«Pentiment» im Test: Packender Mittelalter-Krimi mit einzigartiger Grafik
«Pentiment» ist für mich die grösste Gaming-Überraschung des Jahres – und das nicht nur aufgrund der einzigartigen Grafik. Das mittelalterliche Detektivspiel erzählt eine tragische Mordgeschichte und lässt mich die Konsequenzen meiner Handlungen so richtig spüren.
Obsidian Entertainment ist eigentlich bekannt für epische Fantasy- und Sci-Fi-Rollenspiele wie «Fallout: New Vegas» und «The Outer Worlds». Mit dem historisch akkuraten Mittelalter-Game «Pentiment» bricht Obsidian zu neuen Ufern auf, ohne die RPG-Kernkompetenzen des Studios ganz hinter sich zu lassen.
Das Ergebnis ist eine einzigartige Mixtur aus geschichtlichem Adventure-Krimi und Rollenspiel. Im Kern des Games steckt eine Mordgeschichte, die durch meine Entscheidungen massgeblich beeinflusst wird.
Die Review ist frei von Story-Spoilern. Wenn du trotzdem ganz blind in den Mordfall springen willst, scrollst du am besten direkt zum Fazit.
Mord im Mittelalter
In «Pentiment» übernehme ich die Rolle des Künstlergesellen Andreas Maler im sechzehnten Jahrhundert. Nach seinen Wanderjahren setzt sich Andreas im bayrischen Dorf Tassing nieder, um in der nahe gelegenen Abtei Kiersau sein Meisterstück – also seine Abschlussarbeit – fertigzustellen. Der Einstieg in das Game ist zäh. Ich kämpfe mich durch nicht enden wollende Textwände und lerne unzählige Charaktere kennen, von denen ich mir nie alle Namen merken kann.
Nach ein bis zwei Stunden kommt die Geschichte aber so richtig in Fahrt. Ein Adeliger wird in den Gemäuern der Abtei ermordet. Des Mordes beschuldigt wird ein Freund von Andreas. Um seine Unschuld zu beweisen und damit sein Leben zu retten, nimmt der Künstler die Ermittlungen auf. Schnell wird klar, dass hinter dem Mord mehr steckt, als es zunächst den Anschein hat.
Je mehr ich über den Fall erfahre, desto tiefer befinde ich mich in einem Netz aus Intrigen, Affären und okkulten Machenschaften. Ich werde das Gefühl nicht los, dass etwas noch viel Schlimmeres passieren wird. Die düstere Atmosphäre erinnert mich an Games wie «A Night in the Woods» und «Oxenfree».
Präsentiert wird das Ganze in einem einzigartigen grafischen Stil, der an mittelalterliche Buchmalereien erinnert. Die detailverliebte Grafik zieht sich konsequent durch alle Elemente des Spiels und fasziniert mich auch nach mehreren Stunden Spielzeit noch.
Besonders gelungen sind auch die Dialoge, die je nach sozialem Status anders dargestellt werden. Bauern reden in einer schlecht lesbaren Handschrift und Adelige sprechen in einer wunderschön verschnörkelten Kunstschrift. Wem die schwer lesbaren Schriftarten auf Dauer zu anstrengend sind, kann einen Modus mit einfachen Zeichen aktivieren.
Die Qual der Wahl
Das Besondere an der mittelalterlichen Mordgeschichte ist, wie sehr sie durch meine Handlungen beeinflusst wird. Das Game gibt mir das Gefühl, dass jede meiner Entscheidungen weitreichende Konsequenzen für den Ausgang der Story haben kann. Hier ist der Einfluss von Obsidians RPG-Wurzeln klar erkennbar.
Zu Anfang entscheide ich, wie Andreas seine Wanderjahre verbracht hat. Meine Version des Künstlers hat in Basel Geschichte und Recht studiert. In seiner Freizeit hat er sich mit okkulten Büchern beschäftigt. Und er ist zudem ein trinkfester Schürzenjäger. All diese Attribute haben einen Einfluss auf Dialogoptionen und das Lösen von Rätseln. Mit meinem Andreas kann ich in den Ermittlungen okkulte Geheimnachrichten entziffern und mit Frauen flirten, um an Informationen zu gelangen.
Um die wahre Identität des Mörders zu enthüllen, muss Andreas viel mit den Dorfbewohnern und Ordensbrüdern der Abtei reden und nach Beweisen suchen. Gelegentlich gibt es auch kleine Minigames und Rätsel zu lösen. Manchmal wünsche ich mir, dass Andreas ein bisschen zügiger durch Tassing und Kiersau laufen könnte, um die Mysterien noch schneller zu lösen.
Wenn du nicht vorsichtig bist, kannst du dir in den Dialogen ganz schnell ganz viel verbauen. Benimmst du dich – so wie ich in der Abtei – wie ein komplettes Arschloch, bleibt dir der Zugang zu wichtigen Informationen meist verwehrt.
Oft gibt es zum Glück mehr als eine Möglichkeit, um an Hinweise zu gelangen. Ich kann es bei anderen Charakteren versuchen oder auf eigene Faust in Häuser einbrechen und herumschnüffeln. Genug Zeit, um allen Spuren nachzugehen, habe ich aber nicht. Andreas hat nur wenige Tage, um die Unschuld seines Freundes zu beweisen. So muss ich mich schnell entscheiden, in welche Richtung meine Ermittlungen gehen und wer für mich die Hauptverdächtigen sind.
Trotz gesammelter Beweise und Motive tue ich mich verdammt schwer, andere Dorfbewohner und Mönche zu beschuldigen. Egal für welche Charaktere ich mich entscheide, es fühlt sich irgendwie falsch an. Ich weiss, dass meine Anschuldigungen für die Angeklagten und ihre Familien weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. Aber ich muss meinen Freund vor der Hinrichtung bewahren.
Im Verlauf des Spiels quälen mich immer wieder Gewissensbisse. War ich in meinen Untersuchungen gründlich genug? Was, wenn ich eine unschuldige Person zum Tode verurteilt habe? Was, wenn der echte Mörder immer noch frei herumläuft?
Eine eindeutige Antwort auf die Identität des Täters gibt mir das Spiel nicht – ich alleine entscheide mit meiner Untersuchung über den Verlauf und den Kanon der Geschichte.
Sie werden so schnell erwachsen
Im Verlauf des Games wird Andreas in weitere mysteriöse Fälle verwickelt, die noch mehr Fragen aufwerfen und neue Verdächtige ins Spiel bringen. Die komplette Geschichte wird in «Pentiment» mit mehreren Zeitsprüngen über einen Zeitraum von 25 Jahren erzählt. Ich erfahre immer mehr über die dunkle Vergangenheit des Orts und sehe, wie sich das bayrische Dorf langsam verändert.
Kleine Kinder werden mit jedem Zeitsprung ein bisschen grösser und alte Dorfbewohner segnen das Zeitliche. Gebäude werden errichtet und neue Bewohner ziehen in das Dorf. Scheinbar triviale Entscheidungen, die ich am Anfang des Spiels treffe, können Jahre danach grosse Konsequenzen mit sich ziehen.
Es macht Spass, immer wieder nach Tassing zurückzukehren und herauszufinden, was sich in den vergangenen Jahren verändert hat. Das Dorf und seine Bewohner sind mir mit der Zeit richtig ans Herz gewachsen.
Überhaupt nicht ans Herz gewachsen ist mir hingegen die chaotische Menüführung. Andreas Notizen zu den laufenden Ermittlungen sind unübersichtlich sortiert. Immer wieder verliere ich die Übersicht über offene Ermittlungspunkte und vergesse, wie die Charaktere zueinander stehen und welche Entscheidungen ich getroffen habe. Das sorgt vor allem nach den Zeitsprüngen für reichlich Verwirrung.
Fazit: Ein Muss für jeden Hobby-Detektiv und Adventure-Fan
«Pentiment» erzählt eine packende Mordgeschichte, die sich über zwei Jahrzehnte erstreckt und massgeblich durch meine Handlungen beeinflusst wird.
Die schockierenden Wendungen fesseln mich an den Bildschirm und lassen mich bis zum fulminanten Finale nicht mehr los. Auch nach dem Abspann plagen mich Gewissensbisse und ich frage mich, ob ich wirklich die richtigen Entscheidungen getroffen habe. Definitive Antworten auf meine Fragen gibt mir das Spiel nicht – ich überlege mir deshalb, nochmal von vorne anzufangen und die offenen Mysterien zu klären.
Verpackt ist die Geschichte in eine einzigartige grafische Darstellung, die mit ihrer Detailverliebtheit und visuellen Konsistenz überzeugt. Kleine Mängel wie die unübersichtliche Menüführung und der zähe Einstieg können das Gesamtbild nicht massgeblich trüben. «Pentiment» ist eines der originellsten Spiele des Jahres und verdient es, von jedem Hobby-Detektiv und Adventure-Fan gespielt zu werden.
«Pentiment» ist erhältlich im Game Pass für Xbox und PC und auf Steam. Das Spiel wurde mir zu Testzwecken von Microsoft zur Verfügung gestellt.
Meine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.