Skeuomorphismus: Als Icons noch eine Geschichte erzählten
30/7/2024
Es gab Zeiten, da musstest du praktisch ein Softwareingenieur sein, um einen Computer zu bedienen. Heute klickst du auf eine Diskette, um ein Dokument zu speichern und ziehst es in den Papierkorb, um es zu löschen. Zu verdanken haben wir das alles dem Skeuomorphismus.
Wir leben in einer vollumfänglich digitalisierten Welt. Fast jedes elektronische Gerät hat ein Display. Und die meisten davon kannst du sogar mit deinen Fingern bedienen. Von deinem Handy über den SBB-Billettautomaten bis zum modernen Backofen. Es gab aber auch eine Zeit vor dem GUI – kurz für Graphical User Interface.
Bis in die späten 70er-Jahre wurden Rechner lediglich per Text-Input bedient. Du musstest ganz genau wissen, welcher Befehl was bewirkt, um das Gerät zu navigieren. Nicht sonderlich zugänglich.
Erst Anfang der 80er kamen die ersten grafischen Benutzeroberflächen auf. Frühe Beispiele sind etwa Xerox Alto oder Lisa OS, Apples erstes mausgesteuertes Betriebssystem.
Mit dem Aufkommen des GUI standen die schlauen Köpfe hinter den ersten PCs vor einer ganz neuen Herausforderung: Wie soll ein Benutzerinterface überhaupt aussehen? Wie machen wir das Betriebssystem möglichst leicht verständlich? Die Antwort: Skeuomorphismus!
Skeuomor… Bitte was?!
Der Begriff Skeuomorphismus leitet sich aus dem Griechischen ab und vereint in etwa die Wörter «Objekt» oder «Utensil» und «Gestalt». Der Skeuomorphismus ist also etwas, das die Gestalt eines anderen annimmt. Und so wird das Ganze ausgesprochen.
Das Konzept, dass irgendetwas Neues etwas Altes imitiert, gab es schon weit vor den ersten Benutzerinterfaces. Denke beispielsweise an grosse Kronleuchter mit elektronischen Kerzen. Einfache Lampen würden hier auch funktionieren, aber das sind wir uns nun mal nicht gewohnt. Oder in den dichterischen Worten der Fäaschtbänkler: «Ist so, weil ist so. Und bleibt so, weil immer so gewesen.»
Aber zurück zu den Benutzerinterfaces: Gerade Apple unter Steve Jobs’ Führung war ein grosser Vorreiter in Sachen Skeuomorphismus. Schon sehr früh finden wir auf den Apfel-Rechnern das Symbol einer Floppy Disk als Speichersymbol. Und spätestens, als das erste iPhone das Licht der Welt erblickte, ging es so richtig los.
Der Skeuomorphismus versteckt sich überall
In den ersten paar Versionen war iOS – Apples Mobile-Betriebssystem – geradezu überfüllt mit skeuomorphen Designs. Nahezu jedes Icon auf dem Homescreen hatte einst irgendeinen Bezug zu einem Objekt aus der echten Welt. Etwa die Mail-App, welche bis heute einen Briefumschlag zeigt. Die Kontakte- und Notizen-Apps waren hyperrealistische Darstellungen von Adressbüchern, respektive Notizblöcken – mitsamt Ringbindung und abgerissenem Papier.
Doch nicht nur einzelne Icons sind damals dem Skeuomorphismus verfallen. Ganz generell war in vielen Ecken der Betriebssysteme Papier-, Leder- oder Metalloptik aufzufinden. Hinzu kamen etliche «Knöpfe» mit Schattierungen und optischen Wölbungen, so als ob man sie durchs Display drücken könnte.
Eines meiner Lieblingsbeispiele für den Skeuomorphismus ist das Auslösegeräusch der Kamera vom iPhone. Der ikonische Sound einer alten Kamera hat sich bis heute im iPhone-Betriebssystem gehalten.
Auch verbal hat sich das «Skeuomorph» in unseren Alltag geschlichen. Am PC platzierst du deine Programme bis heute auf dem Desktop – oder eben Schreibtisch. Wie in der echten Welt finden sich auch auf deinem virtuellen Pult höchstwahrscheinlich diverse Dokumente in unterschiedlichen Ordnern. Und entsorgt wird schlussendlich alles in einem Papierkorb.
Die Ära des flachen Designs
Skeuomorphes Design ist allerdings nicht mehr ganz so aufdringlich wie auch schon. Am besten zu beobachten war dies bei Apple, das 2013 iOS 7 vorstellte. Diese Version des Betriebssystems brachte die grösste optische Veränderung und auch den Anfang vom Ende des Skeuomorphismus mit sich.
Denn seither sehen wir auf unseren Homescreens viel mehr vereinfachte Designs, manche sogar etwas abstrakt. Das «Flat Design» ist in aller Munde. Auch bei Android wurde in den folgenden Jahren vieles sehr viel minimalistischer und flacher.
Doch so ganz verschwinden wird der Skeuomorphismus wohl nie.
Skeuomorphismus ist tot, lang lebe der Neumorphismus!
Trends kommen und gehen und kommen wieder. Nicht anders ist es beim Betriebssystem-Design. Wo in den vergangenen zehn Jahren praktisch überall auf flache Darstellungen gesetzt worden ist, scheint das Pendel jetzt wieder zurückzuschwingen. Das Ganze hat auch schon einen passenden Namen: Neumorphismus.
Diese Stilrichtung will gewissermassen den Skeuomorphismus und das flache Design vereinen. Icons, Knöpfe und weitere Elemente bleiben zwar abstrakt statt hyperrealistisch, bekommen aber etwas mehr Form. Es wird wieder mit Wölbungen, Schatten und Vertiefungen gearbeitet.
Auch bei dieser Designsprache will Apple ganz vorne mit dabei sein. Denn passend zu der Vision Pro wurde auch Vision OS vorgestellt – voll mit «neumorphen Designs».
Und wie es scheint, finden die Elemente in Milchglas-Look auch ihren Weg in die weiteren Betriebssysteme von Apple. Bleibt abzuwarten, ob der Neumorphismus auch seinen Weg in den Mainstream findet. Betrachten wir die Vergangenheit, gehe ich schwer davon aus.
Kennst du noch weitere Beispiele für Skeuomorphismus im Alltag? Schreib mir sie gerne in die Kommentare!
Titelbild: Dayan Pfammatter
Dayan Pfammatter
Freier Autor
Praktisch seit ich denken kann fasziniert mich alles, was Tasten, Displays und Lautsprecher hat. Als Journalist mit Fokus auf Technik und Gesellschaft schaffe ich Ordnung im Dschungel aus Tech-Jargon und unübersichtlichen Spec-Sheets.