Tunic im Test: Von wegen niedlich! Dieses Indie-Zelda wird euch fordern
Der erste Eindruck täuscht: Hinter der niedlichen Fassade von Tunic steckt ein betont knackiges Action-Abenteuer, das sich zwar ordentlich bei Zelda bedient, aber auch viele eigene Stärken hat. Im Test klären wir, warum Tunic oft richtig Spaß machen kann – und wer sich den Kauf trotzdem gut überlegen sollte.
Dies ist ein Artikel unseres Content-Partners «PC Games». Hier findest du den Original-Artikel von Autor Felix Schütz.
An Vorbildern mangelt es Tunic nicht: Da werden Meilensteine wie The Legend of Zelda und Dark Souls zitiert, aber auch Indie-Hits wie Hyper Light Drifter, Fez oder das unterschätzte Hob haben ihre Spuren hinterlassen. Fast sechs Jahre Entwicklungszeit stecken in Tunic, das größtenteils vom Indie-Entwickler Andrew Shouldice ausgetüftelt und umgesetzt wurde. Das Ergebnis seiner langen Mühen: Ein cleveres Kleinod für Entdecker, die eine Herausforderung suchen. Knackige Kämpfe und knifflige Rätsel stellen auch erfahrene Spieler auf die (Gedulds)Probe, blutige Anfänger machen am besten gleich einen Bogen um das Spiel.
Wer sich aber darauf einlässt, wird mit einem motivierenden Abenteuer belohnt, das mit der Zeit seine ganz eigene Identität entfaltet und sich dann deutlich von anderen «Indie-Zeldas» abhebt. Trotz mancher Frustmomente konnten wir Tunic irgendwann kaum noch aus der Hand legen und selbst nach dem Durchspielen locken uns immer noch ein paar ungelöste Rätsel zurück. Eine uneingeschränkte Empfehlung geben wir Tunic aber trotzdem nicht. Im Test klären wir, was ihr vor dem Kauf wissen müsst.
Kleines Highlight für Entdecker
Schon die Eröffnungsszene könnte aus Link's Awakening stammen: Eure Spielfigur – ein kleiner Fuchs in grünem Gewand – erwacht ohne Ausrüstung, Hinweise oder Ziel an einem Strand. Doch noch bevor man sich fragt, was man überhaupt zu tun hat, sticht schon der eigenwillige Grafikstil ins Auge: Tunic setzt auf einen polygonarmen, bewusst klobigen Look, der mit sanften Farbtönen, klug eingesetzten Unschärfe-Effekten und ausgefeilter Beleuchtung eine wunderschöne Diorama-Atmosphäre versprüht. Der Clou daran: Das gesamte Spielgeschehen wird aus einer isometrischen Draufsicht präsentiert, ihr dürft die Kamera also nicht frei bewegen, sondern lediglich mit einer Schultertaste neigen. Das führt dazu, dass ihr manche Teile der Umgebung schlichtweg nicht einsehen könnt, weil sie von der Levelgeometrie verdeckt werden – und genau in diesen Ecken haben die Designer bevorzugt ihre Geheimgänge und Schätze versteckt. Tunic zu meistern heißt darum auch, wirklich jeden Winkel stoisch abzusuchen, ganz egal wie oft man vielleicht schon daran vorbeigelaufen ist. Ihr werdet überrascht sein, über wie viele Abkürzungen und Schatzkisten ihr selbst nach vielen Stunden noch stolpern werdet!
Selbst ist der Fuchs!
Ein weiterer Grund, weshalb man vieles erst spät (oder vielleicht gar nicht) entdeckt: Tunic lässt euch lange Zeit im Dunkeln darüber, wie es funktioniert und worum es überhaupt geht. Die Fantasywelt ist auf den ersten Blick unbewohnt, ihr findet nur ein paar Hinweisschilder, doch die meisten Texte darauf sind in unleserlichen Symbolen gehalten, die euch nicht weiterbringen. Nur selten tauchen auch lesbare Wortfetzen auf, die zumindest eine grobe Richtung vorgeben: Ihr müsst magische Glocken läuten, Schlüssel sammeln, ein Tor öffnen und irgendein altes Unheil besiegen – und wie man das alles anstellt, sollt ihr bitteschön selbst rausfinden. Tunic mag viele Stärken haben, doch die löchrige Story ist definitiv keine davon.
Anfangs seid ihr noch unbewaffnet, doch schon nach wenigen Minuten erhaltet ihr einen Stock und kurz darauf ein Schwert, mit dem ihr nicht nur Gegner, sondern auch Gräser und Gebüsche ummähen könnt. So legt ihr den nächsten Weg frei, entdeckt eine Höhle, die euch nun in einen kleinen Wald führt. Schon bald erhaltet ihr dort einen Schild, mit dem ihr euch Feinde vom Leib haltet und Geschosse abwehrt. Und vor allem lernt ihr, mit eurer knappen Ausdaueranzeige umzugehen: Nur wer im richtigen Moment blockt oder eine Ausweichrolle hinlegt, hat auf Dauer eine Chance gegen die ganzen Monster, Schwertkämpfer, Riesenspinnen, Untoten, Maschinen und Okkultisten, die euch aggressiv angreifen. (Spätestens hier wird auch deutlich, dass sich Tunic am besten mit dem Gamepad spielt, die Tastatursteuerung ist kaum zu gebrauchen.) Die Gegner sind zwar hundsdämlich, teilen aber kräftig aus und nehmen auch mal die Verfolgung auf. Haltet darum immer die Augen nach Schatzkisten offen, darin entdeckt ihr hin und wieder enorm wichtige Items, mit denen ihr eure Kampfkraft, Ausdauer und Abwehr dauerhaft steigern könnt. Wie genau das funktioniert, verrät euch das Spiel allerdings nicht einfach so, denn klassische Tutorials werdet ihr in Tunic weit und breit nicht finden.
Kryptische Hinweise
Stattdessen sammelt ihr unterwegs immer wieder Seiten aus einer Spielanleitung, die ihr Stück für Stück zusammensetzt und jederzeit im Pausenmenü studieren könnt. Das digitale Heftchen ist wunderschön im Stil alter Nintendo-Klassiker gestaltet und deckt von der Steuerung über nützliche Karten bis hin zu konkreten Rätseltipps eine ganze Menge ab. Grundsympathisch: Hier und da finden sich sogar Notizen, die aussehen, als hätte sie jemand mit dem Kugelschreiber direkt ins Heft gekritzelt. Je länger man spielt, je mehr Seiten man findet, desto mehr Zeit verbringt man mit der wertvollen Anleitung – obwohl sie im Grunde schon ein Rätsel für sich darstellt. Denn auch hier gibt's massenhaft Texte in kryptischer Symbolsprache, viele Notizen und Funktionen erschließen sich nicht mal auf den zweiten Blick. Ein Allheilmittel ist die Anleitung also nicht, schon allein weil ihr oft mit Features konfrontiert werdet, bevor ihr die passende Seite dazu gefunden habt. Ihr müsst also erst mal selbst rausfinden, was es damit auf sich hat.
So werdet ihr zum Beispiel früher oder später eine von 15 Münzen entdecken. Was man damit tun soll? Ausprobieren! Ab und zu erbeutet ihr auch spezielle Karten, die euch passive Eigenschaften verpassen. Doch welche Eigenschaften sind das genau? Bei manchen Karten wissen wir es immer noch nicht – und wir haben das Ding durchgespielt!
Sogar die Zelda-typischen Bomben, die wir schon früh im Spiel erhalten, haben uns überrascht: Tunic vermittelt uns nämlich zu keinem Zeitpunkt, dass man damit nicht nur Gegnergruppen wegputzen, sondern auch geheime Durchgänge freisprengen kann. Es gibt keine rissigen Wände, keine Hinweise auf brüchige Stellen, nichts, was man in so einem Spiel erwarten würde. Man muss es einfach ausprobieren. Ebenso schräg: Je mehr Bomben wir kaufen und verwenden, desto mehr bekommen wir danach vom Spiel geschenkt, sobald wir uns an einem Speicherpunkt ausruhen. Der Bombenvorrat wird auf diese Weise immer größer. Eine Begründung? Liefert das Spiel nicht.
Die magische Sanduhr, eines der nützlichsten Items im gesamten Spiel, ist sogar völlig optional: Wer die Welt nicht gründlich absucht und immer wieder daran denkt, die Perspektive mit der Schultertaste zu kippen, läuft vielleicht schnurstracks daran vorbei – dabei ist sie spätestens beim knüppelharten Endboss außerordentlich praktisch.
Erst einschüchternd, dann motivierend
Entwickler Shouldice genießt es offensichtlich, euch so wenig wie möglich zu erklären. Darauf muss man sich einlassen, sonst kann Tunic schnell eine frustrierende Erfahrung werden. Hat man sich aber erst mal an so manche Eigenheit gewöhnt, kann man auch wunderbar in dem Spiel versinken, das gilt besonders für das Erkunden: Euer Abenteuer führt euch durch eine zentrale, clever aufgebaute Oberwelt, über die ihr verschiedene Zonen und Dungeons erreicht, darunter Wälder und halb versunkene Tempel, eine Mine, Kanalisationen, eine Art unterirdische Fabrik oder einen Friedhof, den wir nur in Geistergestalt betreten können. Obwohl das verschachtelte Leveldesign anfangs einschüchternd wirken kann, ist die Welt tatsächlich überraschend kompakt geraten. Hat man dann noch ein paar Geheimgänge und Schnellreisepunkte entdeckt, findet man sich irgendwann mühelos zurecht. Das macht auch das Backtracking erträglich.
Der Umfang geht für den Preis von 28 Euro noch in Ordnung: Mindestens zehn Stunden solltet ihr einplanen, bis ihr den Endboss erreicht (von Besiegen hat da noch keiner was gesagt). Wer unterwegs auch viele Secrets entdecken und Rätsel knacken will, ist locker doppelt so lange beschäftigt. Wir haben selbst nach 25 Stunden noch nicht alles gesehen.
Manche Teile der Welt könnt ihr aber erst vollständig erkunden, wenn ihr bestimmte Ausrüstung gesammelt habt, darunter einen magischen Greifhaken, ein Zauberstab oder eine Gasmaske. Bevor nun jemand «Metroidvania!» ruft, müssen wir euch enttäuschen: Ihr findet insgesamt nur sehr wenige Items, teilweise ist das Zeug sogar völlig optional. Etwa in der Mitte des Spiels findet man beispielsweise eine Art Shotgun, die wir aber so gut wie nie benutzt haben. Das gilt auch für die Bosskämpfe, die euch am Ende der größeren Dungeons erwarten: Hier braucht ihr praktisch nie ein besonderes Werkzeug, sondern müsst euch vor allem auf blitzschnelle Reflexe, einen großen Bombenvorrat und eure knappen Heiltränke verlassen. Manche Bosse lassen sich ohne Stress niederknüppeln, andere dagegen haben es richtig in sich und dürften auch erfahrene Spieler auf die Probe stellen.
Besonders im letzten Drittel haben uns zwei Bossgefechte so richtig genervt, den finalen Kampf haben wir fast schon als unfair empfunden. Nach mehr als zwanzig Anläufen haben wir es zwar doch noch gepackt, allerdings nur mit massenhaft Heilgegenständen im Gepäck, für die wir uns das nötige Geld extra zusammengefarmt hatten. Den Schwierigkeitsgrad solltet ihr also nicht unterschätzen: Wo Dark-Souls-Fans vielleicht nur müde mit der Wimper zucken, könnten «Normalspieler», die ein gemütliches Indie-Zelda im Stil von Blossom Tales erwarten, öfter mal an ihre Frustgrenze stoßen.
Rätsel über Rätsel
Neben den Kämpfen sorgen auch die Rätsel zuverlässig für Kopfkratzen: Im späteren Spielverlauf lernen wir nämlich eine Art Magiesystem kennen, das komplett über das Steuerkreuz oder die Pfeiltasten bedient wird (im Spiel als «heiliges Kreuz» beschrieben). Oben, unten, rechts, rechts, links, oben, unten, links – solche Tastenkombinationen sind überall in der Spielwelt versteckt, an Wänden, in Kacheln am Boden, selbst ein paar Blumen oder die Flügel einer Windmühle können einen Code enthalten. Teilweise werdet ihr erst nach vielen Stunden merken, dass ihr schon zigfach an so einem Secret vorbeigestiefelt seid. Manche Aufgaben kapiert man sofort, für andere muss man auch mal um die Ecke denken. Umso motivierender dann der Moment, wenn man auf die Lösung kommt!
Die Zauber öffnen geheime Pforten, lassen Schatztruhen erscheinen oder machen den Weg zu versteckten Kammern frei. Ein besonderer Suchzauber führt uns gegen Ende außerdem zu verborgenen Feen, die wir brauchen, um die wichtige Anleitung abzuschließen. Das macht tatsächlich Spaß und sorgt dafür, dass wir die Welt noch einmal gründlich nach Geheimnissen absuchen. (Kleiner Tipp: Zettel und Stift bereit halten!) Allerdings nervt das Magiesystem auch auf Dauer, vor allem, wenn unsere Eingaben nicht richtig erkannt werden. Warum, kann man leider nur raten. Es gibt auch keine Möglichkeit, bereits bekannte Zauber oder Kombinationen abzuspeichern, damit man sie schnell griffbereit hat. Das wäre sicher eleganter gegangen.
Schwächen im Detail
Ebenfalls fragwürdig: Wenn ihr das Inventar öffnet, wird das Spielgeschehen nicht angehalten, Gegner können euch also ungehindert angreifen. Das ist vor allem deshalb ärgerlich, weil ihr nur drei Aktionstasten mit Waffen, Ausrüstung oder Verbrauchsgegenständen belegen könnt. Da ein Slot aber praktisch immer mit dem Schwert belegt ist, bleiben nur zwei Plätze übrig. Bis ihr da den dringend nötigen Manabooster oder die Eisbombe aus dem Rucksack gefischt habt, ist euch ein Boss vielleicht schon längst auf die Pelle gerückt. Eine bequeme Schnellzugriffsleiste oder zumindest ein optionaler Zeitlupeneffekt hätte hier Frust abfangen können. Im Optionsmenü finden sich aber nur ein paar lieblose Cheats, mit denen man beispielsweise den Ausdauerverbrauch abschalten kann. Ein zweiter, «normaler» Schwierigkeitsgrad wäre uns allerdings deutlich lieber gewesen.
Technisch lief Tunic in unserer PC-Testversion meistens rund und sehr flüssig, allerdings haben wir hier und da ein paar Bugs in der Levelgeometrie entdeckt. So sind wir im Minengebiet beispielsweise prompt durch den Boden gerutscht und in den Tod gestürzt, als wir uns hinter einem Hügel umgesehen haben. Mit einem besonderen Upgrade, das man erst kurz vor Ende erhält, kann euer Fuchs außerdem blitzschnell durch die Spielwelt dashen – das ist zwar überaus praktisch, allerdings kann es hier und da auch mal vorkommen, dass man dabei durch Wände clippt oder an einem Ort landet, wo man eigentlich gar nicht hin sollte. Das ist zwar nicht weltbewegend, fühlt sich aber noch etwas unsauber an.
Die niedliche Fassade täuscht: Tunic richtet sich nicht an Einsteiger!
Tunic hat es mir nicht leicht gemacht: Die bestenfalls undeutlichen Hinweise, die kniffligen Kämpfe und die vielen Momente, in denen ich wirklich überlegt habe, was das Spiel eigentlich von mir will, haben mich anfangs eingeschüchtert. Doch nach einer Weile ist der Funke dann doch noch übergesprungen und ich konnte es kaum noch aus der Hand legen: Tunic trägt sein kryptisches Konzept für meinen Geschmack ein bisschen zu stolz vor sich her, doch wer sich darauf einlässt, wird auch mit einem stimmungsvollen, fordernden und erstaunlich motivierenden Abenteuer belohnt, das man sich nach und nach selbst entschlüsselt. Vor allem Entdecker und Rätselfreunde, die jeden Stein in einer Spielwelt umdrehen wollen, kommen dabei auf ihre Kosten. Wer aber eine solide Story erwartet und bei kniffligen Bossen schnell das Handtuch wirft, sollte besser einen großen Bogen um das Spiel machen. Mein Tipp für alle, die eher ein klassischeres Zelda-Erlebnis suchen: Greift lieber zu Blossom Tales oder Ocean's Heart. Wenn ihr aber ein Spiel wollt, das euch zur Abwechslung mal nicht alles vorkaut, dann ist Tunic das richtige Indie-Abenteuer für euch.
Tunic ist für Xbox Series S/X, Xbox One und PC erhältlich, der Preis liegt bei 28 Euro. Entgegen früherer Meldungen ist Tunic außerdem schon zum Launch im Xbox Game Pass enthalten. Zum Test lag uns allerdings nur die PC-Fassung vor, die Konsolenversion war laut Entwickler noch nicht ganz final. Wir werden die Xbox-Wertung in Kürze ergänzen. Die PC-Fassung von Tunic ist über Steam, Epic Games, GOG und Humble Store erhältlich. Sprachausgabe gibt es nicht, die (lesbaren) Texte sind aber wahlweise auf Deutsch.
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