Hintergrund

Mythencheck: Schläfst du bei Vollmond wirklich schlechter?

In der Nacht vom 30. auf den 31. August ist es so weit: Es ist Vollmond, der grösste dieses Jahres. Wenn du schon mit einer kurzen, unruhigen Nacht rechnest, könnte dich interessieren, was der Schlafforscher Christian Cajochen im Mythencheck dazu sagt.

Umdrehen. Und wieder zurück. Und nochmals. Auf 100 zählen. Auf Französisch auf 100 zählen. Bei 17 kapitulieren. Genervt aufstöhnen. Vielleicht kennst du solche Nächte. Möglicherweise hast du das Gefühl, vor allem bei Vollmond schlecht zu schlafen. Aber ist da etwas dran? Oder schläfst du nur schlecht, weil du eine schlechte Nacht erwartest? Ich habe bei Christian Cajochen nachgefragt. Er ist Schlafforscher und Leiter des Zentrums für Chronobiologie an der Psychiatrischen Klinik der Universität Basel.

Christian Cajochen, wenn Sie in einem Satz beantworten müssten, ob der Vollmond den Schlaf beeinflusst, was würden Sie sagen?
Ja, aber nur schwach.

2013 haben Sie eine Studie dazu veröffentlicht, die international viel Aufmerksamkeit erregte.
Genau. Wir werteten Schlaflabor-Daten des Zentrums für Chronobiologie aus der Vergangenheit aus. Damals waren die Probandinnen und Probanden für eine andere Studie im Labor. Niemand der Beteiligten wusste zu dem Zeitpunkt, dass später einmal die Auswirkungen des Vollmondes untersucht werden würden. Es gab also keine Beeinflussung.

Wie fiel das Ergebnis aus?
Wir stellten fest, dass die Probanden und Probandinnen bei Vollmond fünf Minuten länger zum Einschlafen brauchten, die Tiefschlafphase 30 Minuten kürzer dauerte und die gesamte Schlafdauer um 20 Minuten reduziert war. Der Melatoninspiegel (das Hormon, das den Tag-Nacht-Rhythmus steuert) war tiefer als in den übrigen Mondphasen.

Christian Cajochen erforscht den Schlaf seit Jahrzehnten. Trotz zahlreicher Erkenntnisse gibt es noch vieles, das sich nicht vollends erklären lässt.
Christian Cajochen erforscht den Schlaf seit Jahrzehnten. Trotz zahlreicher Erkenntnisse gibt es noch vieles, das sich nicht vollends erklären lässt.
Quelle: Christian Cajochen

Wie erklären Sie sich das?
Das ist genau die Krux. Wir haben keine definitive Erklärung. Das Offensichtlichste – das rund zehnmal hellere Licht bei Vollmond – kann es nicht sein. Die Probandinnen und Probanden hatten bei absoluter Dunkelheit in fensterlosen, unterirdischen Schlafzimmern genächtigt. Und auch eine Auswirkung der Gravitation konnte bisher nur bei grösseren «Körpern» wie Seen oder Meeren nachgewiesen werden, nicht aber bei Menschen. Eine Vermutung wäre vielleicht die innere Monduhr.

Was ist damit gemeint?
Gemeint sind Nervenzellen. In diesen wurde bei gewissen Tieren eine sogenannte lunare Uhr nachgewiesen, die den Tagesrhythmus der Schlaf- und Wachphase beeinflusst. Das ist in der Tierwelt primär für die Fortpflanzung wichtig. Der Borstenwurm beispielsweise paart sich nur zu bestimmten Mondphasen. Das ändert sich auch nicht, wenn er in einem Labor über Monate im Dunkeln gehalten wird.

Existiert die lunare Uhr auch beim Menschen?
Leider wurde sie noch nicht entdeckt. Wie gesagt: Wir haben in unseren Laborstudien klare Effekte bei Vollmond, aber noch keine definitive Erklärung.

Wir stellten fest, dass die Probanden und Probandinnen bei Vollmond fünf Minuten länger zum Einschlafen brauchten, die Tiefschlafphase 30 Minuten kürzer dauerte und die gesamte Schlafdauer um 20 Minuten reduziert war.
Christian Cajochen, Schlafforscher

Ihre Studie von 2013 wurde kritisiert, weil nur der Schlaf von 33 Personen untersucht wurde. War das gerechtfertigt?
Die Anzahl lag zwar an der unteren Grenze, war aber wissenschaftlich berechtigt. Das haben wir mit einer Stichprobenberechnung statistisch ermittelt. Die Studie wurde sehr streng kontrolliert und war sehr aufwändig für die Probandinnen und Probanden. Das wäre mit Tausenden Personen nicht möglich gewesen.

Auch der Untersuchungszeitraum bei Ihnen im Labor – fünf Tage – wurde als zu gering erachtet. Was sagen Sie dazu?
Für die Auswertung wählten wir die dritte Nacht immer von Dienstag auf Mittwoch, um Wochenend-Effekte auf den Schlaf auszuschliessen. Das lieferte uns aussagekräftigere Ergebnisse als eine grössere Anzahl von vielen Probanden und Probandinnen zu beliebigen Wochentagen.

Wird ihre Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern immer noch so kritisch betrachtet?
Das hat sich gebessert. Der Mond hat unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zwar immer noch einen eher schlechten Ruf. Um ihn wird ein grosses Business betrieben, zum Beispiel mit Mondkalendern, und er wird oft in die Esoterikecke gestellt. Damit wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht in Verbindung gebracht werden. Unter Chronobiologen ist der Mond aber kein Tabu mehr. Und auch immer mehr neuere Studien bestätigen unser Ergebnis von 2013.

Sie sprechen die Studie aus Washington aus dem Jahr 2021 an?
Ja. Dabei wurde der Schlaf von Studierenden aus Seattle und indigenen Völkern aus Südamerika in den Tagen vor Vollmond untersucht. Dieser war bei beiden schlechter. Bei den indigenen Gemeinschaften, die noch ohne elektrisches Licht leben, war der Effekt am stärksten. Bei den Studierenden war er schwächer, aber auch nachweisbar. Man vermutete, dass sich die jungen Leute bei Vollmond länger draussen aufgehalten hatten. Eine eindeutige Ursache wurde aber auch hier nicht festgestellt.

Der Mond darf nicht zum Sündenbock werden. Für schlechten Schlaf ist sein alleiniger Einfluss zu gering.
Christian Cajochen, Schlafforscher

Sind Sie trotzdem noch immer überzeugt, dass der Mond Einfluss auf den Schlaf haben könnte?
Ja, ich bin sogar noch überzeugter als vor zehn Jahren. Auch in einer Umfrage, die wir an der Universität Basel seit 2014 am Laufen haben, befindet sich der Mond stets unter den Top 3 der Umweltfaktoren, die den Schlaf der Schweizerinnen und Schweizer beeinflussen. Natürlich spielt auch der psychologische Aspekt eine wesentliche Rolle: Wer denkt, er wird nicht gut schlafen, tut es auch nicht. Aber das allein erklärt noch nicht alles.

Wie gut schlafen Sie selbst bei Vollmond?
Ich ging stets davon aus, dass ich wie immer schlafe. Als ich ein paar Jahre lang jedoch eine Fitbit-Uhr trug und die Daten auswertete, war ich überrascht. Subjektiv hatte ich nichts wahrgenommen, aber tatsächlich hatte ich bei Vollmond minim schlechter geschlafen – zumindest laut Fitbit.

Welche Tipps haben Sie für Leute, die bei Vollmond nicht schlafen können?
Der Mond darf nicht zum Sündenbock werden. Für schlechten Schlaf ist sein alleiniger Einfluss zu gering. Unsere jahrzehntelangen Forschungen zeigen, dass zu 90 Prozent Stress und Gedankenkreisen für schlechten Schlaf sorgen. Deshalb habe ich keine Empfehlung, die sich direkt auf den Vollmond bezieht. Aber ich habe allgemeine Schlafhygienetipps:

  1. Gehe jeden Tag zur gleichen Zeit ins Bett und stehe morgens um die gleiche Zeit auf, um die biologischen Rhythmen des Körpers aufeinander abzustimmen.
  2. Esse drei Stunden vor dem Schlafengehen keine grösseren Mengen. Gehe aber auch nicht hungrig zu Bett.
  3. Trinke drei Stunden vor dem Schlafengehen keinen Alkohol und vier bis acht Stunden vor dem Schlafengehen keine koffeinhaltigen Getränke.
  4. Schlafe mittags nicht länger als 30 Minuten, ansonsten verringert sich der Schlafdruck am Abend.
  5. Bleibe nicht länger als nötig im Bett. Schlafstörungen können durch zu langes Liegenbleiben verstärkt werden.
  6. Rauche nicht mehr nach 19 Uhr.
  7. Vermeide körperliche Überanstrengung nach 18 Uhr.
  8. Gestalte deine Schlafumgebung angenehm und schlaffördernd.
  9. Schaffe dir eine Pufferzone zwischen Alltag und Zubettgehen.
  10. Vermeide helles Licht (zum Beispiel von Handy- oder TV-Bildschirmen) vor dem Zubettgehen, aber auch, wenn du nachts wach wirst. Dies kann die innere Uhr umstellen.
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Aufruf: Das Zentrum für Chronobiologie sucht Menschen über 65 Jahre mit Schlafstörungen, die in der Region Basel leben und an einer nicht-medikamentösen Studie teilnehmen möchten. Klicke hier für mehr Informationen.

Wie gut schläfst du bei Vollmond? Welche Einschlaftricks hast du? Ich freue mich auf deinen Tipp oder Kommentar.

Titelfoto: Shutterstock/Athapet Piruksa

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Ich mag alles, was vier Beine oder Wurzeln hat. Zwischen Buchseiten blicke ich in menschliche Abgründe – und an Berge äusserst ungern: Die verdecken nur die Aussicht aufs Meer. Frische Luft gibt's auch auf Leuchttürmen.

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