Kritik
«Cyberpunk 2077: Phantom Liberty»: Die wichtigsten Fragen und Antworten
von Domagoj Belancic
Wake the fuck up, Samurai. «Cyberpunk 2077» ist zurück mit einer kostenpflichtigen Story-Erweiterung. «Phantom Liberty» überzeugt im Test mit einer spannenden Spionage-Geschichte, einem neuen Stadtteil und weitreichenden Gameplay-Neuerungen.
Rund drei Jahre nach der Veröffentlichung hat sich das Mega-Rollenspiel «Cyberpunk 2077» langsam von seinem desaströsen Launch erholt. CD Projekt Red hat in der Zwischenzeit fleissig am Game gearbeitet. Zahlreiche Bugfixes und Updates später verspricht das polnische Studio mit dem «Update 2.0» und «Phantom Liberty» die bisher grössten Neuerungen für das Spiel.
Ersteres ist ein kostenloses Update, das alle Spielerinnen und Spieler von «Cyberpunk 2077» erhalten. Darin befinden sich unter anderem grundlegende Änderungen im Skill-System, Fahrzeug-Kämpfe sowie ein komplett überarbeitetes Polizeisystem. Die kostenpflichtige Story-Erweiterung «Phantom Liberty» baut auf diesen Grundlagen auf und entführt mich im neuen Stadtteil Dogtown auf einen actionreichen Spionage-Thriller voller Intrigen und Wendungen. Eins gleich vorneweg: So viel Spass hat «Cyberpunk 2077» noch nie gemacht.
Zum Start von «Phantom Liberty» habe ich die Wahl, das Abenteuer als neuer Charakter zu beginnen oder mit meiner bestehenden Spielfigur weiterzuspielen. Ich entscheide mich für Zweiteres. Die Geschichte der Erweiterung ist vor dem Ende der Mainquest im Basisspiel angesetzt. Meine Spielfigur «V» hat also immer noch eine experimentelle Technologie – den «Relic» – implantiert, die ihn langsam dahinraffen lässt.
«Phantom Liberty» beginnt explosiv. Ich würde sogar sagen: Einen solch gelungenen Einstieg in ein Game habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Ich werde von einer mysteriösen Dame namens «Songbird» in einen streng bewachten Stadtbezirk von Night City gelockt – Dogtown. Sie behauptet, dass sie mich vom Implantat befreien und mein Leben retten kann. Als Gegenleistung soll ich die Präsidentin der Neuen Vereinigten Staaten von Amerika – kurz: NUSA – aus einem Flugzeug retten, das in Dogtown abgestürzt ist. Easy, oder?
In der fulminanten Anfangsphase sehe ich nicht nur, wie ein Flugzeug abstürzt. Ich schleiche und ballere mich auch durch Horden blutrünstiger Söldner, die es auf die Präsidentin abgesehen haben. Anschliessend kämpfe ich zusammen mit besagter Präsidentin gegen ein riesiges Roboter-Monster. Es passiert so viel in so kurzer Zeit – ich weiss gar nicht, wo mir der Kopf steht.
Auch nach der halsbrecherischen Action lässt das Erzähltempo nicht nach. Ich lerne schnell den Ex-Agenten Solomon Reed kennen, gespielt vom hervorragenden Idris Elba. Dieser soll die Präsidentin aus Dogtown extrahieren und meinen Kontakt «Songbird» ausfindig machen. Die mysteriöse Frau ist im ganzen Tumult nämlich von der Bildfläche verschwunden. Durch die Inklusion des ehemaligen Spions lande ich in einem Netz aus Intrigen und Verrat. Eine Wendung folgt der nächsten. Ich fühle mich bisweilen wie in einem James-Bond-Film. So muss ein Einstieg in ein neues Game aussehen. Chapeau, CD Projekt Red.
Bei dem genialen Einstieg habe ich zunächst gar keine Zeit, mich um die neuen Skill-Trees zu kümmern. Dabei gibt es so viel zu tun!
Mit meinem Level-30-Charakter habe ich im Basisspiel bereits viele Fähigkeiten freigespielt. Diese werden mit dem «Update 2.0» zurückgesetzt. Der Grund: Die freischaltbaren Perks wurden komplett überarbeitet. Ich muss mir also nochmal neu überlegen, wie ich meinen Charakter in «Phantom Liberty» gestalten will. Spielst du mit einer neuen Figur, beginnst du bei Level 20 und kannst deine Skillpunkte ebenfalls neu investieren.
Die Perks im alten Skill-System fand ich nicht besonders spannend. Viele Fähigkeiten brachten nur inkrementelle Verbesserungen mit sich. Ein paar Prozentpunkte mehr im Angriff, ein paar Sekunden schnellere Hacks. Langweilig.
Die Fähigkeiten in den neuen Skill-Trees sehen hingegen schon auf den ersten Blick viel spannender aus. Ich scrolle mich durch die Menüs und entdecke viele Perks, die mein Interesse wecken. Ich kann Gegner wie ein tollwütiger Hulk durch die Gegend schmeissen? Das brauche ich! Ich kann beim Autofahren die Zeit verlangsamen? Das will ich auch! Ich kann mit einem Katana Schüsse wie ein Jedi-Ritter abwehren? Shut up and take my perk points!
Die grosse Auswahl kann aber auch paralysierend wirken. Normalerweise schalte ich die Skillpunkte in einem solch grossen RPG nach und nach frei. Und jetzt muss ich auf einen Schlag alles investieren. Das stresst mich zunächst. Nach langem Hin und Her entscheide ich mich schliesslich für einen Netrunner-Build. Ich investiere die meisten Attributpunkte in «Intelligenz» und schalte dort möglichst viele Perks frei. Das entspricht ungefähr dem «Hack and Slash»-Build, den CD Projekt Red vor dem Launch vorgestellt hat:
Das Ergebnis gefällt mir. Bevor ich in einen Kampf gehe und mit Ballern anfange, ärgere ich Gegner mit Hacks. Mit den neuen Perks kann ich sogar bis zu vier Hacks auf einen einzigen Gegner laden. Das ist eine unglaublich mächtige Fähigkeit. Meistens verkrüpple ich einen Feind, lade einen Virus hoch, der auch umliegende Gegner angreift und füge ihm zum Schluss mit Verbrennungen Schaden zu. Oder ich lasse einfach seine Granate detonieren. Boom. Reichen meine RAM-Punkte für die Hacks nicht aus, aktiviere ich den «Overclock»-Modus. Mit diesem verbrauche ich für kurze Zeit Lebenspunkte statt RAM. So kann den Kamikaze-Super-Hacker Domi niemand mehr stoppen!
Mit diesem Netrunner-Build habe ich in meinen rund 20 Stunden Spielzeit viel mehr Spass als mit den langweiligen Perks aus dem Hauptspiel. Und das ist nur einer von vielen Builds, die mit dem neuen Update möglich sind. Das neue Skill-System ist ein echter Game-Changer.
Neben dem überarbeiteten Skill-System gibt es mit dem «Update 2.0» weitere grössere und kleinere Änderungen, die den Spielfluss signifikant beeinflussen. Allen voran die überarbeitete Polizei-KI. Diese war im Basisspiel sehr enttäuschend. Die Cops haben sich bei Verfolgungsjagden oftmals unnatürlich und unlogisch verhalten. Zudem sind sie ab aus dem Nichts erschienen. Als hätten sie sich direkt aus der Polizeizentrale hergebeamt. Dieses dumme Verhalten gehört der Vergangenheit an. Die Polizisten verhalten sich schlauer, hartnäckiger und sind leichter reizbar als vor dem Update. Die Pseudo-Polizisten in Dogtown – die blutrünstigen «Barghest»-Söldner – sind sogar noch einen Ticken fieser und lassen sich noch einfacher provozieren.
Hervorheben möchte ich zwei kleinere Neuerungen, die mir besonders gefallen haben. Sprinten verbraucht neu keine Stamina-Punkte. Nur beim Schiessen und Ausweichen werden die Stamina-Punkte angezapft. Das ist super – das Sprint-Limit hat mich jüngst in «Starfield» immer wieder genervt. Zudem ist Medizin kein konsumierbares Item mehr. Stattdessen ist es ein fix ausgerüstetes Item, das sich mit der Zeit automatisch auflädt. Ich kann also nicht mehr mit 100 Med-Packs in einen Kampf ziehen und mich mit dem ständigen Konsum von Medizin am Leben erhalten. Das zwingt mich, strategischer zu denken und meine Fähigkeiten – allen voran den riskanten Overclock-Modus – gezielter einzusetzen.
Komplett neu sind Fahrzeug-Kämpfe. Mit dem «Update 2.0» kannst du im Auto deine Waffe zücken und auf Gegner schiessen. Ähnlich wie Drive-By-Shootings in «GTA». Mit «Phantom Liberty» bekommt diese Neuerung dank zusätzlicher Perks eine weitere Dimension. Du kannst nämlich eine Fähigkeit freischalten, mit der du Autos fernsteuern oder sie gar zum Explodieren bringen kannst. Das macht sowohl in Verfolgungsjagden als auch in normalen Kämpfen unheimlich viel Spass und sieht verdammt cool aus.
Das Highlight von «Phantom Liberty» sind die Hauptmissionen, die ich in Dogtown absolviere. Es sind bombastisch inszenierte Showpieces für die neuen freischaltbaren Fähigkeiten, die mir in der Vorgehensweise viel Flexibilität geben. Die Quests mögen anfangs inhaltlich etwas zusammenhangslos wirken, aber je mehr ich über die Intrigen hinter den Missionen erfahre, desto klarer wird das Gesamtbild. Besonders gelungen sind die Missionen. Ich fühle mich wie ein Geheimagent, wenn ich beispielsweise eine Party infiltriere, um an sensible Informationen zu kommen. Zudem sind die Charaktere, die ich im Verlauf der Geschichte kennenlerne, hervorragend geschrieben und werden von einem exzellenten Cast dargeboten.
Aber auch abseits der Hauptstory gibt es in Dogtown viel zu entdecken. Der Bezirk ist ein eigener kleiner Mikrokosmos, der ausserhalb der Gesetze von Night City funktioniert. Dogtown ist heruntergekommen, dreckig und voller zwielichtiger Gestalten. Das Sagen hat Kurt Hansen. Ein skrupelloser Waffenhändler, der die blutrünstige «Barghest»-Pseudo-Polizei kommandiert. In seinem Reich gibt es zahlreiche Nebenmissionen zu absolvieren. Diese reichen von lustigen Geschichten mit typisch dunklem «Cyberpunk»-Humor bis hin zu unerwartet tragischen Quests und spannenden Charakteren.
Ja, selbst ausserhalb der Nebenmissionen gibt es Charaktere, in die ich mich sofort verliebt habe. So zum Beispiel ein kleiner, vorlauter Knirps, der mir auf dem Marktplatz von Dogtown tödliche Hacks und Waffen verkauft. Nebenbei beleidigt er mich immer wieder aufs Übelste. Was für ein kleines, süsses Arschloch. Da komme ich gerne wieder.
Dogtown ist erstaunlich klein – ich hätte mit einer viel grösseren Map gerechnet. Sie nimmt ungefähr 10 Prozent der gesamten Map von Night City ein. Das finde ich aber nicht schlimm, denn das Open-World-Design der «Cyberpunk»-Welt ist sowieso nicht auf Exploration ausgelegt. Es weckt keine Entdeckerlust in mir, wie das beispielsweise ein «Tears of the Kingdom» dieses Jahr getan hat. Und das ist okay so. Das Spiel hat andere Stärken. Die Open World ist da, damit ich in die dystopische Atmosphäre des Games eintauchen kann. Sie gibt den Missionen einen Kontext und eine spannende Spielfläche. In Dogtown ist die Dichte an spannenden Locations und Missionen viel höher als in der riesigen Night City. Ich komme viel schneller zur Action und habe dadurch mehr Spass. Es muss nicht immer alles grösser und spektakulärer sein.
Grafisch macht «Phantom Liberty» eine unglaublich gute Figur. Auch wenn es abgedroschen klingt: Das Spiel ist atemberaubend schön und lässt mir regelmässig die Kinnlade runterfallen. Neben den ultradetaillierten Charaktermodellen hat mich besonders die Architektur von Dogtown fasziniert. Der Bezirk ist zwar klein, dafür dicht besiedelt und vertikaler designt. Egal wo du hinschaust, das Spiel strotzt nur so vor beeindruckenden Feinheiten.
Ich habe das Spiel auf der PS5 getestet und Phil hat sich die PC-Version angeschaut. Auf seinem Rig mit 4090er-Karte spielt «Phantom Liberty» im Vergleich zur PS5-Version nochmal in einer ganz anderen Liga. Das Game auf dem PC durch eine atmosphärische Beleuchtung und realistische Reflektionen. Das ist vor allem den umfangreichen Ray-Tracing-Einstellungen und dem Einsatz von DLSS 3.5 zu verdanken. Nachfolgend siehst du ein paar Impressionen aus Dogtown im Vergleich zwischen der PS5- (links) und der PC-Version (rechts). Der grafische Unterschied ist nicht in allen Situationen gleich gross.
Ein kleiner Trost für Konsolen-Spielerinnen und Spieler: Das Spiel läuft auf der PS5 im Performance Modus immerhin mit ziemlich stabilen 60 FPS. Den Ray-Tracing-Modus solltest du ignorieren. Die damit verbundenen 30 FPS fühlen sich extrem träge an und die visuellen Unterschiede zum Performance-Modus musst du mit der Lupe suchen.
Bei all dem Lob für die technische Umsetzung sind mir auf meinem Abenteuer doch noch ein paar Bugs begegnet. Neben visuellen Glitches ist das Game in meinen rund 20 Stunden Spielzeit viermal abgestürzt. Der bizarrste Crash war bei den Credits nach der finalen Mission. Komplett fehlerfrei ist «Phantom Liberty» also nicht – es ist zum Launch aber in einem viel besseren Zustand als das «Cyberpunk 2077» vor drei Jahren war.
So fulminant wie «Phantom Liberty» startet, so unspektakulär ist die Landung. Besonders enttäuscht hat mich die letzte Mission, die einen faden Nachgeschmack bei mir hinterlassen hat. Zu allem Übel dauert sie auch noch verdammt lange. Die letzte Quest nimmt alles, was das «Update 2.0» und «Phantom Liberty» so spassig macht und wirft es in die Tonne. Ich werde gezwungen, an einer nicht enden wollenden Schnitzeljagd teilzunehmen und repetitive Tasks immer wieder und wieder zu wiederholen. Nebenbei werde ich von einem unbesiegbaren Gegner gestalkt, der mich mit einem Schlag erledigen kann. Das ist nerviges, erzwungenes Trial-and-Error-Gameplay und hat in einem so tollen Spiel nichts zu suchen. Auch der Epilog nach der Mission wird unnötig in die Länge gezogen – zumindest in dem Ende, das ich mit meinen Entscheidungen erlebt habe. Das Spiel endet nicht mit einem Knall, sondern brennt langsam aus. Schade. Das Ende hängt natürlich stark von deinen Entscheidungen im Spiel ab – kann also gut sein, dass du ein befriedigenderen Ausklang des Spiels erleben wirst.
Ebenfalls enttäuscht bin ich rückblickend vom neuen Bösewicht. Kurt Hansen ist... langweilig. Es gibt keinen doppelten Boden, keine Wendung, die ihn interessant machen würde. Er ist am Ende einfach nur ein böser Bösewicht. Von einem Spionage-Thriller hätte ich mehr erwartet.
«Phantom Liberty» nimmt alles, was «Cyberpunk 2077» gut gemacht hat und verpackt es in ein kompaktes Spielerlebnis, das von Anfang an Vollgas gibt. Die Änderungen am Skill-System, der Polizei-KI und die Fahrzeug-Kämpfe sind echte Game-Changer und haben weitreichende Auswirkungen auf den Spielfluss.
Die Spionage-Geschichte ist spannend erzählt und profitiert von einem hervorragenden Cast. Allen voran Idris Elba als Solomon Reed liefert eine exzellente Leistung ab. Das etwas holprige Ende und der eindimensionale Oberschurke hinterlassen einen faden Nachgeschmack, können meinen sehr guten Gesamteindruck aber nicht nachhaltig trüben. «Phantom Liberty» ist CD Projekt Red in Höchstform. «Cyberpunk» hat noch nie so viel Spass gemacht.
«Cyberpunk 2077: Phantom Liberty» ist ab dem 26. September erhältlich für PS5, Xbox Series X/S und PC. Je nach Plattform kostet die Erweiterung zwischen 32 und 35 Franken oder Euro. Das Spiel wurde mir zu Testzwecken von CD Projekt Red zur Verfügung gestellt.
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Meine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.