Samuel Buchmann
Hintergrund

Streamingpreise im Vergleich: Schweiz vs. Deutschland vs. USA

Viele Schweizerinnen und Schweizer glauben, Streaming sei hierzulande besonders kostspielig. Ich rechne nach und stelle fest: Ganz so einfach ist es nicht.

Du kennst die Schlagzeilen aus der Zeitung. Du hörst die Parolen am Stammtisch. Du liest die Empörung in der Kommentarspalte: Gierige Streamingdienste aus den USA würden die Schweiz auspressen wie eine Zitrone – und das sei unfair. So stösst etwa folgende Meinung unter der News zur letzten Netflix-Preiserhöhung auf breite Zustimmung.

Mich stört der übermässige Schweiz-Zuschlag von mehr als 50 Prozent gegenüber Deutschland. Dies ist durch nichts zu rechtfertigen.
Gekürzter Userkommentar von Zumi_Digi

Doch das Thema ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Erstens werden oft Dinge wie Wechselkurse und Mehrwertsteuern vernachlässigt. Zweitens können hinter dem Unmut verschiedene Hypothesen stecken:

  1. Netflix und Co. verdienen an einem Schweizer Abo mehr.
  2. Streaming reisst ein grösseres Loch in Schweizer Haushaltskassen.

In diesem Artikel gehe ich beiden Annahmen statistisch auf den Grund. Dazu analysiere ich fünf Streaming-Anbieter: Netflix, Disney, Apple, Spotify und YouTube. Ich bereinige ihre Preise zunächst um Wechselkurse und Steuern, danach um Kaufkraft und Lohngleichheit.

Die absoluten Preise

Alle fünf Dienste haben ihre Preise über die letzten Jahre kontinuierlich erhöht. Du findest in folgender Grafik die Zahlen für die Schweiz (erste Folie), Deutschland (zweite Folie) und die USA (dritte Folie).

Die Statistiken gelten im ganzen Artikel für:

  • Netflix: Standard-Abo
  • Disney+: günstigstes Abo ohne Werbung
  • Apple TV+: Standard-Abo
  • Spotify Premium: Individual-Abo
  • YouTube Premium: Individual-Abo

Vielleicht sticht dir die sehr unterschiedliche Preissteigerung von Disney+ ins Auge. Der Dienst wurde in den USA seit 2020 um 129 Prozent teurer, in der Schweiz nur um 51 Prozent und in Deutschland um 43 Prozent. Das hat damit zu tun, dass Disney in den USA nur noch das Premium-Abo in 4K werbefrei anbietet, das automatisch mehr kostet. In Europa gibt es bis jetzt noch ein Standard-Abo in Full HD ohne Werbung.

Netflix in Full HD ist in der Schweiz ausserdem fast doppelt so teuer wie Apple TV+ in 4K-Auflösung. Dies rechtfertigt der Branchenprimus mit der massiv grösseren Auswahl an Inhalten. Netflix bietet 7663 Filme und Serien, Apple nur 252, bei Disney sind es 2526. Pro verfügbarem Inhalt zahlst du bei Apple deshalb am meisten (4,33 Rappen) und bei Netflix am wenigsten (0,27 Rappen). Ob mehr Content automatisch einen Mehrwert bedeutet, sei dahingestellt.

So viel mehr verdienen Anbieter in der Schweiz

Für einen fairen Vergleich zwischen den Ländern rechne ich alle Preise mit den historischen Wechselkursen in US-Dollar um. Zusätzlich ziehe ich in der Schweiz und in Deutschland die Mehrwertsteuer ab, denn diese ist in den US-Preisen nicht enthalten. So zeigen die Zahlen, wie viel die Unternehmen pro Abo tatsächlich einnehmen. Auf der ersten Folie siehst du den Durchschnitt, auf den restlichen die einzelnen Anbieter.

Im Schnitt verdienen die fünf Anbieter heute an einem Abo in der Schweiz 16 Prozent mehr als in den USA. Besonders gross ist der Abstand bei YouTube (32 Prozent), dahinter folgen Netflix und Spotify (je 20 Prozent). Noch eklatanter fallen jedoch die Unterschiede zu Deutschland aus. Dort bringt ein Abo den Streaming-Riesen durchschnittlich 61 Prozent weniger ein als in der Schweiz und 39 Prozent weniger als in den USA.

Auch dieser Vergleich ist nur eine Annäherung. Es lässt sich nicht sagen, wie viel Gewinn vom Umsatz in den verschiedenen Ländern übrig bleibt. Denn Netflix und Co. zahlen je nach Region andere Lizenzgebühren und geben andere Beträge für Werbung aus. Es scheint aber sehr wahrscheinlich, dass unter dem Strich in der Schweiz pro Abo höhere Profite winken als in Deutschland.

Wie leicht wir uns Streaming leisten können

Die unterschiedlichen Preisniveaus sind kein Zufall. Gewinnorientierte Unternehmen orientieren sich nun mal am Gewinn. Sie fragen sich nicht, wie viel sie verlangen müssen, um die Kosten zu decken – sondern wie viel sie verlangen können, bevor du abspringst. Und diese Grenze variiert je nach Land.

«Kaufkraft» heisst das Zauberwort. Ein bekannter Indikator dafür ist der Big Mac Index: je teurer der berühmte Hamburger in einem Land, desto höher die Kaufkraft der Bevölkerung. Noch aussagekräftiger ist die Statistik der OECD zu den kaufkraftbereinigten Durchschnittslöhnen. Damit berechne ich, welchen Kosten unsere Streamingpreise in den USA entsprechen würden. Oder anders gesagt: wie leicht wir uns im Vergleich ein Netflix-Abo leisten können.

Wie du siehst, verlaufen die Kurven der kaufkraftbereinigten Preise ziemlich nahe beieinander. Am stärksten schrumpft der Unterschied zwischen der Schweiz und Deutschland. Doch nach wie vor scheint es, als würden Streamingdienste in den USA das Haushaltsbudget weniger stark belasten. Glaubt Netflix also, dass Europäer eher dazu bereit sind, auf andere Dinge zu verzichten, damit sie «Stranger Things» schauen können?

Nicht unbedingt. Denn auch diese Statistik greift noch zu kurz: Gemäss World Inequality Database sind in Amerika die Löhne ungleicher verteilt als hierzulande. Der Durchschnitt widerspiegelt also weniger gut, was sich ein tatsächlicher «Durchschnittsbürger» leisten kann. Konkret erhalten die unteren 90 Prozent der US-Bevölkerung nur 53 Prozent des Gesamteinkommens. In der Schweiz sind es immerhin 70 Prozent, in Deutschland 63 Prozent. Bereinige ich die Abo-Preise um diesen Faktor, ergibt sich folgendes Bild:

So betrachtet stehen die Schweiz und Deutschland aktuell sogar besser da, je nach Jahr und Streamingdienst wechselt die Reihenfolge. Die Abokosten belasten die unteren 90 Prozent der Einkommen also überall etwa gleich stark. Natürlich gibt es innerhalb der Länder zusätzlich regionale Unterschiede, die hier nicht abgebildet werden.

Fazit: teurer, aber nicht schmerzhafter

Ja, Streaming kostet in der Schweiz mehr als in anderen Ländern. Der Abstand zu den USA ist aber relativ klein. Im Schnitt landet bloss 16 Prozent mehr Geld bei Netflix, Disney, Apple, Spotify und YouTube. Deutlicher fällt der Unterschied zu Deutschland aus, wo die Anbieter 61 Prozent weniger kassieren.

Die Schweiz hat eine hohe Kaufkraft. Das weiss auch Netflix.
Die Schweiz hat eine hohe Kaufkraft. Das weiss auch Netflix.
Quelle: Shutterstock

Wer deswegen glaubt, ein Berliner könne sich doppelt so viele Dienste leisten wie eine Zürcherin, irrt jedoch. Bereinigt um Kaufkraft und Lohngleichheit schmerzen Streaming-Abos in der Schweiz etwa gleich stark wie in Deutschland – und aktuell sogar weniger als in den USA.

Wie die meisten globalen Dienstleistungsfirmen passen Netflix und Co. ihre Preise sehr genau an die wirtschaftlichen Verhältnisse der lokalen Bevölkerung an. Die Fairness dieser kapitalistischen Realität bleibt eine philosophische Diskussion – für die du nun hoffentlich eine solides Datenfundament hast.

Die Kommentarspalte ist eröffnet.

Titelbild: Samuel Buchmann

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