Ratgeber

Tipps vom «Wanderpapa»: So gelingt die Wanderung mit Kindern

Meine Kinder fürs Wandern zu motivieren, fühlt sich etwa so an, wie einem Steinbock Trekkingschuhe andrehen zu wollen. Widersinnig. Wander-Profi und Buchautor Rémy Kappeler sagt mir im Interview, wie ich es trotzdem schaffe, sie für eine Wanderung zu begeistern.

Die Herbstferien starten in wenigen Wochen. Die Wanderausrüstung ist bereit, es fehlt nur noch eins: die Motivation der Kinder. Und genau darin liegt die grösste Herausforderung. Denn obwohl wir eigentlich eine sehr aktive Familie sind: Beim Thema Wandern stoppt die Begeisterungsfähigkeit meiner vier- und siebenjährigen Töchter abrupt. Ohne Bestechung setzen sie keinen Fuss in ihre Wanderschuhe. Und sind wir endlich einmal unterwegs, endet die Überzeugungsarbeit noch lange nicht. Kurz vor unseren Ferien in den Bergen hole ich mir deshalb Hilfe vom Profi: Rémy Kappeler (49) ist dreifacher Vater, Buchautor von «Wanderpapa – Familiengeschichten vom Wanderweg» und Redaktionsleiter von Wandern.ch, dem Magazin des Verbands Schweizer Wanderwege.

Rémy, meine Kinder wollen partout nicht wandern. Selbst der kleinste Spaziergang stösst auf lauten Protest. Kennst du das?
Rémy Kappeler: Sehr gut sogar. Damit bist du nicht alleine. Kinder haben heute wahnsinnig viele Beschäftigungsmöglichkeiten, da warten zu Hause so viele coolere Dinge, die im ersten Augenblick spannender erscheinen als eine Wanderung mit den Eltern. Meine Kinder sind da nicht anders: Manchmal haben sie Lust darauf, manchmal nicht.

Soll ich’s trotzdem durchziehen, selbst wenn sie null Bock haben?
«Dürestiere» bringt nichts. Ich würde mir viel mehr überlegen, wie ich es schaffe, sie umzustimmen. Wie bringe ich sie dazu, dass sie die Wanderung toll finden? Meine Tochter hat mir mal geschrieben: Meistens wird es doch cooler, als man gedacht hat. Eine sehr schöne Erkenntnis.

Der Berner Rémy Kappeler hat 2021 «Wanderpapa – Familiengeschichten vom Wanderweg» veröffentlicht – ein Ratgeber für Wanderungen mit Kindern.
Der Berner Rémy Kappeler hat 2021 «Wanderpapa – Familiengeschichten vom Wanderweg» veröffentlicht – ein Ratgeber für Wanderungen mit Kindern.
Quelle: Jürg Buschor

Wie schaffe ich’s denn, sie zu motivieren?
Finde einen schönen Grund für die Wanderung. Definiere ein Ziel, ein Abenteuer, das euch erwartet. Gibt’s zum Beispiel einen Wasserfall, eine Ruine oder eine Höhle, die ihr besichtigen könnt? Präsentiere deinen Plan in einem passenden Moment. Beim Mittagessen zum Beispiel. Vielleicht interessieren sich die Kinder gerade nicht dafür, dann versuchst du es halt später nochmals. «Schaut, ich würde am Sonntag gerne diese Wanderung machen. Dort gibt’s eine dunkle Höhle zu entdecken. Kommt ihr mit?»

«Dein eigenes Herzblut ist wichtig. Zeig deine Freude und gib Gas dabei: ‹Das wird richtig cool!›»

Der Abenteuer-Aspekt ist also wichtig.
Ja. Zumindest bei Kindern unter zehn Jahren. Fast noch wichtiger ist aber dein eigenes Herzblut. Zeig deine Freude und gib ein bisschen Gas dabei: «Hey, das fägt. Das wird richtig cool!»

Ich seh schon, das wird ein richtiger Pitch. Und ich muss entsprechend gut vorbereitet sein, um zu punkten.
(lacht) Wenn deine Kids sich so sehr gegen das Wandern wehren, durchaus. Wenn ihr dann mal zwei, drei tolle Wanderungen zusammen erlebt habt, kannst du auf diese Erinnerungen zurückgreifen. «Wisst ihr noch? Das war doch ein Supererlebnis!»

Wenn ich die Kinder von der Wanderung überzeugt habe, ist das Ziel nur vorübergehend erreicht. Unterwegs höre ich bald «Ist’s noch weit?» und «Geht’s noch lange?» in der Dauerschleife. Oder sie streiken ganz und werfen sich auf den Boden.
Das kenne ich. Und das darf man nicht persönlich nehmen. Kinder agieren aus dem Moment heraus, aus ihrer aktuellen Laune. Nimm es als Herausforderung. Und möglichst mit Humor.

Na gut. Aber wie kann ich sie unterwegs bei Laune halten?
Es gibt zwei Strategien. Die erste: ablenken und reden. In einem Moment der Krise kannst du zum Beispiel das Picknick vorziehen oder ein Spiel veranstalten. «Ich sehe was, was du nicht siehst» zum Beispiel, ein Klassiker. Oder «Gummibärchen verstecken», das spielen wir oft. Ich laufe ein paar Schritte voraus, verstecke Gummibärchen und meine Kinder suchen sie.

Und was meinst du mit «reden»?
Geschichten erzählen. Mach ein Spielchen daraus. Die Kinder liefern dir drei Stichworte und du baust eine Story um sie herum. Ich baue jeweils spannende Details aus den aktuellen Gegebenheiten mit ein. Entdecken wir etwa in der Ferne eine Waldschneise, erzähle ich, wie sie entstanden ist: zum Beispiel, dass der Teufel oberhalb der Schneise gekegelt hat und ihm dabei eine Kugel runtergefallen ist.

Rémy Kappeler mit zwei seiner drei Kinder auf dem Gällihore bei Kandersteg.
Rémy Kappeler mit zwei seiner drei Kinder auf dem Gällihore bei Kandersteg.
Quelle: Natur-welten.ch

Was ist die zweite Strategie, wenn sie nicht mehr wollen?
Zuhören. Setz dich neben das Kind und frag nach. «Was ist los? Warum streikst du gerade?» Manchmal gibt es einen einfachen Grund für den Aussetzer. Ich habe dabei zum Beispiel schon herausgefunden, dass sich meine Tochter gerade über ihren Bruder nervt und deshalb keine Lust mehr hat, mit ihm zu laufen. Meine Frau und ich haben die Kinder dann für eine halbe Stunde voneinander getrennt. Dann ging’s wieder.

In deinem Buch stellst du Eltern sogenannte Blufferzettel mit Natur-Fakten zur Verfügung. Was hat es damit auf sich?
Als Vater oder Mutter bist du ein Vorbild. Nutze das aus und imponiere ihnen mit deinem Wissen. Ich habe festgestellt: Wenn ich Hintergrundfakten aus der Natur erzähle, kommt das an. Also habe ich angefangen, vor einem Ausflug drei, vier Wow-Dinge, auf die wir treffen werden, aufzuschreiben. Dazu notiere ich mir einige Hintergrundinformationen, womit ich allfällige Nachfragen beantworten kann. Diese Notizen nenne ich Blufferzettel.

«Beim Wandern darf man seine Prinzipien mal über Bord werfen.»

Lass uns nochmals zu den Gummibärchen zurückkommen. Wie wichtig sind solche Energieschübe für unterwegs?
Wir haben immer ein paar Gummibärchen dabei. Zudem Trockenfrüchte und Riegel. Ab und zu darf es etwas Süsses sein. Sowieso darf man beim Wandern seine Prinzipien mal über Bord werfen, finde ich. Da kann es durchaus auch mal die Süssigkeiten vor dem Picknick geben.

Was packen wir sonst noch ins Kinder-Rucksäckli?
Kinder brauchen neben guten Schuhen und einem Regenschutz eine schnelltrocknende Hose – für die Wasserschlacht unterwegs. Unsere Kinder tragen zudem meistens das Picknick in ihrem Rucksack mit. Das ist nach dem Mittag gegessen, die Last entsprechend leichter. Zu schwer sollte ihr Rucksack nämlich nicht sein. Aber es macht sie natürlich stolz, wenn sie auch etwas tragen dürfen.

Gibt es weitere Dinge, die du auf jeder Wanderung mit Kindern dabei hast?
Eine Stirnlampe. Es gibt immer eine Gelegenheit, irgendwo hineinzugucken. Eine Handylampe ist meistens zu schlecht dafür. Wenn das Wetter passt, packen wir ausserdem die Badehose für einen Wasserplausch ein. Bei hohen Temperaturen haben wir auch gerne spezielle Kühltücher dabei: Die kannst du nass machen, ausschütteln und dann werden sie kalt.

Was hältst du von einer Kinder-Rückentrage?
Viel. Ich empfehle sie allen, die kleine Kinder haben. Für uns bedeutete sie ein Stück Freiheit. Wenn es mal nicht mehr vorwärts ging, konnten wir die Kids einfach hinten reinsetzen und weiter ging’s.

Jetzt brauchen wir nur noch ein Ausflugsziel. Verrätst du uns deine Lieblingswanderung?
Ich habe keine. Ich sage immer: Die schönste Wanderung ist die, die kommt.

Welche Wanderung mit Kindern kannst du uns für den Herbst empfehlen?
Da hätte ich vier Tipps, alle habe ich schon selbst gemacht:

  1. Zu den roten und gelben Wassern in Morgins VS
  2. Zum Gletschertor in Grächen VS
  3. Zu den imposanten Höhlen aus Sandstein in Staffelbach AG
  4. Zum dunklen Loch beim Wasserfall im Val de Travers NE

Was taugen die angegebenen Wanderrouten mit Kindern?
Verdoppelt sie. Dann habt ihr sicher keinen Stress. Seid ihr selbst entspannt und gut gelaunt, werdet ihr es einiges einfacher mit den Kids haben. Gestresste Eltern sind uncool.

Titelfoto: Shutterstock

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Anna- und Elsa-Mami, Apéro-Expertin, Gruppenfitness-Enthusiastin, Möchtegern-Ballerina und Gossip-Liebhaberin. Oft Hochleistungs-Multitaskerin und Alleshaben-Wollerin, manchmal Schoggi-Chefin und Sofa-Heldin.

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