Best of Hawkeye, Episode 1: «Triff niemals deinen Helden»
Ein Mann, Pfeil und Bogen. Clint Barton aka Hawkeye war noch nie der spektakulärste Avenger. Aber der bodenständigste. Nun hat er seine eigene Serie bekommen. Mögen die Spekulationen beginnen.
Eines vorweg: Das ist eine Folgenanalyse. Mit Spoilern! Schau dir also zuerst die erste Episode von «Hawkeye» an, bevor du weiterliest. Die Folgenanalyse der zweiten Episode folgt morgen.
Mich hat Clint Barton aka Hawkeye nie sonderlich beeindruckt. Zu fest am Rande hat er in den bisherigen Avengers-Filmen gestanden. Schade eigentlich. Wofür mit Jeremy Renner einen zweifachen Oscar-Nominierten ins Boot holen, wenn er dann doch nur eine Nebenrolle spielen darf?
Im Marvel Cinematic Universe (MCU) ist er aber beinahe seit Anbeginn. Seit «Thor». Der Film erschien 2011 im Kino. Im gleichen Jahr, in dem Renner für den zweiten Oscar nominiert worden ist. Zehn Jahre später ist Renners Clint Barton populär genug geworden, um eine eigene Serie zu rechtfertigen. Vielleicht auch dank Matt Fractions Hawkeye Run, eine 22-teilige Miniserie, die zwischen 2012 und 2015 rausgekommen ist. Schliesslich diente Fractions Version von Hawkeye ganz offenkundig als wichtigste Inspirationsquelle für «Hawkeye», die Serie. Sagt auch Hawkeye-Regisseur Rhys Thomas im Interview mit mir.
Aber eins nach dem anderen.
New York, 2012 mal wieder
Die Serie beginnt mit einem Rückblick. Nach «Avengers», «Avengers: Endgame» und «Loki» ist also auch in «Hawkeye» mal wieder New York, 2012. Wetten, dass sich Lokis Chitauri-Invasion im aufkommenden Multiversum irgendwie noch als… sagen wir, Nexus-Super-Anker-Event oder Weiss-der-Geier-was herausstellen wird?
So à la: Wenn alle multiplen Universen spinnen – das ist der Punkt, wo alle Fäden zusammenlaufen?
Die kleine Kate Bishop jedenfalls wird in einer genialen und an einem Stück gedrehten Einstellung Zeugin, wie eben doch Dinge vom Himmel fallen, auch wenn ihre Mutter Eleanor (Vera Farmiga) wenige Szenen zuvor noch gesagt hat, dass solche Sachen nie passieren.
Der Vater stirbt. Kate bleibt nur ihre Mutter. Und inmitten der ganzen Action ist es ausgerechnet Clint Barton, der ihr beim mittlerweile ikonischen Sprung vom Dach eines New-Yorker-Hochhauses das Leben rettet – ohne davon zu wissen. Wichtig für uns aber ist, dass an dem Tag, an dem Kate ihren Vater verloren hat, hat sie ein neues Vorbild gewonnen: Hawkeye. Dazu verraten etliche Bilder in der ganzen Wohnung, dass Kate gut klettern, fechten und kämpfen kann. Und: Kate will vorbereitet sein, falls ein solcher Angriff wieder passieren würde.
«Ich brauche Pfeil und Bogen», sagt sie an der Beerdigung ihres Vaters. Dann der Vorspann. Vielleicht sogar der coolste vorspann aller bisherigen MCU-Serien. Gerade, weil er grafisch 1:1 den Comic-Covern des Fraction Runs nachempfunden ist, der von David Aja gezeichnet worden ist.
Falls du dich wunderst, so sehen ein paar der besagten Covers aus:
Du siehst: Ajas Einflüsse aus seinen «Hawkeye»-Comic-Zeichnungen sind überall.
Es weihnachtelt im New Yorker Hawkeye-Universum
Die Gegenwart. Kate Bishop (Hailee Steinfeld), mittlerweile fast erwachsen, stiftet Unruhe an ihrer Schule. Zu viel Unruhe, auch wenn ihre Fähigkeiten mit Pfeil und Bogen mittlerweile beeindruckend sind. Trotzdem: Der Verweis steht an. Kate muss zurück nach New York.
Ah, New York. Bald ist Weihnachten. Gab’s schon ein Film oder eine Serie im MCU zur Weihnachtszeit? Nö, oder? Ich liebe es. Das Ambiente. Die Musik. Der Schnee. Und keine Überraschung: Auch Matt Fractions Hawkeye Run spielt um die Weihnachtszeit herum. Anders als im Comic gibt’s hier aber ein «Rogers»-Musical, der zum Schreien komisch ist.
Und Clint Barton besucht es gerade mit seinen Kindern.
Wie die Broadway-Szene ihren Weg ins MCU gefunden hat, ist mir ein Rätsel. Aber sie ist super. Auch, weil sie sowas von historisch inakkurat ist. Bei der Musical-Schlacht-von-New-York ist zum Beispiel Ant-Man dabei. Haha. Und wie alle im Chor «’könnte den ganzen Tag so weitermachen» singen. Herrlich lächerlich.
Dann aber zwei interessante Details.
- Clint trägt ein Hörgerät.
- Clint hat PTSD.
Kein Wunder: Der Mann ging durch Feuer und Explosionen. Das hat Spuren hinterlassen. Auch chronische. Dass Clint nun hörbehindert ist, stört mich nicht. Es macht ihn auch kein bisschen weniger Held. Im Gegenteil. Als jemand, der selber wegen eines Lärmtraumas unter Hörproblemen leidet, habe ich mich schon oft gefragt, ob die Avengers ständig einen Gehörschutz tragen oder einfach nur schon lange taub sind. Clint gibt mir jetzt was, womit ich mich identifizieren kann. Das ist schön.
Dazu kommt, dass Clint als einziger Avengers den Tod Natasha Romanoffs aka Black Widows miterlebt hat. Sowas geht nicht spurlos an Clint vorbei.
Auf die Gefahr hin, redundant zu klingen: Auch das passt zu Fractions Comic-Vorlage. Um dir etwas Kontext zu geben, ohne dir gleich die ganze Story der Miniserie zu erzählen – falls du sie mal selber lesen willst: Matt Fractions Hawkeye beginnt als Superheld, endet aber als ganz normaler Mensch. Denn Fractions «Hawkeye» ist eine Dekonstruktion des Charakters. Sie fragt sich: Wer ist Clint Barton, wenn er gerade nicht Hawkeye ist und als Avenger auf anderen Planeten Aliens jagt? Was für Probleme hat er? Tickt er genauso wie wir alle auch?
Das hat Fractions Comic so populär gemacht, zusammen mit David Ajas unverkennbar bodenständigen Zeichnungen und Covers.
Wer ist der grosse Boss?
So, viele neue Charaktere. Eleanor, Kate Bishops Mutter, kennen wir bereits. In den Comics ist sie es, die früh in Kates Kindheit stirbt, nicht der Vater. Nur, dass sich später herausstellt, dass Comic-Eleanor ihren Tod nur vorgetäuscht hat, um aus dem Hintergrund die Strippen zu ziehen. Jene Strippen, die Madame Masque kontrollieren, Comic-Kate-Bishops Nemesis.
Ob in der MCU-Serie die Rollen von Vater und Mutter vertauscht sind?
Serien-Eleanor jedenfalls stellt Kate ihren neuen Verlobten vor: Jack Duquesne (Tony Dalton). Noch ein Name, den Comic-Kenner kennen. Dort heisst er allerdings Jacques, nicht Jack, und ist besser bekannt als Swordsman.
Swordsman ist allerdings nicht irgendwer. Swordsman kämpfte in den Comics bereits als kleiner Junge in Sing-Cong an der Seite einer asiatischen kommunistischen Organisation gegen die französische Unterdrücker. Als er feststellte, dass der Anführer der Organisation seinen Vater ermordete, verliess er sie. Jahre später wurde Jacques Teil einer Zirkusattraktion, demonstrierte seine Künste mit Schwertern, Messern oder Dolchen und legte sich dafür seinen neuen Alias an. Bis er eines Tages auf einen kleinen Jungen traf: Clint Barton.
Swordsman trainierte den jungen Burschen, bis er zum besten Bogenschützen seiner Zeit wurde und mit ihm zusammen in dessen Zirkusnummern auftrat. Blöd nur, dass Swordsman alsbald wegen grossen Schulden den Zirkus ausraubte. Als der kleine Barton dann das Geld bei Jacques fand, floh er. Jahre später tauchte Swordsman wieder auf, und wurde seitdem zu einem ständigen Gegner Hawkeyes.
Zieht Jacques aka Swordsman die Strippen im Hintergrund?
Kate jedenfalls findet Jack von Beginn weg unsympathisch. Ich auch. Am gleichen Abend kommt es zu einer Cocktailparty, wo uns Jacks Onkel über den Weg läuft: Armand Duquesne III. Die Cocktailparty scheint aber nur zur Tarnung da zu sein. Zuerst bedroht Armand Kates Mutter. Womit, ist nicht klar. Dann findet im Untergrund eine geheime Auktion statt. Zum Verkauf stehen illegal erworbene Avengers-Gegenstände, die nach der Zerstörung des Avengers-Hauptsitzes in «Endgame» erbeutet worden sind.
Eine Uhr zum Beispiel. Was die so wertvoll macht, ist nicht bekannt. Armand und sein Neffe Jack bieten aber Millionenbeträge, um sie zu bekommen.
Dann ist da aber auch noch Hawkeyes altes Ronin-Kostüm und Ronin-Schwert. Die Serie erinnert uns, was es damit auf sich hatte: Eine unbekannte Person – wir wissen, dass es Clint Barton war – strich damit nach dem Snap durch Mexiko, Japan und New York. In einem von Trauer geprägten Feldzug verübte Ronin blutige Gerechtigkeit gegen die kriminellen Banden, die den Snap überlebt hatten.
«Wie Sie sicher wissen, dezimierte Ronin die kriminelle Unterwelt der Stadt, und löschte die Macht des hiesigen Kopfs des organisierten Verbrechens fast vollständig aus», sagt der Auktionator. Zumindest im englischen Originalton. In der deutschen Version spricht er von «Köpfen». Eine schlechte Übersetzung.
Dem englischen Original nach stellt sich jetzt die Frage: Wer ist dieser Kopf des organisierten Verbrechens? Doch nicht etwa… Mephisto?
Spass.
Eleanor und Jack «Swordsman» Duquesne halte ich für zu offensichtliche Kandidaten. Wahrscheinlicher wäre Valentina Allegra de Fontaine, in «Black Widow» und «Falcon and the Winter Soldier» von Julia Louis-Dreyfus gespielt. Ihre Rolle im MCU ist nach wie vor unklar. Die After-Credits-Szene von «Black Widow» verriet aber, dass sie ein Hühnchen mit Clint Barton zu rupfen hat. In den Comics jedenfalls ist sie eine ehemalige S.H.I.E.L.D.-Agentin – Agent 14 –, die später unter dem Pseudonym Madame Hydra die faschistische Organisation Hydra anführt.
Wer weiss, ob nicht bald der von ihr rekrutierte U.S. Agent aus «Falcon and the Winter Soldier» auftaucht. Oder die ebenfalls von ihr rekrutierte Yelena Belova aus «Black Widow».
Eine andere, schöne Spekulation könnte auf einen ganz anderen Charakter deuten. Denn wenn im Marvel-Universum jemand vom «Kopf des organisierten Verbrechens» redet, dann darf einer nicht unerwähnt bleiben.
Wilson Fisk, besser bekannt als: Kingpin.
Fisk ist definitiv ein Charakter, der MCU-Herzen höher schlägen lässt. Vor allem, weil er in der Netflix-Serie «Daredevil» meisterlich und äusserst furchterregend vom grossartigen Vincent D'Onofrio gespielt worden ist. Am Ende der Netflix-Show – vor dem Snap – landete Fisk im Gefängnis. Gut möglich, dass er sich im Tumult des Snaps hätte befreien können. Es wäre aber auch so nicht das erste Mal, dass er aus seiner Gefangenschaft heraus die Unterwelt regiert hätte.
Es würde auch erklären, warum Schauspieler Vincent D'Onofrio ausgerechnet vor einer Woche, ganz unschuldig und unscheinbar, in einem Tweet seine Vorfreude auf «Hawkeye» kundtat.
Oh, D'Onofrio. Spiel nicht mit meinen Gefühlen. «Don’t do that. Don’t give me hope», sagte doch mal irgend so ein Ronin in irgend so einem Marvel-Film.
Kate Bishop in Aktion, bro!
Kate Bishop schleicht sich in die Untergrund-Auktion. Schnappt sich das Ronin-Kostüm – das Schwert hat sich Jack vorher gekrallt –, zieht es über und flüchtet damit. Chaos. Sie gabelt einen Hund auf – auch das kommt aus Fractions Hawkeye-Comics. TV-Kameras filmen sie. Ronins Bild ist überall in den Nachrichten. Clint Barton sieht sie und denkt sich: «Was zum Mephisto.»
Kate, die Armand nicht traut, nachdem er ihre Mutter bedroht hatte, bricht in seine Wohnung ein. Dabei ganz kurz zu hören: Das «Ant-Man»-Thema. Kein Zufall: Ant-Man brach früher auch überall ein. Dann aber findet sie Armand tot auf, erstochen. Womöglich mit einem Schwert. Oder Dolch. Klingt nach dem Werk von Swordsman, wenn du mich fragst.
Auf dem Ausweg läuft sie der Tracksuit-Mafia über den Weg. Die ist unheimlich lustig, weil alle mitglieder Trainingsanzüge tragen und nach gefühlt jedem Satz ein «bro» anhängen, bro. Ihr Anführer: Ivan (Aleks Paunovic). Die haben offenbar auch noch eine offene Rechnung mit Ronin. Dass Kate nicht Ronin ist, wissen sie nicht. Egal. Kaum fangen sie an, auf Kate zu prügeln, taucht Clint Barton auf.
Jemand muss den Schlamassel ja wieder aufräumen, oder?
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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»