Krafttraining: Was bringt das Training bis zum Muskelversagen?
Hintergrund

Krafttraining: Was bringt das Training bis zum Muskelversagen?

Welchen Einfluss hat Training bis zum Muskelversagen auf die Kraft und das Grössenwachstum der Muskulatur? Ist es notwendig, immer bis zum Muskelversagen zu trainieren? Hier liefern wir die Antworten.

Unter willentlichem Muskelversagen versteht man die neuromuskuläre Unfähigkeit, eine konzentrische Kontraktion über das gesamte Bewegungsausmass auszuführen [1-3]. Man geht davon aus, dass Training bis zum Muskelversagen eine vollständige Rekrutierung der motorischen Einheiten bewirkt, was eine mögliche Voraussetzung für den Wachstumsstimulus der Muskeln darstellt [4].

Wovon sprechen wir

Wenn die externe Belastung hoch ist (≥ 85 % 1-RM), werden motorische Einheiten mit höherem Rekrutierungsschwellenwert (Typ FF und FR) sofort rekrutiert, um eine hohe Kraftproduktion zu gewährleisten. Bei niedrigen Belastungen werden diese motorischen Einheiten nicht sofort rekrutiert, da zunächst keine hohe Kraftproduktion erforderlich ist [5]. Mit zunehmender neuromuskulärer Ermüdung werden nach und nach motorische Einheiten mit höherem Rekrutierungsschwellenwert rekrutiert, um die motorischen Einheiten zu kompensieren, die die Kraftproduktion nicht länger aufrechterhalten konnten [6]. Folglich wurde beim Erreichen des willentlichen Muskelversagens der gesamte verfügbare Pool an motorischen Einheiten für die entsprechende Aufgabe rekrutiert [6]. Wird also die Trainingsbelastung reduziert, spielt Training bis zum willentlichen Muskelversagen eine wichtige Rolle. Darüber hinaus kann das Training bis zum Versagen auch das Muskelwachstum über eine erhöhte metabolische Belastung beeinflussen [7].

Literatur zum Thema

Mitchell et al. [8] zeigten an untrainierten Personen (21 ± 1 Jahre, n = 18), dass eine Vielzahl von Intensitäten (d. h. 30 % versus 80 % des 1-RM) eingesetzt werden können, um die Muskelhypertrophie zu induzieren, wenn bis zum Muskelversagen trainiert wird. Die Forscher verwendeten in ihrer Studie unterschiedliche Intensitäten (d.h. 30 % versus 80 % von 1-RM) und Trainingsvolumina (d.h. 1 oder 3 Sätze) dreimal wöchentlich über 10 Wochen hinweg. Die Studienteilnehmer trainierten an der Leg Extension die Quadrizepsmuskulatur jeweils bis zum Muskelversagen. Bei allen Teilnehmern wuchs die Zielmuskulatur. Es wurde kein signifikanter Unterschied festgestellt zwischen der Gruppe, die mit 80 % 1-RM, mit einem oder mit drei Sätzen und der Gruppe, die mit 30 % und drei Sätzen trainierte. Der Zuwachs an Kraft unterschied sich nicht innerhalb der Gruppe, die mit 80 % trainierte, war aber signifikant grösser als in der Gruppe, die mit 30 % und drei Sätzen trainierte.

Morton et al. [9] zeigten bei trainierten Personen, die ein Ganzkörpertraining absolvierten, dass die Intensität keinen Einfluss auf die durch das Krafttraining verursachte Hypertrophie- oder Kraftsteigerung hat. 49 trainierte Männer (23 ± 1 Jahre) trainierten 12 Wochen lang. Die Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip in eine Gruppe mit höherer oder niedrigerer Intensität eingeteilt, wobei sie entweder mit ~30 - 50 % oder ~75 - 90 % des 1-RM bis zum Muskelversagen trainierten. In beiden Gruppen nahm die Kraft zu, ohne signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen. Dasselbe fanden die Forscher für die Hypertrophie. Die Schlussfolgerung der Autoren war, dass die Intensität bei trainierten Individuen keinen Einfluss auf die Hypertrophie oder die Kraftsteigerung hat, falls bis zum Muskelversagen trainiert wird.

Studien, die keinen Vorteil von Training bis zum Muskelversagen fanden

Im Gegensatz zu den obigen Studien fanden Sampson und Groeller [2] ähnliche Anpassungen bei drei verschieden intensiven Krafttrainingsprotokollen, was darauf hindeutet, dass das Training bis zum Muskelversagen für neurale und strukturelle Veränderungen der Skelettmuskulatur nicht entscheidend ist. Sie unterzogen 28 Männer einer 4-wöchigen Gewöhnung an das Krafttraining. Anschliessend wurden die Probanden entsprechend ihrer Kraftsteigerung in drei Gruppen eingeteilt:

  • Schnelle Kontraktion ohne Muskelversagen (schnell konzentrisch, 2 s exzentrisch)
  • Schnelles Training ohne Muskelversagen (schnell konzentrisch, schnell exzentrisch)
  • Kontrolle: Training bis zum Muskelversagen (2 s konzentrisch, 2 s exzentrisch)

Der Versuchszeitraum betrug 12 Wochen und umfasste dreimal wöchentlich ein einarmiges Krafttraining des Bizeps bei 85 % 1-RM mit jeweils 4 Wiederholungen. Die Kontrollgruppe wurde angewiesen, in allen 4 Sätzen jeweils bis zum Muskelversagen zu trainieren. Die Kraft wurde durch die Messung des 1-RMs bestimmt, während der Muskelquerschnitt mittels Kernspintomografie gemessen wurde. Es wurden keine Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt, was darauf schliessen lässt, dass Training bis zum Muskelversagen keine notwendige Voraussetzung für die Trainingsadaption darstellt.

Nobrega et al. [10] untersuchten ein Krafttraining, bei dem die Teilnehmer entweder bis zum Muskelversagen oder bis zu dem Punkt trainieren mussten, an dem sie die Übung selbstgewählt abbrachen. Der Interventionszeitraum betrug 12 Wochen, in dem 32 untrainierte Männer (23.0 ± 3.6 Jahre) zweimal wöchentlich eine einbeinige Beinstreckung durchführten. Die Beine der Teilnehmer wurden je nach 1-RM- und Muskelquerschnittsgrössen nach dem Zufallsprinzip in folgende Gruppen unterteilt:

  • hohe Intensität (80 % 1-RM) bis zum Muskelversagen
  • hohe Intensität (80 % 1-RM) bis zum selbstgewählten Abbruch durch den Teilnehmer
  • niedrige Intensität (30 % 1-RM) bis zum Muskelversagen
  • niedrige Intensität (30 % 1-RM) bis zum selbstgewählten Abbruch durch den Teilnehmer

Es wurden jeweils drei Sätze ausgeführt. Die Muskelquerschnittsfläche und das 1-RM waren 6 und 12 Wochen nach der Intervention nicht unterschiedlich. Die Autoren sind der Ansicht, dass alle Studienprotokolle ähnlich effektiv waren für die Induktion von Hypertrophie und Kraft. Daher könnte ein Training, das nahe beim Muskelversagen vorgängig abgebrochen wird, auf eine höhere Effizienz hinweisen. Bei dieser Interpretation ist jedoch Vorsicht geboten, da die Volumenlast bei den Interventionsgruppen sehr ähnlich war und somit ein möglicher Störfaktor darstellt.

Neves da Silva et al. [11] untersuchten die muskulären Anpassungen des Quadrizeps an ein kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining bei älteren Männern. Der Versuchszeitraum dauerte 12 Wochen und bestand aus einem Krafttraining, das immer vor einem Ausdauertraining innerhalb derselben Trainingseinheit zweimal pro Woche stattfand. Da der Quadrizeps untersucht wurde, umfasste das Krafttraining die Beinpresse und die zweibeinige Kniestreckung. Zweiundfünfzig ältere Männer (66 ± 5 Jahre) wurden rekrutiert und in 3 Gruppen aufgeteilt.

  • ca. 70 % 1-RM, 2 – 3 Sätze bis zum Muskelversagen
  • 50 % 1-RM, 2 – 3 Sätze mit 8 – 10 Wiederholungen
  • 50 % 1-RM, gleiches Trainingsvolumen wie die Gruppe, welche bis zum Muskelversagen trainierte

Die Dicke des Quadrizepsmuskels wurde mithilfe von Ultraschall gemessen. Sowohl in der Gruppe, die bis zum Muskelversagen trainierte und der Gruppe, die dasselbe Volumen absolvierte, fand eine signifikante Grössenveränderung im Quadrizeps statt. Bei der Gruppe, die mit 50 % 1-RM 2 – 3 Sätze mit 8 – 10 Wiederholungen trainierte, konnte ein statistisch relevanter Grössenunterschied nach 12 Wochen festgestellt werden. Alle Gruppen nahmen an Kraft zu, ohne, dass ein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen festgestellt wurde.

Schlussfolgerung

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der zitierten Studien, dass niedrigere Belastungen ebenso wirksam sein können wie höhere, wenn das Training bis zum Muskelversagen durchgeführt wird. Das Thema ist jedoch noch nicht eindeutig geklärt, da einige Studien Vorteile des Trainings bis zum Muskelversagen beim dynamischen Krafttraining aufzeigten [12-14], während andere keinen zusätzlichen Nutzen fanden [2,10,15].

Das Trainingsvolumen und das Training bis zum Versagen scheinen bei untrainierten älteren Männern gleichermassen wirksam zu sein, um Hypertrophie und Kraft zu induzieren, während jüngere und krafttrainingserfahrene Personen von Training bis zum Versagen profitieren könnten. Da die vollständige Rekrutierung der motorischen Einheiten mit hohen Lasten (d. h. > 80 % 1-RM) erreicht werden kann [5], ist das Training bis zum Muskelversagen bei hohen Belastungen nicht unbedingt eine Voraussetzung, um eine Steigerung der funktionellen und strukturellen/morphologischen Anpassungen zu erzielen [16]. Im Gegensatz dazu scheint das Erreichen des Muskelversagens bei geringerer Belastung (d. h. ≤ 50 % 1-RM) für die Zunahme von Muskelkraft und -masse wesentlich zu sein. Daher lautet eine praktische Empfehlung: Je geringer die Belastung, desto wichtiger ist die Intensität der Anstrengung und damit das Muskelversagen bei einer motorischen Aufgabe.

Den Originalartikel in englischer Sprache findest du hier.

Referenzen

  1. Steele J, Fisher J, Giessing J, Gentil P. Clarity in reporting terminology and definitions of set endpoints in resistance training. Muscle and Nerve. 2017;56: 368–374. doi:10.1002/mus.25557
    
  2. Sampson JA, Groeller H. Is repetition failure critical for the development of muscle hypertrophy and strength? Scand J Med Sci Sport. Blackwell Munksgaard; 2016;26: 375–383. doi:10.1111/sms.12445
    
  3. Schoenfeld BJ. The Mechanisms of Muscle Hypertrophy and Their Application to Resistance Training. J Strength Cond Res. 2010;24: 2857–2872. doi:10.1519/JSC.0b013e3181e840f3
    
  4. Wernbom M, Augustsson J, Thomeé R. The influence of frequency, intensity, volume and mode of strength training on whole muscle cross-sectional area in humans. Sports Med. 2007;37: 225–64. Available: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17326698
    
  5. de Luca CJ, Contessa P. Hierarchical control of motor units in voluntary contractions. J Neurophysiol. 2012;107: 178–195. doi:10.1152/jn.00961.2010
    
  6. Adam A, De Luca CJ. Firing rates of motor units in human vastus lateralis muscle during fatiguing isometric contractions. J Appl Physiol. 2005;99: 268–280. doi:10.1152/japplphysiol.01344.2004
    
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  8. Mitchell CJ, Churchward-Venne TA, West DWDD, Burd NA, Breen L, Baker SK, et al. Resistance exercise load does not determine training-mediated hypertrophic gains in young men. J Appl Physiol.  American Physiological Society Bethesda, MD; 2012;113: 71–77. doi:10.1152/japplphysiol.00307.2012
    
  9. Morton RW, Oikawa SY, Wavell CG, Mazara N, McGlory C, Quadrilatero J, et al. Neither load nor systemic hormones determine resistance training-mediated hypertrophy or strength gains in resistance-trained young men. J Appl Physiol. 2016;121: 129–138. doi:10.1152/japplphysiol.00154.2016
    
  10. Nóbrega SR, Ugrinowitsch C, Pintanel L, Barcelos C, Libardi CA. Effect of Resistance Training to Muscle Failure vs. Volitional Interruption at High- and Low-Intensities on Muscle Mass and Strength. J Strength Cond Res. 2018;32. Available: https://journals.lww.com/nsca-jscr/Fulltext/2018/01000/Effect_of_Resistance_Training_to_Muscle_Failure.19.aspx
    
  11. Neves LX da S, Teodoro JL, Menger E, Lopez P, Grazioli R, Farinha J, et al. Repetitions to failure versus not to failure during concurrent training in healthy elderly men: A randomized clinical trial. Exp Gerontol. Elsevier; 2018;108: 18–27. doi:10.1016/j.exger.2018.03.017
    
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  15. Martorelli S, Cadore EL, Izquierdo M, Celes R, Martorelli A, Cleto VA, et al. Strength training with repetitions to failure does not provide additional strength and muscle hypertrophy gains in young women. Eur J Transl Myol. PAGEPress Publications; 2017;27. doi:10.4081/ejtm.2017.6339
    
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Molekular- und Muskelbiologe. Forscher an der ETH Zürich. Kraftsportler.


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