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On fire: Wie mich das Herrliberger Chilisalz sprachlos machte
Salz und Chili. Mehr soll im Chilisalz von «The Art of Spice» nicht stecken. Doch was macht den charakteristischen Geschmack aus? Ich habe in der Produktionsstätte in Herrliberg herumgeschnüffelt.
It’s getting hot in here.
Der Spruch auf der Chilisalz-Packung ist eine Prophezeihung. Als ich schwitzend vor den Werkstätten der Martin Stiftung in Herrliberg stehe, brennt die Sonne bei 33 Grad vom Himmel. Meine Prognose: Gleich wird es noch mehr brennen.
Geschäftig wie Feuerameisen wuseln drinnen Personen durch die Produktionshalle. Dass sie kognitive Beeinträchtigungen haben, fällt kaum auf. «Du bisch doch vo Galaxus? Wieso isch miis Jogging-Armband nonig cho?», ruft mir eine quirlige junge Frau zu. Ihre Unverblümtheit gefällt mir. Sie führt mich zur Arbeitsgruppenleiterin Ramona Selinger, die für die Beschäftigung von zwölf der insgesamt 45 Personen zuständig ist. Kleinteile, Lebensmittel, Verpackungen: In Herrliberg wird an allem Möglichem gearbeitet, wie Ramona auf einem Rundgang zeigt.
Ich bin jedoch für etwas Bestimmtes da: Chilisalz. Dieses lässt die Zürcher Firma The Art of Spice hier von A wie Aussortieren bis Z wie Zukleben herstellen. Randnotiz: Es ist das schärfste ihrer zehn Gewürze. Das werde ich bald am eigenen Gaumen spüren. Zwei Schuhüberzüge und eine Haarhaube später betrete ich mit Ramona die Chili-Küche. Pürier-Profi Igor, Misch-Meisterin Ursula und Feinarbeits-Fachfrau Sandra stehen schon bereit. Auch Josef Diethelm, Geschäftsführer von «The Art of Spice», hat sich zu uns gesellt. Es kann losgehen.
![Die Chilis sind bereit für die Verarbeitung.](/im/Files/7/5/3/1/9/6/6/1/agax_repo_chilisalz_038.jpg?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Christian Walker
Too hot to handle: Die weltschärfsten Chilis heizen ein
Wie auf Kommando hieven Ramona und Igor zwei Schüsseln mit feuerroten Schoten auf den Tisch. «Carolina Reaper und Naga-Chili», benennt Josef die Sorten. Er bezieht sie aus der Schweiz, vom Chilibaron aus Horgen und dem Chili-Paradies aus Pfyn. «Wir nehmen nur die Chilis, die gerade reif sind. Deshalb schmeckt unser Gewürz immer etwas anders. Die Schärfe bleibt aber immer dieselbe.» Davon kriege ich gleich einen Vorgeschmack.
Igor entfernt die Stiele der Chilis und sortiert beschädigte Schoten aus. Ramona überprüft sie. Alle sind okay. Jetzt kommen die Chilis in einen Mixer. Wild hüpfen die Schoten umher, bevor sie gnadenlos zerquetscht werden. Igor grinst. Als er den Deckel öffnet und mit Ramona nachschaut, ob alle Chilis zermust sind, stupst mich Ursula an: «Pass auf», sagt sie, «jetzt wird’s scharf.» Ich merke nichts. Vielleicht hat sich Ursula getäuscht, glaube ich. Noch.
![Die Chilis sind im Mixer ...](/im/Files/7/5/3/1/9/6/5/5/agax_repo_chilisalz_026.jpg?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Christian Walker
![... zu einer sämigen Mousse zerdrückt worden.](/im/Files/7/5/3/1/9/6/5/4/agax_repo_chilisalz_025.jpg?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Christian Walker
Ich frage Josef, ob er das hauptberuflich mache: Gewürzmischungen. «Nein, nur nebenbei, aber mit voller Leidenschaft», antwortet er lachend. Josef arbeitet in einer Bank, sein Geschäftskollege Tim Subbert ist Informatiker. Beide reisen für ihr Leben gerne und lassen sich von exotischen Küchen inspirieren. Eigene Gewürzmischungen stellen sie seit drei Jahren her. «Zuerst machten wir alles alleine. Nach den ersten 1500 Packungen merkten wir aber, dass wir Unterstützung brauchen. Als wir die Martin Stiftung kennenlernten, war klar: Hier sind wir gut aufgehoben. Wir können nicht nur lokal produzieren, sondern auch sozial etwas bewegen», sagt Josef strahlend.
Gerade, als ich mehr erfahren will, kitzelt es verräterisch in meinem Hals. Ich räuspere mich, huste. Dann stellt es mir die Stimme ab.
It’s getting hot in here.
Ich erinnere mich an den Spruch auf der Chilisalz-Packung. Mit tränenden Augen blinzle ich zu Ursula. «Gäll, scharf? Am Anfang musste ich mal so fest husten, dass ich nach draussen musste», kichert sie. Ich lächle gequält. So weit lassen wir es in meinem Fall nicht kommen. Ramona reicht mir eine Atemschutzmaske. Erleichtert atme ich auf.
Das Aroma-Geheimnis lüftet sich
Mittlerweile ist die Chili-Mousse fertig. Sandra wiegt die passende Menge für eine erste Ladung ab. Solche Arbeiten seien für die Mitarbeitenden eine gute Übung, um den Umgang mit Zahlen zu verbessern, erklärt Ramona. «Bei manchen Personen ist eine gewisse Hilflosigkeit erlernt. Unsere Aufgabe ist es, bei jedem und jeder Einzelnen herauszufinden, wo Potenzial gefördert werden kann.» Plötzlich tritt Ramona einen hastigen Schritt nach vorne. «Halt, Sandra!», ruft sie. «Das war zu viel. Komm, wir geben etwas zurück.» Die beiden kippen die Chili-Mousse in eine Schüssel mit Schweizer Sel des Alpes. Sandra kichert, als ein Spritzer auf ihrem Shirt kleben bleibt. Stören tut sie das nicht. Alles Chilli milli vanilli.
![Sorgfältig misst Sandra Chili-Mousse ab.](/im/Files/7/5/3/1/9/6/5/3/agax_repo_chilisalz_015.jpg?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Christian Walker
![Diese wird in Sel des Alpes gekippt.](/im/Files/7/5/3/1/9/6/5/2/agax_repo_chilisalz_013.jpg?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Christian Walker
![In der Rührmaschine entsteht aus der Mousse und dem Salz eine homogene Masse.](/im/Files/7/5/3/1/9/6/5/1/agax_repo_chilisalz_009.jpg?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Christian Walker
Nun ist Ursula am Zug. Sie drückt auf den Startknopf der Maschine, welche die Chili-Mousse und das Salz zu einer Einheit vermischt. «Darin unterscheidet sich unser Chilisalz von vielen anderen», merkt Josef an, «bei uns liegt das Chili nicht als Flocken auf dem Gewürz, sondern wird vom Salz aufgesogen.» Deshalb also der intensive Geschmack. Jetzt sind Muckis gefragt. Igor löst die schwere Schüssel aus der Maschine und leert das lachsfarbene Salz auf ein Blech.
![Sandra und Ursula verteilen das Chilisalz gleichmässig auf dem Blech, damit es gut trocknen kann.](/im/Files/7/5/3/1/9/6/5/0/agax_repo_chilisalz_006.jpg?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Christian Walker
«Chili!», ruft Sandra vergnügt. Denn sie weiss: Jetzt ist sie dran. Behutsam verteilt sie das Chilisalz auf dem Blech. Ramona erinnert sie daran, einen Rand freizuhalten. Durch solche Aufgaben lernen die Mitarbeitenden, genau zu arbeiten. Als Sandra fertig ist, trägt sie das Blech zu einem Schrank, wo das Salz zwei bis drei Tage trocknen wird. Danach wird es in Packungen gefüllt, verschlossen und mit einem Kleber und Stempel versiegelt. «Der Kleber muss gerade sein, ganz gerade», betont Ursula. «Oh ja», sagt Josef lachend, «als ich das mal versuchte, klebten sie kreuz und quer auf der Packung.» – «Du musst dir eben Mühe geben», meint Ursula verschmitzt.
Gewürz-Rekord und neue rassige Ideen
Ursula, Sandra und Igor sind ein eingeschworenes Team. Im Wechsel mit drei anderen Produzierenden stellen sie an einem Tag 70 bis 80 Kilogramm Chilisalz her. Daneben füllen sie für «The Art of Spice» weitere neun Gewürze ab. Jährlich verlassen rund 4500 Gewürzpackungen die Martin Stiftung. «Dieses Jahr sind wir sogar schon bei über 10 000», freut sich Josef. Und bereits sind neue Ideen am Start. Gerade tüfteln die Geschäftsführer an ihrem neuen Berrytale-Gewürz fürs Zmorgemüesli und an Gewürz-Chips.
It’s getting hot in here.
Allmählich sehnt sich mein brennender Gaumen nach einer Erlösung. Es ist Zeit zu gehen. Ich verabschiede mich von der Chili-Truppe. Igor, Ursula und Sandra winken mir fröhlich hinterher. Als ich die Martin Stiftung verlasse, bleibt auf meiner Zunge ein angenehm prickelnder Nachgeschmack. In diesem Moment verstehe ich, dass nicht nur Salz und Chili im Chilisalz stecken. Sondern eine Prise jeder Person dieser vielfältigen Gruppe. So bunt wie das Leben, so bunt wie eine Gewürzmischung. Und genau deshalb schmeckt sie wohl so gut.
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Ich mag alles, was vier Beine oder Wurzeln hat. Zwischen Buchseiten blicke ich in menschliche Abgründe – und an Berge äusserst ungern: Die verdecken nur die Aussicht aufs Meer. Frische Luft gibt's auch auf Leuchttürmen.