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EU: Gesetzesentwurf begünstigt Gesichtserkennung – was heisst das?
Der AI-Act der EU regelt unter anderem die Gesichtserkennung – ein Zankapfel zwischen EU-Parlament und Mitgliedsstaaten. Wird der aktuelle Gesetzesentwurf angenommen, bekommen Letztere viel mehr Überwachungsmöglichkeiten.
Die biometrische Überwachung steht bereits wieder zur Debatte. Erst im Dezember vergangenen Jahres hat sich die EU im AI-Act auf Regeln und Vorgaben für den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) geeinigt. Ein strittiger Punkt in den Verhandlungen war die biometrische Überwachung. Die Mitgliedstaaten wollten lockerere Regeln zur Anwendung der Gesichtserkennung, als das EU-Parlament vorsah. Die Chancen dafür stehen nun gut.
Parlament wollte Überwachung verbieten, aber die Staaten setzen sich durch
Die Abgeordneten des Europaparlaments wollten die «biometrische Fernüberwachung in Echtzeit» verbieten. Aus ihrer Sicht ist die Technologie gefährlich. Das Abgleichen von Kamerabildern mit gespeichertem Bildmaterial sei quasi eine Massenüberwachung des öffentlichen Raums. Die EU-Mitgliedstaaten plädierten derweil dafür, die Technologie «in Ausnahmefällen» zuzulassen. Etwa bei einer «vorhersehbaren Gefahr eines Terroranschlags». Dem wurde stattgegeben.
![Über 36 Stunden dauerten die Verhandlungen zum AI-Act](/im/Files/7/5/6/0/7/9/4/7/shutterstock_1235547382.jpg?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Shutterstock
Des Weiteren konnten sich die Mitgliedstaaten auch bei der «nachträglichen biometrischen Fernüberwachung» durchsetzen. So soll es den Sicherheitsbehörden erlaubt sein, diese einzusetzen, wenn es darum gehe, «gezielt eine Person zu suchen, die im Verdacht steht, eine schwere Straftat begangen zu haben oder deswegen verurteilt wurde.». Diese spezielle Regelung erwähnte der Ministerrat in seiner Mitteilung später aber mit keiner Silbe.
Gesetzesentwurf schwächt Regelung nochmals ab
Seit dieser Woche liegt nun ein Gesetzesentwurf der Ratspräsidentschaft vor. Dieser schwächt die Einschränkungen für den Einsatz bei nachträglicher biometrischer Identifikation nochmals deutlich ab. So wurde die Liste für Straftatbestände, die den Einsatz biometrischer Identifikation rechtfertigen, gänzlich aus dem Entwurf gestrichen. Dieser ist einer schwammigen Formulierung von Bedingungen gewichen. Eine Sicherheitsbehörde darf nicht auf KI zurückgreifen, wenn sie diese «ohne einen Zusammenhang mit einer Straftat (...)» anwenden würde. Das ist im Artikel 29a der entsprechenden Verordnung geregelt.
![Im Internet sind Leaks des Gesetzesentwurfs aufgetaucht.](/im/Files/7/5/6/0/7/9/4/5/Bildschirmfoto%202024-01-16%20um%2016.34.52.png?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Florian Bodoky, Quelle: patrick-breyer.de
Auch die Frist für eine richterliche Genehmigung ist deutlich länger geworden: Diese kann nun bis zu 48 Stunden nach dem Beginn des Datenabgleichs für eine Fernidentifizierung erfolgen. Zudem stehen im Gesetzesentwurf viele, ebenfalls schwammig formulierte Ausnahmen. Eine Behörde kann teilweise sogar ohne richterliche Erlaubnis einen Datenabgleich machen. Zum Beispiel wenn sie das System zur «Ersten Identifizierung einer potenziell verdächtigen Person» nutzt und dieser Verdacht auf «objektiven und überprüfbaren Fakten in direkter Verbindung mit einer Straftat» basiert. Heisst konkret: Nach eigenem Ermessen der Ermittelnden darf das so eingesetzt werden.
Abgeordnete und Aktivistinnen befürchten unverhältnismässigen Einsatz
Der Gesetzentwurf stösst auf massive Kritik. So beispielsweise bei der Europaabgeordneten Svenja Hahn, die sich gegenüber Netzpolitik.org äussert. Sie kritisiert zum Beispiel die fehlende Nachvollziehbarkeit, ab wann eine Auswertung dieser Daten als «nachträglich» gilt. Dies können auch ein paar Minuten sein – kaum Unterscheidbar zur verbotenen Echtzeitüberwachung.
Zudem ist der Wegfall der Liste der Straftatbestände ein Problem – so können «selbst geringfügige Ordnungswidrigkeiten durch Gesichtserkennung verfolgt werden». Oder auch landesspezifische Straftatbestände, wie z.B. Schwangerschaftsabbrüche in Polen, wie Ella Jakubowska von der Bürgerrechtsorganisation EDRi ergänzt. Zudem können Behörden so zum Beispiel eine biometrische Überwachung von Demonstrationen rechtfertigen, wenn dort Straftaten verübt wurden oder sogar nur vorhersehbar seien.
Aktuell beraten die verschiedenen beteiligten Parteien über den Entwurf. Dieser soll aber bereits Ende Januar stehen und im Februar zur Abstimmung kommen – wenig Zeit für grundsätzliche Änderungen.
Titelbild: Shutterstock17 Personen gefällt dieser Artikel
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Seit ich herausgefunden habe, wie man bei der ISDN-Card beide Telefonkanäle für eine grössere Bandbreite aktivieren kann, bastle ich an digitalen Netzwerken herum. Seit ich sprechen kann, an analogen. Wahl-Winterthurer mit rotblauem Herzen.