Hintergrund
Meta unter Druck – Teil 3: Die chinesische Bedrohung
von Samuel Buchmann
Ein kleines Update des iPhone-Betriebssystems kostet Meta Milliarden. Es ist die Eskalation einer Feindschaft, die über die Jahre gewachsen ist – und illustriert die unterschiedlichen Philosophoen von Tim Cook und Mark Zuckerberg. Teil vier einer Serie über die Probleme des Tech-Giganten.
«Leute, die sich wirklich ernsthaft mit Software beschäftigen, sollten ihre eigene Hardware herstellen.» So zitierte Apple-Gründer Steve Jobs (im Titelbild) den Informatikpionier Alan Kay, als er 2007 in Cupertino das iPhone vorstellte. Mark Zuckerberg war damals 22 Jahre alt und beschäftigte sich ernsthaft mit Software. Erst vor ein paar Monaten hatte er sein soziales Netzwerk Facebook auch für Nicht-Studenten zugänglich gemacht. Die Userzahlen explodierten, die Stimmung in den Facebook-Büros in Palo Alto war ausgelassen. Zuckerberg ahnte nicht, dass nur einige Kilometer entfernt Jobs den Samen für eine der grössten Rivalitäten der Tech-Geschichte pflanzte. Mit seinem Zitat sollte er recht behalten.
Heute ist der elfte Todestag von Steve Jobs. Wäre er noch am Leben, wäre er wahrscheinlich stolz auf seinen Nachfolger. CEO Tim Cook hat Apple in der letzten Dekade zu einem der wertvollsten Unternehmen der Welt gemacht – und in der öffentlichen Wahrnehmung zu dem Tech-Giganten, der sich am stärksten für die Privatsphäre seiner Kunden einsetzt. Tim Cooks Apple steht heute für Datenschutz. Mark Zuckerbergs Meta nicht. Apple stellt eigene Software und Hardware her, Programme von Drittherstellern kontrolliert es rigoros. Meta hat den Hardware-Zug in der Ära der Smartphones verpasst – ein Fehler, den Zuckerberg im Metaverse kein zweites Mal machen will.
Die Unterschiede zwischen den beiden Unternehmen sind über Jahre gewachsen und spitzen sich gerade zu einem Krieg der Philosophien zu, der Metas Zukunft bedroht. Im vorletzten Teil meiner Serie zu Mark Zuckerbergs Problemen: Wie Apple zum Erzfeind wurde. Hier die letzte Folge, falls du sie verpasst hast:
Am 2. Februar 2022 stürzte Metas Aktienkurs ab. Um 26 Prozent. Damit verlor Mark Zuckerbergs Firma in einem einzigen Tag 251 Milliarden US-Dollar an Wert – so viel wie noch nie ein US-amerikanisches Unternehmen je zuvor. Zuckerberg persönlich ging an diesem Tag 29 Milliarden weniger reich ins Bett, als er am Morgen aufgestanden war.
Auf den ersten Blick scheint dieser monumentale Kurseinbruch übertrieben: Zwar sank zum ersten Mal die Zahl der täglich aktiven Facebook-User im Vergleich zum vorherigen Quartal – aber nur von 1,93 auf 1,929 Milliarden. Meta als Konzern schrieb 2021 trotzdem fast 40 Milliarden Gewinn, 35 Prozent mehr als im Vorjahr. Warum also ziehen Investoren ihr Kapital ab, als ob gerade eine Blase geplatzt wäre?
Der wahre Grund sind die düsteren Aussichten für Meta. Der winzige Rückgang an Usern markierte eine Trendwende, denn es war der erste in Metas Geschichte. Im Juli 2022 folgte schliesslich der erste Rückgang der Werbeeinnahmen und mittlerweile ist Metas Aktie weniger als halb so viel Wert wie vor einem Jahr. Zuckerberg kämpft an verschiedenen Fronten — Facebook verliert an Relevanz, Instagram scheint orientierungslos und der chinesische Konkurrent TikTok wird immer stärker. Doch noch schlimmer ist für die Anleger etwas anderes: Apple hat Meta den Krieg erklärt.
Es war ein kleines Update des iPhone-Betriebssystems iOS, das Apple ein knappes Jahr vorher veröffentlicht hatte – mit einem kleinen neuen Feature namens «App Tracking Transparency». Es gibt dir als User die Möglichkeit, App-übergreifendes Tracking abzulehnen. Vor dem Update gewährte Apple den App-Entwicklern pauschal Zugriff auf deine sogenannte IDFA – dem «Identifier for Advertisers». Darunter kannst du dir eine Nummer vorstellen, die deinem Gerät zugeordnet ist. Wenn du zum Beispiel in der Tripadvisor-App ein Hotel für deine nächsten Ferien angeschaut hast, konnte Tripadvisor diese Aktivität deiner IDFA zuordnen. Hattest du das Hotel nicht gebucht, konnte Tripadvisor mit dieser IDFA zu einem Werbeanbieter wie Meta gehen und gezielt Werbung schalten. Fünf Minuten später sahst du deshalb auf Instagram vielleicht Werbung für genau das Hotel, das du dir angeschaut hattest.
Mit dem iOS-Update im April 2021 hat sich das geändert. Wenn du zum ersten Mal eine App öffnest, die deine Aktivität verfolgen will, erscheint ein Dialogfenster. Die Entwickler müssen darin erklären, warum sie dich tracken wollen. Am Ende hast du aber immer die gleiche Wahl: «App-Tracking ablehnen» oder «Erlauben». Über 80 Prozent der User lehnen das Tracking ab. Das macht zielgerichtete Werbung schwerer und das ist ein Problem für Meta. Denn wenn ein Unternehmen mit Werbung weniger genau seine Zielgruppe trifft, zahlt sie sich weniger aus. Mit der Effizienz sinkt auch die Attraktivität von Metas Werbeangebot.
Das Resultat für Mark Zuckerberg: Geschätzte zehn Milliarden weniger Einnahmen. Das sind acht Prozent von Metas gesamtem Umsatz. Eine Katastrophe.
Meta verurteilte Apples Schritt mit der Begründung, App Tracking Transparency würde kleinen Unternehmen schaden, die jetzt ihre Kunden schwerer erreichen würden. «Wir wehren uns für Kleinunternehmen gegen Apple», verkündete Meta auf ganzseitigen Inseraten im «Wall Street Journal» und der «New York Times». Um die neuen Einschränkungen zu umgehen, haben Facebook und Instagram ausserdem ihren In-App-Browser angepasst: Wenn du innerhalb der App Webseiten besuchst, wird wieder jeder deiner Klicks aufgezeichnet. Gegen dieses Tracking durch die Hintertür reichten Facebook-User allerdings vor kurzem eine Sammelklage ein.
Für Meta ist App Tracking Transparency also ein Desaster. Für Apple ist es ein Baustein einer neuen Säule, auf der Tim Cook die Zukunft seines Konzerns baut: Datenschutz. Apple will als das Unternehmen wahrgenommen werden, das sorgsam mit deinen Daten umgeht. Der kostenpflichtige Dienst «iCloud Private Relay» bietet zum Beispiel einen abgespeckten VPN und die Möglichkeit zur Anonymisierung von E-Mail-Adressen. Die digitale Assistentin Siri verarbeitet Daten laut Apple direkt auf dem Gerät, statt sie an einen Server zu schicken. Gesundheitsdaten würden ebenfalls verschlüsselt gespeichert und zwischen Geräten synchronisiert. Mit Passkeys versuchen die Kalifornier, Passwörter durch eine sicherere Alternative zu ersetzen.
Ob dieser Fokus auf Datenschutz aus Überzeugung, strategischen Gründen oder einer Mischung daraus geschieht, bleibt offen. Fest steht, dass er Apple marketingtechnisch von der Konkurrenz abhebt. In zahlreichen Werbespots und Produkte-Keynotes wiederholt das Unternehmen immer wieder die gleiche Botschaft: Apple schützt deine Daten. «Wir glauben, dass Privatsphäre ein grundlegendes Menschenrecht ist», schreibt Tim Cook auf Twitter.
Die Reputation als vertrauenswürdiger Hüter von Daten ist allerdings zerbrechlich. Das zeigte sich etwa, als Apple ankündigte, künftig Bilder in der iCloud auf Kinderpornografie zu scannen. Der medienwirksame Aufschrei von Datenschutzorganisationen war so laut, dass Apple das Projekt auf Eis legte. Auch Berichte, wonach Apple Daten von chinesischen Staatsangehörigen auf chinesischen Servern speichert, kratzen am Image – ein Kompromiss, den Tim Cook wohl eingehen musste, um auch in Zukunft iPhones in China produzieren zu können.
Doch solche Hintergrundgeräusche sind nichts im Vergleich zu den verheerenden Datenschutz-Skandalen von Mark Zuckerbergs Meta – vom kontroversen Beacon-Feature über Leaks von Userdaten bis hin zum Cambridge-Analytica-Fiasko. Regelmässig sah sich Zuckerberg zu öffentlichen Entschuldigungen gezwungen, wobei er sich jeweils gleichzeitig zu rechtfertigen versuchte. Ob absichtlich oder fahrlässig: Der wiederholt sorglose Umgang mit Userdaten kreierte und festigte Metas Image als vertrauensunwürdige Datenkrake. Und Zuckerberg als Person befindet sich in der Heuchler-Schublade.
Noch läuft das Geschäft trotz Einbussen und Skandalen gut. Meta ist eines der grössten Tech-Unternehmen der Welt und immer noch hochprofitabel. Fast die halbe Weltbevölkerung nutzt eine seiner Plattformen. Doch über dem Horizont brauen sich dunkle Wolken zusammen, denn Apple bedroht Zuckerbergs Zukunftsvision: Anders als bei Smartphones will er in der virtuellen Realität (VR) nicht nur die Plattform kontrollieren, sondern auch Betriebssystem und Hardware – «Leute, die sich wirklich ernsthaft mit Software beschäftigen, sollten ihre eigene Hardware herstellen.» Damit wäre Meta keinen lästigen Datenschutz-Beschränkungen anderer Firmen mehr ausgeliefert – freie Bahn für personalisierte Werbung in virtuellen Welten.
Bis jetzt scheint Zuckerbergs Wunsch nach totaler Kontrolle im Metaverse in Erfüllung zu gehen: Metas VR-Headset Quest 2 hat einen Marktanteil von über 80 Prozent. Bloss: Der Markt ist verglichen mit Smartphones bisher verschwindend klein – andere Hersteller wie Sony haben zwar auch erste Headsets, können Meta aber nicht das Wasser reichen. Die erste echte Konkurrenz für Zuckerberg dürfte keine geringere sein als Apple: Gerüchten zufolge ist ein entsprechendes Produkt für 2023 geplant – und Tim Cook hat seine Firma mit ihrem Fokus auf Datenschutz deutlich besser für die Ära von Virtual und Augmented Reality (AR) in Stellung gebracht als Meta. Oder wem würdest du lieber Zugriff gewähren über das, was du siehst, deine Bewegungen und deine Blickrichtung? Eben. Hinzu kommt, dass Apple jahrzehntelange Erfahrung im Design von Hardware und Betriebssystemen mitbringt. Metas frühere Versuche in diesen Bereichen wie das Facebook-Handy sind hingegen kläglich gescheitert.
Der Kampf der zwei Tech-Titanen wird sich also zuspitzen. Mark Zuckerberg selbst sagte in einem internen Meeting, seine Firma und Apple befänden sich in einem Wettbewerb der Philosophien. Es wird eine Bewährungsprobe für den Meta-CEO. Er investiert gerade 10 Milliarden Dollar pro Jahr in VR und AR – genau den Betrag, den Meta durch Apples App Tracking Transparency verliert. Zuckerberg verwettet nicht weniger als die Zukunft seines Konzerns auf das Metaverse. Mehr dazu in der nächsten und letzten Folge meiner Serie: Alles oder nichts.
Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.