Marvel Television / Disney+
Kritik

«Daredevil: Born Again» – Eine Rückkehr aus Blut und Schatten

Luca Fontana
5/3/2025

Sieben Jahre nach dem Netflix-Aus kehrt Daredevil zurück – kompromisslos, brutal und moralisch zerrissen. «Born Again» verwebt alte Stärken mit neuer Identität. Das Resultat ist ein harter, packender Neustart.

Keine Sorge: Die folgende Serienkritik enthält keine Spoiler. Ich verrate dir nicht mehr, als ohnehin schon bekannt und in den Trailern zu sehen ist.

Es gibt Serien, die verblassen. Und dann gibt es «Daredevil». 2018 endete die gefeierte Netflix-Produktion – brutal, kompromisslos, unvergessen. Kein anderer Marvel-Held litt so sehr, kämpfte so hart und fiel so tief.

Jetzt, sieben Jahre nach dem Netflix-Aus, ist Daredevil zurück und wagt auf Disney+ den Neustart. «Daredevil: Born Again» will dabei Vergangenheit und Neuanfang zugleich sein, eine Brücke zwischen altem Ruhm und neuem MCU. Doch kann das funktionieren? Oder ist der Teufel von Hell’s Kitchen nicht mehr der, der er einmal war?

Darum geht’s in «Daredevil: Born Again»

New York steht vor einem Neuanfang. Zumindest soll es so aussehen, als Wilson Fisk (Vincent D’Onofrio) aus dem Schatten zurückkehrt – nicht als krimineller Strippenzieher, sondern als Mann des Volkes. Er will Bürgermeister werden, will der Stadt Frieden bringen, will ihr endlich den Anführer geben, den sie seiner Meinung nach verdient. Doch wer Fisk kennt, weiss: Da steckt mehr dahinter.

Matt Murdock (Charlie Cox) gehört zu diesen Menschen, die Fisk kennen. Aber der blinde Anwalt mit übermenschlichen Fähigkeiten hat sein altes Leben als Daredevil hinter sich gelassen, um nur noch vor Gericht für Gerechtigkeit zu kämpfen. Ohne Maske und Fäuste. Zumindest bis New York erneut im Chaos versinkt und das System, auf das Matt pocht, zu versagen droht.

Während Fisks Griff nach der Macht immer rücksichtsloser wird, steht Matt vor einer Entscheidung: Bleibt er auf seinem neuen Pfad? Oder ist es an der Zeit, sich wieder dem Schatten zu stellen – als Teufel von Hell’s Kitchen?

Rückkehr ohne Gnade

Drei Minuten. Vielleicht etwas länger. So lange dauert es, bis sich jede Befürchtung, dass «Daredevil» von der familienfreundlichen Disney-Formel gezähmt worden ist, in blutige Fetzen auflöst. Denn «Daredevil: Born Again» startet steil. Dramatisch. Schonungslos.

Und ohne Kompromisse.

Zunächst mit einer Montage, die scheinbar ohne einen einzigen Schnitt auskommt. Die Kamera bleibt dicht an den Figuren, als würde sie mit ihnen atmen. Kein schneller Schnitt, keine überstilisierte Choreografie. Nur rohe Härte, die uns zurück nach Hell’s Kitchen schleudert – mit jeder Faust, die eisern trifft, und mit jedem Knochen, der bricht. Brutal. Unerbittlich. Schmerzhaft. Echt.

Und dann – endlich – erklingen beim Vorspann die ersten Töne des ikonischen «Daredevil»-Themes. Ich sinke zurück in mein Sofa, ausgelaugt, als hätte ich nicht nur zugesehen, sondern selbst mitgekämpft. Keine 15 Minuten sind vergangen. Und doch fühlt es sich wie eine ganze Staffel an.

Dass es anders hätte kommen können, befürchtete nicht nur ich, sondern auch viele Fans. Denn Marvel- und «Star Wars»-Serien auf Disney+ haben schon seit jeher dasselbe Problem: Sie sind auf vier Stunden gestreckte Zwei-Stunden-Filme mit halb so grossem Budget als durchdachte Geschichten mit runder Episoden-Struktur.

Doch «Daredevil: Born Again» ist mit dem Versprechen angetreten, es besser zu machen. Neun Episoden bekommen wir nun, und fast alle sind um die 50 bis 60 Minuten lang. Das gibt der Staffel die Zeit, ihre Figuren nicht nur zu präsentieren, sondern sie auch zu erzählen.

Tatsächlich gelingt es «Daredevil: Born Again», die DNA der alten Show aus Netflix-Zeiten erstaunlich gut einzufangen. Die Duelle sind noch immer unverfälscht. Die düstere Stimmung von Hell’s Kitchen bleibt genauso greifbar. Und Daredevil selbst ist noch immer ein Held aus Fleisch und Blut. Einer, der nach jeder Konfrontation keuchend und blutend am Boden liegt, anstatt sich mit CGI-Perfektion durch gegnerische Horden zu schwingen.

Ein Wolf im Massanzug

Versteh mich nicht falsch: Nein, in «Daredevil: Born Again» geht es dann doch nicht nur um Faustkämpfe in dunklen Gassen oder Korridoren.

Wilson Fisk etwa war schon immer ein Mann der Kontrolle. Doch nie zuvor sass seine Maske, die das Böse hinter seinem fast schon sanftmütigen Gesicht versteckt, so perfekt wie jetzt. Als frisch gewählter Bürgermeister gibt er sich als Visionär und letzter Hoffnungsträger für eine Stadt, die nach einem Anführer lechzt. Und das Erschreckende ist: Er macht es verdammt gut.

Denn Fisk versteht, wie Frustration funktioniert. Wie man Angst schürt und sie in Macht umwandelt. Wie man den kleinen Leuten das Gefühl gibt, dass man für sie kämpft, während man sich hinter verschlossenen Türen absichert, um sich selbst unantastbar zu machen. Er braucht keine rohe Brutalität mehr, um seine Gegner in die Knie zu zwingen. Eine subtile Drohung reicht. Der Mann wird nie laut, weil er es nicht muss. Seine flüsternde, grollende Stimme jagt seinen Gegnern auch so ein eiskaltes Schaudern über den Rücken.

Noch immer sucht Vincent D'Onofrio seinesgleichen, wenn’s um die Darstellung des Kingpins geht.
Noch immer sucht Vincent D'Onofrio seinesgleichen, wenn’s um die Darstellung des Kingpins geht.
Quelle: Marvel Television / Disney+

Gerade in einer Zeit, in der Populismus und Machtmissbrauch allgegenwärtig sind, fühlt sich sein Charakter fast unangenehm aktuell an. Er ist kein Gangsterboss mehr. Zumindest nicht offiziell. Stattdessen verkauft er sich als Erlöser für ein Problem, das er selbst geschaffen hat.

Die Story lässt keinen Zweifel daran: Fisk bleibt ein Monster. Er mag schöne Reden schwingen, seine Skrupellosigkeit mit Worten tarnen, seine Taten hinter einem neuen Image verstecken. Doch seine niederträchtige Natur ist ungebrochen. Er kann nicht anders. Er will nicht anders. Und während Fisk sich das alles bewahrt und nur das Narrativ darum verändert, strauchelt Matt Murdock über einen anderen Konflikt:

Er will seine inneren Abgründe wirklich hinter sich lassen.

Zwischen Gesetz und Gesetzlosigkeit

Matt glaubt an das Gesetz. Das muss er, schliesslich hat er Daredevil aufgegeben, um endlich den Rechtsstaat zu verteidigen, anstatt ihn zu untergraben. Doch New York lebt nicht das Gesetz – sondern die Grauzone. Und genau hier wird Matt zu einer der faszinierendsten Figuren des Marvel-Universums: Er ist der Widerspruch, den er selbst nicht auflösen kann.

Ein Mann, der sich in das System einfügt und zugleich ausserhalb davon operiert.

Charlie Cox als Daredevil war schon immer eine unheimlich gute Schauspielerwahl.
Charlie Cox als Daredevil war schon immer eine unheimlich gute Schauspielerwahl.
Quelle: Marvel Television / Disney+

Als Anwalt, so blind wie Justitia selbst, verteidigt er zwar das Gesetz. Doch als Daredevil setzt er seine eigenen Regeln durch. Dabei stellt sich eine zentrale Frage: Was bedeutet die Maske für ihn wirklich? Matt ringt mit der Antwort. Vielleicht ist sie sein wahres Gesicht. Oder eine Last. Oder bloss eine Ausrede, um seiner Wut ein Ventil zu geben, hoffend, dass sie nur jene trifft, die sie verdienen.

«Ich wurde erzogen, an Gnade zu glauben», fasst Matt in der ersten Folge Fisk gegenüber seinen inneren Zwiespalt in Worte zusammen, «aber ich wurde auch erzogen, an Vergeltung zu glauben.» Worte, die Warnung und Drohung zugleich sind.

Er will vergeben. Sich selbst. Dem Kingpin. Der Welt. Er will Licht in die Dunkelheit bringen. Aber er kann nicht loslassen. Und manchmal, in den stillen Momenten, fragt er sich: Ist er sie nicht längst selbst geworden, die Dunkelheit?

Der getrennte Kampf, der keiner sein sollte

So stark «Daredevil: Born Again» beginnt – nicht alles in dieser Staffel ist perfekt. Vor allem nicht im Mittelteil. Anfangs werden Matt Murdock und Wilson Fisk noch als zwei Männer inszeniert, die sich seit Jahren umeinander drehen und gegenseitig definieren. Ihre erste Begegnung: ein stilles Duell in einem Café.

Zwei Gegner, die sich verstehen, aber niemals akzeptieren können.

Doch dann trennen sich ihre Wege. Und sie bleiben einige Folgne lang getrennt. Matt fragt sich, ob er Daredevil endgültig hinter sich lassen kann. Fisk muss derweil seine Macht behaupten, auch dem hochnäsigen Establishment gegenüber, um als Bürgermeister die Kontrolle über New York zu gewinnen. Beide haben grossartige Szenen, werden tief und nuanciert erzählt. Aber es fehlt die Verbindung zwischen ihnen. Zu oft wirken sie wie zwei Figuren in zwei verschiedenen Serien. Fast so, als ob sie existieren könnten, ohne dass der eine den anderen beeinflusst.

Und das ist ein Problem. Denn Daredevil und der Kingpin sind mehr als nur Gegenspieler. Sie sind zwei Seiten derselben Münze. Zwei Männer, die in einer korrupten Stadt für ihre eigene Version von Gerechtigkeit kämpfen – mit völlig unterschiedlichen Mitteln. Doch dieser Konflikt, diese unvermeidliche Kollision ihrer Ideale, bleibt über weite Strecken aus.

Keine Sorge, nicht jede Szene in «Daredevil: Born Again» ist so düster wie hier.
Keine Sorge, nicht jede Szene in «Daredevil: Born Again» ist so düster wie hier.
Quelle: Marvel Television / Disney+

Gerade besagter Mittelteil wirkt nicht immer wie aus einem Guss. Tonal schwankt die Produktion sogar zwischen dem rauen, psychologischen Stil der ersten drei, vier Folgen und den formelhaften Mustern einer typischen MCU-Serie.

Das liegt vermutlich an der ähnlich chaotischen Produktion. Die ursprüngliche Vision wurde während des Autorinnen- und Autorenstreiks 2023 komplett über den Haufen geworfen. Marvel feuerte die Showrunner Chris Ord und Matt Corman, schickte weite, abgedrehte Teile zurück in den Schneideraum und drehte vieles neu. Der neue Kreativkopf, Dario Scardapane (bekannt für «The Punisher»), brachte «Born Again» zwar wieder näher an die düsteren Wurzeln der Netflix-Version. Doch es gibt sie noch, die Momente, in denen man die Überreste der alten Fassung spürt – als hätte man versucht, zwei unterschiedliche Shows zusammenzufügen.

Erst in den letzten Folgen werden beide Erzählstränge von Matt und FIsk wieder zusammengeführt und entfalten dadurch prompt wieder ihre wahre Wucht.

Mehr über das Thema reden wir in der aktuellen Folge des Tech-telmechtel-Podcasts

Fazit

Im Konflikt mit sich selbst

«Daredevil: Born Again» ist nicht einfach eine Rückkehr, sondern ein Ringen mit Identität, sowohl für die Figur als auch für die Serie selbst. Sie will sich weiterentwickeln, aber nicht vergessen, was sie ausmacht. Sie will mehr als nur ein nostalgisches Wiedersehen sein, aber auch nicht ihren Ursprung verraten. Und genau da liegt ihre Stärke – aber auch ihr Dilemma.

Wenn «Born Again» auf seinem Höhepunkt ist, dann zeigt sich Daredevil in seiner besten Form: roh, intensiv und moralisch zerrissen. Doch es gibt Phasen, in denen die Show zwischen zwei Identitäten schwankt, als müsste sie sich entscheiden, ob sie ein MCU-Gedöns sein will oder das ungezähmte Netflix-Erbe weiterführt.

Am Ende aber zählt, was bleibt: eine wuchtige, emotional aufgeladene Rückkehr, die Daredevil als das zeigt, was er immer war. Ein Held, der im Schatten wandelt, weil niemand sonst es tut.

Titelbild: Marvel Television / Disney+

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