Hintergrund
Meta unter Druck – Teil 2: Wie Instagram seine Wurzeln ausreisst
von Samuel Buchmann
Negative Schlagzeilen zu Meta und seinen Marken Facebook und Instagram häufen sich. Steht Mark Zuckerberg am Abgrund? Teil eins einer Serie über die Probleme des Tech-Giganten.
«Erhalten wir auch 2023 die zusätzlichen freien Tage aus der Corona-Zeit?» Die im Voraus aufgezeichnete Frage vom armen, ahnungslosen Gary aus Chicago an einer virtuellen Meta-Sitzung kam zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Davor hatte Mark Zuckerberg, Metas unantastbarer Herrscher, eine Tirade losgelassen: Die Angestellten sollen endlich wieder härter arbeiten und an normalen Arbeitstagen für Meetings zur Verfügung stehen. Und überhaupt: «Realistisch gesehen gibt es viele Leute in dieser Firma, die gar nicht hier sein sollten.» Das sass. Die Stimmung war im Keller. Und Garys freie Tage? Gestrichen.
Die Episode ist symptomatisch für eine Trendwende bei Meta. Die fetten Jahre sind vorbei, die Zukunft ist unsicher. Zuckerbergs Imperium steht von allen Seiten unter Druck: Facebook ist uncool geworden. Instagram kassiert massive Kritik von seinen Star-Influencern, weil es sich seiner Wurzeln entfremdet. Tiktok gräbt beiden Plattformen die Werbegelder ab und Meta versucht verzweifelt, auf den Kurzvideo-Zug aufzuspringen. Apropos Werbegelder: Apple scheint Meta den Krieg erklärt zu haben – und die wertvollste Tech-Firma der Welt wünscht man sich wahrlich nicht als Feind. Und das Metaverse, Zuckerbergs zukünftiger Heilsbringer? Scheint bisher niemanden zu überzeugen.
Was ist passiert und wie geht es weiter? Um das zu beantworten, mache ich mich in dieser Serie auf die Reise in Metas Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Im ersten Teil: Wie Facebook uncool geworden ist.
Erinnerst du dich noch an die Anfänge von Facebook? Bei mir fielen die goldenen Jahre der Plattform in meine Studienzeit. Damals, 2010, war Facebook der Ort, an dem man sich mit anderen Leuten vernetzte. Praktisch alle meine Freunde waren da. Der Newsfeed war voll mit Bildern von bekannten Gesichtern. Wir nutzten die Plattform für alles – von Meme-Posts über das Organisieren von Partys bis hin zu seitenlangen Diskussionen über Prüfungsstoff. Facebook war das, was es versprach zu sein: Ein Das soziales Netzwerk.
Davon ist herzlich wenig übrig geblieben. Logge ich mich heute auf Facebook ein, sehe ich hauptsächlich Werbung, Beiträge von professionellen Seiten – und Inhalte, von denen ich gar nicht weiss, warum ich sie sehe. Dazwischen gesellt sich ab und zu ein Foto von einem der letzten Mohikaner, die überhaupt noch Fotos auf Facebook posten. Er oder sie ist meistens mindestens eine Generation älter. Millennials wie ich und alle, die jünger sind, haben sich von der Plattform verabschiedet. Der Anteil an Teenagern, die Facebook benutzen, hat sich gemäss neuesten Umfragen seit 2014 von 71 auf 32 Prozent reduziert. Facebook ist zu Boomercity geworden.
Um zu verstehen, wie das passieren konnte, musst du verstehen, wie sich Facebooks Algorithmen über die Jahre verändert haben – denn sie entscheiden, was du siehst. Geboren wurden sie 2006 zusammen mit dem News Feed. Die Idee, dass wir durch einen solchen Feed scrollen können, scheint heute selbstverständlich. Damals war sie revolutionär: Du musstest nicht mehr aktiv die Profile deiner Freunde besuchen, um zu sehen, was sie treiben. Stattdessen wurden dir alle Neuigkeiten gebündelt auf dem Silbertablett serviert.
Dieser ursprüngliche Algorithmus war denkbar einfach: Du sahst nur Dinge von Leuten und Seiten, die du abonniert hattest. Was am neuesten war, landete zuoberst. Das änderte sich 2009 mit der Einführung des Like-Buttons. Facebook begann, Posts nicht nur nach Aktualität, sondern auch nach Beliebtheit zu sortieren. Kurz gesagt: Beiträge mit mehr Klicks und mehr Likes wurden nach oben gespült. Das führte zu einer Inflation von Clickbait und Facebook sah sich gezwungen, seine Algorithmen immer wieder anzupassen.
2016 hatten sie sich schliesslich so verändert, dass der Wert eines Beitrags vor allem daran gemessen wurde, wie viel Zeit die User mit ihm verbrachten. Ausserdem wurde Video als neues Format gepusht. Das Resultat: eine Masse an professionell produzierten Texten, Bildern und Videos, die versuchten, die Aufmerksamkeit möglichst lange zu halten.
Die Angst, User an andere Plattformen wie Snapchat zu verlieren, wo die Interaktionen sozialer und persönlicher waren, wuchs. Und so suchte Facebook sein Heil abermals in Änderungen seiner Algorithmen. Die nächste Idee: Nicht mehr die Zeit sollte maximiert werden, sondern «Meaningful Interactions», also bedeutungsvolle Interaktionen. Facebook begann damit, Beiträgen von Freunden wieder den Vorzug vor professionellen Posts zu geben. Allerdings mit einem Twist: Je mehr Kommentare ein Beitrag anregte, desto mehr wurde er gezeigt.
Wenn du während der Corona-Zeit mal auf Facebook warst, weisst du wahrscheinlich, welchen Effekt dieser neue Algorithmus hatte. Die Plattform war voll von kontroversen Beiträgen, Desinformation und Verschwörungstheorien. Logisch, denn solche Themen ziehen erbitterte Wortgefechte in den Kommentarspalten nach sich. Das erkannten professionelle Akteure, die ganze Trollfarmen aufbauten, um politische Diskurse zu beeinflussen.
Wie stark der neue Algorithmus zur Desinformation beitrug und dass Facebook das auch wusste, wurde Ende 2021 bekannt. Die Whistleblowerin Frances Haugen leakte Dokumente von internen Untersuchungen. Demnach schätzte Facebook selber, dass es durch die Elimination der «Optimization for Engagement» die Desinformation im politischen Bereich um bis zu 50 Prozent senken könnte. Zwar sagte das Unternehmen in einer Stellungnahme, die Dokumente aus den Leaks seien aus dem Kontext gerissen. Doch dass der neue Algorithmus polarisierende Beiträge belohnte und so grenzwertigem Content eine riesige Plattform bot, ist nicht von der Hand zu weisen.
Die unerwünschten Nebenwirkungen der Algorithmen sorgten für viel Kritik. Und sie waren bei weitem nicht das Einzige, was Schaden an Facebooks Image anrichtete. Hinzu kamen immer mehr Datenschutzbedenken. Das Unternehmen entwickelte sich zu einer Krake, die soviel Daten wie möglich sammelt und daraus Profile erstellt. Diese verkauft es schliesslich an Werbetreibende, die so ihre Ads zielgerichteter schalten können.
Dass viele User das nicht wissen oder verstehen, erachtet Mark Zuckerberg nicht als Facebooks Problem. Seine Einstellung zum Datenschutz zeigt ein Auszug aus einem Chat mit einem Freund in der Anfangszeit Facebooks, zu dem damals nur Harvard-Studenten Zugang hatten:
Zuck: «Wenn du jemals Informationen über irgendjemanden in Harvard brauchst»
Zuck: «Frag einfach. Ich habe über 4000 E-Mails, Bilder, Adressen.»
[Zensierter Name des Freundes]: «Was? Wie hast du das angestellt?»
Zuck: «Die Leute haben es einfach eingegeben.»
Zuck: «Ich weiss nicht, warum.»
Zuck: «Sie ‘vertrauen mir’.»
Zuck: «Vollidioten.»
Ganz so drastisch drückte Zuckerberg es in den Folgejahren nicht mehr aus. Doch bis heute schiebt er die Verantwortung über den Datenschutz immer wieder von sich weg. 2010 sagte er zu dem Thema: «Die Leute wollen keinen kompletten Datenschutz. Sie wollen die Kontrolle darüber haben, was sie teilen und was nicht.»
Einen Höhepunkt erreichte das öffentliche Misstrauen gegenüber Facebook 2018. Die «New York Times» und der «Guardian» machten öffentlich, dass eine Firma namens Cambridge Analytica im grossen Stil Daten von Facebook-Usern gesammelt und missbraucht hatte. Diese setzte sie
zur Beeinflussung der US-Wahlen 2016 durch zielgerichtete Werbung ein. Dazu machte sich die Firma die laxen Datenschutzbestimmungen Facebooks zunutze: Sie liess von einer Drittfirma eine Facebook-App namens «This is your Digital Life» entwickeln, in der User einen Persönlichkeitstest absolvierten. 270 000 Personen taten dies. Dabei gaben sie einerseits ihre eigenen Daten für die App frei, aber auch die Daten ihrer Freunde – ohne deren Zustimmung.
Das alleine war nicht etwa illegal, sondern im Rahmen der Möglichkeiten, die Facebook seinen App-Entwicklern gab. Zuckerberg versuchte einmal mehr, die Verantwortung abzuschieben, da all diese Daten gemäss Facebooks Bestimmungen nur zur «Verbesserung des Nutzererlebnisses der App» hätten verwendet werden dürfen. Doch das lenkte nicht davon ab, dass der fehlende Datenschutz Tür und Tor für Missbrauch geöffnet hatte. Schliesslich entschuldigte sich Zuckerberg öffentlich – aber der Imageschaden war längst angerichtet. Der Facebook-Chef musste in der Folge des Skandals sogar vor dem US-Kongress antraben und sich unbequemen Fragen zu Datenschutz und der Quasi-Monopolstellung von Facebook stellen. Im Video siehst du einige Momente der Anhörung:
All diese Fehltritte mit den Algorithmen, der Desinformation und dem Datenschutz machten Facebook zu dem, was es heute ist: Ein Moloch, den ich persönlich kaum noch nutze – und meine jüngeren Kollegen noch viel weniger. Die Qualität der Inhalte ist schlicht und einfach zu schlecht und die Datenschutzbedenken sind zu gross. Eine finanzielle Delle scheint das bisher kaum zu hinterlassen. Der Löwenanteil von Metas Werbeeinnahmen stammt nach wie vor von Facebook. Das verdankt das Unternehmen vor allem zwei Gruppen: älteren Usern und solchen, die aus Schwellenländern wie Indien stammen.
Doch das sind keine Trendsetter. Über Facebook brauen sich dunkle Wolken zusammen – das lässt sich zum Beispiel an der Statistik zu den Top-Ten-Apps im App Store ablesen. Während Facebook 2021 nur während sieben Tagen aus diesen Top Ten fiel, waren es 2022 schon 97 Tage. Besonders Jugendliche, die zum ersten Mal ein Smartphone haben, installieren die App weniger oft. Und sie sind die Zukunft.
Mark Zuckerbergs Antwort auf die Krise? Die gleiche wie immer: Neue Algorithmen sollen es richten – «Discovery Engine» heisst der neueste Versuch. Mehr dazu in der übernächsten Folge. In Episode zwei meiner Serie werde ich zunächst einer der erfolgreichsten Übernahmen der Tech-Industrie auf den Grund gehen, deren Geschichte gleichzeitig Metas problematische Strategie offenbart: Instagram.
Titelbild: Eine Kunstinstallation vor dem US-Kapitol am Tag der Anhörung Mark Zuckerbergs. Bild: Michael Reynolds / KeystoneMein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.