Hintergrund

Warum eigentlich sind viele Produkte in dickes Plastik eingeschweisst?

Es gibt Verpackungen, die schwieriger aufzukriegen sind als manch ein Safe. Plastikhüllen, die sogar die Schere an ihre Grenzen bringen. Warum wird uns das angetan?

Ich habe mir kürzlich einen Card Reader und neue Zahnbürstenköpfe für meine Philips Sonicare bestellt. Am nächsten Tag klingelt es. Ich öffnete erst die Türe und dann das Kartonpäckli, was mich sogleich mit den Augen rollen liess. Kartenleser wie auch Büstenköpfe waren in dickes Plastik eingeschweisst. Blister heissen solche Verpackungen, wie ich später erfahren werde. Vor meinem inneren Auge lief ein Film ab, der mit einer kaputten Schere und Schnittwunden an der Hand endete. Ich hasse diese Verpackungen. Wer macht sowas? Und weshalb sind sie überhaupt nötig?

Alle sind genervt von den Verpackungen

Kollege David Lee hat seinen Unmut auch schon kundgetan. Auch weitere Arbeitskollegen stimmen in den Tenor ein. Darum frage ich nach. Bei der Verpackungsindustrie und bei Herstellern. Die ersten paar E-Mails und Anrufe werden ignoriert. Dann meldet sich Herr Weber von der Tanner und Co. AG, die sich um Verpackungstechnik kümmert.

«Ich wünschte, ich könnte Ihre Frage beantworten. Sie interessiert mich nämlich genauso wie Sie. Beispiel: Canon CLI-526 Multipack. Diese Dinger kriegt man nicht auf, ohne sich blutige Finger, abgebrochene Zähne und offene Oberschenkelhalsbrüche zu holen.»

Die Druckertinte ist gemeint.
Die Druckertinte ist gemeint.

Keine Antwort, aber Motivation. Die Tanner und Co. AG in Meisterschwanden sei allerdings entschuldigt: Sie ist nicht im Verpackungsdesign, sondern in der Ausführung tätig und deshalb nicht die richtige Ansprechpartnerin. Ich solle mich aber unbedingt melden, sobald ich die Antwort habe.

Werde ich machen, Herr Weber.

Nachhaltigkeits-Blabla

Ein paar Tage später bekomme ich doch noch eine Antwort von Philips, die keine Antwort auf meine Frage ist. Sie soll stattdessen zeigen, wie sehr der Firma Nachhaltigkeit am Herzen liegt. In einem Satz wird gesagt, dass die Produkte so verpackt werden, dass sie gut geschützt sind, danach geht’s zwei Absätze lang um recycelte Materialien, CO2-Neutralität und erneuerbare Energie. Immerhin versichern sie mir auch, dass sie daran arbeiten, Verpackungen künftig so zu gestalten, dass sie schützen, aber dennoch einfach zu öffnen sind.

Ein paar Tage später rufen mich Tobias Krebs, Senior Product Manager, und Laura Böving, Marketing Director, von der Assmann Electronics GmbH – zu der die Marke Digitus gehört, die meinen Card Reader produziert – an. Endlich erfahre ich die drei Gründe, die für die sogenannte Blisterverpackung verantwortlich sind.

Diebstahlschutz

Menschen klauen. Ob aus der Not heraus, als Kick oder aus jugendlichem Leichtsinn. Was klein und unauffällig ist, gerät dabei schneller ins Visier der Dieb:innen als Unhandliches. Der Blister bläst die kleinen Teile mit viel Plastik auf, was vor schnellem Einstecken schützen soll. So zumindest erklärt mir das Tobias Krebs, Senior Product Manager. Ausserdem hätten die Blister oft zusätzlich einen Magnetstreifen, der im stationären Handel von den Kassierer:innen entwertet werden muss.

Warum genau ist dieser Ping-Pong-Schläger eingeschweisst? Der passt ja nicht unbedingt in die Jackentasche.
Warum genau ist dieser Ping-Pong-Schläger eingeschweisst? Der passt ja nicht unbedingt in die Jackentasche.

Produktschutz

Manche Produkte, vor allem elektronische, sind laut Krebs empfindlich auf Staub. Mit der dicken Plastikverpackung werden sie geschützt. Wäre der Card Reader vor meinem Kauf zwei Jahre lang offen im Regal gelegen, wäre er so verstaubt, dass im schlimmsten Fall meine Speicherkarte darunter leidet. Gut, zwischen dickem Plastik und gar keiner Verpackung gäbe es noch ein paar Varianten dazwischen, was mich zum dritten genannten Punkt führt.

Sichtbarkeit

Leute wollen sehen, was sie kaufen. Mit durchsichtigem Plastik klappt das, mit Karton nicht. «Dann werden die Verpackungen oft aufgerissen, zurück ins Regal geschmissen und dann ein geschlossenes Exemplar gekauft», sagt Laura Böving.

Online-Handel und Nachhaltigkeit verdrängen den Blister

Unzulänglichkeiten von Mensch und Produkt sind also verantwortlich für die gemeingefährlichen Blisterverpackungen. Besser gesagt, waren. Denn fast all die genannten Gründe gelten nur für den stationären Handel, im Online-Verkauf gelten ganz andere Regeln. Und der wird immer wichtiger. «Online können die Produkte nicht geklaut, nicht angefasst und nur auf Bildern angeschaut werden, somit bleibt nur noch der Schutz des Produkts als Argument», sagt Krebs. Der könne aber auch in Kartonverpackungen gewährleistet werden. Deshalb verschwinde der Blister mehr und mehr.

Mal schauen, ob ich hier nicht das Kabel anstatt den Plastik zerschneide.
Mal schauen, ob ich hier nicht das Kabel anstatt den Plastik zerschneide.

Dennoch ist der stationäre Handel nicht tot. Bleiben dort also Blister-Verpackungen in den Regalen? Da kommt wieder das Thema Nachhaltigkeit ins Spiel. Tonnenweise Plastikverpackungen lassen sich heutzutage nicht mehr wirklich rechtfertigen. Deshalb braucht’s auch im Super- und Drogeriemarkt Neuerungen. «Kartonverpackungen mit einem Siegelkleber funktionieren als Hemmschwelle gegen das Aufreissen ganz gut, viele Bilder auf der Packung ersetzen Transparenz und die Grösse der Verpackung kann auch bei Karton angepasst werden», sagt Böving. Nur das mit dem Magnetstreifen sei etwas schwieriger, aber wer klauen will, klaue auch. Das liesse sich eh nie ganz verhindern.

Aber auch Blisterverpackungen werden wohl nie ganz ausgerottet werden, meint zumindest Krebs. Für kleine empfindliche, eher teure Elektronikprodukte wie zum Beispiel Speicherkarten gebe es kaum eine Alternative. Da lohnten sich dann auch die Kosten, die bei der Herstellung des Blisters anfielen. «Kunststoff kommt ab der Rolle und wird dann im Thermoformverfahren modelliert. Dazu wird der Plastik erhitzt und über eine extra für das Produkt gefertigte Metallform gestülpt und die Luft abgezogen. Das wird mit zwei Hälften gemacht, die dann zusammengeschweisst werden», sagt Krebs.

So werden die Blisterverpackungen geformt. Bildquelle: Wikipedia
So werden die Blisterverpackungen geformt. Bildquelle: Wikipedia

Was ich bei all dem raushöre? Eigentlich mag niemand Blisterverpackungen. Für die Industrie sind sie teurer und aufwendiger herzustellen als andere Verpackungen, für die Endverbraucher sind sie unglaublich mühsam zu öffnen. Das Trägheitsgesetz beschreibt in der Physik das Bestreben physikalischer Körper, in ihrem Bewegungszustand zu verharren, solange keine äusseren Kräfte auf sie einwirken. Das gilt anscheinend auch für die Verpackungsdesigner:innen.

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