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Melatonin-Gummibärchen für Kinder: Wundermittel oder gefährlicher Hype?
Schauspielerin Kristen Bell gibt ihren Töchtern Melatonin-Gummibärchen, damit sie schneller einschlafen. Und auf Tiktok filmen «Melatonin-Moms» ihre ausgeknockten Kids. Endlich eine Lösung für meine miserable Schläferin zu Hause? Eine Expertin ordnet den fragwürdigen Trend für mich ein.
Wie viele Stunden ihres Lebens verbringen Eltern eigentlich damit, ihre Kinder zum Schlafen zu bringen? Ich stellte mir diese Frage kürzlich, als ich wieder mal ungeduldig und allmählich frustriert darauf wartete, bis sich meine Tochter neben mir im Bett endlich ins Schlummerland verabschiedet. Wohlwissend, dass ich danach noch lange keinen Feierabend habe, weil in Küche und Wohnzimmer noch ein Chaos auf mich wartete. In meinem Fall müssen es schon hunderte Stunden gewesen sein, so genau will ich es gar nicht wissen. Was ich jedoch mit Sicherheit weiss: Es geht vielen Eltern wie mir, und nicht nur ich habe insgeheim schon nach einem Zaubermittel geschrien.
Nun, es gibt so ein vermeintliches Wundermittelchen längst. Und plötzlich ist es hierzulande in aller Munde, zumindest im übertragenen Sinne. Hollywood-Schauspielerin Kristen Bell machte vor einigen Tagen in einem Interview publik, dass sie ihren Töchtern Melatonin-Gummibärchen verabreicht, damit sie besser einschlafen. «Es knockt sie schneller aus, das ist grossartig», schwärmte die 42-Jährige im Gespräch mit «E! News» und katapultierte das Präparat damit in den Fokus der Weltpresse, deutschsprachige Medien inklusive.
![Kristen Bell verabreicht ihren Kindern eine «grossartige» Einschlafhilfe, wie sie in einem Interview verriet.](/im/Files/6/6/3/8/6/7/3/0/shutterstock_1678462351.jpg?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Shutterstock
Verboten, aber problemlos kaufbar
Dabei sind die Einschlafhilfen für Kinder in den USA schon länger beliebt. Auf Tiktok posten so genannte «Melatonin-Mums», wie sie ihrem Nachwuchs die Gummibärchen unterjubeln und sie so innert kurzer Zeit ausknocken. In der Schweiz dagegen sind Melatonin-Präparate rezeptpflichtig. Nur eines von drei wird überhaupt bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt, etwa bei Schlafstörungen im Zusammenhang mit Autismus. Im Netz sind die Gummibärchen allerdings problemlos bestellbar, wie eine kurze Recherche offenbart. Und auch gleich nach der Schweizer Grenze, in Deutschland, sind sie in Drogerien frei käuflich.
«Eltern stossen beim Googeln sofort auf die Präparate, die eine einfache und schnelle Lösung versprechen», schildert mir Eva Monteneri, diplomierte Pflegefachfrau, Schlafberaterin und Gründerin einer Praxis für Familienbegleitung. «Und weil es sie in Deutschland und den USA legal gibt, denken viele, dass sie ja nicht so schlimm sein können.» Ein Trugschluss, wie die Expertin sagt.
Melatonin ist ein Hormon, das der Körper eigentlich selbst herstellt und den Tag-Nacht-Rhythmus steuert. Wie viel ausgeschüttet wird, wird über das Auge geregelt: Bei Tageslicht auf der Netzhaut wird die Bildung gehemmt, bei Dunkelheit angeregt. Je älter wir sind, desto geringer ist die körpereigene Produktion – daher auch die so genannte «senile Bettflucht». «Welche Langzeitwirkungen die zusätzliche Verabreichung auf einen Kinderkörper haben, wissen wir aber schlicht zu wenig», sagt Monteneri.
![Pflegefachfrau und Schlafberaterin Eva Monteneri warnt vor der Verabreichung von Schlaf-Gummibärchen.](/im/Files/6/6/4/2/0/1/5/5/Stelline%20Eva%20Monteneri.jpg?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: ZVG
Zumal die optimale Dosierung unklar sei. «Die Rede ist von einer Menge zwischen 0,3 und 5 Milligramm, das ist eine relativ grosse Spannbreite.» Zu bereits bekannten Nebenwirkungen im Falle einer zu hohen Dosierung gehören etwa Müdigkeit am Tag, Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten und depressive Stimmung. Auch, ob die Gummibärchen süchtig machen, ist nicht klar. Man vermute zwar, dass es von Melatonin weder Abhängigkeit noch Entzugssymptome gebe wie bei anderen Schlafmitteln, so Monteneri, «aber man weiss es nicht sicher».
Dämmerlicht für die natürliche Melatoninproduktion
Für mich genug Gründe, um auf jegliche Gummibärchen, Säftchen und Sprays zu verzichten. Selbst wenn die Melatoninmenge in den Kinder-Präparaten grundsätzlich gering ist. «Gibt es gesunde Alternativen?», will ich als Mutter einer miserablen Schläferin aber von der Expertin noch wissen. Und bekomme eine gleichwohl ernüchternde wie plausible Antwort. «Geduld», sagt Schlafberaterin Monteneri. «Einschlafhilfe dauert Jahre, das ist vielen Eltern nicht bewusst. Und die allabendliche Schlafbegleitung braucht Zeit, kein Kind ist in fünf Minuten ins Bett gebracht.»
Zweitens: Schauen, was wirklich dahintersteckt, bevor etwas umgestellt wird. Warum hat das Kind Mühe? Entspricht die Schlafzeit auch wirklich dem Schlafbedarf? Oft sei das Kind noch gar nicht müde und nicht bereit für den Schlaf.
Drittens doch noch Melatonin – aber auf natürliche Art und Weise: Ein Abendritual im Dämmerlicht regt die Hormonausschüttung an und hilft dem Kind, zu entspannen. Aber auch hier ist Geduld gefragt: «Die Dämmerung braucht’s mindestens 30 Minuten vor dem Einschlafen.»
Auftaktbild: Unsplash/Annie SprattAnna- und Elsa-Mami, Apéro-Expertin, Gruppenfitness-Enthusiastin, Möchtegern-Ballerina und Gossip-Liebhaberin. Oft Hochleistungs-Multitaskerin und Alleshaben-Wollerin, manchmal Schoggi-Chefin und Sofa-Heldin.