Neu auf Netflix: Kleinkinder gehen alleine einkaufen – und du kannst zuschauen
In der japanischen Kult-Show «Old Enough!», die es neu auf Netflix gibt, erledigen Kleinkinder ohne ihre Eltern alltägliche Besorgungen. Langweilig? Nein, sogar grosses Kino. Aber bedenklich.
«Tschüss! Tschüss! Tschüss!» Mehrmals dreht sich Hiroki noch zu seiner winkenden Mutter um, bevor er mit Fähnlein in der Hand und XL-Trinkflasche um den Hals losspaziert. Hiroki soll zum Supermarkt laufen, einen ganzen Kilometer weit und ganz alleine. Und er soll auf gar keinen Fall die Einkaufsliste seiner Mutter vergessen. Süsses Curry wünscht sie, Fischtätschli und Blumen für die Grossmutter. Wäre da nur nicht so viel Spannendes auf dem Weg: Äste auf dem Boden. Ein Bus, der ihm vor der Nase davon fährt. Und dann steht da am Strassenrand auch noch ein Krankenwagen, der in Wirklichkeit ein Polizeiauto ist.
Alles grosse Abenteuer für den Zweieinhalbjährigen. Und du darfst ihm dabei zuschauen, wie er sie bewältigt.
Drei Stunden auf 15 Minuten gestrafft
In Japan tun das viele. Hiroki ist einer der Protagonist:innen der japanischen Reality-Show «Old Enough!» – einem Kult-Format, das dort schon seit 30 Jahren existiert. Es gibt nur zwei Folgen pro Jahr, sie dauern dafür jeweils drei Stunden und der Plot ist immer derselbe: Zwei- bis Sechsjährige erledigen zum ersten Mal in ihrem Leben alleine Besorgungen. Gut möglich, dass du die letzten Tage beim Netflixen über die Serie gestolpert bist: Der Streamingdienst hat nun nämlich 20 Folgen eingekauft und jede Folge auf rund 15 Minuten gekürzt beziehungsweise beschleunigt.
Was so simpel wie unspektakulär klingt, entpuppt sich auf den zweiten Blick als erfrischende Alternative zum gängigen Reality-Trash. Es ist wahnsinnig herzig, wie Hiroki nach 23 Minuten – einer Durchschnittsgeschwindigkeit von immerhin 2,6 Kilometer pro Stunde – mit seinen quietschenden Schuhen stolz in den Supermarkt watschelt. Wie er es schafft, sich zwischen Tausenden Lebensmitteln zurechtzufinden und sich am Ende ganz erwachsen bis zu den Blumen durchfragt. Unterhaltsam auch, wie er vergeblich versucht, einen Einkaufskorb vom grossen Stapel zu kriegen. Und wahnsinnig lustig, wie ihm auf dem Heimweg einfällt, dass er das Curry glatt vergessen hat und sich noch einmal zum Laden aufmacht.
Eine emotionale Achterbahnfahrt
Positiv überrascht und bis zu Tränen gerührt zeigt sich auch die Twitter-Gemeinde, die die japanische Show seit Netflix-Start munter diskutiert. Zahlreiche User:innen fordern bereits weitere Folgen.
Tatsächlich wird das Zuschauen zur Gefühlsachterbahn. Weil du mit den Kids mitfieberst und mitfühlst. Weil sie dein Herz zum Schmelzen bringen. Aber auch, weil du dich immer wieder fragst, ob die Show okay ist.
Sind die Kleinkinder tatsächlich alt genug? Nicht für ihre Einkaufsmission, sondern für ihre grundsätzliche Teilnahme am Format. Du stellst dir vor, was sie dereinst davon halten werden, wenn sie sich selbst im Fernsehen sehen. Wie sie sich fühlen, wenn sie feststellen, dass sich die ganze Nation über ihre Pannen und Wehwehchen amüsierte.
Wohl auch deshalb betont die Produktionsfirma Nippon TV das grosse Casting- und Vorbereitungsprozedere zur Show. Die Kinder werden nach einem aufwändigen Auswahlverfahren ausgesucht. Alle Wege, die sie gehen müssen, werden genauestens unter die Lupe genommen, gefährliche Strassen sind tabu. Es gibt ein Sicherheitsteam, das sie auf Schritt und Tritt begleitet. Zudem werden sämtliche Menschen in der Umgebung vorgängig eingeweiht.
Auf die richtigen Knöpfe gedrückt
Trotzdem: In der Schweiz würde die Show wohl kaum funktionieren. Kleinkinder im Zentrum eines Reality-Formats – der Aufstand wäre riesig. An Italien, England, China, Vietnam und Singapur dagegen wurden die Formatrechte laut Produktionsfirma bereits verkauft.
Im Herkunftsland Japan bleibt die Show trotz einiger kritischer Stimmen ein Phänomen. Jeder fünfte Japaner schaltet jeweils ein. Die Popularität spiegle auch «das hohe Niveau der öffentlichen Sicherheit des Landes sowie eine Erziehungskultur wider, die die Unabhängigkeit von Kleinkindern als Schlüsselmerkmal ihrer Entwicklung ansieht», schreibt die New York Times über die Sendung.
Auch der zweieinhalbjährige Hiroki schafft seine Mission trotz erneutem Gang in den Supermarkt am Ende meisterlich. Mit Schnuddernase, nicht mehr ganz intakten Blumen – sie waren ihm zu gross, weshalb er sie sie am Boden nachschleifte – und gefühlt fünf Zentimeter grösser kommt er nach Hause. Mutter und Vater sind mächtig stolz, zur Belohnung gibt’s eine Suppe mit seinen selbst gekauften Fischtätschli.
Was bleibt, sind ganz viele Jööös und Aaaws. Und die Frage: Schaue ich weiter? Will ich das? Darf ich das? Zugegeben: Die Show ist Soulfood pur. Aber sie weiss eben auch ganz genau, welche Knöpfchen gedrückt werden müssen, um sämtliche Bedenken über Bord zu werfen. Hat bei mir hervorragend funktioniert.
Anna- und Elsa-Mami, Apéro-Expertin, Gruppenfitness-Enthusiastin, Möchtegern-Ballerina und Gossip-Liebhaberin. Oft Hochleistungs-Multitaskerin und Alleshaben-Wollerin, manchmal Schoggi-Chefin und Sofa-Heldin.