Sinn oder Unsinn? – Zähne putzen mit App und künstlicher Intelligenz
Philips und Oral B rüsten ihre Elektrozahnbürsten immer weiter hoch. Wie aber unterscheiden sich die Technologien Schall und Rotation in der Praxis? Und, bringen die Apps einen echten Mehrwert? Die zwei Top-Zahnbürsten im direkten Vergleich.
Wem ist er nicht verhasst, der Gang zum Zahnarzt? Ich jedenfalls hatte in meiner Kindheit und Jugend das zweifelhafte Vergnügen, etwas zu oft meine Kauleisten für ein bis drei Stunden aufzusperren und meinen Zahnarzt des Grauens an meinen Zähnen rumbohren zu lassen. Ich hatte da mehr als genug Zahnarzt-Zeit für zwei Leben und halte meine Zahnreinigungsroutinen inzwischen sehr strikt ein. Bis dato allerdings immer noch mit einer Handzahnbürste.
Als Philips mit der «Sonicare Sonic 9900 Prestige» im Sommer ein neues Flaggschiff präsentiert hat, habe ich das zum Anlass genommen, mich endlich konkret mit Elektrozahnbürsten zu befassen. In dem Gebiet gibt es zwei klare Platzhirsche: Philips und Oral B. Beide Marken bieten elektrische Zahnbürsten für kleine und grosse Budgets an. Die beiden Premium-Produkte sind bei Oral B die «iO Series 9N» und bei Philips die neue Sonicare, die ich einem Vergleichstest unterzogen habe.
Unpacking: Was wird mir geliefert
Philips Sonicare und Oral B iO
- 1 Zahnbürste
- 1 Bürstenkopf
- 1 Ladestation
- 1 Ladekabel
- 1 USB-Kabel
- 1 Reise-Etui (USB-fähig)
Die einzelnen Teile sehen zwar unterschiedlich aus, ich bekomme aber bei beiden Produkten die gleichen Komponenten geliefert.
Der Test
Für den Test haben meine Frau und ich uns je rund zwei Wochen lang morgens und abends mit der Philips Sonicare und der Oral B iO die Zähne geputzt. Meist mithilfe der App. Dabei haben wir insbesondere auf die Alltagstauglichkeit geachtet: Wie einfach lassen sich die Produkte in Betrieb nehmen? Was bietet die App? Wie funktionieren diese Dienste und wie steht es um das Sauberkeitsgefühl nach dem Putzen? Welche Technologie, Schallvibration bei Sonicare und Rotation bei iO, erzielt dies besseren Resultate?
Inbetriebnahme
Beide Zahnbürsten kommen mit einer gewissen Grundladung aus der Verpackung. Im Prinzip kannst du also den Bürstenkopf auf die Zahnbürste stecken, einschalten und loslegen. Alles ganz einfach. Beide Produkte verfügen über eigene Apps, die mit zahlreichen Extras, Infos und Putz-Modi das Zähneputzen auf ein neues Level heben wollen. Das Koppeln über Bluetooth funktioniert bei beiden Zahnbürsten und Apps einfach und unkompliziert.
Die Apps
Sonicare
Um die App von Philips nutzen zu können, muss ich ein Nutzerkonto einrichten. Das geht zwar einfach und schnell, es stört mich aber, dass nicht mal mehr Zähneputzen ohne einen neuen Account möglich sein soll.
Die App bietet mir jedenfalls konkrete Hilfestelllung gegen Plaque, Kariesbildung, Zahnfleischbluten oder Zahnfleischschwund. Durch einen Sensor in der Zahnbürste kann ich während des Putzens auf der App verfolgen, wo im Mund ich gerade wie lange und wie gründlich putze und so sicherstellen, dass ich alle Zähne innen und aussen zur Zufriedenheit von Philips berücksichtige. Theoretisch müsste das in genau zwei Minuten möglich sein, dann stellt die Zahnbürste automatisch ab.
Jeder Putzvorgang wird gespeichert. So kann ich mir detailliert anschauen, wie lange ich jeweils meine Zähne putze, wie gut die Abdeckung aller Flächen ist, ob ich zu viel Druck auf die Zähne ausübe oder wie regelmässig und gründlich ich in der Vergangenheit geputzt habe.
Die App registriert ausserdem, wie oft und lange ich meinen Bürstenkopf nutze und zeigt mir an, wie lange er noch in brauchbarem Zustand ist, rsp. wann es Zeit wird, ihn zu ersetzen.
Ich könnte ausserdem meinen Zahnarzt in der App hinterlegen – worauf ich aber verzichte.
iO
Auch die App von Oral B hätte gerne, dass ich einen Account eröffne, sie funktioniert aber zum Glück ohne. Also verzichte ich darauf.
Die App bietet mir ebenfalls die Möglichkeit verschiedenen Pflegeanleitungen zu folgen. So etwa für frischen Atem, Plaque-Bekämpfung, Zahn-Aufhellen, Zahnfleischgesundheit oder Kieferorthopädische Pflege.
Wie die Philips-App führt mich auch die Oral-B-App über einen Sensor in der Zahnbürste durch meinen Mund und an alle Zahnoberflächen, damit ich überall gleichmässig eine optimale Reinigung erzielen kann. Sie ist dabei präziser, als die Philips-App, indem sie nicht nur Innen- und Aussen-Flächen erkennt, sondern in den Backen zusätzlich die Kauflächen. Der Sensor merkt zudem, ob ich die Zunge putze oder nicht.
Auch hier wird jeder Putzvorgang gespeichert. Ich bekomme für jede Putzsession eine Punktewertung. Das Maximum sind 100 Punkte. Abdeckung, Druckkorrekturen und Putzzeit sind ausschlaggebend für die Wertung. Ich kann mir die Faktoren auch einzeln anschauen und sehe mein Verbesserungspotenzial. Ich kann der App zusätzlich mitteilen, ob ich Zahnseide verwende und ob ich Mundspülungen vornehme.
Mit meinem Zähneputzen gewinne ich bei Oral B ausserdem Medaillen – Gamifikation. Dank drei Tagen Zunge putzen in Folge bin ich «küssbar» und weil ich mindestens fünf Tage am Stück morgens und abends die Zähne geputzt habe, darf ich mich «Am konsequentesten» nennen.
Oral B trackt die Abnutzung meines Bürstenkopfs ebenfalls und ich kann nachvollziehen, wie stark er beansprucht wurde und wann es Zeit für einen neuen wäre.
Das Gefühl beim Putzen und danach
Der Bürstenkopf der Sonicare sieht aus, wie der Kopf meiner Handzahnbürste: länglich mit verschiedenen Borstenpolstern, die unterschiedlich lang und unterschiedlich steif sind.
Die Bürste verfügt über drei Intensitätsstufen. Beim ersten Einsatz steige ich mit der niedrigsten ein, steigere die aber bereits während des Putzens auf die maximale hoch. Dennoch fühlt sich die Vibration der Bürste immer noch fein an. Die Schalltechnologie und die fehlende Rotation machen das Putz-Gefühl angenehm sanft. Auch auf dem Zahnfleisch habe ich nie ein Gefühl von zu starker Reibung, selbst als mich Zahnbürste und App vor zu starkem Druck meinerseits warnen.
Was ich aber erst nach zwei, drei Tagen einigermassen hinbekomme, ist, die Bürste lange genug an eine Stelle zu halten, also nicht selbst aktiv zu schrubben. Als ich das aber mal raus hatte, wurde das Zähneputzen entspannter und fühlte sich immer weniger wie Arbeit an – was es mit der Handzahnbürste definitiv tut.
Nach dem Putzen fühlen sich meine Zähne viel sauberer an, als nach dem Putzen mit der Handzahnbürste. Und das trotz viel weniger Kraftaufwand, sprich Druck, und viel weniger Reibung auf Zähnen und Zahnfleisch. Ein Gefühl, das überraschend lange anhält.
Der Bürstenkopf der iO ist kleiner als der, der Sonicare und er ist rund. Die Technik ist eine andere, setzt nämlich auf Bewegung, sprich eine Rotation des Bürstenkopfs in beide Drehrichtungen.
Interessierst du dich genauer für die unterschiedlichen Techniken der Zahnbürsten, sei dir der Artikel meiner Kollegin Natalie Hemengül empfohlen, in dem sie diese erklärt:
Diesen Unterschied spüre ich beim Putzen sofort – und jedes Mal. Die Vibration durch die Rotation ist deutlich stärker. Nicht schmerzhaft, aber intensiver als bei der Sonicare. Der Putzvorgang ist dadurch auch lauter und an manchen Tagen fühlt es sich an, als würde sich die Vibration des Bürstenkopfs durch die Zähne auf den Kiefer und den Schädel fortpflanzen – was ein ziemlich unangenehmes Gefühl ist. Der Unterschied zwischen den beiden Bürsten ist dabei minim, rsp. durch andere Faktoren beeinflusst (die später im Detail besprochen werden).
Das Sauberkeitsgefühl zwischen Oral B iO und Philips Sonicare ist für mich kaum auseinanderzuhalten. Weil durch die stärkere Bewegung der iO das Gefühl während des Putzens aber gegenüber der Sonicare weniger sanft und insgesamt ruppiger war, bekommt die Philips-Zahnbürste beim Putz- und Sauberkeitsgefühl die bessere Note von mir.
Wie intelligent ist die KI wirklich?
Die künstliche Intelligenz, die mir den Weg über das Gebiss zeigt und mir helfen sollte, alle Zahnoberflächen gleichmässig lang und gründlich zu putzen, ist bei beiden Systemen alles andere als zuverlässig. In beiden Apps springt die Anzeige regelmässig, ohne dass ich die Zahnbürste bewege, von links nach rechts im Mund oder von innen nach aussen auf der Zahnreihe. Auch oben und unten scheinen beide nicht immer sauber trennen zu können. So zeigen mir die Apps immer wieder Zahnflächen als sauber geputzt an, wo ich noch gar nicht hingekommen bin und da, wo ich seit 30 Sekunden putze, passiert in der Anzeige gar nichts.
Als optimale Putzzeit geben mir beide Systeme zwei Minuten pro kompletten Putzvorgang an. Unter drei Minuten schaffe ich es aber mit beiden so gut wie nie alle Flächen gemäss App-Anzeige optimal geputzt zu haben. Das ist natürlich insofern ärgerlich, als dass die App ja auch misst, wie stark die jeweiligen Bürstenköpfe abgenutzt sind. Längere Nutzung bedeutet eine stärkere Abnutzung, was wiederum heisst: Ich muss mir schneller einen neuen Kopf kaufen. Ein Schelm wer dabei Böses denkt… Ausserdem ist es einfach jedes Mal wieder mühsam und statt entspannt bin ich nach dem Putzen regelmässig genervt.
Ich weiss nicht, woran es liegt – womöglich an der Form des Bürstenkopfs – aber mit der Oral B iO ist es mir unmöglich, auch nur ein einziges Mal die Zähne zu putzen, ohne dabei eine Spritz- und Tropfschlacht zu veranstalten. Spätestens nach einer Minute fliesst eine Zahnpasta-Wasser-Spucke-Mischung der Bürste entlang und tropft mir irgendetwas voll. Wenn ich Glück habe, nur das Lavabo, gerne aber auch Shirt, Hose, Socken oder den Boden. Zum Glück arbeiten wir immer noch mehrheitlich im Homeoffice, sonst wäre ich garantiert mehrfach mit vollgesabberten Shirts, Hemden oder Pullis im Büro aufgekreuzt.
Fazit: Sonicare oder iO, wer macht das Rennen?
Beim Sauberkeitsgefühl im Mund punkten beide. Einen spür- und nennbaren Unterschied kann ich nach je rund zwei Wochen Gebrauch nicht feststellen: unentschieden.
Beide Apps bieten eine Vielzahl von Hilfestellungen und Möglichkeiten, meine Zahn- und Mundhygiene zu verbessern. Beide haben für mich aber das gleiche Kernproblem: Erstens funktioniert die wichtigste Technik, die künstliche Intelligenz, die mir eine zuverlässig gleichmässige Reinigung gewährleisten soll, nicht wirklich. Und zweitens sehe ich den Mehrwert nicht, beim Zähneputzen ständig das Handy dabei zu haben und auf (m)ein Gebiss schauen zu müssen. Auch hier: unentschieden.
Der für mich ausschlaggebende Unterschied zwischen den beiden Zahnbürsten ist der technologische Ansatz: Schallvibration vs. Rotation. Und da gewinnt die Schall-Technologie der Sonicare. Die Vibrationen sind sanfter und leiser als die Rotationen, die sich immer wieder unangenehm im Kiefer anfühlen. Sieger hier: Philips Sonicare.
Einen zusätzlichen Minuspunkt bekommt die iO von mir, wegen der Spritzerei und Schmiererei, die es bei jedem einzelnen Putzen gibt.
Einen Pluspunkt vergebe ich ausserdem an die Sonicare für das automatische Abschalten nach zwei Minuten Putzbetrieb. Wenn ich nämlich auf die KI-Unterstützung der App verzichte, reicht mir dieser Timer völlig aus, um meine Zähne zweimal am Tag gründlich zu putzen.
Zwei Unentschieden, ein Minuspunkt für die Oral B iO, zwei Pluspunkte für die Philips Sonicare, die damit mein persönlicher Favorit ist.
Weltenbummler, Wandersportler, Wok-Weltmeister (nicht im Eiskanal), Wortjongleur und Foto-Enthusiast.