Hintergrund

Lärmgeplagte Nachbarn: Unser Hahn darf jetzt woanders krähen

Patrick Vogt
25/1/2024

Unser zweiter Versuch mit einem Hahn im Korb ist schon wieder vorbei. Wir haben Henry ausgebrütet, von Hand aufgezogen ... und schliesslich schweren Herzens weggegeben. Einigen Nachbarn hat er längst nicht so viel Freude bereitet wie uns.

Wir wohnen im Zürcher Oberland, irgendwo zwischen Uster und Wetzikon. Dort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, mögen manche spötteln. Es ist auf jeden Fall ländlich hier. Was mit ein Grund ist, dass wir uns vor einigen Jahren Hühner zugelegt haben.

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    von Patrick Vogt

Als ich diesen Beitrag schrieb, hatten wir mit Travis noch einen Hahn im Korb. Schon bald darauf nicht mehr. Weil er während Freigängen wiederholt unsere damals dreieinhalbjährige Tochter angegriffen hatte, brachten wir Travis zurück zum Pferdehof OHA in Fällanden, wo er hergekommen war. Seit neuestem ist dort auch Henry, sein späterer Nachfolger. Freiwillig hätten wir ihn nicht weggegeben, ist er doch bei uns gewesen, noch bevor er ein Küken war.

Im Sommer 2023 war der Güggel noch leise und unsere Welt in Ordnung.
Im Sommer 2023 war der Güggel noch leise und unsere Welt in Ordnung.
Quelle: Sofia Vogt

Der Hahnenschrei

«Kikeriki!» Den charakteristischen Krähruf eines Hahns kennen alle. Mit einem Schalldruckpegel von rund 130 Dezibel geht er durch Mark und Bein. Für das menschliche Ohr ist das je nach Distanz so laut wie ein startender Düsenjet oder ein Presslufthammer. Zur Verdeutlichung: Ab 80 Dezibel spricht die Wissenschaft von Lärm, bei etwa 120 Dezibel kommen wir an unsere Schmerzgrenze. Dass ein Hahn ob seines eigenen Krähens nicht taub wird, hat er laut einer Studie seiner Anatomie zu verdanken.

Der Chef auf dem Hof

Warum krähen Hähne überhaupt? Sicher nicht, um uns freundlicherweise den Wecker zu ersetzen, das ist nur ein Nebeneffekt. Tatsächlich war es ursprünglich der Balzruf des Hahns. Nur hat sich dieser Zweck mit der Domestizierung des Haushuhns schon lange erledigt. Heute will der Gockel den Hennen und allen anderen damit imponieren, den starken Kerl markieren und deutlich machen, wer aus seiner Sicht der Chef ist. Deshalb krähen Hähne auch tagsüber immer mal wieder und nicht nur bei Tagesanbruch, wie viele denken.

Dass Hähne erst zu krähen beginnen, wenn die Sonne aufgeht, haben japanische Forschende übrigens widerlegt. 2013 zeigten sie in einer Studie auf, dass ein Hahn mit seinem Ruf einer inneren Uhr folgt und nicht dem Tageslicht. Der erste Hahnenschrei kann also gut und gerne ertönen, wenn es noch dunkel ist. Und genau das ist unserem Henry zum Verhängnis geworden.

Aus dem Bibeli ist ein ganz schön eitler Geck, ich meine Gockel geworden.
Aus dem Bibeli ist ein ganz schön eitler Geck, ich meine Gockel geworden.
Quelle: Sofia Vogt

Die Reklamation

Es war an einem Mittwochnachmittag, als es an der Haustür klingelte. «Sicher der Paketbote», dachte ich und ging erwartungsfroh nachschauen. Stattdessen traf ich einen Mann an, den ich bislang nur vom Sehen kannte. Ob uns der Güggel gehöre, wollte er wissen. Der krähe teilweise schon um sechs Uhr in der Früh und das sei Ruhestörung. Er komme im Auftrag von vier Wohnparteien eines benachbarten Mehrfamilienhauses und gehe als nächstes zur Gemeinde wegen dieser Angelegenheit. Um das an dieser Stelle deutlich festzuhalten: So deutlich seine Ansage war, so freundlich blieb er dabei. Fair enough. Ich versprach ihm, dass wir uns baldmöglichst darum kümmern würden.

Sechs Uhr, kann das wirklich sein?! So früh hatten bislang weder meine Frau noch ich unseren Hahn gehört. Was bei mir wohl daran liegt, dass ich um diese Uhrzeit normalerweise schon unterwegs oder noch am schlafen bin. Einige Tage später hörte ich ihn dann doch mit meinen eigenen Ohren schon sehr früh, und zwar durch die verschlossene Stalltür. Es war kurz nach sechs Uhr.

Die Konsequenz

Das Versprechen gegenüber dem Beschwerdeführer habe ich gehalten, in der Nachbarschaft ist wieder Ruhe eingekehrt, im wahrsten Sinne des Wortes. Der Gang zur Gemeinde blieb ihm und uns erspart. Gockel Henry ist jetzt wieder dort, wo er als Ei herkam. Dort kann er krähen, wann immer und wie oft er mag.

Der Abschied ist uns nicht leichtgefallen. Als wir unserer fünfjährigen Tochter erklärten, dass wir Henry weggeben, hat sie geweint. Auch meiner Frau und mir wurde das Herz schwer. Schliesslich war Henry quasi schon vor Tag 1 ein Teil von uns, wir haben ihn ausgebrütet und von Hand aufgezogen. Zu unserem Leidwesen und zum Wohle aller anderen war des Gockels Umplatzierung dennoch die beste und schnellste Lösung. Es gefällt uns, wo wir wohnen. Wir haben unseren Frieden hier, die Nachbarschaft ist freundlich. Das alles wollten wir nicht aufs Spiel setzen. Die Fremdplatzierung unseres Hahns ist deshalb eine reine Vernunftsentscheidung.

Da war Henry noch der Hahn im Korb.
Da war Henry noch der Hahn im Korb.
Quelle: Patrick Vogt

Die Rechtslage

Vielleicht hätten wir mehr um Henry kämpfen können und sollen. Dem Hahn ins Gewissen reden hätte wohl nichts gebracht, dafür hätten wir den Stall schalldicht machen können. Wobei sich da die Frage nach Aufwand und Ertrag stellt.

Wir hätten uns auch quer stellen und es im schlimmsten Fall auf einen Rechtsstreit ankommen lassen können … den wir womöglich verloren hätten. Sogar das Bundesgericht musste wegen unerwünschter Hahnenschreie schon Recht sprechen. 1996 entschied es in einem ganz ähnlichen Fall aus Winterthur zugunsten der lärmgeplagten Nachbarn.

Fakt ist: «Die Nachtruhe dauert von 22.00 Uhr bis 07.00 Uhr», heisst es in der Polizeiverordnung unserer Gemeinde unter anderem. Und weiter: «Tiere sind so zu halten, dass niemand belästigt wird und weder Menschen, Tiere
noch Sachen gefährdet werden oder zu Schaden kommen.» Meine Schlussfolgerung: Wenn sich jemand von unserem Hahn in seiner Nachtruhe gestört fühlt, dann ist es an uns, als Haltende zu handeln. Das haben wir getan. Dem Frieden zuliebe.

Bye bye Henry. Es war schön, dich auszubrüten und bei uns zu haben.
Bye bye Henry. Es war schön, dich auszubrüten und bei uns zu haben.
Quelle: Sofia Vogt
Titelfoto: Sofia Vogt

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Ich bin Vollblut-Papi und -Ehemann, Teilzeit-Nerd und -Hühnerbauer, Katzenbändiger und Tierliebhaber. Ich wüsste gerne alles und weiss doch nichts. Können tue ich noch viel weniger, dafür lerne ich täglich etwas Neues dazu. Was mir liegt, ist der Umgang mit Worten, gesprochen und geschrieben. Und das darf ich hier unter Beweis stellen. 

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