Hintergrund
Best of Hawkeye, Episode 1: «Triff niemals deinen Helden»
von Luca Fontana
In «Hawkeyes» Episode 2 will Clint Barton eigentlich nur Weihnachten mit seinen Kindern verbringen. Dann aber macht ihm die Tracksuit-Mafia einen Strich durch die Rechnung. Mittendrin: Kate Bishop.
Eines vorweg: Das ist eine Folgenanalyse. Mit Spoilern! Schau dir also zuerst die zweite Episode von «Hawkeye» an, bevor du weiterliest.
New York zur Weihnachtszeit. Clint Barton aka Hawkeye will Weihnachten mit seinen Kindern feiern. Schliesslich hat er nach dem Snap fünf Jahre ohne sie auskommen müssen. Dann aber flimmert ein Bild von jemanden über die Nachrichtensender, den er nie wieder zu sehen gehofft hatte: Ronin.
Ronin war Clints Alter Ego, als Thanos die Hälfte allen Lebens aus dem Universum getilgt hatte. In einem Rausch blutiger Rache legte er sich auf der ganzen Welt mit jenen kriminellen Banden an, die den Snap überlebt hatten. Er war überzeugt: Wenn seine Familie den Snap nicht überlebt hat, dann haben die Kriminellen auch kein Recht auf Leben mehr.
Unter seinen Opfern war wohl auch die Tracksuit-Mafia, die es auf Ronin abgesehen hat. Was sie wohl nicht weiss: Nicht Clint trägt dieses Kostüm in der zweiten Episode der Hawkeye'schen Serie. Sondern Kate Bishop. Und: Offenbar denkt die Welt, dass Ronin hinter den Mord an Armand Duquesne steckt, Onkel des eigentlich viel verdächtigeren Jack «Swordsman» Duquesne.
Aber was weiss ich schon über gute Polizeiarbeit.
Es hat Schläge gesetzt. Aber nicht für Kate oder Clint. Sondern für die Tracksuit-Mafia, die hinter Ronin her waren. Clint scheint es sich mit ihnen während seiner Zeit als Ronin verscherzt zu haben. Wie genau wissen wir nicht. Vermutlich nicht über sowas Banales wie in Matt Fractions und David Ajas Hawkeye-Comics.
Zur Erinnerung: In Fractions und Ajas 22-teiliger Comicserie, auch bekannt als Fraction Run, beginnt Hawkeye als Superheld, endet aber als ganz normaler Mensch. Im Zentrum steht die Frage: Was tut Hawkeye so, wenn er nicht gerade ein Avenger ist? Offenbar sich als Sowas-Wie-Hausmeister mit der Tracksuit-Mafia anlegen. Deren Markenzeichen: rote Trainingsanzüge und «Bro» am Ende jedes Satzes, bro. Ihr Anführer: Ivan, der einzige mit einem schwarzen Trainingsanzug, bro.
Ursprung des Disputs in den Comics: Der Block in Brooklyn, in dem Clint sein heruntergekommenes Apartment hat, gehört der Tracksuit-Mafia. Ivan will ein paar Bewohner rausekeln, indem er die Mieten verdreifacht. Unfair, findet Clint, kauft gleich das ganze Appartment und vertreibt die Mafia. Seit dem kreuzen sich ihre Wege immer wieder. Einmal greifen sie gar den ganzen Block an, der daraufhin von Clint und Kate verteidigt wird.
Ganz ähnlich geht’s in der Serie weiter: Clint und Kate machen sich auf zu Kates Wohnung. Clint will nämlich rausfinden, wie sie in den Besitz seines alten Ronin-Anzugs gekommen ist, diesen zurückbekommen, ihn entweder zerstören oder verstecken und so sein unrühmliches Ronin-Vermächtnis ein für allemal loswerden. Dann greift die Tracksuit-Mafia an.
Coole Szene, wie Clint den einen Molotov-Cocktail fängt und gleich wieder zurückschmeisst. Clint ist ein Pro. Kate nicht; das in der Wohnung ausgebrochene Feuer will sie mit einem gezielten Schuss mit Pfeil und Bogen auf einen Feuerlöscher löschen. Sie trifft, aber der Feuerlöscher schwirrt durch die ganze Wohnung – nettes Set-up dafür, wer hier der Meister ist, und wer die Schülerin.
Ganz nebenbei: Jeremy Renner spielt Clints Genervtheit einfach super. Die Szene, in der Clint seine Stirn entnervt gegen die Scheibe presst – ich glaube, sie bringt mich mehr zum Lachen, als sie sollte. Haha.
So also begegnen sich Clint und Kate zum ersten Mal im MCU. In den Comics läuft das anders ab. Dafür muss ich etwas ausholen.
In den Comics nutzt Wanda Maximoff – die Scarlet Witch – Chaosmagie, um ihre und Visions gemeinsame Kinder zu erschaffen. Kinder, die sich später als Seelenfragmente Mephistos entpuppen, einer der gefährlichsten, unsterblichen dämonischen Wesen überhaupt. Vielleicht gar der Teufel selbst. Und der Teufel fordere seine Seelenfragmente zurück.
Wanda kann Mephistos Vorhaben nicht verhindern. Tommy und Billy, ihre Kinder, die wir auch schon in «WandaVision» gesehen haben, werden von Mephisto absorbiert und getötet.
Agatha Harkness, die Hexe, die wir auch schon in «WandaVision» gesehen haben, löscht Wandas Erinnerungen an die Kinder aus, um einen Nervenzusammenbruch und eine realitätsbedrohende Katastrophe zu verhindern. Monate vergehen. Dann taucht ein Fremder aus einer anderen Realität auf: Immortus, eine Variante Kangs, the Conqueror.
Auch ihn haben wir bereits in «Loki» gesehen.
Immortus ist es, der Wanda in den Comics eröffnet, dass sie ein Nexus sei – ein unfassbar mächtiges Wesen, das die Realität und damit den Fluss der Zeit verändern könne. Und: Als Nexus sei sie ein Grundpfeiler des Multiversums, der für Kohärenz und Stabilität in ihrer Realität sorge. Wanda aber ist alles andere als stabil. Schlimmer. Agathas Magie verliert ihre Wirkung. Wandas Erinnerungen an die getöteten Kinder kommen langsam zurück. Damit auch die Trauer. Der Kummer. Die Schmerzen. Und unheimlich viel Wut. Wanda ist am Ende. Ihre geistige Gesundheit auch. Der perfekte Moment für Mephisto, Wanda zu manipulieren.
Die in den Comics als «House of M» bekannten Ereignisse nehmen ihren Lauf. Eine vor Kummer verrückt gewordene Wanda verändert das Gefüge der Realität mit verheerenden Auswirkungen auf alle Lebewesen der Erde. Die besagte und befürchtete realitätsbedrohende Katastrophe. Darin tötet sie unter anderem Clint Barton. Später wird er in einer alternativen Realität wiederbelebt, nur, um erneut von Wanda getötet zu werden, als er sie mit dem Geschehenen konfrontiert.
Zum Ende hin können die übriggebliebenen Avengers die aus den Fugen geratene Wanda besiegen. Allerdings nicht, bevor sie die alte Realität zwar wiederherstellt, aber mit einer einschneidenden Veränderung: Mit dem Satz «No More Mutants» dezimiert sie die gesamte Mutanten-Population von Tausenden auf 198.
Clint Barton lebt wieder, wird von der Welt aber für tot gehalten. Verwirrt und zutiefst erschüttert vom Geschehenen lässt er sein Hawkeye-Kostüm zurück im Avengers-Hauptquartier und legt den Mantel des Ronin an, womit er so ziemlich das tut, was er auch im MCU tut: blutige Rache üben.
Dann tritt Kate Bishop auf den Plan.
Ihren ersten Auftritt in den Comics hat sie mit den Young Avengers. Die tauchen eigentlich auf, um Kate Bishop und 200 andere Gäste auf der Hochzeit von Kates Schwester zu retten. Der Plan schlägt aber fehl; die Young Avengers werden gefangen. Dann ist es Kate, die die Young Avengers rettet. Voilà: Willkommen im Team.
Unter anderem Mitglied: Wandas reinkarnierte Kinder Tommy und Billy, Patriot, den wir in «Falcon and the Winter Soldier» kurz als Isaiah Bradleys Enkel gesehen haben, und Iron Lad, eine weitere Variante von Kang, the Conqueror.
Als Teil der Young Avengers lehnt sich Kate irgendwann gegen Captain America himself auf – zu Recht, wie sich später herausstellt. Captain America erklärt Kate dann, dass der einzige Mensch, der sich ihm je so entgegengestellt hat wie sie, Clint Barton gewesen sei. Darum sei es nur richtig, dass sie ihm zu Ehren seinen Alias übernehme.
Kate Bishop wird zur neuen Hawkeye.
Erst später in den Comics kehrt Clint Barton auch offiziell unter den Lebenden zurück. Dort nimmt er Kate Bishop unter seine Fittiche. Aber erst in Matt Fractions und David Ajas Hawkeye-Comics kommt die Meister-Schülerin-Beziehung in den Comics so richtig auf.
So. Zurück zur TV-Serie.
Clint und Kate entkommen aus der brennenden Wohnung – das Ronin-Kostüm müssen sie inmitten der Feuersbrunst aber zurücklassen. Über Umwegen gelangt es in die Hände eines Feuerwehrmanns, der in seiner Freizeit LARPt – LARP steht für Live-Action-Role-Play. Clints nächstes Ziel: Ein Mittelalterfest, bei dem alle kostümiert sein müssen.
Nette Randgeschichte: Unterwegs dahin reden Clint und Kate über die Vermarktung Hawkeyes, und dass sogar Ant-Man mehr Fans hat. Haha. Meta. Auch, dass Kate sagt, dass die Menschen heutzutage nicht mehr auf zynische, grummlige Helden stehen. Nimm das, DC!
Das DC-Bashing geht auf dem Mittelalterfest weiter. Dort muss sich Clint in Rüstung schmeissen, um mit dem Feuerwehrmann reden zu dürfen, der dort als Ronin verkleidet einen auf Superheld-Ninja-Ritter-Irgendwas macht. Clints inszenierter, lächerlicher Kampf mit den Menschen dort: in Zeitlupe. Nimm das, Zack Snyder!
Schlussendlich kriegt Clint sein Ronin-Kostüm zurück. In einer netten Szene erfahren wir auch, dass der Feuerwehrmann Grills heisst. So heisst auch der Typ auf dem Dach aus dem Fraction Run, der dort oben immer grilliert. Darum der Name.
Kate muss sich derweil mit Jack Duquesne anfreunden. Das soll in einem Fechtkampf besonders gut gehen; jemand hat zuviel «Matrix» geschaut. Jack lässt sich ständig von Kate schlagen. Kate vermutet aber, dass Jack seine wahren Fechtkünste bewusst verbirgt.
Wie gesagt: In den Comics ist Jack besser bekannt als Swordsman, der beste Fechter des Planeten. Er ist es auch, der dort Clint Barton, damals noch als Zirkusjunge, das Bogenschiessen beibringt.
Ob das in der Serie auch so übernommen wird? Unwahrscheinlich. Im MCU beginnt Clint als S.H.I.E.L.D.-Agent, nicht als Zirkusjunge. Abgesehen davon könnten Jack und Clint etwa gleich alt sein. Das passt nicht zur Meister-Schüler-Beziehung der Comics.
Clint hat also sein Ronin-Kostüm wieder. Zeit, nach Hause zu gehen. Zu Frau und Kindern. Weihnachten feiert sich schliesslich nicht von selbst. Dann taucht aber wieder die Tracksuit-Mafia auf, mit ziemlich vielen Bros. Zuviele Bros für Clint. Er wird gefangen genommen.
«Sie möchte ihn lebend», sagt Ivan.
Kate, die genug von Zuhause hat, macht sich auf die suche nach Clint. Dank einer Tracking-App auf Clints Handy findet sie den Ort, wo er gefangen gehalten wird. Praktisch, sowas. Ihre Befreiungsaktion geht aber ziemlich schief. Schlimmer. Die Tracksuit-Mafia wird von einer Frau kontrolliert, die in den Comics ziemlich üble Fähigkeiten hat.
Echo.
Gespielt wird Echo von Alaqua Cox. Die Schauspielerin ist taub. Genauso wie der Charakter, den sie spielt. In den Comics hat Echo allerdings ein fotografisches Gedächtnis. Das bedeutet, dass sie alles imitieren kann, was sie sieht. Ganz ähnlich wie der Taskmaster aus «Black Widow». Sprich: Wenn sie Hawkeye dabei zusieht, wie er mit Pfeil und Bogen schiesst, kann sie’s auch.
Was es mit ihr auf sich hat, erfahren wir vermutlich erst nächste Woche. Ihr Auftritt aber könnte ein weiterer Hinweis sein, dass uns ein ganz grosser der berühmten Marvel-Bösewichter erwarten könnte.
Der Kingpin.
In den Comics adoptiert der Kingpin nämlich Echo, nachdem er ihren Vater umbringen lässt. Gut möglich also, dass nicht Echo die Tracksuit-Mafia anführt, sondern Wilson Fisk aka Kingpin. Das würde auch zum Fraction Run passen, wo zum Ende hin zumindest angedeutet wird, dass Fisk der eigentliche Anführer der Tracksuit-Mafia ist, nicht Ivan.
Ein vielversprechender Abschluss der zweiten Episode, die zwischendurch etwas zu viel Tempo rausnimmt. Ich meine: Wir hatten Wandas eigene TV-Realität in «WandaVision». Wir hatten Terroristen und blutige Anschläge in «Falcon and the Winter Soldier». Das ganze verfluchte Multiversum in «Loki».
Und jetzt: Clint Barton im Wald, auf einem Rollenspiel-Fest. Naaaaja. Vielleicht hätte die Handlung der ersten zwei Episoden in eine einzige gepasst. Hoffen wir, dass die Serie ab jetzt noch etwas mehr Fahrt aufnimmt.
Wie hat euch die Folge gefallen? Schreibt es in die Kommentare. Die nächste Folgenanalyse folgt nächsten Mittwoch, 1. Dezember.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»