Hintergrund
«Wir produzieren keinen Bullshit»
von Patrick Bardelli
Der Shake danach: Die einen schwören darauf, für die anderen gehört er in die Kategorie der Fake-News. Was ist dran, am Post-Workout-Protein?
Auch die Nahrungsmittelindustrie hat das Eiweiss entdeckt, substituiert Kohlenhydrate mit Protein und schlachtet dies auf den Verpackungen entsprechend aus. Egal, ob Hüttenkäse oder Berner Rösti: Protein ist trendy. Doch die Wirkung dieses Makronährstoffes wird in Bezug auf seine Bedeutung für das Muskelwachstum auch immer wieder infrage gestellt. Also alles Bullshit oder doch nicht?
Die Skelettmuskulatur ist aufgrund ihrer enormen Plastizität eines der faszinierendsten Gewebe des menschlichen Körpers. Sie macht bis zu 40 Prozent der Körpermasse aus und passt sich an unterschiedliche Reize wie kontraktile Aktivität, Energieversorgung, Umweltfaktoren und Belastungsbedingungen an. Weiter trägt sie zu mechanischen und metabolischen Funktionen bei.
Mechanisch gesehen besteht ihre Hauptfunktion darin, chemische in mechanische Energie umzuwandeln, die zur Krafterzeugung genutzt werden kann. Somit ermöglicht uns die Skelettmuskulatur die Fortbewegung und Interaktion mit unserer Umwelt. In metabolischer Hinsicht dient die Skelettmuskulatur als Speicher für Substrate wie Aminosäuren, Kohlenhydrate, Fettsäuren, Mineralien und anorganische Salze. Diese sind essenziell zur Aufrechterhaltung des Energiestoffwechsels sowie der Versorgung der Muskelfasern bei körperlicher Aktivität und oder Bewegung. Da die Muskulatur metabolische und mechanische Funktionen wahrnimmt, trägt sie wesentlich zu unserem Überleben bei.
Das Spektrum der Antworten auf diese Frage von Studenten oder Kraftsportlerinnen ist beeindruckend. Du kannst das testen und deine Trainingspartner:innen darauf ansprechen. Die wenigsten werden wissen, woraus das Organ, welches sie eigentlich trainieren, besteht.
Strukturell gesehen besteht die Skelettmuskulatur aus Muskelfasern, welche wiederum aus Myofibrillen bestehen. Myofibrillen weisen hoch organisierte, sich wiederholende und regelmässige Anordnungen kontraktiler, also sich zusammenziehender Module auf – die Sarkomere. Das Sarkomer ist die grundlegende kontraktile Einheit der Skelettmuskulatur. Die Sarkomere selbst bestehen wiederum aus Aktin- und Myosinfilamenten. Dabei handelt es sich um molekulare Motorproteine, welche Kraft erzeugen können. Es sind also die aus Proteinen bestehenden Sarkomere, die Kraft produzieren.
Auf molekularer Ebene macht der grösste Anteil der Skelettmuskulatur Wasser (75 Prozent) aus. Die restlichen 25 Prozent sind Proteine (20 Prozent) und rund 5 Prozent anorganische Salze, Mineralien, Fett und Kohlenhydrate. Wir sehen, dass Proteine, abgesehen vom Wasseranteil gegenüber anorganischen Salzen, Fett und Kohlenhydraten, ungefähr 80 Prozent der Muskulatur ausmachen.
Die Skelettmuskelmasse wird durch einen kontinuierlichen Umbauprozess reguliert, welcher aus dem Auf- und Abbau von Proteinen besteht. Durch die Aufnahme von Proteinen über die Nahrung hält sich die Muskelmasse bis ins mittlere Alter relativ konstant, wobei sie zwischen der vierten bis fünften Lebensdekade beginnt, abzunehmen.
Untersuchungen zeigten, dass ein einzelnes Krafttraining mit entweder konzentrischer oder exzentrischer Beinstreckung den Auf- und Abbau von Muskelproteinen bei acht untrainierten Teilnehmer:innen (vier Männer, vier Frauen) erhöhte [1]. Dies bei acht Sätzen und jeweils acht Wiederholungen bei 80 Prozent des 1-Repetitionsmaximums. Im Vergleich zur Rückkehr der Abbaurate auf die in Ruhe gemessenen Ausgangswerte war der Proteinaufbau noch 48 Stunden nach dem Training verglichen mit dem Ausgangswert (P < 0,01) signifikant erhöht. Darüber hinaus war die Erhöhung des Proteinaufbaus grösser als diejenige des Abbaus, was insgesamt zu einer positiven Nettobilanz führte. Daher hat Krafttraining eine starke stimulierende Wirkung auf den Aufbau und Abbau von Proteinen, während Erhöhung und Dauer für den Proteinaufbau grösser sind. Krafttraining sensitiviert daher die Muskulatur gegenüber dem Nahrungsprotein.
Deshalb optimieren Krafttraining und eine angemessene (d. h. 1,6 – 2,2 g/kg Körpermasse/Tag [2–4]) Proteinzufuhr die Hypertrophie, indem sie die Stimulation von Aufbau gegenüber Abbau fördern, was zu einer positiven Nettoproteinbilanz führt [5,6]. No Bullshit!
Molekular- und Muskelbiologe. Forscher an der ETH Zürich. Kraftsportler.