Nightmare Reaper im Test: Einer der besten Shooter des Jahres
Außen retro, innen ein Brett: Die unscheinbare Indie-Überraschung entpuppt sich im Test als modernes Action-Juwel. Wir haben den Mix aus Rogue-lite und Loot Shooter rauf und runter gespielt. Das Ergebnis ist eindeutig: Wer hinter die pixelmatschige Fassade blickt, wird mit einem der besten Singleplayer-Shooter des Jahres belohnt.
Dies ist ein Artikel unseres Content-Partners «PC Games». Hier findest du den Original-Artikel von Redakteur Felix Schütz.
Vor ein paar Jahren waren sie plötzlich da: Ego-Shooter im Retro-Stil, grafisch oft zum Fürchten, spielerisch dafür absolute Granaten. Egal ob Dusk, Project Warlock, Ion Fury oder Amid Evil, sie alle brachten Ballerspaß wie aus den 90er-Jahren zurück und kassierten völlig zu Recht tolle Wertungen. Nightmare Reaper befindet sich also in bester Gesellschaft - und geht sogar noch ein paar Schritte weiter! Hinter der pixeligen Retro-Optik verbirgt sich nämlich nicht nur ein brachialer Shooter, sondern auch viele moderne Spielideen, die zu einem fesselnden Gesamtpaket verschmelzen. Drei Jahre Entwicklungszeit hat Nightmare Reaper allein im Early Access verbracht, die Mühe merkt man dem Ergebnis an. Seit dem 28. März ist die Shooter-Überraschung fertig, fliegt aber trotz toller User-Wertungen (94 Prozent auf Steam) noch bei vielen Spielern unter dem Radar. Wir sagen: zu Unrecht! Denn Nightmare Reaper ist ein Riesenspaß, wenn man sich darauf einlässt. Und das kann erstaunlich viel Zeit kosten: Nightmare Reaper lässt sich zwar «schon» in etwa 20 Stunden durchspielen, für unseren Test haben wir aber mehr als die doppelte Zeit investiert.
Edna rastet aus
Nightmare Reaper wirft euch direkt ins Geschehen: Ihr spielt eine junge Frau, die sich in einer düsteren Klinik wiederfindet. In ihrem Zimmer, ein trostloses Gefängnis, entdecken wir ein paar Notizen auf dem Schreibtisch. Eine tragische Hintergrundgeschichte deutet sich an. Zunächst könnt ihr aber nicht mehr tun, als euch ins Bett zu legen. Jedes Mal, wenn eure Heldin die Augen schließt, gibt sie sich ihren Albträumen hin: Sie erwacht dann in einem zufallsgenerierten Level, der von vorne bis hinten mit Gegnern, Beute, Fallen und Herausforderungen gepflastert ist. Keine NPCs, keine Dialoge, keine Cutscenes. Gameplay pur.
Anfangs seid ihr in stockfinsteren Höhlen unterwegs, später geht's auch in Wälder, Minen und Büros, in versunkene Tempel, Krankenhäuser und Raumstationen, in überwucherte Grotten und bizarr zerklüftete Hafengegenden. Der Levelgenerator gibt sich dabei gar nicht erst die Mühe, glaubhafte Umgebungen zu bauen: Alle Levels sind im Grunde aus Blöcken zusammengesetzt, als hätte man sie zuvor in Minecraft ausgegraben. Es gibt Sackgassen, seltsam platzierte Aufzüge und Treppen, die uns in die Irre führen. Verschlossene Türen werden natürlich mit Schlüsseln geöffnet, außerdem kommen später Schalter zum Einsatz, die neue Wege freigeben. Nach einer Weile erhalten wir auch einen Greifhaken, mit dem wir riesige Distanzen überwinden können, ab hier wird das Leveldesign noch abgefahrener. Zum Glück ist kein Level so groß, dass man sich lange darin verlaufen kann. Schließlich steht Action satt auf dem Programm.
Purer Ballerspaß
Die meiste Zeit über seid ihr damit beschäftigt, irgendwelche Monster von der Bildfläche zu putzen. Die Biester sind recht abwechslungsreich, strunzdumm und schön aggressiv – wer auf geradlinige Action steht, wird bestens bedient. Grafisch werden zwar alle Gegner als matschige 2D-Sprites dargestellt, doch lasst euch von dem altmodischen Pixel-Design nicht täuschen: Gerade in den ersten Stunden werden euch die Gegner mächtig unter Druck setzen. Ab und zu spawnen auch starke Elite-Feinde mit besonderen Eigenschaften. Vielleicht füllt sich ein Raum auch schlagartig mit einer ganzen Horde schießwütiger Zombie-Soldaten! Oder es wird ein zufälliger Effekt ausgelöst, beispielsweise krachen dann plötzlich Eiszapfen von der Decke oder die Schwerkraft wird auf den Kopf gestellt. Positive Zufallsereignisse gibt es natürlich auch, etwa wenn auf einmal unzählige Fässer um euch spawnen, die wertvollen Sammelkram enthalten können. Da darf man sich dann die Hände reiben, denn im Beutesystem liegt eine große Stärke von Nightmare Reaper.
Waffen ohne Ende
Egal ob in Truhen, Kisten oder anderen Behältern, überall sind zufällige Waffen versteckt, teilweise hinterlassen auch besiegte Gegner neue Wummen. Die Auswahl ist beeindruckend: Über 80 Nah- und Fernkampfwaffen sind im Angebot, oft mit zweitem Feuermodus. Ihr erbeutet Maschinenpistolen und Shotguns, Granat- und Raketenwerfer, Motorsägen, Energieschwerter, Kettenpeitschen, Zauberstäbe, magische Bücher, Eiskanonen, Wurf-Äxte und vieles mehr. Wer Glück hat, erwischt vielleicht einen handlichen Atombombenwerfer, eine gewaltige Orbitalkanone oder eine magische Urne, die fliegende Geister erschafft, die eure Feinde dann automatisch aufs Korn nehmen. Aber nicht nur die Vielfalt begeistert. Die meisten Waffen machen auch einfach richtig Laune, fühlen sich kräftig an und sorgen für deftige Splattereffekte – davon können sich auch viele AAA-Shooter mal ein paar Scheibchen abschneiden.
Ähnlich wie in einem simpel gestrickten Diablo haben Waffen auch Seltenheitsstufen und zufällige Boni, die für Abwechslung sorgen. Da verschießt die AK-47 plötzlich Sprengstoffgeschosse oder der Raketenwerfer ballert blitzschnell, ohne nachzuladen. Eine Mordsgaudi! In jedem Level gibt's außerdem spezielle Kammern, in denen kleine Geschicklichkeitsaufgaben warten. Die sind zwar freiwillig und können sogar etwas nerven, doch am Ende lockt immer eine hübsche Schatzkiste, die eine neue Knarre enthält. Doch die Sache hat natürlich auch einen Haken: Jedes Mal, wenn ihr einen Level beendet, müsst ihr eure schönen Fundsachen wieder abgeben. Anfangs dürft ihr nur eine einzige Kanone behalten und in den nächsten Level mitnehmen, der Rest wird automatisch zu Geld gemacht. Noch mehr Kohle gibt's, wenn ihr es schafft, alle Gegner zu erledigen, alle Schätze zu sammeln und alle Secrets zu entdecken. Das sorgt für einen dicken Goldbonus und motiviert, jede Ecke gründlich abzusuchen und auf brüchige Wände zu achten. Dahinter verbergen sich nämlich immer Geheimkammern, in denen ein paar Schätze auf uns warten.
Motivierende Upgrades
Und wozu das viele Gold? Im Spielverlauf schaltet ihr drei Retro-Minigames frei, die ihr danach jederzeit starten könnt. Das erste ist ein simpel gestricktes Jump & Run im Stil von Super Mario Bros. Danach folgt eine Schmalspurversion von Pokémon und das dritte Minispiel lässt euch in einen Raumjäger steigen, mit dem ihr euch im Gradius-Stil durch kurze Levels ballert. Diese Retro-Einlagen sind zwar sympathisch, aber auch zeitaufwändig und machen höchstens ein paar Minuten lang Spaß. Trotzdem lohnt es sich, hier möglichst viel zu erledigen, denn über diese Minispiele schaltet ihr auch tonnenweise dauerhafte Upgrades frei. Mit eurem gesammelten Gold könnt ihr beispielsweise mehr Munition, einen nützlichen Dash, einen praktischen Doppelsprung, wertvolle Resistenzen, mehr Lebenspunkte und vieles, vieles mehr kaufen. Das zweite Minigame lässt euch Slots freispielen und diese mit Tränken befüllen, dadurch erhaltet ihr für jeden Run starke Boni, aber auch zufällige Nachteile. Und wer den hohen Zeitaufwand nicht scheut, kann sich im Raumjäger-Minispiel sogar dauerhafte Pets verdienen, die dann automatisch Gegner angreifen oder euch heilen – damit spielen sich die letzten Levels fast schon von selbst.
Tödlicher Kreislauf
Nightmare Reaper verwendet zwar einige Rogue-lite-Mechaniken, ist im Kern aber trotzdem ein linearer Shooter mit Anfang, Mitte und Ende. Sobald ein Level abgeschlossen ist, geht es ab in den nächsten, ihr müsst also nach einem Tod nicht wieder von vorne anfangen. Zwischen den Albträumen landet ihr allerdings immer wieder im kargen Klinikzimmer. Hier öffnen sich nach und nach neue Wege, wie genau, verraten wir nicht. Nur so viel: Wer die Augen offenhält und das gruselige Gebäude sorgfältig absucht, schaltet am Ende einen New-Game-Plus-Modus frei.
Doch selbst wenn ihr es bei nur einem Durchgang belasst, könnt ihr locker 20 Stunden einplanen, bis ihr eines der beiden Enden erlebt habt. Das ist zwar ein satter Umfang, allerdings bleibt das Spielprinzip auch immer gleich – und deshalb könnten manche das Spiel sogar als zu lang empfinden. Trotzdem waren wir bis zum Finale motiviert: Der Kreislauf aus Waffen sammeln, Zufallslevels erkunden und Upgrades kaufen lässt zwar Abwechslung vermissen, eignet sich aber perfekt für den Feierabend. Und wem das alles noch nicht reicht, kann sich auch an den zahlreichen Arenen versuchen, die man im Spielverlauf freischaltet. Dort spawnen immer stärkere Gegnerwellen, die irgendwann für eindrucksvolle Massenschlachten sorgen, in denen die Framerate auch mal spürbar einknicken kann.
Brachialer Soundtrack
Während man über die pixelige Retro-Grafik geteilter Meinung sein kann, verdient der Sound uneingeschränktes Lob: In den Kämpfen sorgt das Spiel mit deftigen Gitarren-Riffs für Pulsrasen, beim Erkunden wird das Geschehen dagegen von ruhigen Klängen stimmungsvoll untermalt. Auch die satten Soundeffekte sind ein Pluspunkt und verpassen vielen Waffen den nötigen Wumms. Wenn dazu noch die Pixelfetzen fliegen (und glaubt uns, das tun sie!), ist für Atmosphäre gesorgt. Die Musik wurde von Andrew Hulshult komponiert, der sein Können schon mit Shootern wie Dusk, Amid Evil oder Doom Eternal: The Ancient God s unter Beweis gestellt hat.
Liebe auf den zweiten Blick
Ich kann verstehen, wenn man erst mal vor der Retro-Optik zurückschreckt. Einladend ist sie ja wirklich nicht. Aber lasst euch nicht täuschen: Hinter der Pixel-Fassade steckt ein geschliffener Edel-Shooter mit wuchtigem Gunplay, Unmengen an Waffen, tollem Tempo und einem Soundtrack, der euch nachts noch in den Ohren klingeln wird. Auch die Rogue-lite-Anleihen passen ausgezeichnet zum Spielkonzept und die vielen Ugprades motivieren bis zum Schluss. Kritik gibt’s für die etwas schnarchigen Minispiele und den eintönigen Spielablauf: Trotz vielfältiger Zufallslevels habe ich hier und da einfach ein paar Highlights und Überraschungen vermisst. Dafür lässt sich das Spiel aber hervorragend in Häppchen genießen, das macht es ideal für alle jene, die abends einfach nur mal ein bisschen Dampf ablassen wollen. Meinen Nerv hat es jedenfalls getroffen: Für mich ist Nightmare Reaper schon jetzt einer der besten Singleplayer-Shooter des Jahres.
Nightmare Reaper ist auf Steam und GOG erhältlich. Eine Konsolenfassung ist bislang nicht angekündigt.
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