Meinung
Deluxe-Editionen sind etwas vom Nervigsten, was es in der Gaming-Welt gibt
von Domagoj Belancic
«Like a Dragon: Infinite Wealth» ist das durchgeknallteste Game, das ich je gespielt habe. Der verrückte Rollenspiel-Mix vereint unzählige Spielkonzepte in einem chaotischen Meisterwerk. Empfehlen kann ich das Game trotzdem nur bedingt.
Ich kann immer noch nicht in Worte fassen, wie ich mich nach dem Ende des Mega-Rollenspiels «Like a Dragon: Infinite Wealth» fühle. Überwältigt trifft es vielleicht am besten.
In rund 70 Stunden Spielzeit habe ich im virtuellen Hawaii zahllose Yakuza-Schergen vermöbelt, meine eigene Ferieninsel à la «Animal Crossing» designt und bin in einem «Pokémon»-Minispiel zum Meistertrainer avanciert. Zum Schluss der Story hatte ich Tränen in den Augen. Was für eine wilde Achterbahnfahrt. Was für ein Spiel.
«Infinite Wealth» ist der achte Teil der japanischen Spielreihe «Like a Dragon» (ehemals «Yakuza»). Ich schlüpfe in die Rolle des Ex-Yakuza Ichiban Kasuga, der schon in Teil Sieben der Protagonist war. Nachdem er in Yokohama sein Unwesen getrieben hat, verschlägt es den sympathischen Helden mit schrecklicher Stromschlag-Frisur nach Honolulu. Dort muss er seine totgeglaubte Mutter aus den Fängen einer hawaiianischen Verbrecherorganisation befreien.
Unterstützt wird Ichiban von seinen treuen Freunden, die ihn schon im siebten Teil begleitet haben. Neu dabei ist ein weiterer Ex-Yakuza: Kazuma Kiryu. Der legendäre «Drache von Dojima» war der Protagonist der ersten sechs Games, bevor Ichiban im siebten Teil übernommen hat. So richtig viel Power hat die einstige Kampfmaschine aber nicht mehr. Kiryu ist an Krebs erkrankt und hat laut eigenen Aussagen nur noch wenige Monate zu leben.
Alle bisherigen «Like a Dragon»-Games haben in japanischen Grossstädten gespielt. Mit Honolulu wagt sich Entwicklerstudio RGG erstmals an ein amerikanisches Setting. Es ist die bisher grösste Open World, die das Studio umgesetzt hat. Grafisch setzt das Game keine neuen Massstäbe – unter anderem auch, weil es immer noch für Last-Gen-Konsolen erscheint. Trotz technischer Limitationen ist die Spielwelt rund um den berühmten Waikiki Beach mit viel Liebe zum Detail umgesetzt. Wer schon mal dort war, wird unzählige Sehenswürdigkeiten und Shops wiedererkennen.
Schade ist, dass sich das virtuelle Honolulu trotz hohem Wiedererkennungswert nicht sehr amerikanisch, beziehungsweise hawaiianisch anfühlt. Das liegt unter anderem daran, dass fast alle Menschen, die Ichiban auf seinem Abenteuer trifft, fliessend Japanisch können. Trotz tropischer Kulisse habe ich so das Gefühl, in einer japanischen Stadt aus einem der Vorgängerspiele zu sein.
Auf seiner Rettungsmission muss sich Ichiban durch unzählige hawaiianische Gangster-Mobs prügeln. Ständig werden er und seine Freunde auf den Strassen Honolulus angepöbelt und in Kämpfe verwickelt. Das RPG-Kampfsystem in «Infinite Wealth» ist, wie schon im Vorgänger, rundenbasiert.
Mit einer grossen Änderung: Neu kann ich die Partymitglieder vor einem Angriff innerhalb eines bestimmten Bereichs frei bewegen. Das ist ein echter Game-Changer und gibt der rundenbasierten Spielweise viel mehr strategische Tiefe. Kiryu erlernt gar eine Spezialfähigkeit, mit der er sich für kurze Zeit komplett frei auf dem Spielfeld bewegt und Feinde in Echtzeit vermöbelt – so wie in den alten «Yakuza»-Games.
Mit der richtigen Positionierung erhöhe ich den Angriffsschaden, treffe mehrere Gegner gleichzeitig oder nutze herumliegende Objekte als Waffen. Auch verheerende Kombinationsangriffe mit Teammitgliedern sind so möglich. Mit einer einzelnen Attacke können Gegner durch Folgeangriffe der restlichen Teammitglieder so richtig schön durchgenudelt werden. Zusätzlich aufgelockert wird die Statik des rundenbasierten Gameplays mit Quick-Time-Events im Angriff und in der Verteidigung.
Klassische RPG-Jobs wie Magier, Barde oder Krieger suche ich in «Infinite Wealth» vergeblich. Stattdessen bilde ich meine Partymitglieder zu hawaiianischen Feuertänzern, Surfern oder Escorts aus. Das Job-System ist flexibel und motiviert zum Herumexperimentieren – nicht zuletzt, weil das Aufleveln und Freischalten neuer Job-Fähigkeiten jeweils sehr schnell passiert.
Insgesamt ist das Kampfsystem nicht hochkomplex, bietet aber mit den vielen verschiedenen Attacken und dem freien Positionieren der Spielfiguren genug Tiefe und Abwechslung. Zudem punktet es mit einer extrem unterhaltenden Inszenierung. Weil Ichiban in seiner Jugend ein riesiger Nerd war und zu viel «Final Fantasy» gespielt hat, halluziniert er während der Kämpfe. Normale Prügeleien gegen hawaiianische Gangster werden so oft zu fantasievollen RPG-Schlachten gegen magische Monster. Immer wieder sitze ich laut lachend vor dem TV, weil ich nicht glauben kann, was für absurde Gegner oder unglaublich alberne Spezialangriffe ich gerade miterleben durfte. Ganz grosses Kino!
Die «Like a Dragon»-Games sind bekannt für ihre Fülle an verrückten Nebenmissionen und Minispielen. «Infinite Wealth» setzt neue Massstäbe für die Serie.
Im Verlauf des Spiels probiere ich eine dubiose Dating-App als Beta-Tester aus, düse als Fast-Food-Lieferant in einem «Crazy Taxi»-Minispiel durch Honolulu oder spiele als Stuntman in einem Actionfilm mit. Die Nebenmissionen überzeugen durch ihren absurden Humor und unerwartete Spielmechaniken. Besonders beeindruckt haben mich zwei Sidequests.
Das «Sujimon»-Minispiel ist eine überraschend komplexe «Pokémon»-Parodie. Statt der süssen Taschenmonster fange ich in «Infinite Wealth» muskelbepackte Sträflinge und fülle so meinen «Sujidex». Ich stelle mir ein Team aus Monstern Sträflingen zusammen und trete in einer dubiosen Sujimon-Liga gegen andere Trainer und Arenaleiter an. Ja, richtig gelesen. Ich fange Menschen und kämpfe mit ihnen.
Für die Sujimon-Duelle hat sich das Entwicklerstudio ein separates rundenbasiertes 3v3-Kampfsystem ausgedacht, das an klassische Pokémon-Kämpfe erinnert. Ja, sogar «legendäre» Sujimon und an «Pokémon Go» angelehnte Raids haben es in das Game geschafft. Unglaublich. Wie viel in der Sujimon-Questline der Realität entspricht und wie viel der alte RPG-Nerd Ichiban halluziniert, sei dahingestellt.
Noch eindrucksvoller ist das «Dondoko Island»-Minispiel. In dieser Questline muss ich eine zugemüllte Insel in ein Fünf-Sterne-Luxusresort verwandeln. Ganz im Stile von «Animal Crossing» sammelt Ichiban auf der Insel natürliche Ressourcen, um diese in seiner Werkstatt zu Möbelstücken und sogar zu ganzen Häusern zu verarbeiten. Wahlweise zwinge ich meine gefangenen Sujimon dazu, die Ressourcen für mich abzubauen. Je mehr Unterkünfte, Häuser und Attraktionen ich baue, desto mehr gut zahlende Besucher locke ich auf die Insel.
Was als gemütliche «Animal Crossing»-Parodie anfängt, endet in einem Freizeitpark-Simulator. Ständig muss ich neue Gebiete der Insel entmüllen, Attraktionen bauen, Werbespots für das Resort schalten und mich um das Wohlbefinden der Gäste kümmern. Nebenbei verprügle ich in Echtzeitkämpfen fiese Piraten, die ihre Abfälle auf der Insel lagern. Dondoko Island ist ein beeindruckendes Spiel-im-Spiel, in dem man sich komplett verlieren und unzählige Stunden verbringen kann.
Schade ist, dass Publisher Sega einige Inhalte und Spielmechaniken hinter teureren Versionen des Spiels versteckt. Entscheidest du dich für die teuerste «Ultimate»-Edition, erhältst du Zugang zu zusätzlichen Items und Ressourcen, die das Tempo der teils Grind-lastigen Minispiele deutlich erhöhen. Ja, sogar für den New-Game-Plus-Modus und einige Achievements musst du mehr zahlen. Eine unschöne Geschäftspraktik.
Beeindruckend ist, dass es das Game schafft, mich auch nach unzähligen Spielstunden mit neuen Ideen zu überraschen. Etwa in der Hälfte der Story eröffnet sich mit Yokohama eine zusätzliche Spielwelt, die ich frei erkunden kann – inklusive einem Haufen neuer Missionen und Nebenaktivitäten. Dies, weil Kiryu aus gesundheitlichen Gründen Ichibans Truppe in Hawaii verlassen und nach Japan zurückkehren muss.
Fortan wird die Story in beiden Städten parallel vorangetrieben. Kiryus Teil der Geschichte ist dabei besonders emotional. Die einst unbesiegbare Kampfmaschine muss sich aufgrund seiner tödlichen Krankheit der eigenen Sterblichkeit stellen und möchte Frieden mit seiner gewalttätigen Yakuza-Vergangenheit schliessen. Auf seiner Abschiedstournee wird er wider Willen in eine riesige Verschwörung verwickelt, die mit Ichibans Rettungsmission auf Hawaii zusammenhängt. Es ist ein würdiges und hochemotionales Ende für die Geschichte einer der legendärsten Videospielcharaktere aller Zeiten.
Diese Mischung aus ernsten Handlungssträngen und absolut absurden Inhalten macht die «Like a Dragon»-Serie aus. «Infinite Wealth» hat keine Angst davor, ein albernes Videospiel zu sein und schafft es trotzdem, eine hochemotionale und spannende Story zu erzählen.
Das liegt vor allem an den hervorragend geschriebenen Charakteren. Einige Protagonisten aus «Infinite Wealth» kenne ich schon durch die alten Spiele. Andere lerne ich im Verlauf des Abenteuers in Zwischensequenzen, Minispielen und beiläufigen Konversationen immer besser kennen. Trotz übertriebenem Videospiel-Kontext fühlen sich Ichiban, Kiryu und ihre Freunde wie echte Menschen mit Hoffnungen, Ängsten und Träumen an. Ich fiebere mit ihnen mit und bin am Boden zerstört, wenn ihnen etwas Schlimmes zustösst.
An dieser Stelle noch eine Warnung: Auch wenn sich das Game redlich Mühe gibt, die unzähligen Charaktere und die komplexe Story auch für Neueinsteiger zugänglich zu machen, empfehle ich «Infinite Wealth» nicht als Einstieg in die Serie. Ohne das Vorwissen der Vorgängerspiele wirst du dich nur schwer in der Flut an Spielmechaniken, Charakteren und Handlungssträngen zurechtfinden. Insbesondere Kiryus emotionale Geschichte wird dich nicht so hart treffen, wenn du seinen Leidensweg aus den vergangenen Spielen nicht kennst.
Infinite Wealth ist ein chaotisches Meisterwerk. Das Spiel zelebriert seine Albernheit und lässt mich in seiner farbenfrohen offenen Welt einfach Spass haben. Das überarbeitete Kampfsystem bietet zusätzliche strategische Tiefe und eine höchst unterhaltsame, überdrehte Präsentation. Die Nebenaktivitäten gehören zu den bisher besten der Serie. Vor allem in den fesselnden «Sujimon» und «Dondoko Island»-Minispielen kann man sich völlig verlieren und unzählige Stunden darin investieren.
Trotz seiner Albernheit schafft es Infinite Wealth, glaubwürdige Charaktere zu etablieren und grosse Emotionen auszulösen. Vor allem Kiryus rührende Geschichte wird langjährigen Fans die Tränen in die Augen treiben. Neulinge werden von den unzähligen Charakteren, Handlungssträngen und Spielmechaniken schnell überwältigt sein. Wer in die «Like a Dragon»-Reihe einsteigen will, dem empfehle ich, mit einem älteren Teil zu beginnen und sich dieses wilde Kunstwerk als krönenden Abschluss aufzuheben.
«Like a Dragon: Infinite Wealth» erscheint am 26.01. für PS5, PS4, Xbox Series X/S, Xbox One und PC. Die PS5-Version wurde mir zu Testzwecken von Plaion zur Verfügung gestellt.
Titelbild: SegaMeine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.