Sind Billigknipser ein gutes Geschenk?
Eine Kompaktkamera ist ein schönes Geschenk für ein schon etwas älteres Kind – aber nur, wenn sie gewisse Minimalanforderungen erfüllt. Das ist durchaus nicht bei allen Geräten der Fall.
Günstige Kompaktkameras sind out. Schliesslich macht das eigene Smartphone bessere Bilder. Trotzdem gibt es sie noch: Kameras für weniger als 150 Franken oder Euro. Und sie verkaufen sich auch recht gut, besonders vor Weihnachten. Ist eine solche Kamera ein gutes Geschenk, zum Beispiel für ein Kind, das noch kein Smartphone hat?
Es gibt spezielle Kinderkameras. Sie sind meist knallbunt, robust gebaut und sollen für Kinder gut zu bedienen sein. Doch ich schätze, spätestens ab etwa 10 Jahren kann ein Kind auch mit einer einfachen Erwachsenenkamera umgehen.
Ich habe mir zwei dieser Billigknipser angeschaut. Ein ganz billiges Modell und ein etwas teureres.
Zur Marke Sony muss ich nichts erklären, aber zu Agfa. Das war mal ein grosser Hersteller von Fotofilmen, der auch Kameras herstellte – ähnlich wie Kodak. Doch das ist längst vorbei. Agfa ist heute vor allem im Print- und Medizinalbereich tätig. Heutige Kameras mit dem Namen Agfaphoto haben mit diesem Unternehmen nichts zu tun. Sondern mit Agfa Holding GmbH, ein Unternehmen mit Sitz im deutschen Grünwald. Dieses besitzt Lizenzrechte für den Namen Agfa.
Erster Augenschein
Auf den ersten Blick sind sich beide Kameras ziemlich ähnlich. Beide sind ungewohnt leicht: Die Sony W830 wiegt mit Akku 117 Gramm, die Agfa DC5200 104 Gramm. Beide sind ungewohnt rot, haben ungefähr 20 Megapixel Auflösung und einen 8-fach-Zoom.
Damit enden aber die Gemeinsamkeiten auch schon. Eigentlich schon vorher. Denn die Agfaphoto DC5200 zoomt nur digital. Wenn du also hineinzoomst, um ein kleines oder weit entferntes Motiv gross abzubilden, werden nur die Pixel vergrössert. Damit verliert das Bild an Schärfe.
Bei einem optischen Zoom kommen tatsächlich mehr Details hervor, wie die Testaufnahme mit der Sony W830 veranschaulicht:
AgfaPhoto DC5200
Im Lieferumfang der Agfa DC5200 ist ein USB-Kabel enthalten, aber kein Ladegerät. Um den Akku zu laden, muss die Kamera mit dem Computer oder mit einem bereits vorhandenen USB-Netzteil verbunden werden. Eine Speicherkarte ist wie bei fast allen Kameras nicht dabei.
Direkt nach dem Auspacken mache ich schnell ein Selfie, um zu sehen, ob die Kamera läuft. Doch schon da erkenne ich gleich zwei Dinge, bei denen es klemmt:
- Falscher Schärfepunkt. Der Hintergrund ist scharf (na ja, so scharf, wie es halt geht), das Gesicht ist unscharf. Immerhin erkennt man so meine Falten nicht.
- Die hellen Stellen im Gesicht (Stirn, Nasenrücken, rechte Backe) sind überbelichtet. Da ist bloss eine helle Fläche – ohne Zeichnung, ohne Details. Dabei waren diese Bildteile nicht einmal besonders hell: Das Foto wurde ohne Blitz aufgenommen. Dies bedeutet, dass der Sensor der Kamera nur sehr geringe Helligkeitsunterschiede bewältigen kann.
Nach einigen weiteren Aufnahmen wird mir klar, dass die Kamera nicht falsch fokussiert hat, sondern gar nicht. Sie kann nicht auf eine bestimmte Distanz scharf stellen, sondern hat einen Fixfokus. Wie bei einem Nokia-Handy von 2007. Somit sind Objekte in kurzer Distanz immer unscharf, in längerer Distanz immer scharf. Die Grenze liegt wohl etwa bei 30 Zentimetern, aber so genau kann ich das nicht sagen, weil die Kamera gar nicht fähig ist, überhaupt scharfe Bilder zu erzeugen.
Damit zum grössten Problem dieser Kamera: Nicht nur die gezoomten Bilder sehen wie Brei aus, sondern schon ohne Zoom fehlt es den Bildern an jeglicher Detailschärfe. Auch bei optimalen Lichtverhältnissen.
Obwohl der Kamerasensor 21 Megapixel hat, ist die Bildgrösse ab Werk auf 5 Megapixel eingestellt. Das ist seltsam und kann eigentlich nur einen Grund haben: Nämlich, dass die 21 Megapixel nutzlos sind. Nachdem ich auf die maximale Auflösung umgestellt habe, merke ich tatsächlich keinen Unterschied.
Das oben Gezeigte ist zwar nur ein Bildausschnitt, aber beim 5-Megapixel-Bild ist dieser immer noch 1073 × 714 Pixel gross. Das müsste eigentlich reichen, um den Text lesbar abzubilden. Mit anderen Worten: Das Objektiv ist so schlecht, dass es nicht einmal 5 Megapixel abbilden kann. Und dieses obermiese Ausgangsbild wird dann auch noch digital gezoomt.
Angesichts dieser Mängel lohnt es sich kaum, auf weitere Details einzugehen. Dennoch ein paar weitere Punkte, die mir negativ aufgefallen sind:
- Grauenhaftes Menüdesign.
- Kein Wechsel in den Aufnahmemodus, wenn man den Auslöser antippt.
- Keine Anzeige des gerade geschossenen Bildes.
- Die Kamera hat keinen Lautsprecher, du hörst auf Videos den Ton nicht.
- Extreme Bewegungsverzerrungen (Rolling-Shutter-Effekt).
- Der Zoom ruckelt, was bei Videoaufnahmen stört.
- Die rote Farbe beginnt schon am zweiten Tag abzublättern.
- Und natürlich keine halbwegs fortgeschrittenen Features: Kein Touchscreen, kein RAW-Format, Blende und Verschlusszeit können nicht gewählt werden.
Sony DSC-W830
Diese Kamera stammt aus dem Jahr 2014. Du kaufst also neu ein Gerät mit siebenjähriger Technik. Allerdings ist das nicht so wild wie es klingt, denn in den vergangenen sieben Jahren ist im Bereich der günstigen Kompaktkameras wenig passiert. Meines Wissens gibt es bis heute kein Nachfolgemodell der W830. Zum Lieferumfang gehört hier nebst dem USB-Kabel auch ein Netzadapter.
Die Sony-Kamera kostet deutlich mehr als das Modell von Agfa – je nach Farbe und wechselnden Preisen zwischen zwei und drei Mal so viel. Doch das lohnt sich auf jeden Fall, denn im Gegensatz zur Agfa DC5200 ist sie eine funktionale, brauchbare Kamera.
Das Objektiv liefert die nötige Auflösung. Daher kann ich den gleichen abfotografierten Text wie oben bei der Agfa DC5200 auch tatsächlich lesen.
Auch sonst zeigt sich im Vergleich mit der Agfa-Kamera eine in jeder Hinsicht überlegene Bildqualität.
Die Kamera ist für Anfänger*innen einfach zu bedienen. Die intelligente Automatik erkennt selbst, ob gerade ein Makro, eine Landschaft oder sonst etwas aufgenommen wird und passt die Einstellungen entsprechend an. Zudem gibt es einen Easy-Modus, der eine vereinfachte Anzeige mit grosser Schrift bietet.
Es ist möglich, mit der Kamera vor dem Auslösen zu fokussieren. Der Druckpunkt ist allerdings schwer zu erfühlen. Es dürfte für ein Kind anfangs schwierig sein, nur halb durchzudrücken, ohne ganz auszulösen. Weil der Autofokus nicht der schnellste ist, kann es so zu unscharfen Bildern kommen.
Vom Konzept her ist es eine klassische Point-and-Shoot-Kamera: Draufhalten, abdrücken. Manuelles Einstellen von Blende und Verschlusszeit ist nicht vorgesehen. Der Fokus wird auch automatisch gewählt, wobei es eine Funktion zur Objektverfolgung gibt.
Im Schummerlicht zeigen sich die Unterschiede zu guten Kameras oder auch zu aktuellen Smartphones. Bei Sonnenschein allerdings ist es problemlos möglich, damit schöne Bilder zu machen.
Fazit: Geiz ist ungeil
Zwischen billig und superbillig bestehen riesige Unterschiede in der Qualität. Agfaphoto spart selbst dort noch, wo es richtig weh tut. Die Agfaphoto DC5200 ist in jeder Hinsicht schlecht. Es ist praktisch unmöglich, aus ihr ein gutes Bild herauszubringen. Schenkst du sie einem Kind, verdirbst du ihm damit nachhaltig die Freude am Fotografieren.
Die Sony CyberShot W830 kostet deutlich mehr, ist aber dafür eine Kamera, die diesen Namen verdient. Damit lassen sich scharfe, gelungene Bilder machen. Und sie ist erst noch einfacher zu bedienen. Sie kommt als Geschenk infrage.
Für 100 Franken oder Euro gibt es etwas Brauchbares. Für 50 nicht. Falls du wirklich nicht mehr ausgeben willst, wäre der Gebrauchtmarkt eine Alternative. Von der Leistung her ist fast jedes Gerät einer renommierten Marke besser als die Agfa DC5200. Trotzdem musst du genau hinschauen. Ein Gerät mit Gebrauchsspuren macht sich als Geschenk nicht gut. Ausserdem ist der Akku bei alten Kameras oft hinüber. Gute Ersatzakkus sind übermässig teuer oder gar nicht mehr erhältlich. Wenig bewanderten Leuten würde ich davon abraten, ein Occasionsmodell als Geschenk zu kaufen.
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.