«Age of Empires»-Entwickler: «Der beste Teil? Das ist, als ob du Eltern fragst, welches Kind sie am liebsten haben»
Bruce Shelley wirkte an vier «Age of Empires»-Spielen mit. Im Interview erzählt er, wie es zum historischen Setting kam, warum Kinderbücher als Quelle dienten und was er vom vierten Teil denkt.
«Age of Empires» erschien vor fast 25 Jahren. Damals schossen Echtzeitstrategiespiele wie Pilze aus dem Boden. Dafür hatten die Erfolge von «Command & Conquer» und «Warcraft» gesorgt. Aber niemand konnte ahnen, dass das in der Steinzeit beginnende und in der Antike endende Strategiespiel, die Welt im Sturm erobern sollte. Noch bevor «Age of Empires IV» erschien, verkaufte sich die Serie über 25 Millionen Mal und sorgte für einen Umsatz von rund einer Milliarde US-Dollar. Kein Wunder, hat die digitec Community den neusten Teil zum Turnierspiel des sechsten digitec Playgrounds gewählt.
Entscheidend zum Erfolg von «Age of Empires» beigetragen hat Bruce Shelley. Der heute über 70-Jährige war Designer der ersten drei Teile sowie des Spinoffs «Age of Mythology». Bereits davor schrieb er zusammen mit Sid Meier mit «Civilization» in doppelter Hinsicht Geschichte.
Bruce, wann war das letzte Mal, als du «Age of Empires» gespielt hast?
Bruce Shelley, Game Designer: Ich kann mich nicht erinnern. Ich bezweifle aber, dass ich es viel spielte, nachdem wir es fertiggestellt hatten. Wir fingen sofort an, «Age of Empires 2» zu entwickeln. Es ist wie bei der Herstellung von Würsten. Du kannst (ewig) weitermachen, aber irgendwann musst du sie abbinden und verkaufen, denn es ist ein Geschäft.
Gilt das für alle deine Spiele? Spielst du sie selbst nicht oft?
Wir spielen sie intensiv, während wir sie machen. Wir designen sozusagen beim Spielen und schreiben den Code laufend neu. Die Produktion von «Age of Empires» war ein drei Jahre langer Prozess. Danach freust du dich, mal wieder etwas Neues spielen zu können.
Habt ihr im Büro viel im Multiplayer-Modus gegeneinander gespielt?
Ja, absolut. Wir spielten anfangs regelmässig bestehende RTS-Spiele, um sicher zu sein, dass wir verstehen, wie sie funktionieren. Ich erinnere mich an den Tag, an dem wir den Mehrspielermodus einführten und zum ersten Mal gegeneinander spielen konnten. Wir hatten acht Leute, die in unseren Büros über ein lokales Netzwerk spielten. Nachdem wir das Spiel beendet hatten, kamen alle aus ihren Büros, schüttelten sich die Hände und klatschten und jubelten. Das war ein grosser Meilenstein. Von diesem Tag an, nahm das Spiel Gestalt an.
Was war deine Strategie beim Multiplayer?
Ich war eher ein Baumeister, also nahm ich mir mehr Zeit für den wirtschaftlichen Teil. Ich mochte diesen Teil des Spiels besonders. Gegen wirklich gute Spieler war ich aber meist zu spät dran, um eine Chance zu haben. Es war, als würde ich mit zwei Fingern tippen, während meine Kollegen mit zehn Fingern spielten.
War dir während der Entwicklung bewusst, dass es ein so grosser Hit werden könnte?
Man sollte nicht zu optimistisch sein. Ich hatte Jahre zuvor an «Civilization» gearbeitet. Damals wusste ich, dass wir etwas erschaffen würden, das die Welt verändern würde. Ich vermutete zwar, dass Age in die gleiche Richtung gehen könnte, trotzdem unterschätzte ich, wie beliebt es sein würde. Nach «Command & Conquer» und «Warcraft» befanden sich 50 Echtzeitstrategiespiele in der Entwicklung. Jedes dieser Spiele war Science Fiction oder Fantasy. «Age of Empires» war das einzige, das in einer historischen Welt angesiedelt war. Das hat sich als positiv herausgestellt. Inzwischen habe ich verstanden, dass ein Spiel anders sein muss als andere auf dem Markt.
Wir haben «Warcraft» regelmässig gespielt und als wir unser Spiel in Gang gebracht hatten, fanden wir, dass es uns besser gefiel. Wir hatten wirklich Spass daran, unser eigenes Spiel zu spielen, was vielleicht ganz natürlich ist. Aber wenn diese Hardcore-Gamer wirklich Spass daran haben, unser Spiel zu spielen, dann ist das wirklich eine positive Sache.
«Age of Empires» war eines der ersten Spiele von Microsoft. Der Konzern befindet sich heute in einer ganz anderen Position in der Spielebranche. Wie war es damals, ein Spiel für Microsoft zu entwickeln?
Wir hatten Glück, dass die Chefs der Spielabteilung Gamer waren und Spiele zu schätzen wussten. Sie teilten die Vision, dass Microsoft Games veröffentlichen sollte. Es gab sicherlich Streitigkeiten über die geschäftliche Seite und solche Dinge, aber insgesamt war es eine sehr positive Erfahrung. Irgendwann gab es einen Führungswechsel und alles änderte sich. Wir wurden alle entlassen. Microsoft setzte einen neuen Schwerpunkt mit der Xbox gegenüber dem PC.
Wie klar war die Vision am Anfang der Entwicklung, wie das Spiel aussehen sollte.
Die Vision war diese: Wir kombinieren die Geschichte und die wirtschaftlichen Elemente von «Civilization» mit dem Echtzeit-Gameplay von «Warcraft» und «Command & Conquer». Dann kam die Idee, mit der Steinzeit zu beginnen und weiterzugehen. Weil die Geschichte riesig ist, fokussierten wir uns im ersten Age auf die Antike und gingen erst im zweiten zum Mittelalter über. Das war eine gute Entscheidung.
Du hast in den 80er Jahren für eine Brettspielfirma gearbeitet. Hat das bei der Entwicklung deiner Spiele geholfen?
Ich denke schon. Ich entwickelte bei MicroProse mit Sid Meier Spiele-Prototypen. Er hatte immer ein Dutzend kleiner Prototyp-Spiele auf seinem Computer. Ab und zu wurde eines davon zu einem richtigen Spiel. Als wir Brettspiele entwickelten, nahmen wir einfach ein Stück Papier mit Hexagon oder Quadraten oder so und machten kleine Stücke aus Papier und fingen an, Sachen herumzuschieben. Wir haben also einen physischen Prototyp einer Idee erstellt und dann Änderungen vorgenommen. So entwickelten wir Computerspiele.
Wenn du auf «Age of Empires» zurückblickst, bist du mit dem Ergebnis immer noch zufrieden?
Wenn ich zurückblicke, bin ich sehr zufrieden mit der Serie. Sie ist gewachsen, sie hat sich verändert und ich glaube, sie hat viele Leute glücklich gemacht. Ich habe mindestens einen Ex-Kollegen, der mit seinem Schulfreund immer noch einmal pro Woche Age 2 spielt. Die Vorstellung, dass die Leute immer noch etwas spielen, das wir vor 30 oder 25 Jahren gemacht haben, ist ein gutes Gefühl.
Welcher Teil gefällt dir am besten?
Das ist schwierig. Das ist, als würdest du Eltern fragen, welches Kind sie am liebsten haben. Jedes hat seine eigene Persönlichkeit. Du hast mit jedem von ihnen Momente der Prüfung und des Leids – aber auch Momente der Freude. Ich glaube, bei «Age of Empires 2» kam alles zusammen. Ich mochte aber auch das Aussehen von Teil 3 sehr. Das ist eine meiner Lieblingsperioden in der Geschichte. Über die Erkundung der Neuen Welt habe ich immer gerne gelesen. Müsste ich mich entscheiden, wäre es wohl Age 2. Aber jeder Teil, inklusive «Age of Mythologie», hat etwas, das ich liebe.
Wie fühlt es sich an, ein neues Team zu sehen, das an «Age of Empies» arbeitet?
Damit habe ich kein Problem. So lebt das Franchise weiter. Die meisten von uns, die die Originale gemacht haben, sind nicht involviert. Ich bin froh, dass sie es für gut genug halten, um es fortzusetzen. Das Wichtigste ist für mich, dass es nicht für immer in einer Schublade verschwindet. Es gibt ein Publikum, das es immer noch spielt.
RTS scheinen derzeit ein Revival zu erleben, nachdem das Genre jahrelang brach lag.
Die Leute wollen heute ein schnelleres Spiel. Ein qualitativ hochwertiges RTS-Spiel dauerte früher eine Stunde oder 45 Minuten. «League of Legends» oder einen Shooter kannst du in 15 Minuten spielen. Die sind schnell vorbei. In ein AoE-Spiel oder ein RTS-Spiel investierst du hingegen eine Menge Zeit. Wenn du verlierst, fühlt sich das nicht so toll an. Wir hatten unseren Tag in der Sonne und haben ihn genossen.
Hast du «Age of Empires IV» gespielt?
Nein, das habe ich nicht. Ich bin jetzt ein alter Mann. Ich bin über 70 und stelle fest, dass es nach mehr als 40 Jahren, in denen ich an der Entwicklung von Spielen beteiligt war, andere Dinge gibt, die mich interessieren. Wenn du in mein Alter kommst, fängst du an, darüber nachzudenken, wie viel Zeit du noch hast. Willst du wirklich deine Zeit mit einem Spiel verbringen, wenn du etwas anderes tun könntest – vielleicht reisen oder etwas, das dir wichtiger erscheint?
Du hast an vielen grossen Spielen wie «Age of Empires», «Civilization» oder «Halo Wars» gearbeitet. Was zeichnet ein erfolgreiches Spiel aus?
Das Wichtigste ist, dass das Spiel Spass macht. Denn so reden Spieler über Games: Es macht Spass oder nicht. Als Profi musst du aber wissen, was das bedeutet. Für mich bedeutet es, dass der Spieler engagiert ist. Wenn der Spieler oder die Spielerin Entscheidungen trifft, ist er oder sie engagiert. Sid Meier hat einmal gesagt, dass ein Spiel eine Reihe von interessanten Entscheidungen ist. Das ist mir als Definition nicht ganz genug. Ich erinnere mich, dass bei der Veröffentlichung von «Age of Empires» ein Journalist schrieb: «Dieses Spiel ist wie digitales Kokain». Und ich dachte, okay, wir haben unseren Job gemacht, wenn wir digitales Kokain geschaffen haben. Die Leute spielen einfach weiter. Noch ein Zug und noch ein Zug. Sie wollen sehen, was passiert. So vergisst du die Zeit. Menschen kommen in einen Flow. Wenn die Entscheidungen wirklich wichtig sind, dann engagieren sich die Leute – und ohne zu merken, was los ist, haben sie Spass dabei.
«Age of Empires» ist kein Geschichtsspiel. Es bringt dir keine Geschichte bei. Wie habt ihr entschieden, wie hintergründig das Spiel sein soll?
Wir wollten, dass die Spielerinnen und Spieler Spass haben und nicht Historiker oder Designer. Also gingen wir in die Kinderabteilung der Bibliothek und orientierten uns an dieser Literatur. Wir versuchten nicht, die Geschichte nachzustellen. Wir borgten uns lediglich die Dinge aus der Geschichte, die ein gutes Spiel ergeben würden. Deshalb gibt es in unseren Spielen nicht wirklich Religion oder Sklaverei. Gewisse Dinge liessen wir einfach weg. «Age of Empires» ist keine Simulation. Und trotzdem reden die Leute über die Phönizier oder andere Völker und Kulturen, an die niemand sonst je denken würde. Spieler sprachen über die Trebuchet, eine Waffe, die völlig in Vergessenheit geraten war. In «Age of Empires 2» ist sie so mächtig, dass alle wussten, was eine Trebuchet ist.
Wir bekamen Briefe von Eltern, in denen sie erzählten, dass ihre Kinder wegen «Age of Empires» mehr über Geschichte, bestimmte Figuren oder Völker lesen wollten.
Ihr wolltet ursprünglich bewusst kein Sci-Fi- und kein Fantasie-Spiel machen, weil es davon schon genug gab. Nach «Age of Empires 3» erschien dann aber doch «Age of Mythology». Wie kam es dazu?
Es war eine Erleichterung, einfach mal etwas anderes machen zu können. Die Künstler konnten sich austoben. Ich glaube, jeder hat die Arbeit daran sehr genossen. Und es stellte sich als ein beliebtes Spiel heraus. Es gibt Leute, die mir sagen, dass «Age of Mytholgy» ihr Lieblingsspiel der Serie ist.
Du hast für viele verschiedene Unternehmen wie Ubisoft, Blue Byte und Zynga gearbeitet. Du bist jetzt seit über 30 Jahren in der Branche.
Wenn wir die Papierspiele dazurechnen, sind es 40 Jahre.
Was sind die grössten Veränderungen, die die Game-Szene während dieser Zeit erlebt hat?
Ich habe einen Blogbeitrag über das Mooresche-Gesetz geschrieben, bei dem Computerchips immer leistungsfähiger werden und die Kosten sinken. Ich habe gesagt, dass in der Spieleentwicklung seit 40 Jahren das Gleiche passiert. Etwa alle sechs Monate gab es eine bedeutende Veränderung in der Spieleentwicklung. Das erste Computerspiel, an dem ich gearbeitet habe, bestand aus vier Farben; Schwarz, Weiss, Magenta und Cyan. Das war es, womit wir arbeiten mussten. Das Spiel musste also ziemlich lustig sein, denn es gab keine Grafik, die interessant gewesen wäre. Und als wir dann 16 Farben hatten, hiess es: Wow, wir haben 16 Farben. Aber wir haben nicht genug Leistung, um alle 16 zu verwenden. Danach hatten wir 64, und konnten auch nicht alle verwenden.
Mein Telefon ist heute eine Million Mal leistungsfähiger als der erste PC, an dem ich gearbeitet habe. Die Grafik hat sich drastisch verändert. Wir mussten fast jedes Mal, wenn wir ein Spiel entwickelten, eine neue Engine bauen. Heute können wir Unity oder Unreal verwenden – und ein Grossteil der schweren Arbeit ist erledigt. Man kann innerhalb von ein oder zwei Wochen Prototypen erstellen. Erst neulich tauchte Wordle aus dem Nichts auf und wird von Menschen auf der ganzen Welt gespielt.
Man kann 100 Millionen Dollar für ein Spiel ausgeben. Wordle hat eine einzelne Person auf seiner kleinen Maschine gemacht und die Welt mit diesem kleinen Spiel ein bisschen verändert. So etwas passiert seit 40 Jahren und ich finde es erfrischend.
Und jetzt arbeitest du bei Bonus XP, wo du an «Stranger Things» mitgewirkt hast. Auch eine Art von Retro-Spiel. Gibt es Parallelen zu «Age of Empires», oder war das nur ein Zufall?
Das ist nur ein Zufall. Es ist ein kleines Studio, das von Kollegen gegründet wurde, als ich vor fünf oder sechs Jahren noch als Berater für die Anno-Serie arbeitete. Dave, der Präsident, der früher Programmierer bei Ensemble war, hatte die Idee etwas für Netflix zu machen. Das war eine wirklich interessante Idee. Ich weiss nicht, wie viele Millionen von Menschen dieses Spiel inzwischen gespielt haben.
Aber ich glaube, ich bin bald fertig. Ich sollte mich zur Ruhe setzen. Zu Weihnachten hatte ich zwei Wochen frei, und ich habe es wirklich genossen. Bevor ich aufhöre, möchte ich aber noch ein weiteres Top-Spiel in meinem Lebenslauf sehen. Ich bleibe also noch einen Moment, aber wahrscheinlich nicht für immer.
Bevor du in deinen verdienten Ruhestand gehst, noch eine letzte Frage zu «Age of Empires». Falls es einen weiteren Teil geben wird, was würdest du gerne sehen?
Wir sprachen damals über ein Spiel im 20. oder vielleicht im 19. Jahrhundert, zur Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs und den vielen Kriegen in Europa. Das wäre interessant. Die Bandbreite der Waffen wurde damals so vielfältig – mit Panzern, Langstrecken-Raketen und der Luftmacht. Die Kriegsführung veränderte sich. Die heutigen Waffen sind so hoch entwickelt und so mächtig. Ich bin sicher, dass das jemand einmal versuchen wird. Vielleicht nicht zu meinen Lebzeiten, aber irgendwann.
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.