Ridley Scotts The Last Duel ist grosses Kino
13/10/2021
Wenn sich Ridley Scotts Historiendrama erschreckend aktuell anfühlt, dann auch dank dem klugen Drehbuch aus den Federn Matt Damons, Ben Afflecks und Nicole Holofceners. Denn «The Last Duel» ist verdammt gut.
Eines vorweg: In dieser Filmkritik liest du keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.
Es ist ein düsteres Kapitel der Menschheitsgeschichte, in das uns Regie-Legende Ridley Scott da zurückführt. Eines, in der Ritterlichkeit, Ehre und Pflicht im alleinigen Auge des Betrachters stehen – Betrachter, männlich.
Mittendrin die packende, auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte einer Frau, die im Frankreich des 14. Jahrhunderts darum kämpft, die Wahrheit zu sagen. Ihre Wahrheit.
Eine, die niemand hören will.
Darum geht’s
Frankreich, 1380. Jean de Carrouges (Matt Damon) ist ein hitziger, aber dem König gegenüber loyaler Burgherr. Zusammen mit Waffenbruder und Frauenheld Jacques Le Gris (Adam Driver) hat er viele Schlachten geschlagen und immer wieder dem Tode getrotzt. Darum verbindet die beiden eine tiefe Freundschaft.
Eine Freundschaft, die bröckelt. Während Le Gris dank seiner Belesenheit und seinem Charme in der Gunst des Grafen Pierre de Alençon (Ben Affleck) aufsteigt und mit Titeln und Ländereien belohnt wird, bleibt Carrouge all das verwehrt. Schliesslich findet Carrouge doch noch sein Glück: in Marguerite de Thibouville (Jodie Comer), seiner Ehefrau.
Dann passiert das Undenkbare: Während einer Reise Carrouges wird Marguerite in ihrer eigenen Burg von Le Gris vergewaltigt. Als Carrouges davon erfährt, erzürnt und in seinem Stolz verletzt, ahnt er, dass kein Gericht Frankreichs den Aussagen seiner Frau Glauben schenken wird. Schliesslich gäbe es keine Beweise. Und wer glaubt schon einer Frau?
Carrouge greift nach dem rettenden Strohhalm. Ein kühner Antrag vor den Pariser Gerichten – und gewinnt: Ein Duell, ein Gottesurteil, das letzte, das Frankreichs Justiz je gewähren wird, soll vor den Augen des Allmächtigen entscheiden, wer die Wahrheit spricht.
Mehr Arthouse als Hollywood
Es hat schon was von Arthouse-Kino, wie Co-Drehbuchautoren Matt Damon und Ben Affleck die Geschichte von «The Last Duel» aufgleisen: Nicht als klassische Drei-Akt-Story mit Anfang, Mitte und Schluss. Vielmehr als drei Kapitel. Jedes davon erzählt dieselbe Geschichte, aber aus unterschiedlichen Perspektiven.
Aus jener des Klägers, aus jener des Beklagten – und aus jener des Opfers. Letztere Perspektive steuert Drehbuchautorin Nicole Holofcener bei. Interessant.
Tatsächlich ist «The Last Duel» lange Zeit weniger klassisches Hollywood-Storytelling, sondern mehr eine Sammlung von drei Zeugenaussagen, abgegeben im Kino, das symbolisch zum Zeugenstand wird. Passend dazu am Anfang jedes Kapitels die Worte: «Die Wahrheit aus Sicht des…»
Genau das ist es, was ich mit Arthouse meine: «The Last Duel» ist anders. Ungewöhnlicher. Weniger plump.
Das ist clever. Lässt Spielraum. So ist zumindest anfangs nicht klar, wer die Wahrheit spricht. Das sorgt für Spannung. Auch, weil Damon, Affleck und Holofcener beim Drehbuch nicht faul sind. Es ist nicht so, dass da drei komplett unterschiedliche Geschichten sind, in denen die Rolle des Antagonisten, Protagonisten und Opfers schlicht von der Person abhängen, die die Geschichte gerade erzählt. Nie ist klar zugeordnet, wer Held, Bösewicht, gut, böse, weiss oder schwarz ist.
Vielmehr sind da kleinen Nuancen, die die Blickwinkel voneinander trennen – und dabei die ganze Welt ausmachen. Etwa, wenn versöhnende Worte zwischen zwei streitenden Parteien in einer Geschichte von Person A gesagt worden sind, in der anderen Geschichte aber von Person B. Solche Kleinigkeiten ändern die Charakterisierung. Und damit die Glaubwürdigkeit der jeweiligen «Wahrheit».
Es sind solche Kleinigkeiten, die genauso gut leicht entgehen könnten, die uns Zuschauer:innen aber herausfordern und nicht für blöd verkaufen. Noch was, das eher für Arthouse als für Hollywood spricht.
#MeToo im Mittelalter – geht das?
Am beeindruckendsten ist «The Last Duel» aber dann, wenn sich selbst in den kleinen Momenten des Triumphs das Gefühl von Ekel und Abscheu nicht abstellen lässt. Nicht wegen Ridley Scotts typisch expliziten Gewaltdarstellung – daran habe ich mich längst gewöhnt. Viel mehr wegen seiner erschreckenden Aktualität.
Skeptiker:innen höre ich schon stöhnen: #MeToo im Mittelalter? Sowas brauch ich nicht auch noch im Kino.
Scott dürfte das egal sein. Schon in «Kingdom of Heaven», dessen Directors Cut zu seinen besten Werken gehört, versuchte der Brite, den Nerv der Zeit zu treffen: Er setzte Aktualitäten der Gegenwart vor dem Kontext der Geschichte – dem damals erneut anschwellenden Nahost-Konflikt.
«Und du denkst, wir seien längst darüber hinweg», schien sein Kommentar, mit einem Auge auf die unsäglichen Kreuzzüge des Mittelalters schielend, deren Konflikte auch Tausend Jahre später noch immer lodern.
Während «Kingdom of Heaven» aber nur lose auf die Geschichte des Kreuzritters Balian von Ibelin basiert, erzählt «The Last Duel» erstaunlich akkurat nach, wie es zum womöglich ersten historisch dokumentierten #MeToo-Falls gekommen ist – pointiert ausgedrückt.
Denn Bill Cosby, Harvey Weinstein, Larry Nassar – Jacques Le Gris. Sie alle sind Männer, die des sexuellen Übergriffs beschuldigt wurden. Sie alle haben ihre schändlichen Taten jahrelang verbergen können. Nicht, weil sie furchtbar gut darin gewesen wären. Mehr, weil die männlich dominierte Gesellschaft lange Zeit nicht hat hinsehen wollen.
Marguerite de Thibouville geht’s im Film genau gleich. Wo anfangs noch die Männer in der Geschichte dominieren, wird erst allmählich klar, wer die eigentliche Hauptrolle spielt. Alleine gehört zu werden, stellt für sie eine immense Herausforderung dar. Jedes Indiz und jedes Wort wird gegen sie ausgelegt. Selten glaubt man ihr. Und wenn, dann nie ohne ein bedrohliches «und wehe, du lügst». Die Konsequenzen dafür wären drakonische Strafen, die an Grässlichkeit kaum zu überbieten sind.
Unweigerlich kommt ihr der Gedanke: Womöglich wäre Schweigen doch besser. Einfacher. Weniger gefährlich. Und mir dann die Frage: Wie verzweifelt muss ein Mensch sein, wenn Scham und Erniedrigung die besseren Alternativen scheinen als sich zu wehren?
Wie kann eine Gesellschaft – mittelalterlich oder nicht – sowas zulassen?
Schauspielerin Jodie Comer – bekannt aus «Killing Eve» und «Free Guy» – gibt in all dem eine unheimlich intensive und unerwartet reife Performance als Marguerite ab. Wenn sie leidet, leide ich als Zuschauer mit. Mehrmals balle ich die Hände zu Fäusten. Am liebsten würde ich die Ungerechtigkeiten den raffgierigen Machthabern und fanatischen Religiösen des rückständigen Mittelalters in die Schuhe schieben – nur um dann festzustellen, dass Marguerites Drama aktueller denn je ist.
Eben: Cosby, Weinstein, Nassar… Ich fühle mich ertappt.
«Und du denkst, wir seien längst darüber hinweg.»
Scotts solide Regiearbeit
Ridley Scotts Regie ist dabei gewohnt unaufgeregt, aber zweckdienlich. Das ist keineswegs abwertend gemeint. Jede einzelne Einstellung für sich ist eine Augenweide und fügt sich zu einem kleinen Kunstwerk zusammen. Wie immer bei Scott.
Da sind etwa die für ihn typischen Totalen – gerade in den Anfangsszenen –, in denen Scott eine Welt etabliert, die einem Denis Villeneuve an Imposanz und Opulenz in nichts nachsteht. Da ist aber auch Scotts Liebe zum Detail, in den kleinen Szenen, wo Schmutz, Dreck und Verwesung ein düsteres Mittelalter zeichnen, wo jeder Tag ein einziger Kampf ums Überleben ist.
Zum Schluss legt Scott seine Unaufgeregtheit dann doch noch ab, wenn’s zum alles entscheidenden Duell zwischen Matt Damons Carrouge und Adam Drivers Le Gris kommt. Ein Duell, das in puncto Atmosphäre, Spannung und Auflösung nicht enttäuscht.
Nie ist klar, wer die Oberhand hat. Nicht wirklich. Denn wer sie gewinnt, verliert sie gleich in der nächsten Sekunde, nur um sie dann wiederzugewinnen – und so weiter. Mal preschen die Duellanten zu Pferd aufeinander zu. Mal mit Schild und Axt. Mal mit blossen Händen. Wer schlussendlich gewinnt, lässt sich kaum vorausahnen. Das fesselt und quält zugleich.
Keine Frage: Scott versteht sein Handwerk, auch wenn’s in manchen seiner Filmen nur ein schönes Aneinanderreihen von Bildern ist. Zum Problem wird’s nur, wenn das Drehbuch gleichzeitig flach fällt. Wie in «Prometheus» oder dem furchtbar unnötig entmystifizierenden «Robin Hood».
Das Problem hat «The Last Duell» definitiv nicht.
Fazit: Grosses Kino
«The Last Duel» ist lange Zeit mehr Arthouse als Hollywood. Vor allem wegen seiner ungewöhnlichen Erzählstruktur, die die Geschichte dreimal aus unterschiedlichen Blickwinkeln erzählt.
Die Message darin ist klar: Selbst wenn’s um sexuelle Übergriffe geht, scheint die Hauptrolle stets den Männern zuzukommen. Auch das haben Cosby und Epstein gezeigt. Denn: Wer erinnert sich schon an die Namen der Opfer?
In «The Last Duel» stehen Matt Damon und Adam Driver dafür Pate, die Carrouge und Le Gris spielen und sich lange Zeit ganz schön aufplustern. Dann aber schwenkt der Film auf seinen eigentlichen Hauptcharakter, der Frau, Jodie Comers Marguerite, und haut mit der ganz grossen emotionalen Keule auf so manch eingeschränkte Weltsicht drauf. Ein Weckruf, sozusagen. Schliesslich ist sie das Opfer.
Und «The Last Duel» ist in seinem Kern – das zeigt die allerletzte Kameraeinstellung – ihre Geschichte.
«The Last Duel» läuft ab dem 14. Oktober im Kino. Laufzeit: 153 Minuten.
Luca Fontana
Senior Editor
Luca.Fontana@digitecgalaxus.chAbenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»