Hintergrund

Kennst du noch «Pirates»?

David Lee
13/9/2022

Das Konzept von «Pirates» ähnelt dem von «GTA». Statt mit geklauten Autos fährst du mit geklauten Schiffen durch die Gegend. Doch «Pirates» kam bereits 1987 heraus. Mich beeindruckt das heute mehr denn je.

Meine Erinnerung an Computerspiele der 80er Jahre: Klötzchen ineinander stapeln, Karten legen oder in einem 2D-Labyrinth vor bösen Wesen davonrennen. Die meisten Games waren simple Geschicklichkeitsspiele, die nur deshalb längere Zeit spannend blieben, weil sie echt schwierig waren.

«Pirates» aus dem Jahr 1987 war anders – und seiner Zeit voraus. Ein Open-World-Spiel, in dem du dich frei bewegst. Das Spiel erklärt dir nicht, wie du dein Ziel erreichst. Es sagt dir nicht mal, was dein Ziel ist. Das musst du für dich selbst herausfinden.

Mit vollem Namen heisst das Spiel «Sid Meier’s Pirates!». Es stammt also vom gleichen Typen, der auch «Civilization» und «Railroad Tycoon» erfunden hat. Ich selbst spielte «Pirates» anfangs der Neunzigerjahre auf einem Mac mit Schwarzweissbildschirm. Das Game läuft aber selbst auf einem Commodore C64, für den es zuerst erschien.

Das Spiel erschien zuerst auf dem C64.
Das Spiel erschien zuerst auf dem C64.

Das Piratenleben

Du bist ein Pirat im 16. oder 17. Jahrhundert und segelst durch die grosse, weite Karibik. Wie schnell du wohin kommst, hängt von der Windrichtung, der Windstärke und ein wenig von deinem Schiff ab. Du kannst andere Schiffe überfallen, Städte angreifen und plündern, aber auch Tavernen besuchen, um Leute zu rekrutieren oder Neuigkeiten zu erfahren. Beim Händler lässt du dein havariertes Schiff reparieren und verkaufst erbeutete Waren.

Plünderungen geht immer ein Fechtkampf voraus. Der ist einfacher, wenn du mehr Männer als der Gegner hast.
Plünderungen geht immer ein Fechtkampf voraus. Der ist einfacher, wenn du mehr Männer als der Gegner hast.
Kleiner Eigentumstransfer nach einer erfolgreichen Schiffsübernahme.
Kleiner Eigentumstransfer nach einer erfolgreichen Schiffsübernahme.

Vordergründig gibt das Spiel keine Richtung vor. Im Prinzip könntest du auch einfach mit Zucker handeln. Doch mit der Zeit merkst du, dass dir gewisse Dinge grossen Erfolg bringen, während andere langweilig sind oder in die Katastrophe führen. Es gehört zum Reiz des Spiels, dass du – vor allem als Anfänger – relativ planlos auf dem Meer treibst und dir das Piratenleben Lektionen erteilt. Im Spiel vergehen so mehrere Jahre, und real spielst du zumindest viele, viele Stunden.

Auf dem offenen Meer ist es einsam und die Orientierung ist schwierig.
Auf dem offenen Meer ist es einsam und die Orientierung ist schwierig.

Wie auch in der historischen Realität ist die Grenze zwischen Freibeutertum und Piraterie fliessend. Ein Freibeuter handelt ganz offiziell im Dienste einer Nation, er hat eine Lizenz zum Plündern. Natürlich gilt das nur für Schiffe von feindlichen Nationen. Als Freibeuter überfällst du zum Beispiel im Dienst der englischen Flagge spanische Schiffe und wirst dafür von England belohnt. In den zahlreichen spanischen Städten dagegen kannst du dich als englischer Freibeuter nur reinschleichen und nicht mit Waren handeln.

Auf diese Weise erhältst du vom Gouverneur einer Stadt Auszeichnungen, Landbesitz und sogar die Möglichkeit, um die Hand seiner Tochter anzuhalten. Die standesbewussten Damen allerdings, vor allem die schönen, zieren sich sehr lange.

Fürs Plündern und Metzeln erhält man auch noch Ehrentitel.
Fürs Plündern und Metzeln erhält man auch noch Ehrentitel.
Trotz meiner grossartigen Verdienste findet die Tochter des Gouverneurs, ich sei ihrer nicht würdig.
Trotz meiner grossartigen Verdienste findet die Tochter des Gouverneurs, ich sei ihrer nicht würdig.

Des Öfteren aber gibt es als Freibeuter keine geeignete Beute, während dir attraktive Schiffe von befreundeten Nationen wie Speck durchs Maul gezogen werden. Dann denkst du: Ach komm, das überfalle ich jetzt trotzdem, ich bin schliesslich ein Pirat und mache, was ich will! Das hat natürlich Konsequenzen. Unter dem Strich kann es sich trotzdem lohnen. Das ist es, was das Spiel so reizvoll macht: Es gibt nicht die eine Strategie, die klar zum Erfolg führt.

Hast du es dir mit einer Nation mal verscherzt, kannst du nicht mehr ohne weiteres in deren Häfen einlaufen. Treibst du ohne Plünderung zu lange auf dem Meer umher, gehen die Bordvorräte zur Neige und die Crew wird missmutig. Ebenso, wenn du fette Beute machst, sie aber nie aufteilst. Heuerst du immer mehr Leute an, sinkt der Anteil für deine bisherigen Piraten, was sie auch verärgert. Andererseits brauchst du Matrosen, um grosse Schiffe zu betreiben und um die Kampfkraft zu erhöhen.

Übernimmst du dich bei einem Angriff, verlierst du die Schlacht und wirst gefangen genommen. Man wirft dich ins Gefängnis und du verlierst nicht nur einige Monate, sondern auch deine Flotte.

Im Gefängnis hast du Zeit zum Nachdenken. Willst du es nochmal versuchen oder hast du die Schnauze voll vom Piratenleben?
Im Gefängnis hast du Zeit zum Nachdenken. Willst du es nochmal versuchen oder hast du die Schnauze voll vom Piratenleben?

Es sind solche Sachzwänge, die dich in eine bestimmte Richtung treiben. Du musst vorausschauend agieren, um gar nicht erst in eine missliche Lage zu kommen. Du triffst ständig Entscheidungen, aber dein Erfolg hängt auch vom Schicksal und den äusseren Umständen ab. Auch wenn das etwas kitschig klingt: Es ähnelt dem richtigen Leben sehr.

Ahnungslos zum Karibik-Experten

Das Spiel zeigt dir keine Karte an. Segelst du über das offene Meer, bist du völlig orientierungslos. Es gibt nur die Möglichkeit, die Koordinaten anhand des Sonnenstands zu bestimmen. Witzigerweise ist das Spiel dadurch realistischer als mit einer Mini-Map.

Bestimmung der Koordinaten mit dem Sonnenstand. Keine Karte mit Anzeige, wo du bist. Das hier ist ein realistisches Game!
Bestimmung der Koordinaten mit dem Sonnenstand. Keine Karte mit Anzeige, wo du bist. Das hier ist ein realistisches Game!

Es muss so 1992 gewesen sein, als ich in den Besitz einer Pirates-Landkarte kam, die ich selbst ausdrucken konnte und die sich über mehrere A4-Seiten erstreckte. Aber da wusste ich bereits auswendig, wo sich welche Insel und welche Stadt befindet und wem sie gehört. Doch erst durch diese Karte habe ich gemerkt, dass die Welt von Pirates ein ziemlich gutes Abbild der echten Karibik ist und ich mir viel Wissen über die karibische Geografie angeeignet hatte.

Eine Art Vorgänger von GTA

Die Offenheit und Komplexität des Spiels sind beeindruckend für ein Game, das nur drei Jahre nach Tetris erschien. Klar: Die Grafik ist rudimentär, kein Vergleich selbst zur ersten Auflage von Grand Theft Auto. Aber das Spielprinzip ist ähnlich. Statt mit geklauten Autos fährst du mit geklauten Schiffen herum. Du bist Teil eines Verbrechermilieus, entscheidest aber selbst, wie skrupellos du vorgehst. Du hast Auftraggeber, du versuchst, Karriere zu machen. Dazu gehört nicht nur das Ansammeln von Titeln und Gold, sondern auch die Suche nach deiner verlorenen Schwester und nach einer Ehefrau.

Das Spiel endet immer mit deinem Ruhestand, sprich deinem Rückzug aus der Piraterie. Auch den Rückzug bestimmst du selbst. Aber auch hier gilt: Die Sachzwänge treiben dich dahin. Irgendwann bist du zu alt und zu kaputt für das Piratenleben, du verlierst Schwertkämpfe, die du früher spielend leicht gewonnen hättest, und du merkst: Es ist Zeit, aufzuhören. So gab denn auch ich meine Piratenkarriere auf und wurde stattdessen ein Railroad Tycoon.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 

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