Ascot Elite / «Echte Schweizer»
Hintergrund

Luka Popadić ist Secondo, Regisseur, Offizier – und «echter Schweizer»

Luca Fontana
19/4/2024

Sind Secondos, die in der Schweiz Militärdienst leisten, «echte» Schweizer? Das will Autor und Regisseur Luka Popadić in seinem Film herausfinden. Dabei ist er selbst Secondo – und Schweizer Offizier. Ein Gespräch.

«Kaffee Crème», sagt Luka Popadić mit einem erleichterten Seufzen, als er endlich den dampfenden Pappbecher entgegennehmen darf. Er wird ihm an der Bar des Restaurants Deli 1993 in Zürich serviert. «Ohne Kaffee funktioniere ich einfach nicht», fügt er an.

Es ist Freitagmorgen. Nicht zu früh. Luka trägt noch einen schicken schwarzen Mantel mit Wollmütze, ehe er sich im Restaurant hinsetzt. Dazu Brille und Bart. Draussen ist es kalt. Kaum schlürft er am schwarzen Gold, wird sein Blick scharf. Seine Stimme bestimmt. Luka ist nicht nur ein in Serbien ausgebildeter Autor und Regisseur; er ist auch Offizier im Schweizer Militär.

Genau darüber – übers Schweizer Milizsystem – wollte Luka einen Film machen. Eigentlich. Herausgekommen ist aber ein ganz anderer. Einer, der viel persönlichere Fragen stellt. Etwa, ob Militärdienst leistende Secondos, also in der Schweiz geborene Kinder von Einwanderern, «echte Schweizer» sind.

Wo Angst ist, da ist auch Land

Geboren ist Luka Popadić in der Schweiz. 1980, genau gesagt. Und wenn Luka mit seinem Limattaler Schweizerdeutsch von seiner wilden Jugend in Baden erzählt, merkt man ihm den Lokalpatriotismus an. Dann, im Jahr 2009, kehrte er zurück in die Heimat seiner Eltern – nach Serbien, wo er fünf Jahre später sein Masterstudium in Filmregie an der Fakultät der dramatischen Künste in Belgrad abschloss.

«Die Ausbildung war nicht ohne», erzählt Luka, «alles war sehr traditionell. Sehr streng. Die grossen Regie-Altmeister des Landes dozierten dort. Gaben uns ihre Lehren und Weisheiten weiter. ‘Schreibe deine eigenen Filme’, zum Beispiel. So wurde ich gleichzeitig zum Autoren ausgebildet.» Luka lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Schlürft an seinem Kaffee. Sein Blick wandert in die Ferne. Oder in der Vergangenheit? «Eine Lehre ist mir dabei besonders geblieben: Wo Angst ist, da ist auch Land.»

Oberleutnant Luka Popadić (rechts) wird gerade zum Hauptmann befördert.
Oberleutnant Luka Popadić (rechts) wird gerade zum Hauptmann befördert.
Quelle: Ascot Elite / «Echte Schweizer»

Von wem genau der Spruch sei, erinnert sich Luka heute nicht. Sehr wohl aber, was er bedeutet. Nämlich, dass die besten Geschichten oftmals dort sind, wo sich niemand hinzuschauen traut. Etwa, wenn die Geschichte zu persönlich wird. Wer die Angst davor überwindet, der findet die bestmögliche Version seiner Geschichte – und damit Land. Eine Lehre, die Luka während seiner Arbeit zu «Echte Schweizer» zugutekam. Denn die ursprüngliche Version seines Films sah ganz anders aus.

«Aber du bist doch Regisseur! In Serbien! Wieso musst du jetzt auch noch ins Militär? Und das in der Schweiz?»

Es muss etwa das Jahr 2014 gewesen sein, beginnt Luka den Ursprung seines neuesten Films zu erzählen. Damals hatte er schon einige Kurzfilme gedreht und sie auf der ganzen Welt auf Filmfestivals präsentiert. Dann kam der Moment, als er sich für ein kommendes Filmfestival in Serbien entschuldigen lassen musste. Luka erinnert sich daran, als ob’s gestern gewesen wäre:

«Sorry, das nächste Mal werde ich nicht dabei sein, ich muss dann leider für ein paar Wochen ins Militär.»

«Hä? Was? Ins Militär

«Jep.»

«Also hier, in Serbien?»

«Nein, nein. In der Schweiz.»

«Schweiz!? Aber du bist doch Regisseur! In Serbien! Wieso musst du jetzt auch noch ins Militär? Und das in der Schweiz

«Naja, ich bin eben auch Offizier im Schweizer Militär.»

«Offizier! Aber wie kann man Offizier sein, wenn man von Beruf Regisseur ist! Das ist doch … Man kann doch nicht beides sein!?»

Oberleutnant Saâd Dhiff auf dem Weg ins Militär – seine Schwester hat übrigens eine klare Meinung zur Armee.
Oberleutnant Saâd Dhiff auf dem Weg ins Militär – seine Schwester hat übrigens eine klare Meinung zur Armee.
Quelle: Ascot Elite / «Echte Schweizer»

Es gibt nicht viele Länder, die das Milizsystem kennen. Und noch weniger, in dem es so sehr zum Selbstverständnis des Landes gehört wie in der Schweiz. Dass man etwa von Beruf zwar Bauer, Bäcker oder Banker sein kann, und trotzdem einmal im Jahr das Gewehr aus dem Keller holen und das Land verteidigen muss, das hinterfragt hier niemand. «So einen hohen Rang zu haben, ohne Berufsmiltarist zu sein und stattdessen die meiste Zeit des Jahres einer ganz anderen Arbeit nachzugehen – für mich ist das normal, aber den Leuten in Serbien wollte das einfach nicht in den Kopf.»

Die Idee für seinen ersten, abendfüllenden Film war geboren: das Schweizer Milizsystem.

Die Suche nach Land

Luka merkte aber schnell, dass das Schweizer Milizsystem zwar ein Thema für eine spannende Reportage sei. Aber noch nicht genug Gravita für einen Film besässe, den er ins Kino bringen könnte. Der braucht mehr. Mehr Tiefe. Mehr Geschichte.

«Dann fiel mir noch etwas anderes ein», erzählt er. Für seine serbischen Kollegen war nicht nur das Milizsystem ausserordentlich. Sondern auch die Tatsache, dass Luka als «Serbe», der damals noch in Serbien arbeitete und lebte, Militärdienst in der Schweiz leistet. Wieso eigentlich? Was treibt einen Secondo dazu?

«Vor allem: Als was sehen mich die ‘echten’ Schweizer im Militärdienst?»

Luka will da näher ran. Will die Angst vor der Antwort erforschen. Ist die Schweiz für ihn und andere Secondos mehr als ein Gastland? Und vor allem: Als was sehen ihn die «echten» Schweizer im Militärdienst?

«Wo Angst ist, da ist auch Land.»

Luka hat nie aufgehört, an seinem Kaffee Crème zu nippen. Jetzt stellt er ihn auf den Tisch. Zum ersten Mal. Er ist leer. Der Pappbecher. Nicht der Schweizer Offizier. «Bei meinem nächsten Militärdienst suchte ich den direkten Kontakt mit der Pressestelle der Schweizer Armee. Dort präsentierte ich mich, mein bisheriges Schaffen und meine Idee.» Luka lehnt sich vor, guckt kurz zum Pappbecher und vergewissert sich, dass er tatsächlich leer ist. Dann lehnt er sich wieder zurück.

Es habe Wochen gedauert, bis das Militär antwortete. «Berner Tempo halt», scherzt Luka, aber dann erhielt er endlich grünes Licht. Und nicht nur von irgendwem. Sondern direkt aus Bundesbern: vom Departementschef. Freude herrscht. «Ich war baff.»

Weniger Verherrlichung, mehr Authentizität

Dass die Armee einem Dokumentarfilm zustimmen würde, war für Luka nicht selbstverständlich. Nicht nur, weil das Thema oft polemisch diskutiert wird. 2015 etwa stellte der damalige Verteidigungsminister Ueli Maurer die Loyalität von Secondos in der Armee in Frage. Dazu plante Luka, mit Kamera und Mikrofon die «heiligen Hallen» von Kasernen, Panzerhallen und Schiessplätzen zu filmen, um die Armee und ihre Angehörigen so zu zeigen, wie sie sind – inklusive all ihrer absurden Momenten zwischen Leid und Elend, die trotz allem an Situationskomik grenzen. Wer Militärdienst geleistet hat, kennt das. Aber was ist mit den anderen?

«Die Schweizer Armee hat nie ein Vetorecht von mir bekommen. Ich wollte unabhängig sein. Das war mir wichtig.»

Allerdings, und das rechne Luka der Militärführung hoch an, sei man sehr am «Dialog» mit der Schweizer Bevölkerung interessiert, so die Begründung im Schreiben des Chefs der Armee. Bestes Militär-Jargon. Aber aufrichtiges. Für Luka war das euphorisierend und beängstigend zugleich. Schliesslich schenkte ihm die Armee grosses Vertrauen.

«Die Schweizer Armee hat nie ein Vetorecht von mir bekommen. Ich wollte unabhängig sein. Das war mir wichtig. Sonst hätte ich den Film nicht gemacht, und die Armee respektierte das», erzählt Luka. Dafür versicherte er, das Militär stets offen und transparent über den Stand des Projekts zu informieren. Die Armee wiederum vertraute darauf, von Luka nicht in die Pfanne gehauen zu werden.

Drei Protagonisten – einer zu wenig

Im nächsten Schritt wählte Luka drei Protagonisten aus, die er für seinen Film porträtierte: Saâd, Thuruban und Andrija, drei Schweizer Offiziere mit serbischen, srilankischen und tunesischen Wurzeln. Auch ihnen gegenüber hat Luka eine grosse Verantwortung, während sie sich von ihrer persönlichsten Seite zeigen. Ihnen gab er aber ein Vetorecht. Das sei für Luka von Anfang an klar gewesen. «Ich wollte nicht, dass sie Dinge sagen, mit denen sie sich später nicht mehr wohlfühlen oder die sogar ihre berufliche Zukunft versauen würden, ohne etwas dagegen tun zu können.»

«Der Film war gut. Aber nicht gut genug. Es fehlte noch etwas. Oder besser: Es fehlte noch jemand – ich.»

Genutzt hat das Vetorecht allerdings keiner seiner drei Protagonisten. Darauf sei Luka stolz. Das bedeute für ihn, dass er seine Fragen gut vorbereitet und fair gestellt hatte. Zumindest im Kontext des Films. Etwa, ob seine drei Protagonisten bereit wären, im Kriegsfall ihr Leben für die Schweiz zu geben. Harter Tobak.

Ein Protagonist fehlte aber noch.

Hauptmann Thuruban Thuchchathanan (links) beim Abfüllen der Soldsäckchen mit seinem Gefreiten.
Hauptmann Thuruban Thuchchathanan (links) beim Abfüllen der Soldsäckchen mit seinem Gefreiten.
Quelle: Ascot Elite / «Echte Schweizer»

«Es stimmt, ich habe mich lange dagegen gesträubt, selbst im Film zu sein. Ich stehe nicht gerne im Mittelpunkt. Das überlasse ich lieber anderen», sagt ausgerechnet Hauptmann Popadić ganz lässig in seinem Stuhl. Falls es ihm unangenehm ist, das zuzugeben, lässt er’s sich nicht anmerken. Luka hätte nicht nur Autor und Regisseur, sondern auch Schauspieler werden können. Bestimmt.

Tatsächlich war sein Sträuben wohl mit ein Grund, weshalb die Produktion von «Echte Schweizer» ganze acht Jahre gedauert hat. Einerseits bremste ihn die Covid-Pandemie im Jahr 2020 aus. Andererseits hatte Luka im Jahr 2021 schon einen fix fertigen Film, inklusive Schnitt, Ton und sogar Untertitel. Aber: «Der Film war gut. Aber nicht gut genug. Es fehlte noch etwas. Oder besser: Es fehlte noch jemand – ich.»

Da. Die Angst, die ihm die Sicht aufs Land versperrte.

Luka traf eine schwierige Entscheidung.

Land in Sicht!

«Ich gab den ersten Schnitt auf», seufzt Luka, «es war schlicht unmöglich, meine eigene Geschichte zu thematisieren und in den aktuellen Schnitt einzuweben. Das hätte nicht gepasst. Wir mussten wirklich nochmals bei Null anfangen.»

Luka hätte gerne noch einmal mit dem damaligen Editor Stefan Kälin gearbeitet. Konflikte mit dessen Terminkalender machten das aber unmöglich. Vielleicht war das besser so. Einen frischen Blick auf über 140 Stunden Filmmaterial zu bekommen und neu zu schneiden, wäre sowieso schwierig geworden. Also sprang Katharina Bhend ein, die von Anfang an klarmachte, dass sie den Film nur schneiden würde, wenn der Regisseur ebenfalls vor die Kamera träte – als vierter Protagonist und Erzähler.

Oberleutnant Andrija Stojković beim traditionellen Donnschtig-Jass mit der Truppe.
Oberleutnant Andrija Stojković beim traditionellen Donnschtig-Jass mit der Truppe.
Quelle: Ascot Elite / «Echte Schweizer»

Drei Jahre später ist «Echte Schweizer» in über 30 deutschsprachigen Kinos gestartet. Anfang Jahr gewann er an den Solothurner Filmspielen sogar den Publikumspreis. Ein grosses Ding für Luka. Vor allem nach überstandener, achtjähriger Produktionszeit und Widerständen, die manchmal aus unerwarteten Lagern kamen.

«Den Film zu unterstützen, heisst fürs politisch linke Lager wohl indirekt, auch das Militär zu unterstützen.»

«Gerade die Finanzierung des Films verlief nicht problemlos. Secondos im Militär ist für manche noch immer ein unbequemes Thema.» Luka sieht sich selbst als politisch neutral. Die grössere Unterstützung bekam er aber aus dem politisch rechten Lager. «Absurd, oder?», sagt er mit einem verschmitzten Grinsen. Aber wenn er darüber nachdenke, dann werde ihm auch klar, wieso.

«Weisst du, den Film zu unterstützen, heisst fürs politisch linke Lager wohl indirekt, auch das Militär zu unterstützen», sagt Luka etwas ernster, als er sich vorbeugt und feststellt, dass sein Becher Kaffee Crème noch immer leer ist. «Gleichzeitig konnten sie sich auch nicht aktiv gegen den Film aussprechen, weil das dann auch gegen Secondos ginge – ein politisches No-Go. Also steckten sie da in einem Limbo fest, in dem ‘keine Reaktion’ zwar auch eine Reaktion ist, aber eben die am wenigsten schlimmste.»

Am Ende geht’s in «Echte Schweizer» nicht darum, politische Botschaften zu verbreiten, sondern die vielen Facetten der Schweiz aufzuzeigen.
Am Ende geht’s in «Echte Schweizer» nicht darum, politische Botschaften zu verbreiten, sondern die vielen Facetten der Schweiz aufzuzeigen.
Quelle: Ascot Elite / «Echte Schweizer»

Die leise Enttäuschung ist dem Badner mit serbischen Wurzeln anzumerken. Schliesslich soll sein Film mehr als «nur» ein Film über Secondos im Militär sein, der eine bestimmte Botschaft aussenden will. Jede und jeder soll sich stattdessen selbst herausnehmen dürfen, was ihr oder ihm am Film gefällt. «Ich persönlich will einfach nur zeigen, wie komplex und facettenreich die Schweiz ist. Und wenn der Film am Ende dazu beiträgt, dass wir uns alle ein bisschen verbundener fühlen, dann bin ich glücklich.»

Lukas Blick wandert wieder zum Pappbecher. Endlich packt er es und steht auf. «So, jetzt brauche ich aber noch einen Kaffee Crème.»


«Echte Schweizer» läuft seit dem 4. April in über 30 deutschsprachigen Kinos. Auch in Baden. In der Romandie startet der Dokumentarfilm Anfang September 2024.

Titelbild: Ascot Elite / «Echte Schweizer»

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