Maison Francis Kurkdjian Baccarat Rouge 540
Eau de Parfum, 70 ml
«Baccarat Rouge 540» ist ein Phänomen. Einst war das Parfüm ein Sammlerstück, das in limitierter Auflage und zu einem stolzen Preis gehandelt wurde. Das Porträt eines Nischenduftes, der die breite Masse erobert hat.
Das erste Mal kamen meine Nasenschleimhäute während eines Teammeetings mit diesem süssen, hellen Duft in Kontakt. Kollegin Stephanie Vinzens wirbelte gerade zur Tür herein und füllte den sonst eher muffigen Meetingraum mit einem Odeur, das der Bezeichung «Suchtpotenzial» alle Ehre machte. Nach einem kurzen Ratespiel lüftete sie das Geheimnis um ihr Parfüm: Sie trug «Baccarat Rouge 540» von Maison Francis Kurkdjian, kurz MFK.
Baccarat Rouge 540 ist heute längst kein Geheimtipp mehr. In den Sozialen Medien regen sich viele Kenner und Kennerinnen sogar darüber auf, dass du ihn heutzutage an jeder Ecke riechst – unter anderem, weil er gerne von anderen Herstellern kopiert wird. Denn das Original hat einen stolzen Preis, der – kaum zu glauben – einst sogar noch um ein Vielfaches höher war.
Kreiert wurde der Duft vom Pariser Parfümeur Francis Kurkdjian, um im Jahr 2014 den 250. Geburtstag der französischen Kristallmanufaktur Baccarat zu feiern, die nach ihrer Gründungsstadt, rund 150 Kilometer nordwestlich von Basel gelegen, benannt ist. Das Parfüm war nur eins von vielen limitierten Sammlerstücken, die zu diesem Anlass angefertigt wurden. Baccarat verpasste dem hölzernen, leicht blumigen Bernstein-Duft einen 500 Gramm schweren Kristallflakon mit 160 angeschliffenen Flächen. Hergestellt wurden 250 Flaschen à 100 Milliliter, die damals zu je 3000 Euro verkauft wurden.
Bei der limitierten Parfüm-Edition blieb es nicht. Der Duft kam so gut an, dass er bereits ein Jahr später ins Standardsortiment des Luxus-Parfümhauses Maison Francis Kurkdjian einzog und so der breiten Masse zugänglich gemacht wurde. Mit durchschlagendem Erfolg. Laut Kurkdjian war der Sechs-Monats-Vorrat bereits nach einem Monat ausverkauft. Seither wurde das Eau de Parfum unter anderem um Kerzen, Handseifen, Bodylotions und Öle erweitert.
Noch mehr Aufmerksamkeit erhielt Kurkdjians Kreation durch TikTok. Dort verzeichnet der Hashtag #baccaratrouge540 zum Zeitpunkt meiner Recherche über 540 Millionen Aufrufe. Eine passende Zahl, wenn man an den Namen des Parfüms denkt. Doch wofür steht die 540 im Namen überhaupt?
Die Antwort findet sich im Fertigungsprozess des für die Kristallmanufaktur Baccarat charakteristischen roten Kristalls. Um exakt diese Farbe hinzubekommen, wird klarem Kristall eine geheime Mineralienmischung – darunter 24-karätiger Goldstaub – beigemengt. Dieses Kristall wandert anschliessend für fünf Stunden in einen Ofen und wird dort auf 540° Celsius erhitzt, wodurch sich die Masse leuchtend Rot färbt. Baccarat bezeichnet diesen Ton als «rouge à l’or». Rot waren die handgefertigten Kristall-Fläschchen der limitierten Jubiläums-Auflage damals zwar nicht, dafür aber der separate Zauberstab-ähnliche Kristallapplikator, mit dem das luxuriöse Parfüm-Set ausgestattet war.
Deutlich weniger prunkvoll ist die moderne Version, die nun im Handel erhältlich ist: Der klare, weisse Glasflakon mit goldenen Elementen trägt als Hommage an die Inspirationsquelle ein rotes Etikett. Auf dessen Rückseite erkennst du bei einem Blick durch den Flakon das Abbild eines roten Kronleuchters. Eine Art inoffizielles Signet der Glasmanufaktur. Mittlerweile hat das Parfümhaus MFK auch eine Extrait-Version im Baccarat-roten Glas-Fläschchen lanciert, also eine etwas konzentriertere Variante des Eau de Parfums.
Wo fängt man als Parfümeur an, wenn man die Seele einer Manufaktur kondensiert in eine winzig kleine Flasche packen will? Kurkdjian stellte sich zu Beginn die Frage: Was ist Baccarat überhaupt? «Baccarat ist rotes Kristall. Und Kristalle herzustellen ist echte Alchemie. Diese Alchemie zwischen Mineral, Feuer und Handwerkskunst war es, die ich in dieses Parfüm übersetzen wollte», erklärt Kurkdjian in einem Interview mit der Vogue. «Kristall ist sehr leuchtend und sehr schwer.» Ein Gegensatz, der es Kurkdjian angetan hat. Er machte es sich zur Mission, einen ummantelnden Duft zu kreieren, der gleichzeitig so luftig wie möglich ist. «In der Parfümerie sind das zwei sehr widersprüchliche Vorstellungen.»
Man möchte meinen, dass aus diesen Gedanken eine komplexe Rezeptur hervorgeht. Doch im Fall von Baccarat Rouge 540 fällt diese – im Vergleich zu anderen Düften – überraschend kurz aus. Die entscheidenden Duftnoten sind:
Hedione, ein synthetisches Duftmolekül, das eine Mischung aus blumigem Jasmin und zitrisch-leichter Frische wiedergibt.
Ambroxan wird aus Muskatellersalbei gewonnen. Der warme, holzige Duftstoff hat in der Parfümherstellung die sogenannte graue Ambra abgelöst, von der Kurkdjian inspiriert war: Ein seltenes und deshalb teures tierisches Rohmaterial, das aus den Exkrementen des Pottwals gewonnen wird.
Virginische Zeder, auch rote Zeder genannt, stammt entgegen dem Namen nicht von einem Zederngewächs. Die Pflanze gehört zur Gattung der Wacholder, riecht aber Zedern-ähnlich, weshalb der Duftstoff in der Parfümwelt der Zeder-Note zugeordnet wird. Beschrieben wird der Duft als trocken, würzig und holzig.
Safran gehört zu den teuersten Gewürzen der Welt und wird deshalb gerne auch als «rotes Gold» (sehr passend für diesen Duft) bezeichnet. Gemäss MFK wird in der Herstellung von Parfümen jedoch kein natürlicher Safran verwendet, sondern ein Derivat. Dieses sorgt im Parfüm für einen kraftvollen, bitteren, leicht metallischen und ledrigen Einschlag.
Das Ergebnis ist ein gemässigter, süsser, heller Duft, der laut Kurkdjian «sehr universell ist» und sich weder als Männer- noch als Damenduft positioniert. Er soll übrigens auch in der Lobby des Baccarat Hotels in New York City als Raumduft zum Einsatz kommen.
So viel Erfolg ruft Nachahmer auf den Plan, die ähnlich riechende Alternativen zu tieferen Preisen produzieren. Empfehlungen finden sich auf Social Media zuhauf. Oft genannte Duftzwillinge sind unter anderem Zaras «Red Temptation», die «Beija Flor Elasti-Cream» und der «Cheirosa 68 Bodyspray» aus derselben Linie von Sol de Janeiro, «Ana Abiyedh Rouge» von Lattafa Perfumes und «Déja Vu Mood» der Marke & Other Stories. Dabei möchte ich betonen: Es handelt sich hierbei keineswegs um Produkte, die exakt gleich riechen, geschweige denn eins zu eins dieselben Duftnoten verwenden. Vielmehr sind es Optionen, die dir ein ähnliches Gefühl vermitteln. Und ja, ein ungeübtes Näschen wie meins mag das eine schon mal mit dem fantastischen Original verwechseln ...
Dieser Beitrag ist im Rahmen unserer Sonderwoche zum Thema «Rot» entstanden. Sieben Tage, sieben Beiträge. Mehr Infos dazu und alle bisher erschienenen Artikel liest du hier nach:
Als Disney-Fan trage ich nonstop die rosarote Brille, verehre Serien aus den 90ern und zähle Meerjungfrauen zu meiner Religion. Wenn ich mal nicht gerade im Glitzerregen tanze, findet man mich auf Pyjama-Partys oder an meinem Schminktisch. PS: Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse, sondern auch mich.