Was bedeutet eigentlich Ayurveda – und wie hilft es dir?
20/1/2023
Du willst die richtige Balance im Leben finden? Entspannter und gesünder werden, auch präventiv? Das Angebot scheint unübersichtlich, aber wir helfen dir da durch: Heute geht es um die Basics der traditionellen indischen Heilslehre Ayurveda.
Ihr kennt das Problem? Ob im Office oder im Freundeskreis – immer gibt es da diese eine Person, die ihr Leben zum Besseren verändern konnte und allen davon erzählt. Sei es Yoga oder Feldenkrais, holotropes Atmen oder ein transzendentes Selbsterfahrungsseminar: Mit diesen «Life Changing Moments» kann man einfach nicht mithalten. Und kommt sich so unbedarft vor, als würde man noch die Rüben vom Acker klauben. Wo bleibt die Erleuchtung, wo die Antworten auf so manche offene Frage? Vielleicht findest du hier eine: Ayurveda, die traditionelle indische Heilslehre. Vielleicht passt sie ja zu dir – immerhin klingt ihr Leitmotto durchaus nachvollziehbar: «Was immer wir selbst tun können, um unsere eigene Gesundheit zu stärken, wirkt besser als das, was andere für uns tun.»
Ayurveda ist eine mehr als 5000 Jahr alte Lehre. Aus dem Sanskrit übersetzt bedeutet das Wort so viel wie «Wissen vom Leben». Als ganzheitliche Methode geht es beim Ayurveda nicht nur darum, Krankheitssymptome und Schmerzen zu beseitigen, sondern auch Körper, Geist und Seele wieder in eine harmonische Balance zu bringen. In Indien wird Ayurveda übrigens keinesfalls nur in schicken Spa-Resorts angeboten, sondern vor allem in spezialisierten Krankenhäusern und Sanatorien.
Wenig verwunderlich also, dass die Weltgesundheitsorganisation es bereits im Jahr 1982 als eigenständige medizinische Disziplin anerkannt hat. Zur Reinigung, Entgiftung und Stärkung des Körpers setzt man vor allem auf eine Kombination aus wohltuenden Massagen, Kräuter- und Ölanwendungen, Aromatherapie, Meditation, Entspannungs- und Bewegungsübungen sowie auf typgerechte Ernährung.
Ayurveda? Fragen wir den Experten aus Indien
Was dahintersteckt, erklärt dir ein Experte: Dr. Sreenath Pulintara blickt auf mehr als 11 Jahre Erfahrung in Indien und im Ausland zurück, er gehört zur dritten Generation einer Familie, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Ayurveda-Behandlung auf der ganzen Welt zu verbreiten. Er ist ein qualifizierter Ayurveda-Arzt, der seinen sechsjährigen akademischen Bildungsweg in Ayurveda (Bachelor of Ayurvedic and Surgery) abgeschlossen hat. Außerdem ist er Absolvent der Kerala University.
Zur Ausbildung gehören u.a. ayurvedisches Panchakarma (frei übersetzt heißt das «fünffache Handlung«, was bedeutet, dass der Körper auf fünf verschiedene Arten geheilt werden kann) und die «Marma«-Behandlung, eine therapeutische Berührung, bei der Druck auf gewisse Punkte ausgeübt wird. Gemeinsam mit dem Österreicher Hannes Hruby hat Pulintara Mitte 2022 die «Citylight Ayurveda Klinik» am Standort Munroe Island in Südindien eröffnet. Diesen Mann kann man alles fragen – ohne sich dumm dabei vorzukommen.
Was passiert bei Ayurveda?
Am Anfang jeder ayurvedischen Konsultation steht die Pulsdiagnostik (Prakruti). Mit ihrer Hilfe erkennen Ayurveda-Ärztinnen und -Ärzte die aktuelle Konstellation der drei Doshas – auch als «Vata», «Pitta» und «Kapha» bekannt. Diese drei Lebensenergien kommen in jedem Individuum in unterschiedlich starken Ausprägungen vor. Befinden sich die Doshas im Ungleichgewicht, werden Psyche und Physis gleichermaßen belastet. Akute und chronische Erkrankungen können die Folge sein. Es gilt also, mit den bereits genannten Maßnahmen wieder ein körperliches, geistiges und seelisches Gleichgewicht herzustellen.
Für wen ist Ayurveda geeignet?
Jeder gesunde und ungesunde Mensch kann von Ayurveda profitieren, es kommt allen zugute, die der Natur eine Chance zum Heilen geben. Warum es grundsätzlich für jeden geeignet ist? Ganz einfach: Der individuelle Konstitutionstypus der einzelnen Patientinnen und Patienten steht immer im Vordergrund, die Behandlungen werden genau darauf abgestimmt. Ayurveda gleicht unseren Körper, Geist, Seele und Umwelteinflüsse aus. Und es hilft bei der Vorbeugung von Krankheiten, indem es das Immunsystem und die Körperkonstitution stimuliert.
Wobei hilft Ayurveda?
Ayurveda kann man bei allen Arten von rheumatischen, psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen und Magen-Darm-Problemen anwenden: Das reicht von Kopfschmerzen, Migräne, Haarausfall, Seh- und Hörstörungen über Depressionen, Angstzustände, Schlafstörungen bis zu Gelenkerkrankungen, degenerative Nervenerkrankungen, Hauterkrankungen wie Psoriasis oder Akne. Bei Wirbelsäulenerkrankungen wie etwa dem gefürchteten Bandscheibenvorfall gibt es erstaunliche Erfolge, ebenso bei Autoimmunerkrankungen, Menstruationsstörungen, Ovarialzysten, Uterusmyomen, Übersäuerung, Lebererkrankungen und Nierenerkrankungen. Es hat auch sehr starke präventive Aspekte. Ayurveda eignet sich besonders gut für die unterstützende Therapie von modernen Zivilisationskrankheiten wie etwa Burnout oder sogar bei posttraumatischen Störungen.
Was ist die Grundlage der ayurvedischen Ernährung?
Auch hier gilt: Im Ayurveda wird jeder Mensch für sich und nur für sich betrachtet. Was dem einen gut tut, gilt nicht für den anderen. Die zentrale Frage lautet daher: Welche Lebensmittel, Gewürze und Zubereitungsarten sind individuell gut geeignet? Bei dieser Auswahl müssen die Konstitution (Prakriti) und das eventuelle Ungleichgewicht (Vikriti) mitberücksichtigt werden. Und natürlich: Der bereits angesprochene Dosha-Typ. Diese sind im Jahresverlauf unterschiedlich aktiv. Daher gibt es für jede Jahreszeit unterschiedliche Empfehlungen hinsichtlich der Ernährung.
Wie erkenne ich einen echten Experten?
Der erste, wichtige Schritt ist es, sich von einem qualifizierten Ayurveda-Praktizierenden beraten zu lassen, der ein Studium über sechs Jahre an einer anerkannten Universität abgeschlossen hat. Ayurveda ist ein vollständiges Diagnose- und Therapiesystem und verfügt über einen beachtlichen Reichtum an empirischem Heilwissen. In Europa ist das alles leider so gut wie nicht geregelt: Im Grunde dürfen sich hier alle Ayurveda-Therapeutin oder -Therapeut nennen. In der Schweiz wendet man sich daher am besten an den «Berufsverband für Schweizer Ayurveda Medizin und Therapie».
Was kostet Ayurveda und wie lange dauert es?
Das ist sehr unterschiedlich und in Indien weitaus günstiger als in Europa. Der Tagesaufenthalt mit Treatments zum Kennenlernen ist bei «Citylight Ayurveda» ab 60 Euro zu haben. Ein- oder mehrwöchige Panchakarma-Kuren können dann schon teurer werden. Aber: Eine Ayurveda-Behandlung braucht Zeit, um ihre ganz eigenen Vorteile zu entfalten. Es ist überhaupt nicht ratsam, zwei oder drei Massagesitzungen am selben Tag zu machen, um möglichst schnell zum vermeintlichen Ziel zu kommen. Das Ziel ist der Weg – alles andere überfordert uns auf dem Weg zur Heilung oder kann sogar nach hinten los gehen.
Und was sagt die Wissenschaft?
Um diese Frage zu beantworten, habe ich mich nach Studien zur Wirksamkeit umgesehen. Immerhin: Die wachsende Anzahl von Kliniken mit Ayurveda-Angeboten in Europa weisen auf eine Bedeutungszunahme der ayurvedischen Medizin hin. Allein: Hier ist noch viel Luft nach oben. Einer Dissertationsarbeit an der Medizinischen Hochschule Hannover zur Wirksamkeit von Ayurveda bei chronischen Erkrankungen kann man einige Ergebnisse entnehmen: Die Evidenzlage zur Wirksamkeit ayurvedischer Interventionen ist dabei für Diabetes mellitus mit 62 isolierten Studien mit Abstand am besten, gefolgt von Fettstoffwechselstörungen und Asthma bronchiale. Und in einer Studie der «Cochrane Collaboration» – ein globales, unabhängiges Netzwerk aus Wissenschaftlerinnen und Ärzten – stellten Forschende fest: Ayurveda-Medikamente haben eine gewisse Wirkung bei der Behandlung von Schizophrenie, doch diese wurde nur in kleinen Pionierstudien untersucht.
Im Buch «Heilung oder Humbug? 150 alternativmedizinische Verfahren von Akupunktur bis Yoga» kommt Edzard Ernst zu einem eindeutigen Fazit. Der deutsch-britische Mediziner Edzard Ernst war Professor für Komplementärmedizin, er steht der Alternativmedizin allerdings teils auch kritisch gegenüber. Laut ihm gibt es wenige Studien über ayurvedische Heilmittel und die meisten seien methodisch schwach, da ihre Wirksamkeit von der genauen Art der Inhaltsstoffe abhängt. Ein wesentliches Problem dabei sei allerdings: Gute Forschung kostet viel Geld – und für Naturheilkunde stehen selten größere Fördersummen zur Verfügung.
Titelbild shutterstockJanina Lebiszczak
Autorin von customize mediahouse
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