Warum ich in den Ferien künftig analog fotografiere
Statt hunderte Bilder mit einer digitalen Kamera zu machen, fotografiere ich eine Reise lang nur analog. Das Ergebnis sind Fotos, die technisch veraltet, aber emotional wertvoll sind.
Als Kind erbte ich von meinem Grossvater eine Spiegelreflexkamera – und die Freude an der Fotografie. Einen Grundkurs in einem Dachzimmer des lokalen Fotohändlers später wusste ich, was eine Blende ist und wie kurz eine Verschlusszeit sein sollte. Den Kurs gibt es heute noch. Doch analoge Filme sind längst digitalen Sensoren gewichen. Manuell fokussieren und belichten ist nicht mehr nötig, das erledigen Computerchips. Ein technisch korrektes Bild zu schiessen, ist heute völlig trivial.
Über 25 Jahre nach meinem Foto-Grundkurs drehe ich die Zeit zurück. Ich sitze in einem Propellerflugzeug über Costa Rica, in meiner Hand halte ich eine analoge Kleinbildkamera. Während ich im Sucher nach dem richtigen Bildausschnitt suche, spanne ich mit dem rechten Daumen den Verschluss. Mit der linken Hand drehe ich am Fokusring des Objektivs. Dann: «Klack!» Das Bild ist im Kasten.
Für unsere Themenwoche habe ich ausschliesslich eine Canon AE-1 Program mit in die Ferien genommen. Meine Sony A1 ist zuhause geblieben. Das Experiment birgt Risiken: Was, wenn ich die Bilder falsch belichte? Das würde ich erst zuhause merken, wenn ich sie entwickeln lasse. Was, wenn ich mehr Bilder machen will? Ich habe für zwei Wochen nur vier Rollen Film dabei, das sind gerade mal 96 Aufnahmen. Was, wenn ich ein Tele-Objektiv oder ein Weitwinkel brauche? Auf der Canon sitzt eine 50-Millimeter-Festbrennweite. Und überhaupt: Reicht mir die Bildqualität? Schliesslich bin ich mir die neuesten und tollsten Luxuskameras gewohnt.
Das Equipment: Ein Klassiker
Die Canon AE-1 Program erschien 1981 und war eine der meistverkauften Kameras ihrer Zeit. Sie kostete im Kit etwa 700 Franken. Heute musst du 200 ausgeben, wenn du ein gut erhaltenes Exemplar kaufen willst. Du solltest darauf achten, dass die Lichtdichtungen intakt sind. Falls nicht, kannst du sie selber ersetzen. Die AE-1 Program gibt es in Schwarz oder Silber, das Gehäuse besteht aus einer Kombination aus Metall und Kunststoff. Die Kamera ist viel handlicher als heutige Vollformat-Modelle.
Als eine der ersten Kameras hatte die AE-1 Program einen automatischen Aufnahmemodus – eben «Program» genannt. Stelle ich sowohl Verschlusszeit als auch Blende auf «A», übernehmen Belichtungsmesser und Mikrochip die Belichtung komplett. Alternativ kann ich Blende, Verschlusszeit oder beides manuell wählen. Die automatischen und halbautomatischen Modi sind heute selbstverständlich, damals waren sie eine Revolution. Davon abgesehen bin ich auf mich alleine gestellt. Einen Autofokus gibt es nicht. Auch den Film muss ich manuell transportieren.
Beim Objektiv entscheide ich mich für die Kit-Linse, mit der die Kamera verkauft wurde: das Canon FD 50mm 1:1.8. Es ist so klein und leicht, dass ich mir die Kamera um den Hals hängen kann, ohne dass das Objektiv sie vorne runterzieht. Die relativ grosse Blende bietet Raum für das Spiel mit der Tiefenschärfe. Sie ist auch nützlich, wenn ich abends fotografieren will oder eine schnelle Verschlusszeit brauche. «Schnell» bedeutet in diesem Falle maximal 1/1000 Sekunde, kürzer geht es mit der Canon AE-1 Program nicht.
Als Film wähle ich den Kodak Gold 200. «Gold» heisst er wegen seiner warmen Farbtöne. In einer digitalen Kamera entspräche der Weissabgleich ungefähr der Einstellung «bewölkt». Die Zahl 200 bezeichnet die Empfindlichkeit des Films. Sie ist tief genug, dass ich in der Sonne fotografieren kann – und hoch genug, dass auch bei bewölktem Himmel oder im Urwald die Verschlusszeit nicht zu langsam wird. Sobald das Tageslicht schwindet, ist allerdings nicht mehr viel zu machen.
Ich muss mich anstrengen – und das ist gut so
Ich habe keine Ahnung mehr, wie ich den Film überhaupt in die Kamera einlege. Dazu brauche ich eine Anleitung. Zum Glück gibt es heute zahlreiche YouTube-Kanäle zum Thema analoge Fotografie.
Schon bei den ersten Fotos im Flieger stelle ich fest: Analog zu fotografieren ist ein völlig anderes Erlebnis, als ich es gewohnt bin. Mit einer digitalen Kamera halte ich drauf und drücke ziemlich schnell das erste Mal ab. Dann wird das Ergebnis kontrolliert und bei Bedarf verbessert. Mit einer analogen Kamera geht das nicht. Ein Druck auf den Auslöser kostet ausserdem über einen Franken, wenn ich die Preise für Film und Entwicklung zusammenzähle – und die Zahl der Aufnahmen ist beschränkt.
Der höhere Einsatz zwingt mich zu mehr Sorgfalt. Ich überlege schon vor dem Auslösen, ob es ein Bild überhaupt wert ist, gemacht zu werden. Falls ja, ist die Brennweite mit dem fixen Objektiv gegeben. Wenn ich mit der Komposition unzufrieden bin, suche ich aber viel länger nach einer besseren Aufnahmeposition, als wenn ich zum Beispiel mit einem Smartphone fotografiere. Dort gebe ich mich bei Ferienfotos schnell mit einem mittelmässigen Foto zufrieden – Hauptsache, die Erinnerung ist im Kasten.
Mit der Canon AE-1 Program hingegen nehme ich mir Zeit. Einerseits weil ich muss, andererseits weil ich will. Denn tatsächlich habe ich so viel Spass am Fotografieren wie schon lange nicht mehr. Warum, kann ich mir zunächst selber nicht erklären. Zweifellos könnte ich mit einer heutigen Kamera die technisch besseren Bilder machen. Ich wäre auch schneller und hätte mehr Möglichkeiten. Als eine Affenfamilie vor dem Fenster herumtollt, wünsche ich mir zum Beispiel ein längeres Objektiv und einen Autofokus.
Doch darum geht es nicht. Ich fotografiere schliesslich nicht professionell für jemand anderen, sondern für mich. Noch wichtiger als das Resultat ist deshalb der Prozess: Die grössere Herausforderung bedeutet eine grössere Befriedigung im Erfolgsfall. Die Ungewissheit während des Fotografierens geht einher mit Spannung und Vorfreude. Und dann wäre da noch das Gerät als solches. Meine moderne Sony ist beeindruckend, fühlt sich aber an wie ein seelenloser Computer. In der mechanischen, knarzenden und klickenden Canon hingegen stecken 30 Jahre Geschichte. Das triggert meine Nostalgie.
Objektiv schlechter, subjektiv besser
Wieder zuhause angekommen, gebe ich meine Filme zur Entwicklung. Das geht in diversen Fachgeschäften. Im Foto Huus Oerlike zum Beispiel kosten digital gelieferte Bilder eines normalen 35-mm-Films 15 Franken. Zu meiner Erleichterung sind alle meine Fotos korrekt belichtet. Die meisten sind auch scharf, nur mit weit geöffneter Blende brauche ich wohl noch etwas Übung.
Mit dem Ergebnis bin ich fürs erste Mal zufrieden. Es sind sogar meine liebsten Ferienfotos seit langem. Technisch gesehen können sie in keiner Hinsicht mit Bildern aus meiner modernen Sony mithalten. Dynamikumfang? Gering. Bildrauschen? Hoch. Auflösung? Tief. Doch das ist mir alles egal. Genau wegen ihrer Imperfektionen haben die Bilder einen einzigartigen und in sich konsistenten Look. Dazu tragen auch die Farben des Kodak-Films und die immer gleiche Brennweite bei. Bestimmt spricht hier der Nostalgiker in mir, doch als Serie sieht das aus wie eine Reise in eine vergangene Ära.
Hätte ich das alles auch digital machen können? Klar. Es gibt massenweise Analog-Filter. Doch irgendwie ist das nicht das Gleiche. Ich wäre wahrscheinlich mit 1000 Bildern nach Hause gekommen. Die müsste ich nun sichten, sortieren und bearbeiten. Über die Hälfte wären Duplikate oder schlechte Kompositionen. Diese Arbeit bleibt mir mit meinen vier Kodak-Filmen grösstenteils erspart. Gefühlt habe ich am Ende zwar weniger, aber dafür überlegtere Aufnahmen. Von einigen bestelle ich physische Abzüge im Format 13 × 18 cm für 1.50 Franken pro Stück und hänge sie auf.
Ironischerweise habe ich den Eindruck, dass diese wenigen analogen Fotos meine Erinnerungen besser und nachhaltiger konservieren als die Fluten von digitalen Aufnahmen aus anderen Ferien. Zudem hat sich das Fotografieren nach Spass angefühlt – nicht nach Arbeit wie sonst manchmal. Brauche ich im Alltag ein Bild, ist mir das egal. Hauptsache, die Kamera ist nicht im Weg und liefert gute Resultate. Das kann ein digitales Gerät viel besser. Ferienfotos messe ich aber am emotionalen Wert, der auch vom Erlebnis beim Fotografieren abhängt. In meinem Reisegepäck wird deshalb in Zukunft wieder die Canon AE-1 Program landen.
Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.