Wenn Leuchtkleidung unsichtbar macht: Reflektoren können automatische Bremsassistenten verwirren
Hintergrund

Wenn Leuchtkleidung unsichtbar macht: Reflektoren können automatische Bremsassistenten verwirren

Ausgerechnet Reflektoren sorgen dafür, dass manche Bremsassistenten moderner Autos den Dienst versagen. Natürlich ist das kein Grund, auf auffällige Kleidung zu verzichten. Aber ein blinder Fleck, der die Vorbildlichen in Gefahr bringt.

Unsichtbar sein wie Harry Potter mit seinem Tarnumhang – ein Traum, den wohl jedes Kind mal träumt. Und der Albtraum aller Eltern, die ihre Kinder morgens mit einem mulmigen Gefühl und mit bunten Reflektoren behangen auf die Strasse schicken.

Aus guten Gründen, denn im Kindergarten- und frühen Schulalter sind diese noch nicht so weit, dass sie Geräusche und Geschwindigkeiten richtig einschätzen können – falls der Blick auf den Verkehr über die Motorhauben der parkierten Autos hinweg überhaupt möglich ist.

  • News & Trends

    Zum Tag des Lichts – Reflektoren können Leben retten

    von Patrick Vogt

Das Bewusstsein für die Gefahren sei erst im Alter von 8 bis 10 Jahren vollständig entwickelt, schreibt die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU). Und weiter: «Verletzten sich 1980 bei Verkehrsunfällen noch über 1700 Kinder schwer oder tödlich, sind es heute noch rund 10 Prozent davon.» Viel besser. Aber immer noch zu viel.

Ein Grund für den positiven Trend ist mit Sicherheit die Fahrzeugtechnik. Bis ein Mensch reagiert, ist in der Regel schon einiges passiert, was moderne Sicherheitssysteme heute verhindern können. Sie erfassen die Situation, analysieren und handeln. Zum Beispiel indem sie beherzt bremsen, wenn unerwartet eine Person auf die Fahrbahn tritt. Seit Juli 2024 sind Notbremsassistenten in der Schweiz und der EU bei neu zugelassenen Fahrzeugen Pflicht. Doch wie gross ist ihr Nutzen?

Gute Leistung auf beleuchteten Strassen

Automatische Bremsassistenten können die Unfallrate mit Fussgängern um 27 Prozent reduzieren, zitiert das Insurance Institute for Highway Safety (IIHS) in seiner aktuellen Publikation. Die amerikanische Non-Profit-Organisation wird von Autoversicherern finanziert und führt regelmässig Studien in diesem Feld durch.

Da dieser positive Effekt bislang nur bei guten Lichtverhältnissen deutlich nachgewiesen wurde, interessiert sich das Testteam für die Leistung der Notbremssysteme bei Dunkelheit. Dann, wenn die Unfallgefahr steigt. Deshalb hat das IIHS drei Automodelle bei entsprechenden Bedingungen getestet: Einen Honda CR-V, einen Mazda CX-5 und einen Subaru Forester, jeweils Baujahr 2023, aber trotzdem bereits mit entsprechenden Assistenzsystemen ausgestattet.

Getestet wurde mit drei kleinen SUV, im Bild ein Honda CR-V.
Getestet wurde mit drei kleinen SUV, im Bild ein Honda CR-V.
Quelle: Wikimedia Commons/M 93/CC BY-SA 3.0

Die Autos fuhren auf einen Dummy zu, der von links oder rechts über die Strasse und vor die drei Testfahrzeuge geschickt wurde, die mit gut 40 km/h unterwegs waren. Mal ohne, mal mit Strassenbeleuchtung, mit Abblend- und mit Fernlicht. Dazu wurde die Testpuppe in unterschiedliche Kleidung gesteckt: Ganz in Schwarz, ganz in Weiss, in Schwarz mit einer stark reflektierenden ProViz360 Laufjacke und in Schwarz mit Reflektorbändern an den Gelenken.

Ungefähr in diesem Outfit war der Dummy unterwegs:

Proviz Men REFLECT360 running jacket (M)
Velojacke

Proviz Men REFLECT360 running jacket

M

Compressport Hurricane Windproof Seamless Pants (M)
Sporthose

Compressport Hurricane Windproof Seamless Pants

M

Proviz Men REFLECT360 running jacket (M)

Proviz Men REFLECT360 running jacket

M

Compressport Hurricane Windproof Seamless Pants (M)

Compressport Hurricane Windproof Seamless Pants

M

Die Annahme, dass reflektierende Kleidung zu besseren Ergebnissen führt, wurde teilweise verstörend eindeutig zerstört.

Nur ein Bremsassistent lässt sich kaum verwirren

Der Bremsassistent des Honda versagte bei allen Versuchen, in denen der Dummy die reflektierende Jacke oder Reflektorbänder trug. Nur bei weisser Kleidung, Abblendlicht und Strassenbeleuchtung war er in der Lage, die Geschwindigkeit vor dem Aufprall im Mittel um mehr als 50 Prozent zu reduzieren. In 46 von 55 Versuchen wurde die Testpuppe angefahren, eine Quote von 84 Prozent.

Auch der Mazda trat nicht auf die Bremse, wenn der Dummy mit Reflektorbändern unterwegs war. Mit der Laufjacke kam sein Bremsassistent etwas besser zurecht und verlangsamte, je nach Lichtverhältnissen, um bis zu 62 Prozent. Insgesamt konnte er bei 59 Versuchen die Kollision zu 88 Prozent nicht verhindern.

Dass es viel besser geht, stellte der Subaru unter Beweis: Er kam bei 53 Fahrten nur ein einziges Mal nicht rechtzeitig zum Stehen. Du ahnst es wahrscheinlich schon: Der Dummy hatte bei diesem Versuch die Reflektorstreifen an.

Der Subaru Forester regierte mit Abstand am besten.
Der Subaru Forester regierte mit Abstand am besten.
Quelle: Wikimedia Commons/Kevauto/CC BY-SA 4.0

Der blinde Fleck muss weg

Wer in dunklen Strassen zu Fuss oder auf dem Velo unterwegs ist und sich mit Reflektoren schützen will, hat bei dieser Versuchsanordnung überraschend schlechte Karten. Offensichtlich gibt es hier ein Problem, dass die Hersteller schleunigst angehen sollten.

Es ist nicht hinnehmbar, dass die Kleidung, die Fussgänger, Radfahrer und Strassenarbeiter zu ihrer Sicherheit tragen, sie für die Unfallvermeidungstechnologie schwieriger erkennbar machen könnte.
IIHS-Präsident David Harkey

Nun könntest du dagegenhalten, dass die Leuchtkleidung alleine genügen müsste, um Autofahrerinnen und -fahrer auf die Gefahr aufmerksam zu machen. Hier kannst du dir vor Augen führen, welchen Unterschied das macht.

Natürlich sollte sich niemand auf Bremsassistenten verlassen. Aber das Ergebnis hinterlässt trotzdem ein komisches Gefühl, weil ausgerechnet diejenigen gefährdet sind, die scheinbar alles richtig machen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Hersteller es sich zu Herzen nehmen und diesen blinden Fleck ausmerzen.

25 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.


Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

Kommentare

Avatar