Die Polizei hat die besten Koksnasen
Ecstasy, Meth und Koks erschnüffeln, Geld und vermisste Personen aufspüren: Die Diensthündinnen Anora und Diara der Kantonspolizei Zürich zeigen, wie sie alles und jeden finden.
Es ist still. Nur ein abwechselndes «Zip Zäh!» einer Kohlmeise schallt aus dem Wald oberhalb des Diensthundezentrums Dübendorf. Kaum zu glauben, dass auf dem fast zwei Fussballfelder grossen Areal ein Sechstel aller 610 Schweizer Polizeihunde ausgebildet werden. 33 waren es letztes Jahr. Und die geben keinen Mucks von sich?
«Die meisten sind im Einsatz, beim Training oder zu Hause. Sie sind ja auch Familienhunde», meint Jörg Guggisberg, der mich begrüsst. Der 52-jährige Chef des Diensthundewesens der Kantonspolizei Zürich hat seine eigenen Hündinnen dabei: die Drogen-, Geldspür- sowie Kriminalistische Ermittlungshündin Anora und die Personenspürhündin Diara. Mit den beiden haben wir Grosses vor: Sie sollen Drogen, Geldnoten und eine vermisste Person erschnüffeln.
Let the dogs out
Langsam nähern wir uns einem weissen Kastenwagen, in dem die Hündinnen warten. Wie auf Kommando setzt ein lautes Gebell ein. Ich rechne schon mit einem imposanten Dobermann, als Guggisberg die Hintertür und die Hundebox öffnet. Doch wer mir entgegenspringt, löst eher einen Jö-Effekt aus. Ein zotteliger Grosser Münsterländer begrüsst mich freudig schwänzelnd: die vierjährige Anora.
Ihr unscheinbares Äusseres wird gleich auf die Probe gestellt. Hinter dem Gebäude wartet ein schwarzer Kastenwagen, in dem Jörg Guggisberg Drogen versteckt hat. Diese soll Anora finden. Wie ein junges Reh hüpft sie neben ihm her. «Sie ist mit Abstand der temperamentvollste Hund, den ich je hatte», sagt er lachend. Dann fügt er ernst an: «Bis sie an die Arbeit geht.» Als er Anora ihr neon-oranges Drogen- und Geld-Halsband überzieht, verebbt ihre Übermütigkeit sofort. Sie weiss: Jetzt geht's ans Werk.
Ein Fahrzeug voller Drogen
Anoras Konzentration bündelt sich auf ein einziges Ziel: die Drogen im Fahrzeug. «Such!», gibt ihr Besitzer das Startsignal. Wie ein Pfeil schiesst die Hündin los. Systematisch beginnt sie, den Kastenwagen rundherum abzuschnüffeln. Das nennt sich freie Suche, sprich eine Suche ohne Hinweis. Keine zehn Sekunden dauert es, bis die Hündin beim Hinterrad auf den Boden liegt und verharrt. Das ist das Zeichen: Sie hat das verkapselte Ecstasy gefunden. «Fein!», sagt Guggisberg mit sanfter Stimme und steckt ihr ein Leckerli zu.
Die Suche beginnt erneut. Schnell tastet sich Anora mit ihrer Nase zum Fussraum des Fahrzeugs vor. Wieder hält sie inne: Hier liegt das Crystal Meth versteckt.
Nach einer Belohnung geht es weiter. Diesmal mit der kontrollierten Suche. Guggisberg zückt einen Stab mit einem kleinen, farbigen Knubbel am Ende. Mit ihm zeigt er an, wo die Hündin suchen soll: unter der geöffneten Motorhaube. Als er darauf tippt, springt Anora auf den Motor.
Nicht ganz einfach, sich darauf zu halten. Mit den Pfoten gleicht die Hündin die Balance immer wieder aus. «Das hat sie auf dem Trainingsgelände gelernt», erklärt ihr Besitzer und zeigt auf eine grosse Wiese hinter sich. Dort überqueren die Diensthunde in der Ausbildung Hindernisse wie durchsichtige Gitter oder wackelige Untergründe. Auf der Leiter eines Holzhäuschens gewöhnen sie sich daran, getragen oder in ein Fenster gehievt zu werden.
Ausbildung mit klaren Signalen
Anora ist mittlerweile fündig geworden: Eingeklemmt zwischen Batterie und Bremsflüssigkeit, zeigt sie das Kokain an. Zeit für eine Pause. Schliesslich war das aus Sicht der Hündin keine Übung. Es war ein richtiger Einsatz. Der klimatisierte Kastenwagen wartet bereits auf sie.
Als wir davor stehen, weist Jörg Guggisberg Anora nur mit dem Finger an, sich hinzusetzen. Ich bin erstaunt über die ruhige und reduzierte Kommunikation. «Ein harter Ton ist nicht nötig. Wichtig sind klare Kommandos. Wer uneindeutige und inkonsequente Signale gibt und die ganze Zeit plappert, dem hört der Hund bald nicht mehr zu», sagt er und ergänzt schmunzelnd: «Mir geht's ja ähnlich.»
Guggisberg hat bisher schon fünf eigene Diensthunde ausgebildet. Diese sind bei der Polizei in zwei Gruppen unterteilt: Schutzhunde werden vor allem in unfriedlichen Situationen und im Personen- und Objektschutz eingesetzt. Zum Beispiel patrouillieren sie für das Weltwirtschaftsforum WEF am Flughafen. Spürhunde sind im Einsatz, um Betäubungsmittel, Notengeld, Sprengstoff, Brandmittel, Datenträger oder vermisste Personen zu finden. Ausserdem sind sie als Kriminalistische Ermittlungshunde unterwegs, zum Beispiel, um an vermeintlichen Tatorten Blut- oder Spermaspuren, aber auch tote Personen, aufzuspüren.
Wenn die Hunde zehn Wochen alt sind, holt sie Guggisberg aus zertifizierten Zuchten, mit denen die Polizei zusammenarbeitet. «Bei der Auswahl achte ich vor allem darauf, dass sie sozialverträglich sind und über eine grosse Arbeitsbereitschaft verfügen», erklärt er. Konkret heisst das, sie müssen aufmerksam sein, sich konzentrieren können und sich offen und selbstbewusst in ihrer Umgebung bewegen. Auch Verspieltheit sei von Vorteil. «So können sie sich leichter für Trainings begeistern, wie Anora», meint er lachend.
Nach ein, zwei Wochen Eingewöhnungszeit zu Hause macht Guggisberg die Junghunde mit verschiedenen Umweltreizen vertraut. «Wir fahren Zug, Bus, besuchen Menschenansammlungen und laute Orte. Die Hunde lernen, ruhig zu bleiben und sich nicht ablenken oder erschrecken zu lassen. Dann kommen Gehorsam- und Suchspiele dazu, die wir immer weiter ausbauen.» Spezifische Gerüche wie Drogen trainieren die Tiere mit echten Proben. Mit rund zweijährig ist der Spürhund fertig ausgebildet.
Mich nimmt wunder, ob gewisse Hunde die Ausbildung auch abbrechen müssen oder suspendiert werden. Das komme ganz selten vor, sagt Guggisberg. «Wir bewegen uns pro Jahr im tiefen einstelligen Prozentbereich.» Meist sei der Grund der Mensch. Zum Beispiel, weil ein Familienmitglied eine Hundeallergie bekomme oder der Polizist oder die Polizistin überlastet sei. Dass der Hund die Leistung nicht bringe, sei so gut wie nie der Fall. Dafür sorgen auch jährliche Prüfungen.
Auf der Spur des Geldes
Zehn Minuten später. Anora hat eine Gassirunde hinter sich und steht in der Kommandozentrale bereit für den nächsten Einsatz. Hier hat Guggisberg Geldnoten versteckt. In der Realität geht es dabei meist um Wirtschaftsdelikte. «Such!», schickt er Anora los.
Die Hündin beginnt den Raum systematisch abzuschnüffeln. Immer wieder hält sie die Nase in die Luft, um die Witterung aufzunehmen. Trainiert hat sie dies ähnlich wie bei den Drogen. Sie wurde auf einen spezifischen Geruch konditioniert. «Die extrahierten Grundstoffe aus dem Notengeld hat uns die Nationalbank bereitgestellt. Ähnlich funktioniert das auch bei Datenträgern wie Smartphones. Dort erhalten wir die einzelnen Stoffe aus den Speichermedien von der ETH Zürich», erklärt Guggisberg. Anora ist bereits wieder fündig geworden. Unter der Wandtafel hält sie inne. Guggisberg zieht ein Bündel Geldnoten hervor und lobt sie.
Nach wenigen Sekunden steuert die Hündin einen kleinen Schrank an. Er ist verschlossen, aber irgendetwas scheint sie gewittert zu haben. Guggisberg zieht die Schiebetür auf. Anora schnüffelt weiter. Bei einer kleineren Kartonschachtel ganz zuhinterst zeigt sie einen Fund an. Ich spüre der Hündin förmlich an, dass sie den Behälter am liebsten sofort aufreissen würde. Doch sie verharrt.
Guggisberg zieht die Schachtel hervor, öffnet sie, klappt sie auseinander, dann erneut und nochmals und zieht zwischen zwei Kartonschichten das Geld hervor. Unglaublich, wie gut die Spürhundenase funktioniert. «Etwa tausendmal besser als unsere», meint der Hundeführer und lobt Anora. Nun darf sie in die wohlverdiente Mittagspause.
Eine Person wird vermisst
Schichtwechsel. Während es sich Anora in der Hundebox gemütlich macht, holt Jörg Guggisberg Diara aus dem Auto: eine siebenjährige, schwarz-braune Brandlbracke. Jetzt braucht er nur noch eine vermisste Person. Roger Eckert vom Diensthundezentrum stellt sich zur Verfügung. «Gibst du mir ein Kleidungsstück?», bittet ihn Guggisberg. Eckert streckt ihm seine Mütze entgegen. Diese verpackt der Hundeführer in einen Plastikbeutel und verschliesst ihn sofort wieder. Der Geruch darin soll hoch konzentriert bleiben.
Hoch konzentriert scheint auch Diara zu sein. Als ihr das Suchhund-Geschirr übergestülpt wird, beginnen ihre Hinterbeine zu zittern. «Ist die Polizeiarbeit hundgerecht?», stelle ich die ketzerische Frage. «Auf jeden Fall», entgegnet Guggisberg. «Das Zittern ist kein Hinweis darauf, dass sie überfordert ist oder Angst hat. Hunde ihrer Rasse wollen arbeiten. In den Ferien verstecke ich sogar manchmal meine Frau, um Diaras Bedürfnis nach Beschäftigung zu stillen. Sie brennt darauf, endlich mit der Suche zu beginnen.» Dann also los.
Jörg Guggisberg öffnet den Beutel mit der Mütze und zieht ihn über Diaras Schnauze. Ihre Augen weiten sich, die Nasenflügel flattern. Ein paar Sekunden bleiben die beiden so stehen. «Die Personensuche ist die schwierigste aller Aufgaben von Suchhunden. Wir können sie ja nicht auf einen spezifischen Geruch konditionieren, weil die vermisste Person immer eine andere ist. Da hilft nur üben, üben, üben.»
Endlich erhält Diara das Startsignal. Die kleine Hündin prescht los. Die Nase abwechslungsweise am Boden haftend und in die Luft gestreckt, zieht sie den Hundeführer im Eiltempo den Waldweg hoch. Ich kann kaum Schritt halten. «Das geht teilweise kilometerweit so. Da musst du ziemlich fit sein», ruft Guggisberg über die Schulter. Das glaube ich sofort. Als wir uns einer Scheiterbeige auf einer kleinen Anhöhe nähern, zieht Diara das Tempo nochmals an. Sie biegt vom Weg ab und tatsächlich: Hinter dem aufgeschichteten Holz sitzt Roger Eckert. Tiara bleibt ruhig vor ihm stehen.
Aufspüren von Kriminellen und Gefährdeten
Was wäre, wenn Roger Eckert ein Krimineller wäre, der gefasst werden müsste? Würde Diara zubeissen? «Nein, das ist oft die falsche Vorstellung», sagt Jörg Guggisberg. «Ein Diensthund würde die Person mit seinem Fang an den Beinen oder am Oberkörper festhalten. Das gibt wahrscheinlich ein paar Druckstellen.» «Und wenn sich die Person wehrt?», will ich wissen. «Dann verstärkt der Hund den Griff. Auf Befehl des Polizisten oder der Polizistin lässt er ihn sofort wieder los. Das Ziel sind möglichst keine Verletzungen.»
So wie Roger Eckert hat Diara bereits manche Personen aufgespürt – und sogar schon Leben gerettet. Zum Beispiel das eines 94-jährigen Mannes, der von einem Spaziergang nicht zurückgekehrt war. Nachdem die Hündin an seinem Unterhemd geschnuppert hatte, zog sie den Hundeführer einen steilen Weg hoch. «Alle dachten, da wäre der Mann ganz bestimmt nicht. Letztlich fanden wir ihn abgestürzt in einem Dornengebüsch. Hätten wir ihn nicht gefunden, wäre er wohl erfroren.»
Auch an diesem Tag hat Diara wieder hervorragende Arbeit geleistet. Zeit für eine Wertschätzung des Chefs: Guggisberg befreit sie aus dem Hundegeschirr und steckt ihr ein Spielzeug zu. «Das reicht als Belohnung?», frage ich ungläubig. «In erster Linie ist ihr das Futter am wichtigsten. Nach getaner Arbeit fährt sie aber auch total auf ihre Spielsachen ab», sagt der Hundeführer lachend. Diara quittiert die Äusserung mit einem Schnauben und schüttelt die letzten Geruchspartikel der Mütze aus ihrer Nase. Dann tollt sie mit ihrem Spielzeug über den Waldweg in Richtung Hundebox. Es lebe der Dienstschluss!
Ich mag alles, was vier Beine oder Wurzeln hat. Zwischen Buchseiten blicke ich in menschliche Abgründe – und an Berge äusserst ungern: Die verdecken nur die Aussicht aufs Meer. Frische Luft gibt's auch auf Leuchttürmen.