Anton Monsterjäger - Ein Traum auf der Flucht
Deutsch, Sabine Mielke, Luisa Fuchs, 2022
Erzählt eigentlich auch noch jemand eine Geschichte in einem eigenständigen Buch fertig? Beim Vorlesen von Kinderbüchern habe ich heute den Eindruck, dass nur noch lieblose Serien nach Vermarktungs-Schema X geschrieben werden. Eine Polemik.
Kürzlich fand in der Schule meiner Tochter die jährliche Erzählnacht statt. «Träumen» war das Motto und ich las Auszüge aus dem Buch «Anton Monsterjäger: Ein Traum auf der Flucht» vor. Vorlesen tue ich auch zuhause oft.
Die Lust aufs und Freude am Vorlesen habe ich von meiner Mutter mitbekommen, die mir und meinen Geschwistern in unserer Kindheit (fast) jeden Abend vor dem Schlafengehen Kinderbücher vorlas. «Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer», «Die lustigen Abenteuer vom Rösslein Hü» oder «Die unendliche Geschichte».
Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
Deutsch, Michael Ende, F. J. Tripp, Mathias Weber, 2024
Die lustigen Abenteuer des Rösslein Hü
Deutsch, Ursula M. Williams, Franz Caspar, Joyce Lankester Brisley, 2016
Die ersten beiden – inklusive der Fortsetzungen «Jim Knopf und die Wilde 13» und «Das Rösslein Hü fährt in die Welt» – gehörten dann auch zu den ersten Büchern, die ich meiner Tochter abends vor dem Schlafengehen vorgelesen habe. Dann auch die meiner Meinung nach absolut grossartigen Werke von James Krüss wie «Mein Urgrossvater und ich» und «Der Leuchtturm auf der Hummerklippe».
Es folgten neuere Kinderbücher wie «Das Pony im 12. Stock» oder «Leo und Lucy». Seit inzwischen aber locker zwei (oder sinds schon drei?) Jahren gibt es nur noch eines: «Die Schule der magischen Tiere». Der neueste Band heisst «Vierundzwanzig» – passend zum Advent nicht wahr – und ist bereits der fünfzehnte. Was ausserdem im Bücherregal im Kinderzimmer steht: Sämtliche, geschätzt 20 Bände «Mein Lotta-Leben», mehrere Bände «Petronella Apfelmus» und «Die kleine Dame», dazu einzelne Bände von «Woodwalkers», «Seawalkers» und «Das geheime Leben der Tiere».
Allesamt Serien. Ohne ersichtlichen Endpunkt. Nicht wie zum Beispiel Harry Potter, das von Anfang an auf sieben Bände entsprechend den sieben Schuljahren angelegt war. Nein, die meisten dieser Serien lassen sich theoretisch bis in alle Ewigkeit verlängern. Das allein stört mich noch nicht mal. Neu ist das Phänomen der Kinderbuch-Serie ja beileibe nicht. Erfunden wurden diese, zumindest inoffiziell, von der britischen Autorin Enid Blyton mit Serien wie «Fünf Freunde», «Hanni und Nanni», «Geheimnis um …», «Rätsel um …» oder der «Abenteuer»-Reihe. Genauso alt und bekannt sind «Die drei ???» oder «TKKG».
Was mich an diesen neuen Serien aber gegenüber den älteren nervt, ist, dass ich den Eindruck habe, als wären sie von Anfang an für maximale Vermarktung konzipiert: Hörbücher, Hörspiele, Merchandising-Artikel, Spin-Offs und im besten Fall Verfilmungen, die sich dann auch wieder zu ganzen Serien ausdehnen lassen. Bestes Beispiel dafür: die besagte «Schule der magischen Tiere». Da läuft gerade der dritte Film in den Kinos, die Spin-Off-Serie umfasst auch schon neun Bände, dazu gibt es eine Erstleser-Serie «Die Schule der magischen Tiere ermittelt». Goldgrube Kinderherzen.
Auch der eingangs erwähnte «Anton Monsterjäger» ist übrigens eine Serie. Über einen Jungen, der an seinem 10. Geburtstag erfährt, dass er Magie in sich trägt und darum ein Monsterjäger sei. Dafür wechselt er dann auf eine besondere Schule für Monsterjäger und erlebt mit seinen zwei neuen besten Freunden, respektive einem Freund und einer Freundin, irgendwelche wilden Abenteuer. Kommt dir bekannt vor? Klingt verdächtig nach einem Harry-Potter-Szenario …
Leider scheint sich aber niemand mehr ernsthaft die Mühe zu machen, diese Szenarien in eigenständige Welten zu betten mit glaubwürdigen Charakteren, die mit Fortschritt der Geschichten und Serien so etwas wie eine Entwicklung durchmachen. Ein paar stereotype Kinder hier, ein paar 08/15-Erwachsene da, ein paar schräge Vögel und halb-magische Geschöpfe und fertig ist das langweilige Set-up für die Kinderbuch-Kuh, die zu Tode gemolken werden kann.
Ich weiss, ich positioniere mich jetzt gleich als mittelalten Menschen, der die eigene Kindheit (ein bisschen) verklärt. Aber ich vermisse Geschichten, die in einem Buch auserzählt sind. Figuren, Storylines und Welten, in die ich so richtig tief eintauchen kann. Und aus denen ich wieder rauskomme, wenn die Geschichte zu Ende ist. Ich denke an «Momo», «Die unendliche Geschichte», «Peter Pan», «Die rote Zora», «Krabat» oder «Herr der Diebe».
Wobei mit letzterem komme ich zu Cornelia Funke, die bis heute an ihrem umfassenden Gesamtwerk arbeitet – und mit den «Wilden Hühnern» auch eine Kinder-/Jugendbuch-Serie geschrieben und ihre Tintenwelt letztes Jahr zur Tetralogie ausgeweitet hat. Neben Funke bin ich ausserdem grosser Fan von Walter Moers Zamonien-Welt, in der inzwischen auch viele Geschichten spielen.
Tintenwelt-Schuber
Deutsch, Cornelia Funke, 2021
Tintenwelt 4. Die Farbe der Rache
Deutsch, Cornelia Funke, 2023
Die 13 ½ Leben des Käpt'n Blaubär
Deutsch, Walter Moers, 2020
Die Stadt der Träumenden Bücher
Deutsch, Walter Moers, 2020
Das Labyrinth der Träumenden Bücher
Deutsch, Walter Moers, 2017
Der Bücherdrache
Deutsch, Walter Moers, 2021
Natürlich bin ich mir völlig bewusst, dass es trotz meiner Abneigung gegenüber der von mir als uninspirierten Konzept-Serien empfundenen Erzeugnisse ganz viele Autorinnen und Autoren gibt, die grossartige Kinder- und Jugendliteratur schreiben.
Und weil der jüngste Band der «Schule der magischen Tiere» auch bald fertig vorgelesen sein wird, suche ich schon das nächste coole Buch, das ich meiner Tochter vorlesen könnte. Damit ich sie von meinen Altherren-Vorschlägen der gefühlten und tatsächlichen Klassiker verschonen kann, interessiert mich, welche Bücher – KEINE SERIEN BITTE – du mir für mich und meine bald 10-jährige Tochter empfehlen kannst.
Weltenbummler, Wandersportler, Wok-Weltmeister (nicht im Eiskanal), Wortjongleur und Foto-Enthusiast.