf Bitte von Martz vom Gouverneur von Wisconsin in die Bierbrauereien gerufen, um dort zu arbeiten. Sie fungieren dementsprechend als Streikbrecher. Gleichzeitig werden die Daltons in diesem Kontext zu Symbolfiguren der Revolution. Sie nutzen die Unruhen, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen und das Chaos zu verstärken. Ihre Präsenz unterstreicht die Gefahr von Gewalt und Destruktivität, die in solchen Konflikten lauert.
«Letzte Runde für die Daltons» ist das fünfte gemeinsame Abenteuer von Zeichner Achdé (Hervé Darmenton) und Texter Jul (Julien Berjeaut). Achdé ist seit dem Tod des Lucky-Luke-Schöpfers Morris im Jahr 2001 der Zeichner der Reihe. Seit 2016 arbeitet er gemeinsam mit Jul an neuen Ausgaben.
Achdés Zeichenstil ist gewohnt detailliert und verleiht den Figuren und Landschaften Lebendigkeit. Da mir der klassische Zeichenstil der Lucky-Luke-Comics sehr gut gefällt, fühle ich mich diesbezüglich auch direkt wohl. Diese Ausgabe bietet durch das ungewohnte Setting der industriellen Stadt Milwaukee allerdings noch viel mehr. Eine der eindrucksvollsten Szenen des Comics spielt in der städtischen Oper. Diese Szene ist mit so vielen Details geschmückt. Sie ist ein früher Höhepunkt innerhalb der Geschichte und bietet gleichzeitig eine dramatische Wendung in der Handlung.
Interessant ist auch das Erzähltempo, das durch die schnelleren Schnitte, Bildfelder und Ebenen dynamischer wirkt. Diese Szenenbilder unterstützen die lebhafte Handlung, die ebenfalls zielstrebig präsentiert wird und voranschreitet. Die Geschichte wird zu keinem Zeitpunkt langweilig. Ich hatte den Comic beim ersten Lesen in einem Zug durchgelesen und wollte ihn zuvor auch nicht aus der Hand legen. Es fesselte mich regelrecht. Das Heft hat übrigens 48 Seiten.
Auch der Humor ist typisch Lucky Luke: trocken, mit Wortwitz und vielen Anspielungen, nicht nur auf das Western-Genre, sondern diesmal vor allem auf die Einflüsse der deutschen Einwanderer. Dabei scheuen die beiden Autoren auch nicht vor gesellschaftskritischen Themen zurück: Insbesondere das Hauptthema der Ausgabe, der Klassenkampf beziehungsweise das Streikthema, ist höchst aktuell. So verbirgt sich hinter der humorvollen Fassade eine kleine Kritik an kapitalistischen Strukturen und der Ausbeutung von Arbeitern.
Es dürfen allerdings auch Witze, wie der über einen Sheriff Benz, nicht fehlen: Er trägt einen dreizackigen Stern, ist schnell auf 180, auch sonst ganz zuverlässig. Nur schluckt er leider zu viel Sprit. Ebenso ist der augenzwinkernde Hinweis zu Frederick Trump zu verstehen, der als deutscher Einwanderer sein Geld machte. Im Comic betreibt er ein zwielichtiges Etablissement, in dem junge Frauen ausgebeutet werden. Dessen Enkel Donald hat bestimmt einiges von seinem Großvater gelernt.
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