Süchtig nach Aromat: Wie mich ein Besuch bei Knorr rückfällig machte
Knorr-Klassiker wie Aromat gelten häufig als ungesund. Ist da was dran? Oder wird die Tütensuppe gar nicht so heiss gegessen, wie sie gekocht wird? Ich habe bei Knorr reingeschmeckt – mit ernsten Folgen.
Im Märchenschloss meiner Kindheitsträume tanzen keine Prinzessinnen. Es fliegen auch keine Fabelwesen herum. Und es gibt keine Hexen, die geheimnisvolle Zaubertränke brauen. Nein, in meinem Traumschloss entsteht das Volksgewürz der Schweizerinnen und Schweizer: Aromat. Wobei … um einige Ingredienzen in der Produktionsstätte von Knorr in Thayngen SH ranken sich durchaus Mythen. Diese möchte ich enthüllen.
Der Schlossherr Werksleiter der Unilever Schweiz GmbH, Daniel Lötscher, begrüsst mich an der Eingangspforte. Er überragt mich um mehr als einen Kopf. Und ihn wiederum überragt das sechsstöckige Produktionsgebäude. Dort starten wir.
In der Anlieferung treffen getrocknetes Gemüse und Salz sowie flüssige Bestandteile wie Öle und Fette ein. 80 Prozent der Rohstoffe für die beliebtesten Produkte, wie etwa Aromat, stammen aus der Schweiz. Zu den restlichen 20 Prozent gehören Gewürze und das oft umstrittene Palmöl. Lötscher betont jedoch: «Wir beziehen nur RSPO-zertifiziertes Palmöl. Mit diesem globalen Zertifizierungssystem verpflichten sich Mitglieder zu Nachhaltigkeitsanforderungen in der gesamten Lieferkette. Und sie werden regelmässig kontrolliert.»
Wir passieren kolossale Silos voller Fleischextrakte, Mehl, Zucker, Kartoffelstärke und Glutamat. Aus ihnen werden acht verschiedene Aromat-Streuwürzen sowie dutzende Suppen und Saucen gemischt. «Für allergische Menschen ist es elementar, dass wir die Rohstoffe strikt trennen und während aller Produktionsschritte nachverfolgen können», sagt Lötscher. Dafür ist eine Software zuständig. Sie wiegt die richtige Menge vom richtigen Silo ab und leitet die Rohstoffe eine Etage tiefer. Auch wir steigen nach unten. Dorthin, wo das Aromat «geboren» wird.
Fett und Glutamat, sonst bleibt’s fad
Langsam nähern wir uns einem riesigen Metallbehälter mit 800 Kilogramm Fassungsvermögen. Durch ein kleines Fenster blicke ich ins Innere. Abertausende Aromat-Körnchen tanzen vor meinen Augen. «Wir wirbeln die Bestandteile mit heisser Luft auf. So verklumpen sie nicht», erklärt Lötscher.
Dann zeigt er auf Schläuche an der Decke. Durch diese Bypässe gelangen Salz, Milchzucker und Weizenstärke aus den Silos in den Kessel. Eine Mischung aus flüssiger Hefe und Geschmacksfett strömt durch eine weitere Leitung. «Die genaue Zusammensetzung ist unser grosses Geheimnis», meint Lötscher und wird ernst. Was er verrät: Das zunächst flüssige Fett führt dazu, dass gewisse Aromat-Bestandteile aneinander haften und die Würze grobkörniger wird. Das verstärkt den Geschmack.
A propos Geschmack: Für gehörig umami (den fünften, vollmundigen Geschmack neben salzig, sauer, bitter und süss) sorgen im Aromat Glutamat oder Hefeextrakt. Glutamat war lange Zeit umstritten, da es im Verdacht stand, Krankheiten wie etwa Parkinson, Alzheimer oder gar Krebs zu fördern. «Früher sprachen wir nicht gerne darüber. Heute ist das anders, denn wir wissen: Glutamat ist unbedenklich», sagt Daniel Lötscher. Der aktuelle Stand der Forschung gibt ihm recht: Bei ausgewogener Ernährung und in normalen Mengen konsumiert (das merke ich mir für später), birgt Glutamat kein Gesundheitsrisiko.
Trotzdem berichten immer wieder Personen von Unverträglichkeiten. Bei einigen scheint es zum Beispiel Kopfschmerzen auszulösen. Ausserdem soll es das natürliche Geschmacksempfinden stören. So, dass man Naturprodukte fader wahrnimmt. Für alle, die auf Glutamat verzichten wollen, stellt Knorr deshalb Aromat mit Hefeextrakt her.
Wenn das nur meine Mutter gewusst hätte…
Kindheit ohne gelbe Würze
Als ich vor über 20 Jahren von der Primarschule nach Hause kam, verkündete sie mir die Hiobsbotschaft: «Es gibt kein Aromat mehr.» Vor lauter Schock blieb mir fast die Zunge am Gaumen kleben. Damals war ich regelrecht süchtig nach der gelben Streuwürze. Am liebsten leckte ich sie pur aus der Hand (abwechslungsweise mit Ovomaltine). Doch Widerstand war zwecklos. Meine Mutter war überzeugt: Die Glutamat-Würze sei ungesund. Stattdessen gab’s Plantarom ohne Geschmacksverstärker. Nach längerem Protest gewöhnte ich mich doch noch daran. Letztlich sogar so sehr, dass ich nicht einmal Aromat kaufte, als ich eine eigene Wohnung hatte. Ob sich das wohl ändert?
Das Gelbe vom Aromat
Zurück in die Produktionsstätte nach Thayngen: Wirklich nach Aromat sieht die Gewürzmischung im Kessel vor mir noch nicht aus. Kein Wunder: Die Farbe fehlt. Wie auf Kommando nähert sich ein junger Mann. In seinen Händen hält er einen 20-Kilogramm-Gewürzsack mit Knoblauch, Zwiebeln, Selleriesamen, Nelken, Lorbeerblättern und Kurkuma, alles in Pulverform. Behutsam kippt er den Inhalt in den Kessel. Mit grossen Augen beobachte ich, wie sich die tanzenden Körnchen durch das Kurkuma gelb färben. Ich kann das Aromat schon förmlich auf der Zunge schmecken ... halt, so weit sind wir noch nicht! Zuerst muss die gelbe Würze noch einen Stock tiefer.
Letzte Station: das grosse Abfüllen
In der Abfüllabteilung geht die Post ab. Gelbe Döschen sausen auf Laufbändern um uns herum. 1…2…3… im Sekundentakt füllt eine Maschine die Behälter, schüttelt sie, wiegt sie, verdeckelt sie und scannt sie um 360° auf Produktionsfehler ab. Zum Schluss klebt sie die Etikette auf beziehungsweise über den Deckel. Und, wieder elementar für Allergiker: Die Software kontrolliert, ob in Behältern, die zum Beispiel keinen Sellerie enthalten dürfen, auch wirklich keiner eingefüllt wurde. Rund 50’000 Aromat-Dosen stellt Knorr so täglich her.
Gleich nebenan füllt der Lebensmittelhersteller mit einem ähnlichen Verfahren täglich über 100’000 Tütensuppen und Saucen ab. Der Unterschied: Gewisse Inhaltsstoffe wie Zwiebelstücke fügt der Bypass erst hier, ganz am Schluss, hinzu. «So bewahren wir die Stückigkeit», sagt Daniel Lötscher. «Mit frischem Gemüse kann das getrocknete Gemüse aber wohl kaum mithalten?», will ich wissen. Lötscher stimmt zu, dass ein Teil der Vitamine beim Trocknen verloren gehe. Das sei aber auch bei frischem Gemüse im Kühlschrank der Fall. Die Nährwerte seien auf dem Beutel klar ersichtlich. «In Massen gegessen sind Tütensuppen gesund», meint Lötscher.
Als nächstes zeigt der Werksleiter, wie eine Maschine die Packungen faltet, füllt und verschweisst. Aktuell arbeitet Knorr daran, Suppenverpackungen vollkommen recyclebar zu machen. Doch ausgerechnet der Verkaufsschlager macht ihnen noch einen Strich durch die Rechnung: «Die Fideli mit Fleischstücken bohren sich durch die neue Packung, weil sie so spitz sind», so Lötscher schmunzelnd. Die geeignete Lösung muss also noch etwas «köcheln».
Von der Erbswurst zur Erfolgsstory
Garen mussten auch schon andere Ideen von Knorr. Als Carl Heinrich Knorr 1907 den Schweizer Standort in Thayngen eröffnete, stellte sich der Erfolg nicht sofort ein. Zwar hatte Knorr mit der Erbswurst 1889 die erste Erfindung in der Geburtsstätte in Heilbronn herausgebracht. Das war eine getrocknete und in Darmschläuche gepresste Mischung aus Erbsenmehl, Speck, Zwiebeln und Gewürzen. Mit etwas Wasser verwandelte man sie in eine sämige Suppe.
Der wirkliche Durchbruch gelang Knorr erst in der Nachkriegszeit: mit der Tütensuppe. Für die damaligen Frauen war sie die Rettung. Da die Wirtschaft am Boden lag, führten viele von ihnen eine Erwerbsarbeit aus. Zusätzlich war es noch immer ihre Aufgabe, das Nachtessen zuzubereiten. Mit der Tütensuppe ging das schnell und unkompliziert. Etwas muss jedoch gesagt sein: Auch wenn Knorr (und fast zeitgleich Maggi) die Tütensuppe an die breite Masse brachten, erfunden haben sie diese nicht.
1953 folgte für Knorr – kurz vor Maggis Fondor-Würze – der zweite grosse Erfolg: Aromat. In einer neu entwickelten Streudose liess sich die Würze erstmals einfach dosieren. Und da Knorr Aromat als Tischgewürz auf der Plattmenage an Restaurants verschenkte, wurde der Aromat-Geschmack bald über die ganze Schweiz verstreut.
Der Siegeszug der gelben Streuwürze ist bis heute nicht abgeflaut. Im Gegenteil. Als Anfang diesen Jahres ein «Aromat-Engpass» eintraf, kochte laut Blue News die Volksseele. Ohne Aromat fehlt in den meisten Schweizer Küchen offensichtlich etwas.
Nicht nur eine Laien-Würze
Logischerweise geht es auch in der Küche von Knorr nicht ohne die gelbe Streuwürze. Am Herd in der Unilever-Food-Solutions-Abteilung steht ein sympathischer, älterer Herr mit Schnauz. Josef Tschigg ist Fachberater der Culinary Fachberatung. Er arbeitete schon für das Baur au Lac und die Schweizer Botschaft in Washington. Für Knorr unterrichtet er Küchenchefinnen und -chefs aus der ganzen Schweiz. So schult er sie unter anderem darin, wie Abläufe in Küchen optimiert und Gerichte verfeinert werden können – natürlich mit Knorr-Produkten.
Das überrascht mich. Ich dachte, Gastronomen benutzen weder Aromat noch Tütensuppe. Tschigg lacht und meint: «Doch, doch. Viele Köche verwenden die Produkte als Basis oder Komponente. Dieser verpassen sie dann noch ihre persönliche Note, zum Beispiel fügen sie der Currysuppe etwas Kokosmilch bei.»
Dasselbe hat er auch für mich gemacht: mit Aromat gekocht. Aus einer dampfenden Pfanne schöpft Tschigg Rahmspinat und setzt ein Onsen-Ei obendrauf. Dieses würzt er mit etwas Original-Aromat. Zusätzlich gibt es ein Knoblibrot mit frischem Knoblauch, kombiniert mit Knoblauch-Aromat (dem neusten Produkt). Als Hauptspeise folgen Spaghetti all’arrabbiata mit Hackbällchen, gewürzt mit Chili-Aromat (ebenfalls eines der neusten Produkte).
Das Onsen-Ei schmeckt köstlich: Eier und Aromat scheinen einfach seit jeher eine optimale Kombi zu sein. Das Knoblauch-Aromat hingegen spüre ich nicht heraus, der frische Knobli ist unschlagbar. Eine angenehme, leichte Schärfe hat jedoch das Chili-Aromat. Ganz nach meinem Geschmack.
Alles endet im Aromat-Exzess
Als ich in Thayngen wieder in den Zug steige, lasse ich mir die letzten Geschmacksatome auf der Zunge zergehen. Und ich beginne, meinen Aromat-Konsum zu überdenken. Vielleicht kann ich es ja ab und zu gezielt einsetzen. Ausserdem könnte ich die Tütensuppe hie und da als Komponente verwenden, zusammen mit frischem Gemüse. Ganz gemässigt, versteht sich.
Haha. Aromat und gemässigt. Der war gut.
So sitze ich am Abend auf dem Sofa, in der einen Hand eine frisch geöffnete Streuwürzdose, in der anderen ein Berg Aromat. «Läck, isch das geil», hauche ich durch meinen ausgetrockneten Gaumen. Gemässigt bin ich morgen wieder.
Was hältst du von Aromat und Tütensuppe? Welche Erinnerungen werden in dir wach? Verrate es mir in einem Kommentar.
Ich mag alles, was vier Beine oder Wurzeln hat. Zwischen Buchseiten blicke ich in menschliche Abgründe – und an Berge äusserst ungern: Die verdecken nur die Aussicht aufs Meer. Frische Luft gibt's auch auf Leuchttürmen.